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[125] 27. Dez. 14

Bertschweiler (südl. Gebweiler)


Liebste, ich fühle mich ganz glücklich, wieder ein bißchen im Treiben des Krieges zu sein; ich bin körperlich so erholt und frisch, daß ich die damit verbundenen Strapazen nicht tragisch nehmen kann, zudem man heute Mannschaft und Pferde bei uns ganz anders schont als dazumal in den Vogesen, wo in der ersten Kriegsbegeisterung und Kriegsunerfahrenheit viel Unsinn gemacht wurde. Der ganze sehr kleine deutsche Winkel, in dem die Franzosen noch sitzen, soll endlich gesäubert werden. Direkter Anlaß zum Vorgehen waren die Vorstöße der Franzosen selbst, die man, wären sie ruhig in ein paar Dörfern geblieben, wahrscheinlich unbehelligt bis zum Friedensschluß dort gelassen hätte. Die Kämpfe der Infanteristen, deren Zeuge ich gestern war, sind freilich grausiger, als ich sie je vorher gesehen. Ich war gestern abend ganz erschüttert; der Mut, mit[125] dem sie vorgehen, und die Gleichgültigkeit, ja Freudigkeit für Tod und Wunden hat etwas Mystisches; diese Stimmung ist natürlich auch das Versöhnende, die Erklärung des dem gewöhnlichen Verstände Unerklärlichen. Unsre Artillerie schießt jetzt glänzend, bedeutend besser als am Anfang. Gestern nacht sollten wir in Wattweiler, von wo aus wir schössen, bleiben. Ich hatte schon 2 Nächte fast ohne Schlaf verbracht und mir ein schönes Heulager zurechtgemacht und schlief bald wie ein Stein, als schon um 11h Alarm kam; sofort abrücken, da schwere Artillerie den Ort zu beschießen anfing. Es ging alles in tadelloser Ordnung nach Bertschweiler zurück, wo wir noch einen kleinen Rest der Nacht schlafen konnten. Heute früh kam unsre 3. Batterie auch an und fuhr mit der 1. auf. Ich habe als Meldereiter für den Munitionsersatz wenig zu tun und sitze hier in Bertschweiler bei der Staffel. Es war schwerer Frost heute nacht und heute ein herrlicher Tag; dieses trockne Wetter ist eine riesige Wohltat. Ihr braucht Euch ja keine Gedanken über etwaige Gefährlichkeit meines Dienstes machen. Ich stehe sozusagen unter dem Schutz meiner Munition, die man natürlich um alles in der Welt vor direkter Beschießung hütet. Meine Schreibereien ruhen natürlich an solchen Tagen. Das Interesse ist notwendig nach außen gerichtet; man wird Artillerist mit seinen ganzen Sinnen. Viel Freude machen mir auch die verschiedenen neuen Dörfchen und Städtchen, die man kennenlernt, der ›Impressionismus‹. Wir glauben nicht, daß wir sehr lange in Aktion sein werden; die Franzosen weichen an den meisten Punkten. Immer muß ich jetzt an Euch denken, daß Ihr traurig im lieben Häuschen sitzt, ohne frohe Herzen und traure mit Euch. Wenn Ihr aber an mich denkt, so denkt froh, wie ich es auch tue und auf das Wiedersehen harre. Kuß und Gruß Maman und Dir Dein Fz. M.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 125-126.
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