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[106] 11.X.14. Schlettstadt


Meine Liebste, heut ist wieder Sonntag, – 6 Wochen bin ich nun schon fort! Wie wird es in noch einmal 6 Wochen aussehen? Mir geht es hier glänzend. Nun hab ich auch noch ein prima Restaurant entdeckt, bouc-aigle, Bock-Adler, in dem man so gut u. raffiniert ißt wie in Paris od. Brüssel; ich gehe zuweilen des Abends hin, zu einem kleinen ›Nachessen, mit Rotwein‹. Es ist nicht teuer, aber ein bißchen Geld kostet es natürlich immer. Das schadt aber nichts! Ebenso wirkt eine glänzende Konditorei für mein Wohlergehen! Ich sehe uns zwei schon immer hier einmal sitzen! Ich hab das Städtchen so liebgewonnen, daß ich sicher später einmal herkomme, auf einer Reise Colmar, Schlettstadt, Vogesenausflug, – Straßburg etc. – Paris?[106] Vielleicht finde ich Zeit, in Straßb. jetzt nochmal heimlich Station zu machen u. die Galerie zu sehen; ich hab hier diese wunderbaren Karten entdeckt. Ist die verhaltene, herbe Morgen- u. Auferstehungsstimmung nicht köstlich? Ich bin ganz bezaubert davon. Das Pathetische des Vorganges ist (im Gegens. zu Grünewald, dess. berühmte Auferstehung ich nie ganz liebe, sie hat einen sentimentalen u. auch rationalistischen Zug) keusch verhalten; man liest das große Ereignis zwischen den Zeilen. Das Ungesagte wird im Beschauer zum Wort. Mantegna und Bellini haben es ja noch vollkommener erreicht als dieser Mazzola. Erinnerst Du Dich in London? Noch fabelhafter ist aber der Straßb. Meister, – ist es nicht herrlich? So empfinde ich manches von Bach, genauso wie das gemalt, – gebaut ist. – Eben kommt der Stabsarzt u. sagt, daß er jetzt einen Ersatz bekommt für mich u. ich, wenn ich den eingearbeitet habe, abreisen könnte. Ich will noch hoffen, daß mich Euer Paketchen erreicht u. auch Mayer, dem ich sofort telegrafiere. Ich denke, ich werde am Mittwoch m. Bündel schnüren; einen Vorwand zu längerer Faulenzerei hab ich jetzt nimmer, leider! Aber ich gehe auch wieder gern weg; es ist draußen doch tausendmal schöner. Also von nun an wieder Truppenadresse mit Küssen Dein Frz.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 106-107.
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