August Macke 23.01.1912

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BRIEF AUS BONN

[nach dem 23.1.1912]

Lieber Franz!


Ich bin ganz froh, dass Du meinen Brief nicht zu ernst genommen hast. Doch muss ich auf verschiedenes noch mal zurückkommen. Ich räsonniere nicht gegen den Blauen Reiter, sondern gegen verschiedene lahme Stellen an seinem Pferd. Schliesslich muss einer räsonnieren. Ihr seht sonst wahrhaftig zu blau.

Mit der Reproduziererei ist es so: Ich kam nach München und Sindelsdorf und fand die meisten Reproduktionen schon vor, als selbstverständlich die beiden Damen des Vorstands, wovon die eine (die liebe Maria) auf meinen Vorschlag sich mit viel Grösse zurückzog (was ich ihr nie vergesse). Notabene wurde mir von Kandinsky und Dir nie der Vorschlag gemacht, etwas von mir zu reproduzieren, vielmehr sagte ich dann, nachdem keiner eine Miene machte, mich aufzufordern, zu Maria, ich hätte gar keine Lust mitzumachen, worauf auch weiter kein Einspruch erfolgte.

Meine Bemerkungen waren eine Art Notwehr gegen ein Nichtinbetrachtkommen von eigenen Sachen, besonders nachdem die Redaktionsdamen vorher in Betracht kamen.[98]

Und jetzt noch der Schönberg! Der hat mich direkt in Wut versetzt, diese grünäugigen Wasserbrötchen mit Astralblick. Gegen das Selbstporträt von hinten will ich nichts sagen. Aber sind diese paar Bröckchen das Geschrei um den ›Maler‹ Schönberg wert?

Dein Glasbild ist gar nicht dabei, die von Kandinsky sind grossartig, das von Campendonk nicht ganz klar.

Meine ganze Schimpferei beruht auf Gegenseitigkeit, d.h. ich bin von Dir aus dem Privatleben und aus den Redaktionszetteln (in Gemeinschaft mit Kandinsky) gewohnt, hohe Worte wie »neue Zeit, Falsches entlarven, sooo minder, Umwälzung etc.« gewöhnt, dass ich immer das Gefühl habe, Ihr mutet Euch zuviel zu. Und nun sah ich, dass ich Dich warnen musste, als blauer Reiter zu sehr an das Geistige zu denken. Kandinsky steht allein (als Asiate) und auf Grund seiner Entwicklung. Du hast die Bilder auch nötig gehabt. Aber stell nicht zu frisch von der Staffelei weg aus und mal nicht zu gross.

Wir haben in der Sammlung Koehler ja schon allerlei zusammen gesehen und erfahren (nach der Blauen-Reiter-Ausstellung). Und der Girieud mit seinem ›un peu enfantin‹ Na! Na! seine Enten und Märchenfrösche. Kirchner wirkt gut. Pechstein ist etwas schlampig und nicht so recht bezeichnend für ihn. Mit herzlichen Grüssen von Haus zu Haus

August

Quelle:
Franz Marc, August Macke: Briefwechsel. Köln: DuMont, 1964., S. 98-99.
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