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[122] Mühlhausen, 22.XII 14.


Liebste, eben sandte ich Dir ein Kärtchen, als hinterher die erste Post alter Adresse mich hier erreichte, von Dir den seinerzeit ungeduldig erwarteten Brief über den Empfang meines Artikels; er hat mir mit allem, was drin steht, damals sehr gefehlt. Es freut mich riesig, daß Dir meine Gedanken so gut eingehen; es wird mit dem 3. Artikel [Aufzeichnungen und Schriften Nr. 28, d. Hrsg.], an dem ich jetzt arbeite und der viel Schwieriges, wenigstens für mich Schwieriges enthält, hoffentlich und gewiß auch so sein. Es ist so ziemlich die Kehrseite der Münze, die ich im vorigen Artikel geprägt habe. Ich habe Angst, daß man meine Gedanken für schön und gut, aber utopistisch erklärt, – es ist der Einwurf, dem ich am leidenschaftlichsten begegnen will. Die Verwirklichung meiner Zukunftsvorstellung werde ich ja nur in Bildern versuchen können, aber ich hoffe mit aller Glut, daß Männer kommen, die es in Literatur und Philosophie und Sitte verwirklichen, wenigstens für einen kleinen Kreis von Menschen; dieser kleine Kreis würde mehr beweisen, als wenn die schwerfällige Masse sich in Bewegung setzte. Daran denke ich gar nicht. ... Ich bin hier oft nervös und gedrückt und zwinge mich mit aller Herbheit zur Ruhe inmitten eines greulichen Milieus und wundere mich über mich selber; denn es gelingt mir, daß mich alle Kameraden gern haben und soviel ich merke, auch die Vorgesetzten. Jedenfalls hatte ich noch nie die geringsten Unannehmlichkeiten; freilich bin ich innerhalb meiner Truppe der einzige,[122] der auf Ehrenzeichen und Beförderung nicht ehrgeizig ist, – solche Leute sind gut zu haben und leicht zu lieben! – Einliegend Brief von Helmuth. Gewiß wird er ein anderer Mensch werden durch den Krieg; er ist doch noch ganz, ganz jung; wenn ich diesen lieben Brief lese und dann denke, wie wir vor 4 (oder sind es 5?) Jahren den Maler Helmuth ansahen, – ist es nicht komisch? ...

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 122-123.
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