Der Genius der deutschen Malerei

Der Genius der deutschen Malerei

[84] Ich erwarte von dem Frieden, daß er den Deutschen in seinem Stolze mehr erheben wird wie bisher. Der Friede wird uns zuerst zeigen, was wir waren, und was wir nach dem Kriege geworden sind. Den moralischen Wert des Deutschen wird man überall erkennen müssen. Da ich Künstler bin, so kann ich nur über mein Fach – die Malerei – reden. Gerne möchte ich den deutschen Maler überzeugen, daß er vor keinem Künstler Europas sich zu beugen braucht, daß er vielmehr ebenso tüchtig dasteht wie die Kollegen anderer Länder. Es ist ja richtig, daß wir in Frankreich oder in Italien gelernt haben; wir Deutsche sind eben von jeher gründlich gewesen, lernbegierig, und haben das Gute genommen, wo wir es fanden. Und dem Deutschen hängt die Dankbarkeit für Wohltaten, welche ihm andere erwiesen haben, zu sehr an: er ehrt seine Lehrer so sehr, daß er darüber seine eigene Wertschätzung vergißt. Wenn es schon durch den letzten französischen Krieg bei uns bedeutend besser geworden ist, so sollen wir jetzt unseren Wert noch weit höher steigern, denn wir sind im Recht; in der Malerei ebenso wie in den anderen, bereits anerkannten Fächern. Auch in der Kunst wollen wir auf unsere Machtstellung pochen.

Wir sind viel reicher an Talenten und selbst an Genies; und noch mehr: es besteht die Wahrscheinlichkeit, das wir im Laufe der Zeiten im Bewußtsein unserer Kraft wohl all unsere Lehrmeister überdauern werden. Ist doch von dem ehemaligen Überfluß italienischer Künstler wenig übriggeblieben; sie zehren schon seit Jahrhunderten von dem Ruhm ihrer Michelangelos und Raffaels. Der zaghafte Deutsche aber überdauert alles; zähe ist er im Unglück und bescheiden in seinen Erfolgen. Nun werden wir es uns eingestehen, daß wir bereits viel weiter waren in der Kraft unserer besten Künstler, als die dünkelhaften Romanen es bis jetzt noch eingestehen wollen, welche die Welt vollprahlten, daß wir noch immer ihre Schleppenträger waren, als der Deutsche schon längst seine Rinderschuhe ausgetreten hatte. Lassen wir die großen Maler Frankreichs, die wir selbst am meisten würdigen. Nimmt man aber diese Größen fort: die Schule von Barbizon, die Impressionisten, so bleibt eigentlich nichts mehr übrig. Oder haben die Franzosen größere Genies, als wir an unserem Feuerbach und Marées besitzen? Haben sie einen Maler wie Viktor Müller aufzuweisen, dessen Bild »Schneewittchen mit den Zwergen« das poetischste Kunstwerk ist, welches ich kenne?

Nehmen wir ein Beispiel aus der früheren Zeit, aus einer Zeit, als wir kaum wußten, was Malerei war: der Danziger Chodowiecki malte seinen »alten Fritz« in all seiner schlichten Größe und bereitete so den Weg für einen Gewaltigen, der nach ihm kommen sollte: Menzel. Wir konnten immer wieder lesen, daß Menzel ebenbürtig mit dem Franzosen Meissonier gewesen ist – »ebenbürtig«? etwa wie ein Künstler zu einem Uhrmacher. Das einzige, was der kleine langbärtige Franzose für Menzel tat, war, daß er eine Menzel-Ausstellung in einer Baracke am Louvre etwa 1884 arrangierte. Ich sage: er war dankbar, weil er beim Aufenthalt in Berlin der Empfangende Menzel gegenüber war. Wir wissen heute alle, daß der verschneite Weg mit der Birke auf Menzels Bild »Friedrich der Große unter seinen Generälen vor der Schlacht bei Leuthen« den Franzosen so begeisterte, daß er ein relativ ähnliches Bild schuf mit seiner ganzen Stimmung: »Napoleon reitet über ein ostpreußisches Schlachtfeld mit seinen Generälen.«[85]

Übrigens sind derartige Anekdoten als Beweis kollegialer Höflichkeit vielfach verbreitet, manche tragen absolut den Stempel der Wahrheit. Dürer im Austausch von Handzeichnungen mit Raffael. Leibl im Verkehr mit Courbet. Wir können daraus ersehen, daß die Künstler wenigstens untereinander sich vielfach geschätzt haben. Weshalb mag man aber stets lesen, daß Menzel seine »Anregung« aus Frankreich erhalten habe? Doch wohl, weil die Franzosen verstanden haben, ihr Licht nicht unter den Scheffel zu stellen.

Bleiben wir aber in der Gegenwart und lassen wir die Lebenden nach dem Friedensschluß zur Geltung kommen. Auf welcher Seite sind die größeren Talente? In Frankreich ist in letzter Zeit die exotische Richtung emporgekommen. Eine Richtung, welche die Franzosen selbst nicht ernst nehmen können. Der letzte Große war eigentlich mit Cézanne gestorben. Jetzt stagniert es in Frankreich. Aber in Deutschland ist von einem Erlahmen absolut nichts zu merken, sondern es gärt viel mehr als vor dem Kriege. Vor dem Kriege waren Deutschlands Künstler vollständig wieder ins Schlepptau fremder Völker gebannt. Heute aber haben sie diese Unsitte abgeworfen und erheben sich zu neuen Taten. Künstler, welche überall ge schätzt werden, haben wir auch heute aufzuweisen, Künstler, welche in ihrem ernsten Streben uns voranschreitenden alten Thoma in seinen besten Bildern, Trübner, der immer strebend sich bemüht, und Klinger. Diese Künstler sind unser Stolz und wahrlich der Nachahmung würdig. Sie wollen wir verehren und stolz auf unser Vaterland sein, das solche Männer besitzt.


  • Abbildung Seite 86
    Abbildung Seite 86

Quelle:
Corinth, Lovis: Gesammelte Schriften. Berlin: Fritz Gurlitt, 1920., S. 84-86.
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