263 [215] Brief an Helmuth Macke

27.1.1916


L.H. Danke Dir herzlich für Deinen guten, langen Brief; auch meine Schweigsamkeit darfst Du, Lieber, nicht als Vergessen oder einfach Faulheit ansehen; ich leb oft in Gedanken bei Dir und suche mir vorzustellen, wie es in Deinem Innern wohl aussieht bei diesem äußerlichen Herdenleben, wie Du es richtig bezeichnest. Aber zum vielen Schreiben kann ich mein immer schweigsamer werdendes Wesen[215] nicht zwingen. Ich erlebe diesen Krieg jetzt nur mehr automatisch – meine Gedanken sind wo ganz anders! Die Hauptsache, die uns angeht, spielt sich nach dem Krieg ab, wenn die Seelen wieder in den Körper zurückkehren – soweit die armen gequälten Körper noch da sind! Das wollen wir alle von Herzen wechselseitig hoffen. In Dir hat wohl auch wie bei mir die Liebe zum Mond und zur Sternennacht eine ungeahnte Macht gewonnen; kein hellstes pleinair kann mir die Süße und Wahrheit einer Sternennacht überstrahlen; ich lebe oft ganz fabulistisch in den Sternenbildern. Du hast so recht mit dem, was Du von Deiner Waffe mit Stolz rühmst. Bleib nur gesund und komm uns gut heim, sei überzeugt, daß ich viel in Gedanken bei Dir bin; schade, daß Du nicht Kanonier in meiner Truppe bist – da hättest Du ein besseres Leben. Und doch ist es auch bei uns so schwer, die Leute bei gutem Mut zu erhalten; es beinah die schwerste und verantwortlichste Pflicht eines Offiziers. Die Briefkontrolle, die ich jetzt auszuüben habe, stimmt mich oft furchtbar traurig; der Krieg ist wirklich noch weit hinter dem vordersten Schützengraben eine fürchterliche Tragödie. Adio, bleib gesund, in treuester Freundschaft

Dein F.M.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 215-216.
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