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Große Ausstellung in Königsberg anläßlich des Kant-Jubiläums

[180] Es wird nicht wenige Menschen geben, welche von mir behaupten: Er war ein Sonntagskind! Alles glückte ihm. In einigermaßen guter Geldsituation. Was will man mehr? Wie ich dazu gekommen war, zu dieser Charakteristik, mag Gott wissen. Ich weiß das nicht. Es sei denn ein höhnisches Gelächter, welches ich anzuschlagen beliebte, wenn es mir recht blöde vorkam, und meine fletschenden Zähne leuchteten im viereckigen Maule, welches meine Kollegen in München Quadratmaul, auch Briefkasten zu nennen beliebten. Da die Menschen blindlings hinnehmen, was ihnen geboten wird, so dachte man, ich wäre vergnügt und ein lachender Philosoph.

Und doch bin ich im Leben stets unglücklich gewesen. Anfangs gleich der heimliche Krieg meiner Stiefgeschwister gegen mich, ein fortwährendes Streiten und Zanken, warum sie keine Schulbildung gehabt hätten, selbst heimliche Nachstellung gegen mein Leben. Diese Situation aus meiner Kindheit ist bis heute in mir geblieben. Stets empfand ich gegen die besseren Klassen eine beschränkte Devotion, trotzdem ich bei meinem Charakter niemanden liebte und jedem durch meinen unerzogenen Barbarismus eher abstoßend und derb erschien. Dazu kam auch ein verneidetes Gemüt gegen heitere Erscheinungen oder besseres Können. Ein brennender Ehrgeiz hat mich stets gequält. Es ging kein Tag fort, an dem ich nicht mein Leben verfluchte und beendigen wollte; aber ich will auch nicht verheimlichen, daß das Schicksal mir eine Spannkraft mit auf den Weg gegeben hatte, welche mich das Böse überwinden ließ, und[180] dann lächelte mir die Sonne heiter. Das war wohl das, was die Leute an mir als das »glückliche Naturell« herausfinden wollten.

Wie gesagt, für mich verachtete ich alle Menschen. In der Kunst konnten sie nicht mehr als ich, und mit der Energie im Vorwärtskommen nahm ich es mit jedem auf. Außerdem hatte ich den besonderen Ehrgeiz und ließ nicht nach, alles, was ich erreichen wollte, nur allein meiner eigenen Kraft zu verdanken zu haben.

Außerdem war ich sehr nachtragend und konnte nicht vergessen, was man gegen mich ausübte. Mit diesem Gemüt hing ich mit Eifer an dem, was man mich lehrte und was mir gefiel. Deshalb war ich in gewissem Sinne ein Patriot; mit Kummer empfand ich den Untergang Deutschlands und Preußens. Aber die Jahre liefen dahin, ohne daß ichs verbessern konnte. Ich kam zu dem Entschluß, Schluß zu machen und allein meiner Kunst zu leben. Der Jammer verdarb Herz und Gemüt.

Das Schicksal kam mir entgegen. Es gab Leute, welche durch meine Kunst mich ausspielen wollten gegen Leute, die ihnen schädlich erschienen. Sofort ging ich auf ihre Intentionen ein. Man wollte z.B. eine große Ausstellung von mir machen, mit aller Macht und Raffiniertheit meine Arbeiten durchdrücken. Ich half dazu, was ich konnte. Mein Schifflein hob sich im steigenden Wasser und eine Zeit glaubte ich, ich verlöre den Boden unter den Füßen. Das Schicksal kam mir wie immer entgegen und ich wurde flott. Dies ging nun einigermaßen und wirkt auf lange Zeit fort.

Dem Schicksal war ich stets dankbar, wenn es mir entgegenkam. Jeden Wink nutzte ich aus. So hatte ich beim Ansehen unseres Reichspräsidenten den Entschluß gefaßt, ihn malen zu wollen. Was ich hatte, führte ich zu diesem Werke vor, und mittels glücklicher Konstellationen gelang[181] es mir. Ich sollte ihn malen. Es war mir früher schmerzlich, daß es mir nicht mit Hindenburg gelang, und ich empfand dadurch nicht etwa ein Schwanken in meiner Gesinnung. Die Kunst war mir das einzige Ziel, und in Ebert empfand ich nicht den Sozialdemokraten, sondern ich sah in ihm die Spitze Deutschlands, mit derselben Pietät wie vorher die Regenten. Außerdem schätzte ich seinen Charakter. Er war gegen mich stets taktvoll. Ich will es nicht leugnen, daß ich in ihm einen Mann fand, der mir durch meine Familie verständlicher erschien, als die Geburtsaristokraten oder Geldaristokraten. Meine Leute waren mir geläufiger. Wie auch das Volk ihn aufnehme, das bleibt mir gleichgültig, künstlerisch habe ich alles getan, was mir das Schicksal geboten hat.

Ein anderer Wink des Schicksals war, als man mich zu einer Ausstellung in Königsberg einlud. Von der Akademie ging es aus, welche gegen mich gefehlt hatte. Daß ich die Leiche war, mit der man Krebse fangen wollte, war mir, wie schon früher, klar erschienen.

Was ging es mich an, es hilft doch immer ein weniges. Es war zu dem Jahrhundert-Jubiläum des Kant. Man lud mich extra ein, zur Feier zu erscheinen. Bürgermeister und Rektor der Universität und der Akademiedirektor sprachen lange Enden, was ich für ein Kerl war. Merkwürdigerweise hatte ich den Rektor vor Jahren porträtiert, und so half eins zum andern. Der Bürgermeister von Tapiau schloß den Reigen, und so artete es zu einer heimatlichen Hymne, als ich die Schlußworte sprach und meine Ausstellung eröffnete. Die Künstler Königsbergs gaben mir einen Bierabend und manche alte Bekannte fand ich vor, die ich dem Aussehen nach nicht mehr erkennen konnte. Greise mit Glatzen und weißen Bärten, ausgefallenen Zähnen, waren die meisten. Wie eine Primadonna[182] wurde ich gefeiert als der erste Maler Ostpreußens, wenn nicht Deutschlands. Daß das nicht alles so gemeint war, als es gesprochen war, wußte ich wohl, doch das Schicksal zog die Fäden und wir wollen abwarten. –

»Was kann aus Nazareth Gutes kommen«, so summte es in meinem Hirn, und doch kann ich nicht klagen. Erfolg habe ich in der Heimat gehabt, und das ist viel. Ein heimatloses Kind und ein Mann, welche fest mit den Vorfahren in einer Erde wurzeln; das scheint mir vor allen Dingen eine mir vom Schicksal bevorzugte Stellung zu sein.

Quelle:
Corinth, Lovis: Selbstbiographie. Leipzig: Hirzel, 1926., S. 180-183.
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