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[107] Schlettstadt 13.X 14.


Liebste, siehst Du eigentlich auch fleißig nach dem Kriegskometen? Ich entdeckte ihn zum 1. mal, als ich nach Straßburg (von Lubine) reiste u. war ganz aufgeregt, da ich nicht begreifen konnte, daß keine Zeitung ihn erwähnte. Keiner wußte auch was davon, aber jeder, dem [ich] ihn zeigte, mußte zugeben, daß es ein Komet sein müsse. Letzthin las ich nun doch zufällig in einer Zeitung darüber. Er scheint mir größer u. klarer als der Halleysche Komet von damals. Er steht stets in großer Nähe des gr. Bären, in den Abendstunden. Guck mal nach ihm u. denk an mich!

[...]

Den Artik. III [Aufzeichnungen und Schriften Nr. 26, d. Hrsg.] werde ich ganz neu schreiben; er ist nicht gut, das fühl ich selber. Ich werde das Profess. Thema berühren, aber in ganz andrer Form u. den ganzen Gedankengang erweitern. Fern liegt mir die Sache nicht, wie Du meinst; gerade über die ›exakten Wissenschaften‹ denke ich jetzt viel nach u. brauche sie unbedingt in allen meinen neuen Gedankengängen, die ich jetzt gehe, resp. grabe wie ein Maulwurf. Ihr tut mir wirklich aufrichtig leid, Ihr in der Heimat: denn da scheint man komplett zu spinnen. Die Zei tungsausschnitte muteten mich wie schlechte Faschingsscherze an. Traurig, traurig. Was wird es für einen mühevollen Kampf dagegen geben. Wie wenig Freunde werden mir zur Seite stehen. Heute sah ich zufällig einen Atlas an,[107] suchte mein Kochel u. fand sogar Ried darauf! Mein Herz klopfte! Dann fand ich Sindelsdorf – Aidling, Riegsee – Murnau: ich erschrak wie fern das klang!! Zeiten, in denen man friedlich zu einem Geistesgenossen wie Kandinsky über die Hügel pilgerte! und heute. Diese Gedanken sind für mich heute eigentlich das schmerzlichste. Wenn ich auch oft unzufrieden war mit Kand. u. nicht alles so war wie wir wollten, – heute bedeutet das für mich nichts gegenüber dem unersetzlichen Verlust. Denn ich fürchte, er wird für mich verloren sein. Er wird in Rußland bleiben u. dort predigen; od. in der Schweiz, – ich selbst bin aber mehr Deutscher geworden als je. Wer bleibt noch? Wolfskehl ist ein Trostblick, aber kein Maler! August?? Du weißt, ich glaub nicht mehr daran, so lieb ich ihn habe. Das sind meine Sorgen!

D. Mamans Brief hat mich riesig interessiert. Wie unglaublich, Hertha von der Flucht abzuhalten! Nun alles gut vorbei ist, ist's ja gut, aber es läuft einem noch kalt über den Rücken, wenn man dran denkt! Der arme Onkel Hugo! Er hatte sich doch auf s. Lebensabend gefreut! Nun sollst Du Dich, liebe Mutter, recht recht ausruhen u. kräftigen nach all dem Schrecklichen, – es kommen auch wieder bessere und fröhlichere Zeiten. Bleib nur jetzt recht lang in Ried. Seid beide herzlichst gegrüßt u. geküßt von Eurem Franz.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 107-108.
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