Der bekleidete Mensch.

[59] (Kostümfigur.)


Wiederum muß man vor dem Entwerfen den Bewegungsausdruck der Figur verstehen lernen und mit Überlegung und Bewußtsein diese in den gewollten Raum hineinkomponieren. – Es ist eben immer in bezug des Ganzen so zu verfahren, wie bisher in den vorigen Abschnitten gelehrt wurde.[60]

Man beachte also wieder: Licht, Schatten, Schlagschatten, Reflexe und bei der Kostümfrage etwas Neues: das Stoffliche.

Ich habe bereits in der Abhandlung über den Kopf angedeutet, wie die Haare und die Haut des Modells andere Charaktere sind; hier sind noch viel reichhaltigere Unterschiede.

Je nach der Qualität des Stoffes ändern sich die Struktur der Faltengebungen und die Tonwerte.

Die wollenen Stoffe haben weiche Lichter auf den Falten und dunkle Schatten, da die Rauheit und Weichheit des Stoffes das Licht aufsaugt. Dagegen hat die knisternde, spiegelnde Seide scharfe, bestimmte Falten, die sich nicht umbiegen, sondern brechen. Glanzlichter stehen als Schärfen auf ihnen; der Schatten der Falten wird stets aufgelichtet sein, weil sich durch die Blankheit der Seide alles in ihr spiegelt und reflektiert.

Gerade die entgegengesetzte Charakteristik ist in dem Sammet: alles tief und weich und doch schärfere, glänzendere Lichter wie im Wollenstoff und bestimmtere Schatten. So wird lediglich durch die Beobachtung der Tonwerte und ihrer Form jeder Unterschied des Stofflichen getroffen werden; es ist nicht notwendig, sich eine verschiedene Behandlung für jede Abart anzueignen. Zum Beispiel ist das Scharfe, Strichartige in der Seidenbehandlung durch die Form der einzelnen Töne und Glanzlichter bereits bedingt.

Ist der Stoff gemustert, etwa mit Blumen bedruckt oder gestreift, so ist solange mit den Augen zu blinzeln, bis die Falten allein zur Geltung kommen und das Muster verschwunden ist; alsdann, wenn die Falten genügend bestimmt in Licht- und Schattenform hingezeichnet sind, kann das Muster diskret, ohne daß es die Form zerreißt, heraufgebracht werden.

Die Kleider verhüllen nämlich keineswegs die charakteristischen Formen des Körpers. Die Falten legen sich vielmehr nach ihnen, wenn auch zweifache und mehrere Hüllen übereinander liegen.

Deshalb haben die Maler früherer Epochen ihre Figuren zuerst nackt unterzeichnet, um dann die Gewänder darüber zu komponieren.[61] Eine Leinwand in diesem Anfangsstadium von David (nackte Männer, die bereits die Zopfperücke haben – ich glaube, das Bild sollte die Enzyklopädisten darstellen –) ist noch heute im Louvre zu sehen.

Die heutigen Maler sind davon abgekommen, aber jedermann kann daraus ersehen, wie wichtig die Kenntnis der nackten Formen für die Kostümfiguren zu erachten ist.

Wenn es ratsam war, Kopf und Akt lediglich als Hauptsache ohne den umgebenden Hintergrund zu zeichnen, so ist bei der Kostümfigur die Umgebung wohl angebracht.

Man achte hauptsächlich auf die perspektivische Größe der einzelnen Teile, aus der die Umgebung besteht. (Leicht werden diese immer zu groß gezeichnet.) Ebenfalls müssen die Teile (Möbel, Fenster etc.) exakt ähnlich sein und bei scheinbar flüchtigerer Behandlung dennoch die ganze Richtigkeit aufweisen. Ferner ist der Ton des Gesamthintergrundes wohl gegen die Figur abzuheben, die immer die Hauptsache bleiben muß.

Hier kann man auch das Experiment mit der Einstellung der Augen gleich einem photographischen Apparat probieren. Man kann die Figur gänzlich wegblinzeln oder wieder die Figur als Hauptsache und die Umgebung in weichen Tonmassen nehmen.

Dieses Arbeiten auf den Hintergrund hin führt bereits zu dem Thema des Skizzierens und zu dem landschaftlichen Zeichnen hinüber, was aber zuerst später in der Abhandlung vom Freilicht ausgeführt werden soll.

Das Studium der Kostümfigur kann man auch dahin variieren, daß nicht immer die ganze Figur gezeichnet werden soll, sondern auch Abschnitte, wie Kniestück etc.

Hierbei kommen dann Kopf und Hände zu besonderer Geltung.[62]

Quelle:
Corinth, Lovis: Das Erlernen der Malerei. Berlin: Bruno Cassirer, 1920, S. 59-64.
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