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[128] 11.II.15


Liebste, hier kommen die leergegessenen Büchsen wieder zurück und was ich sonst nicht mehr brauche. Maman hat mir wieder viele Teesäckchen geschickt, so daß ich das Teepäckchen nicht brauche, und Du kannst es jetzt besser gebrauchen. Das Wetter ist wieder frühlingshaft, der Winter hat hier wenig Kraft. Bald werden die Frühlingsblümchen kommen, die ersten Leberblümchen, vielleicht auch schon bald in Ried!! Wie hab ich mich voriges Jahr auf diese Tage gefreut, und nun muß ich es wieder ein Jahr aufschieben, diese kleinen Frühlingsfreuden in Ried. Ich muß jetzt immer an vergangenes Jahr denken; Ausdauer ist jetzt alles, wir kennen jetzt bald keine Tugenden mehr als diese. Laß sie uns üben, sonst können wir nicht Sieger bleiben, weder draußen noch im Geiste. Die Lage in Europa wird immer kritischer, verhängnis- und schicksalsvoller, für alle Teile; der ganze europäische Leib ist heute ergriffen. Es ist alles kindisch, was man an kleinen persönlichen Wünschen an dieses Riesenschicksal hängt. Die Gedanken quälen mich oft, daß am Ende der ganze Leib unter der Krankheit einst erschöpft zusammenbrechen wird. Das Geistige Reich wird bleiben, vielleicht (sogar gewiß!) um[128] so stärker. Um diese Zukunft ist mir nie bang, – aber was wir am äußeren Reich erleben werden, das können wir heute wohl kaum noch ausdenken. Welche Zeit!!! und dazu die kleinen unschuldigen, ahnungslosen blauen Leberblümchen! Sticke nur fleißig u. recht schön u. frei, Du Liebe; sticke alle Sehnsucht hinein, aber auch allen Mut. Ich schlaf jetzt warm u. schön in m. Schlafsack auf Heu u. meine oft, ich bin auf der Alm! Aus tiefem Herzen Dein Fz.

Einliegend den 1. Band Mombert. Die Schöpfung behalte ich noch, die mich in vielem jetzt auch ungeheuer fesselt. ...

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 128-129.
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