Leistikow als Schriftsteller

[93] Es hat immer bildende Künstler gegeben, die neben ihrer praktischen Tätigkeit, ihren Gedanken, meistens auf die Kunst beziehend, in geschriebenen Worten Ausdruck gegeben haben. So haben Lionardo und Dürer Traktate über die Malerei geschrieben, in den letzten Zeiten unter vielen anderen Delacroix und Wisthler. Diesen schriftstellerischen Arbeiten sind die Literaten von Fach, namentlich unsre Kunstkritiker, niemals besonders hold gewesen.

»Bilde Künstler, rede nicht,« pflegen sie den schreibenden Malern und Bildhauern warnend zuzurufen, indem sie dabei wunder glauben, wie gebildet und sarkastisch sie selbst sind. Dabei lassen sie geflissentlich oder aus Unwissenheit den Schlußvers aus: »Deine Tat sei ein Gedicht,« aus dem ersichtlich ist, daß Goethe nicht im geringsten den bildenden Künstler, sondern seine eignen Kollegen, die Dichter, gemeint hat.

Das Wort ist frei, warum sollten grade wir von dem Gebrauch desselben ausgeschlossen sein. Ist doch der Kritiker selbst meistens aus einer andern Tätigkeit hervorgegangen und nicht wenige sind, bevor sie Kritiker wurden, Maler – und wohl schlechte, weil sonst die Umsattlung nickt denkbar – gewesen, wie z.B. weiland Pecht, der schlechte Beurteiler Leibl's in München, und der selbstzufriedene, unfehlbare Urgreis Ludwig Pietsch in Berlin.

Leistikow war im jungen Deutschland jedenfalls der erste Maler, welcher seine Meinungen drucken ließ. Die Anregung dazu wird wohl hauptsächlich in seinem steten Verkehr mit Schriftstellern zu[93] suchen sein. Ich habe bereits in den früheren Kapiteln Auszüge und ganze Artikel aus seiner literarischen Tätigkeit den Lesern gebracht, aus denen man genügend sehen kann, wie gewandt er die Feder gebrauchen konnte. Sie war in seiner Hand für Hieb und Stich eine gleich geschickt geführte Waffe. Vor allem aber ist ihm in seinen Federkriegen Überzeugungstreue und warmes Herz nachzurühmen. Namentlich Anton von Werner, der ewige Direktor der Berliner Akademie, welcher durch seine wichtige Stellung und durch seine persönliche Klugheit in kunstpolitischen Angelegenheiten fast immer den Ausschlag gab und infolge seiner rückständigen Ansichten mit seinen Sympathien stets auf Seiten der Reaktion war und noch ist, war ihm immer ein willkommenes Streitobjekt. Er ist ihm der Antichrist, der Mephisto, das böse Prinzip, das stets das Böse will und doch das Gute schafft. So beleuchtet er ihn von allen Seiten und zeigt ihn in seiner ganzen Nacktheit demlächelnden Publikum. Der Gründer der Secession und des deutschen Künstlerbundes wäre in Wirklichkeit Werner selbst. In einem Artikel über Tschudi, den Direktor der Nationalgalerie, in der Zukunft, Februar 1897, schreibt er, der einzige Mann in ganz Deutschland, welcher glaubt, daß Anton von Werner der passendste Direktor für die Nationalgalerie sei, wäre Anton von Werner selber. Da dieser Artikel noch heute von Interesse ist, lasse ich ihn hier ganz folgen:


Der Direktor der National-Galerie:


Als Herr von Tschudi vor einem Jahre etwa die Direktion der National-Galerie übernahm, mußte die Welt, die sich um solche Kleinigkeiten zu bekümmern pflegt, zunächst eine leise Überraschung durchmachen – man hatte an sehr viele andere Namen gedacht –, dann aber tönte ihm ein allgemeiner wohlwollender Glückwunsch entgegen. Niemand kann seinem lieben Nächsten gleich bis ins Innerste des Herzens blicken, um dort das Aufrichtige von dem weniger Aufrichtigen zuverlässig zu unterscheiden, auch Herr von Tschudi nicht. Trotzdem mag wohl manches zweifelnde Lächeln diesen Gratulanten geantwortet und der Gefeierte mag oft im Stillen geseufzt haben: Herr, schütze mich vor meinen Freunden! ... Es war ja nie das Zeichen von Tüchtigkeit und Stärke, alle zu Freunden zu haben. Hätte Tschudi verstanden, sich das billige Wohlwollen zu erhalten, das ihm damals so reichlich entgegengebracht wurde, dann wäre er heute für die Entwicklung der Galerie und damit auch für die Ent wicklung des Kunstgeschmackes des – ach! – so sehr der Entwicklung bedürftigen Publikums ein toter Mann. Aber damit hat es keine Not. Wir können uns wirklich beglückwünschen zu dieser Kraft, die in tatkräftiger, energischer Arbeit auf das Ganze losgeht. Und wenn die schöne Einigkeit seiner Freunde unter dieser energischen Arbeit schon heute sehr gelitten hat, dann freuen wir uns dieser Tatsache. Nein, ein Mann wie Tschudi mußte Feinde finden. Daß diese Feinde auf der Seite jener Kunstbonzen sitzen, die den Patriotismus und die[96] ganze deutsche Kunst gepachtet zu haben glauben, das ist natürlich und gut und ein Grund mehr, von Tschudi viel zu erwarten.

Es ist nicht recht klar, weshalb man dem jetzigen Direktor Vorwürfe macht, weil für die Galerie einige Bilder von Ausländern angekauft sind, – namentlich, wenn das Geld dafür aus dem kaiserlichen Dispositionsfonds oder aus der Tasche feiner Berliner Kunstfreunde stammt. Kein deutscher Maler darf sich also durch diese Ankäufe geschädigt oder zurückgesetzt fühlen, das wäre einfach Unsinn. Und wenn man sagt: »Respekt vor der Bestimmung des Hauses! Steht nicht mit großen Lettern deutlich dran: der deutschen Kunst,« – so ist es eben wieder einfach Unsinn, diese Worte so auszulegen: hier dürfen nur Bilder hinein, die von Deutschen gemalt sind. Der deutschen Kunst ist dieses Haus geweiht, der deutschen Kunst soll es dienen. Das aber kann es am besten, wenn es wirkliche Kunst birgt, mag sie stammen, woher sie wolle. Uns fehlt es hier noch immer am Begreifen dessen, was Kunst ist. Wir wollen uns freuen, daß es nun ein paar Kunstwerke mehr dort gibt. Denn immerhin – trotz Menzel und Boecklin – waren die doch spärlich gesät und gar schwierig zu finden unter dem Wust von Minderwertigem und ganz Schlechtem, das die Wände der Galerie bisher erdrückte.

Was Herr von Tschudi in der kurzen Zeit getan hat, ist bewundernswert und des höchsten Lobes würdig. Seine Arbeit hat mit Erfolg das Übel an der Wurzel gepackt, ausgerodet und ausgehackt, was dürr und trocken dem Lebendigen allzu lange Licht und Leben genommen hatte. Schon heute dürfen wir stolz sein auf den Tag in ferner Zeit, wo wir wirklich eine Galerie haben werden, die wert ist, gesehen zu werden, auch wenn man aus dem Köstlichsten kommt, was Berlin besitzt, aus Bodes Schöpfung der Gemäldegalerie im Museum. Kein Zweifel: Tschudi wird das zustande bringen, er wird der Nation etwas geben, so groß und gut, daß man nur mit Lächeln und Kopfschütteln erzählen wird von jenen Anzapfungen, die mit ihrem gespreizten Patriotismus ihn zu Fall zu bringen hofften. Die Ausstellung der Neuerwerbungen in der Galerie überrascht zuerst durch den Geschmack und die liebevolle, verständnisreiche Art der Aufstellung, – die ist einfach meisterhaft!

[97] Sie überrascht aber nicht weniger durch die Vortrefflichkeit und den außergewöhnlichen Wert der gesammelten Kunstwerke. Selbst unsere sogenannten Todfeinde haben in ihrer National-Galerie, dem Luxembourg, die vollgefüllt ist mit ganz herrlichen Meisterwerken, Platz für deutsche Kunstwerke ge funden, sobald sie ihnen wertvoll und würdig genug schienen. Ich erinnere nur an Liebermann, Uhde, Köpping, Kühl. Warum sollten wir uns nun nicht an Bildern freuen, die so außergewöhnlich gut sind, wie die Sachen von Manet, Monet, Courbet, Degas, Boldini, Zorn, Thaulow, Segantini, die Bildwerke von Rodin und Meunier? Und warum sollten wir nicht für den Mann eintreten, der uns das alles in so kurzer Zeit gegeben hat? Warum sollten wir ihn nicht in Schutz nehmen gegen ungewöhnlich niedrige und hämische Angriffe, die ihm aus seiner schweizer Nationalität und seiner Begeisterung für die unsterblichen Werke Boecklins eine Fußschlinge zu drehen suchen? Warum sollten wir uns abhalten lassen, klar und deutlich mit Fingern auf den traurigen Helden zu weisen, der es für gut und ritterlich zu halten scheint, mit derartigen Lächerlichkeiten ehrlichen Leuten ein Bein zu stellen?

Herr von Tschudi ist ein offener und ehrlicher Mann in seinem Tun und Lassen, er verdiente damit die Anerkennung aller. Und sollte seine Stellung als Direktor der Galerie gar so leicht sein?

Der redselige Herr Anton von Werner scheint dieser Ansicht zu sein. Er meint, jedem seiner etwa sechzig Lehrer traue er die Fähigkeiten zu, Direktor einer Bilder- und Skulpturen-Galerie zu werden. Das mag ja sein – ich kenne die sechzig Herren nicht so genau –, aber das eine weiß ich gewiß: ihrem Direktor, Herrn von Werner, dürften in Preußen sehr wenige die nötige Fähigkeit zutrauen, – ja, er dürfte vielleicht der einzige sein, der sie sich zutraut, während er im übrigen Deutschland, in Bayern z.B., wahrscheinlich nicht eine Stimme für sich auftreiben könnte. Denn es kommt nickt darauf an, schöne Reden zu halten oder blanke Knöpfe virtuos zu malen, sondern darauf, einen freien, weiten Blick, ein offenes, warmes Herz für alle hervorragenden Erscheinungen zu haben, nicht aber, sich selbst für das Maß aller Dinge zu halten. Temperamentvollen Künstlern – und Herr Anton von Werner ist ein temperamentvoller Mann, es ist das[98] Beste, was man von ihm sagen kann – wird es naturgemäß immer schwer sein, über die eigenen engen Anschauungen hinaus das Gute richtig zu schützen.

Doch genug davon; ich wollte es nur gern niedriger gehängt wissen, daß bei uns im Jahre des Heils 1897 einem hohen preußischen Beamten von einem anderen hohen preußischen Beamten als eine Todsünde angerechnet werden darf, daß er an höheres glaubte als an den preußischen Menzel!

Wer lacht da? Es gibt nichts zum Lachen. Wollte man genauer zusehen, dürfte tief Ernstes, tief Trauriges zum Vorschein kommen.

Die Neuerwerbungen der National-Galerie, die besonders, für die Herr von Tschudi persönlich verantwortlich ist, überraschen durch den großen, weit reichenden Blick, der, über Strömungen und Richtungen hinweg, gutes zu wählen wußte, wo es sich zeigte. Nichts ist verkehrter, als in den Neuerwerbungen einseitige Bevorzugung gewisser Strömungen neuer Kunst sehen zu wollen. Wie kämen sonst die feinen, intimen, ja ängstlichen Blätter Constables neben das schillernde, schimmernde Licht- und Luftbild von Monet und das technische Bravour stück eines Zorn? Oder was hätten in Richtung und Modernität Gemeinsames das intime, schlichte, ehrliche Porträt des Fantin-Latour mit dem eleganten, geschmackvollen, aber äußerlichen Damenporträt des Lavery oder der bedeutenden, tief aufgefaßten Büste des Rodin, einem Werk, das gleich vortrefflich ist in dem ganz ungewöhnlichen Formenverständnis wie in geistiger Charakteristik? Was bringt diese Werke zusammen außer dem einen, daß sie alle erstklassige Kunstwerke sind?

Ein dankenswerter, seltener Zufall hat es ermöglicht, ein so hervorragendes Gemälde zu erwerben, wie das Doppelporträt von Manet »Im Treibhaus«. Ist es nicht ein Glück, daß es gelungen ist, von Manet, diesem Bahnbrecher der ganzen Bewegung in Frankreich, eine so glänzende und so gediegene Leistung zu erwerben? Wer wird nicht vor diesem Werke gepackt und ergriffen von der Ehrlichkeit, von der Schlichtheit, von der wundervollen Beherrschung aller Ausdrucksmittel? Und dann weiter die kleine Landschaft von Courbet, bei der einem die besten Bilder der Alten einfallen, der kühne Degas[99] mit seinem so ganz persönlichen, überraschenden Kolorit, das feierliche, große und ernste Bild des Segantini, daneben die interessanten Zeichnungen dieses Meisters, die von der Schlichtheit ihres Schöpfers zu uns reden –: dies alles und nicht zuletzt die kleinen, in Kreide gezeichneten Blätter Liebermanns, die in der unerhörten Kühnheit des Striches, der verblüffenden Luft- und Lichtwirkung, in der Größe und Einfachheit der Auffassung trotz der räumlichen Kleinheit monumental wirken und darum dem Besten beizu zählen sind, was unsere Zeit geschaffen hat, danken wir Tschudi. Unter solchen Werken kommt eine ähnliche stille Andacht über den Beschauer, wie wir sie sonst nur in den Galerien der alten Meisterwerke zu empfinden gewöhnt sind. Das konnte nur ein Mann zustande bringen, der durch diese alte Kunst geschult ist, der dort sehen und unterscheiden gelernt hat, der über ein reiches Wissen und ein offenes Auge verfügt, der die Perle schätzt, wenn sie auch in rauher Schale liegt, der gerecht einem jeden gibt, was eines jeden ist, der Menzel ehrt und Boecklin bewundert.

Walter Leistikow.


Auch für die kunstgewerblichen Arbeiten des Radierers Köpping, welcher Ziergläser nach venetianischen Mustern erfunden und mit ihnen sehr viel Erfolg erzielt hatte, legte er sich ins Zeug. Ein diesbezüglicher Artikel findet sich in der Zukunft vom Dezember 1896, und ein Teil möge ebenfalls hier Platz finden:


»Mit heiterm Lächeln muß ich hierbei einer kleinen Episode gedenken, die vor zwei, drei Jahren in Schultes Ausstellung spielte. Wir waren gerade dabei, die Ausstellung der XI. zu arrangieren, wir waren besonders stolz, weil gerade in diesem Jahre Friedrich Stahl seine herrlichen, farbig glasierten Vasen bei uns ausstellte – es war der erste schüchterne Versuch, hier in unserem Sinne das Kunstgewerbe zu beleben –, als Herr Schulte hinzutrat und ganz erschrocken fragte, was denn das für Dinge wären und was sie in seinem Lokale sollten. Er erklärte, daß seine Räume nur für ›Kunst‹ da wären, nicht für Töpfe! Wir hatten Mühe, ihn von unserer Anschauung zu überzeugen. Nun, seit jenen drei Jahren ist auch hierein Umschwung eingetreten. Trotz seinem damaligen Ausspruch ›Nie wieder‹ hat Herr Schulte in diesem Jahre einer ähnlichen, aber weitaus reiferen, originelleren Sache mit einer Ausstellung gute Dienste geleistet. Ich spreche von den Ziergläsern des Professors Köpping, des bekannten Radierers. Und damit bin ich bei dem Erfreulichsten, was gesagt werden soll. Mit diesen Gläsern Köppings ist uns ein wertvolles Geschenk geworden. Köpping hat das deutsche Kunstgewerbe um einen prachtvollen Schatz bereichert. Er hat Formen gefunden, die durchgehend neu, im besten Sinne modern genannt werden müssen. Und wodurch? Nun, weil er in der Natur suchte, in der Natur fand. Mit seinem persönlichsten, künstlerischen Blick ging er auf diese Urformen zurück und formte Neues. Er hat es verstanden, diesen Formen Farben zu verleihen, die nur für sie gefunden, in sie aufgegangen, mit ihnen Eins geworden sind.«


Aus der »Affäre Munch« habe ich den wichtigsten Teil herausgenommen, in welchem die verrotteten Zustände der Berliner Maler und ihres Vereins direkt spannend von ihm geschildert sind. Leistikow hat auch über den Maler Zorn geschrieben, einen Nekrolog für den frühverstorbenen Otto Eckmann in der Kunstzeitschrift von A. E. Seemann verfaßt und vie les mehr. In dem »Magazin«, einer Halbmonats-Zeitschrift unter der Redaktion von Neumann-Hofer, war er längere Zeit ständiger Berichterstatter für künstlerische Angelegenheiten gewesen.

Seine umfangreichste literarische Tat ist sein Roman »auf der Schwelle«. Der Roman schildert das Werden eines Dichters unter Erfolgen und Enttäuschungen im Leben, wie in der Liebe. Das Milieu ist ein durchaus porträtgetreues, daß jeder einzige, welcher in diesen Kreisen bekannt war, sowohl die Mitspielenden, wie auch das Örtliche leicht wiedererkennen konnte. Die Hauptfigur ist eine Mischung von ihm selbst und von Gerhart Hauptmann; ebenso ist Max Halbe mit seinen damaligen Glaubenstendenzen frappant wiedergegeben. Mit liebenswürdigem Humor erzählte Leistikow von den pekuniären Erfolgen des Romans: Nach einem Jahr hätte er eine Abrechnung bekommen, nach welcher ein Buch verkauft war, wonach er an Tantiemen 70 Pfennige erhielt; da er selbst aber dieses eine Buch als Geschenk für eine Dame aus dem Verlag bestellt hatte, so schuldete er diesem noch 1 Mark 30 Pfennige. Eine andere größere Arbeit existiert nicht von ihm. Natürlich verfolgte er stets mit dem größten Interesse, was in der Literatur geschaffen wurde; durch seine Gattin beeinflußt, neben der deutschen hauptsächlich die skandinavische. Wie ich schon früher geschrieben habe, war er mit fast allen Autoren persönlich bekannt. Mit Gerhart Hauptmann war er seit dem Erstlingsstück desselben »Vor Sonnenaufgang« freundschaftlich verbunden. Die späteren Werke hat er meistens in den ersten Vorlesungen Hauptmanns aus dem Manuskript gehört. Von der Sommerzeit, als beide im Grunewald wohnten und Hauptmann die ersten Entwürfe zum Armen Heinrich vorlas, habe ich bereits geschrieben.

Im Winter darauf gründete Leistikow zu Ehren Hauptmanns und zu dessen Zerstreuung: »Gerhart Hauptmanns Freundschafts- und Rosenbund«. Mitglieder waren die Ehepaare Hauptmann, Leistikow, Ludwig v. Hofmann, der Norweger Bernt Grönvold und die drei Junggesellen: der Kupferstecher Krüger, der Maler Sattler, welcher in Berlin anwesend war, um das Nibelungenlied für die Reichsdruckerei zu schaffen, und ich. Das Hauptstatut bestand darin, daß als einziges Getränk Sekt spendiert werden und die Einladung zu den Diners reihum gehen mußte. Als letzter war Gerhart Hauptmann dran. Er lud die Mitglieder des Rosenbundes zu der Generalprobe seines »Michael Kramer« ein. Darauf gab er ein Diner im Palast-Hotel, das natürlich durch die Zulassung seiner übrigen Freunde vom Theater: dem Direktor Brahm,[104] Rittner, Reinhardt, welcher den Michael Kramer spielte, seinem Verleger S. Fischer und anderen mehr an Umfang erweitert wurde; auch war man mit den Paragraphen des Sektgenusses nicht so engherzig und erweiterte ihn auch auf Rhein- und Rotwein. Die Tafel war mit Rosen geziert, und abends erhielt jeder Gast ebenfalls einen Kranz von Rosen, um damit sein Haupt zu schmücken. In vorgerückter Zeit soll ich dann einen Versuch, zwar einen vergeblichen, gemacht haben, eine Rede zu halten. Dafür vermißte ich am nächsten Morgen mein gerade neu gefülltes Portemonnaie. Meine Aufwärterin brachte vom Restaurant her die betrübende Antwort, daß dort nichts zurückgeblieben wäre. Als ich dann bereits eifrig und resigniert an der Arbeit war, klopfte es und Leistikow trat ein: »Hier bring ich Dir Dein Portemonnaie,« sagte er sofort und erzählte weiter, daß ich es wohl in instinktiver Vorsicht[105] an S. Fischer gegeben hatte und dieser es wieder an ihn ausgeliefert hätte. Die Freude des Wiederfindens machte diesen Tag zu einem der teuersten meines Lebens, immer mit der Begründung: »besser so als ganz verloren.«

Als Hauptmann bald darauf nach Agnetendorf ins Riesengebirge zog, war Leistikow ein oft und gern gesehener Gast in diesem Dichterheim. Die Schneebilder in Aquarell, welche er hier gemalt hat und die zu seinen besten Schöpfungen gehören, habe ich schon früher erwähnt.

In letzter Zeit hat Leistikow weniger geschrieben. Einige Male hat er noch im Interesse der Secession Zeitungsartikel verfaßt und auch für ein literarisches Werk von mir durch einen Artikel in der Kunst für Alle das Publikum zu interessieren gesucht. Er war mehr Genießer als Anreger geworden.[106]

Quelle:
Corinth, Lovis: Das Leben Walter Leistikows. Berlin: Bruno Cassirer, 1910, S. 93-107.
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