Franz Marc 12.04.1911

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Sindelsdorf, 12. IV. 11


Lieber August,


Du wirst auch aus Deinen Zeitungen von der Kampfschrift Vinnens gehört haben, in den N.N. erschien Dienstag (11. IV. Morgenbl. Nr. 171) ein Mordsartikel, der aus den Aushängebogen allerlei mitteilt. Ich hab momentan leider kein Exemplar, um es Dir beizulegen. Die Broschüre erscheint demnächst bei Eugen Diederichs (Jena) und enthält neben dem Kampfteil des Herausgebers (des Worpsweders Vinnen) eine Masse von Zustimmungserklärungen, mit ausführlichen Begründungen, von deutschen Künstlern und Kunstschriftstellern, ein einmütiger wütender Protest gegen die heute herrschende Wertung der französischen Moderne (van Gogh, Signac bis Matisse und Picasso) und vor allem deren Ankauf von Museumsleuten und sonstigem Snob. Unter den Beifallserklärungen figuriert fast die gesamte Münchner Sezession, ferner Worpsweder, Arthur Kampf, Trübner, Zwintscher, Greiner, Schultze-Naumburg, Dill etc.; Berliner Sezession scheinbar niemand.

Mir kam sofort die Idee einer Entgegnung, aber natürlich nur auf breiter Basis, mit dem Rückhalt von Namen (Tschudi, Berliner Sezession, Sonderbund etc.)[52] Aber jemand muß dazu die Anregung geben, – warum sollten wir es nicht tun? Die Vereinigung mit Kandinsky an der Spitze und Tschudi. Kandinsky ist in diesen Dingen erfahren, – und ich sehe ihn nächstens und werde es mit ihm bereden. Geschrieben hab ich ihm schon darüber. Ich finde die Gelegenheit famos, um auch auf diesem Weg das Schlachtgeschrei zu erheben. Ich denke z.B. an eine Gegenüberstellung von Reproduktionen, Maillol neben Taschner und Flossmann und Hahn, Matisse neben Erler, Renoir neben Münzer, Cézanne neben Trübner und Dill und Münchner Sezessionisten (Gröber, Nicki, Habermann), Picasso neben Stuck, Signac neben Oswald, Cross neben Eichler und Worpswedern, Gauguin neben Hofmann etc. Die Sache wäre jedenfalls ebenso amüsant für uns als lehrreich für viele Laien und Käufer. Sondier doch einmal, so viel Dir bei Deiner Militärübung Zeit bleibt, Deine rheinischen Kreise in dieser Frage, Cohen, Reiche und vor allem Osthaus, und schreibe mir Deine Gedanken über diesen Plan.

Wir haben hier weisse Ostern; unfreundliches kaltes Wetter; ich stecke in den letzten Vorbereitungen für meine Ausstellung und bin etwas zermürbt von der Arbeit dieser exposition par force, – denn das bedeutet sie für mich. Sobald mein Speicher alle diese Bilder und Riesenschwarten ausgespien haben wird, fange ich die Malerei ganz von vorne wieder an. Es muß mir gelingen, beim Arbeiten den umgekehrten Prozess durchzusetzen als bisher, wo ich von ganz komplizierten Form- und Farbvorstellungen bei jeder Arbeit ausging und diese bei jedem Bilde langsam, mit unsäglicher Anstrengung erst reinigte, vereinfachte und ordnete. Ich will wie ein Kind anfangen, vor der Natur mit drei Farben und ein paar Linien meinen Eindruck zu geben, und dann hinzutun an Formen und Farben, wo es der Ausdruck fordert, dass also der Arbeitsprozess nur ein Hinzutun, niemals ein Wegnehmen ist. Nur wir Maler wissen, wie blödsinnig schwer dies ist. – Gute Ostern von allen Sindelsdörflern an Euch beide, herzlich


Euer Fz. Marc

Quelle:
Franz Marc, August Macke: Briefwechsel. Köln: DuMont, 1964., S. 52-53.
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