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[117] Hagéville, 23.XI.14


Liebste, Einliegend das Manuskript für die Frankfurter Z[eitung] [Aufzeichnungen und Schriften Nr. 27, d. Hrsg.]. Ich bin neugierig, wie es Dir gefällt und ob Du es für verständlich hältst. Natürlich fehlt mir hier die Ruhe, Form und Ausdruck ganz auszuarbeiten, vor allem die Stille, um das ganze Gedankengefüge auszubalancieren. Ich muß mir meine Arbeitsstunden zu sehr stehlen. Aber doch möchte ich es gedruckt wissen, eben jetzt, in dieser unzeitgemäßen Stunde, in der alle bloß an das Heute und Morgen denken. Vielleicht antwortet jemand, das wäre mir sehr recht, zur Gegenantwort. Denn ich bin im tiefsten Grunde überzeugt, daß meine Gedanken über Europa wahr sind, wenigstens möglich sind, – letzteres wäre mehr als wahr, weil es auch die ganze Zukunftsaufgabe in sich schlösse. Ich werde in meiner kommenden Arbeit immer wieder um dieses Thema kreisen und es immer wieder neu zu fassen suchen, bis ich auf den reinsten Ausdruck komme. Ihr (darunter verstehe ich Dich und Klee) könnt unbesorgt kleine Änderungen an meinem Konzept vornehmen, den einen oder anderen Sprung logischer verbinden, wenn es Euch nötig scheint. Im übrigen fürchte ich keine Angriffe, meine Waffen sind heute geschliffen; Angriffe könnten meine Gedanken nur stärken und erweitern. Gestern kam Dein Brief vom 7. XI., also verspätet. Die Gefahren, die Wilh[elm] als Batterieführer drohen, sind eher geringer als als Zugführer, da er nicht mehr unmittelbar bei den Geschützen steht, die doch immer das Hauptziel bilden. Aber schließlich sind die artilleristischen Gefahren sehr unberechenbar, – man muß einfach Glück haben. Anfang des Krieges waren die Artillerieverluste, auch bei den Kolonnen, selbst den schweren Artillerie-Kolonnen weit größer als jetzt, weil die Etappentechnik und Sicherungen im Anfang nicht so geregelt sein konnten. Heute ist man hundertfach vorsichtiger geworden, man kennt den Mechanismus, die gefährlichen Infanterieangriffe, die uns so viele Verluste gebracht, sind heute kaum mehr denkbar, höchstens bei panikartigen Rückzügen, die uns hoffentlich erspart bleiben. – Sehr nett ist die Geschichte der Palästinawanderer; schlecht Brentanos Antwort. – Habt Ihr die Bäumchen im Rehgarten vor dem bösen Schlick geschützt? Tut es bitte. Gestern kam einliegender Brief von Helmuth! via Schlettstadt. – An Heinritzi etc. werd ich schreiben. – Schnee haben wir keinen. Ich fühl mich wohl; vor allem haben die Nervenschmerzen, an denen ich nach der Lazarettzeit litt, ganz aufgehört. Mit Essen und Trinken[117] muß ich immer gleich vorsichtig bleiben, aber so geht es we nigstens ohne Störung ... Weihnachten werden wir wohl sicher hier verleben; schick mir nur Backwerk und dgl. – Selbstgemachtes, das freut mich am meisten und macht mich gesund. Kuß D. Fz.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 117-118.
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