Studien über die lombardischen Maler

[23] Ich hatte in meiner Frau zugleich meinen ältesten, liebsten Freund verloren. Sie hatte mir das Leben in jeder Weise verschönt und erheitert und für alle meine Berufsaufgaben das lebhafteste Verständnis und Interesse gehabt. Fassungslosigkeit liegt meiner Natur fern, aber ich war von Schmerz doch so niedergebeugt, daß ich den alltäglichen Dienst nicht unmittelbar wieder aufnehmen konnte. Mein Freund Woldemar von Seidlitz, dessen Gattin meiner Frau in Berlin besonders nahegestanden hatte, forderte mich zu einer Fahrt in die Lombardei auf, mit deren älterer Malerei er sich schon damals eingehender beschäftigte. Da ich unter unseren Magazinbildern namentlich eine Anzahl interessanter Gemälde der lombardischen Quattrocentisten gefunden hatte, deren Studium ich zudem bei der Zurückführung des wichtigsten dieser Bilder, der großen Altartafel mit der Auferstehung Christi zwischen den Hl. Leonardo und Lucia, auf Leonardo da Vinci nähergetreten war, so empfand ich diese Studienreise als erwünschte Abziehung von dem Schmerz, der mich nicht verließ. In unseren Resultaten kamen wir freilich nicht zusammen. Seidlitz baute seine Studien auf der Grundlage von Morellis Ansichten über die ältere lombardische Malerei, die mir verfehlt schienen, auf.[23]

Morelli, dessen ganz einseitige »Methoden« ihn oft blind gegen die Qualität der Kunstwerke machten, schrieb den mittelmäßigen Lokalmalern neben Leonardo, einem Ambrogio de Predis, Bernardino de Conti u.a., Kopisten und Nachahmern Leonardos die Entwürfe des großen Meisters und gelegentlich selbst dessen eigenhändige Gemälde zu. Wie er in den Meisterwerken der ältesten lombardischen Renaissance, den Fresken in der Portinari-Kapelle, Vincenzo Foppa nicht erkannt hat, so hat er es auch fertiggebracht, die kostbare Erstredaktion von Leonardos »Madonna in der Grotte« in der National Gallery mit den elenden Machwerken der Engel auf den Flügeln, die dem Preda aufgetragen waren, auf eine Stufe zu stellen und gleichfalls dem Preda zuzuschreiben. Das Unheil, das seine Lehre angerichtet hat, machte ihre Anhänger so blind, daß sie selbst jetzt, wo diese schlechten Flügelbilder in London zur Seite des Madonnenbildes hängen, dieses noch für Predas Arbeit halten und der Behauptung ihres Meisters zuliebe sogar die Urkunde über dieses Altarwerk gewalttätig interpretieren.

Auf dieser Reise hatte ich Gelegenheit, namentlich in der Versteigerung Passalacqua in Mailand unsere Plakettensammlung gut zu ergänzen und die schöne Sammlung von Türklopfern, Bronzemörsern und Tintenfässern, die ich einige Zeit vorher für unser Kunst gewerbemuseum von Guggenheim und Bardini gekauft hatte, um ein paar ausgezeichnete Stücke zu bereichern, während mir für die Galerie nur der Ankauf des Sebastian von Bonsignori (um 7500 M.) gelang. Andere Erwerbungen, wie die der Marmormadonna von Mino und des schönen Altars des Andrea della Robbia aus Pontremoli konnte ich so weit vorbereiten, daß mir der Abschluß dieser Käufe (zu 15000 und 75000 M.) im Laufe des Winters gelang.

Im Mai war ich zurück, aber es duldete mich nicht lange in dem verödeten Hause, zumal das Kind bei den Großeltern war. Ich sah mich in London und Paris nach Erwerbungen um; die Vorschläge, die ich machte, fanden aber keine Billigung. Ein köstlicher früher Maes »Die Mutter«, um 2000 £ von Warneck angeboten, wurde von der Kommission abgelehnt, weil[24] Professor Knaus den Schatten auf der Stirn der Mutter unmotiviert fand. Ich hatte die Freude, daß ich mehr als 25 Jahre später das Bild im Londoner Kunsthandel wiederfand und es einem mir befreundeten Berliner Sammler, Marcus Kappel, zur Erwerbung empfehlen konnte.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 23-25.
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