August Macke 01.09.1911

[69]  

Bonn, 1. Sept. 1911


Lieber Franz!


Ich bin in sehr guter Stimmung. Es wurmt schon einen Monat in mir. Ob's was Gutes oder Schlechtes ist, weiss ich nicht. Ich bin mir nur darüber klar, dass man Gefühle nicht zwingen kann und deshalb lasse ich es mich immer überfallen, täglich, stündlich, ja meinetwegen mache ich mal die Augen zu vor Wohlbehagen und Glück. Die Munter hat mir sehr gut getan. Ich denke mir ja Kandinsky so sehr als den geistigen Anreger auch ihrer Malerei, dass ich mit ihrer Ansicht, dass sie ganz persönlich[69] arbeitet, genau so wenig ganz übereinstimme, als ich mich ohne stark französischen Einfluss denken kann. Im übrigen verstanden wir uns gut. Ich habe das Gefühl, dass sie stark zum Geheimnisvollen (siehe Stilleben, Heilige, Lilien in Gartenecke, scharf beleuchtete Gewitterwolke, Lampen und Altväterstühle) neigt. Es ist etwas ›Deutsches‹ darin, etwas Altar- und Familienromantik. Ich habe sie sehr, sehr gern. Aber lieber habe ich Kandinsky doch. Von seinem Bilde bei uns geht auf die Dauer eine Strömung aus, die wunderbar ist. Er ist auch Romantiker, Träumer, Phantast und Märchenerzähler. Aber was er dazu ist, ist die Hauptsache. Er ist voll unbegrenzten Lebens. Die Flächen, über die man hinüberträumt, sprühen und schlafen nie. Seine stürmenden Reiter sind das Wappen, das vor seinem Hause hängt, aber es stürmt nicht nur in Felsblöcken, Burgen und Meeren, auch das unendlich Zarte, Pastorale stürmt, in allen Teilen, in Gelb und Blau und Rosa, im leisen andeutenden Schreiten der Rokokodamen. Es ist wie das Summen von Millionen Bienen oder das Schwirren von Geigen mit einem unendlich sanften lammartigen Paukenschlag. Was ich in all dem fühle, ist Leben, das Leben Kandinskys, das er mir zuruft mit (na, es klingt dumm) mit Bildern. Das Mysteriöse bei ihm ist unendliches Leben, es ist viel Fröhlichkeit in ihm und viel, viel Ernst. Ich wünsche jetzt oft, ich hätte ein schönes Bild aus seiner Jetztzeit hier. Ich geniesse soviel an dem einen. Mir tun auch die Leute leid, die ihn nicht gemessen können. Lisbeth freut sich ebenso daran.

Nun zu mir. Ich ›probiere‹ wieder so viel. An Koehler hab ich noch nicht geschrieben. Ich kann die Feder nicht in die Hand nehmen dazu. Ich empfinde soviel Schwaches und Unfertiges bei meinen Arbeiten und weiss nur den Ausweg, abzuwarten, dass man weiterkommt, was ich hoffe. Zu Deinem Brief über die Vereinigung muss ich Dir antworten, dass ich alles einsehe und alles mittue, was Du schreibst und vorschlägst. Es ist nur mein Vorteil. Aber Du glaubst nicht, wie mir die Reklamemacherei am Halse heraushängt, ohne die man zu nichts kommt. Wir reisen Montag zu meiner Schwester und Mutter auf einen Monat in den Schwarzwald, Kandern, Hotel zur Krone. Wir müssen sparen und leben da gratis. Sonst wären wir schon in Sindelsdorf. Aber das geht wahrscheinlich nicht in diesem Jahr. Montag bin ich in Mannheim zu Deiner Ausstellung. Siehst Du, im Sonderbundbuch stehst Du am Schluss neben Schmidt-Rottluff und Heckel als Deutscher Zukunftsmaler. Schreib mal was, wie Dir der Kirchner gefällt und wie der Salbader über Deusser.

Gruss allen Sindelsdorfern und Murnauern. Die Rolle hat die Munter vergessen, gib sie ihr gelegentlich.


August

Quelle:
Franz Marc, August Macke: Briefwechsel. Köln: DuMont, 1964., S. 69-70.
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