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[139] 7.IV.15


Liebste, in Deinem lieben langen Brief vom 29. sagst Du Deine Gedanken viel klarer und reifer als in den anderen; ich versteh Dich jetzt sehr gut; im Grunde drückst Du den Kern und tiefsten Sinn[139] meiner Sehnsucht ganz klar und erschöpfend aus, und ich fühle gut, wie vieles in den Aphorismen danebentappt, wenn auch oft viel leicht mehr durch die Wortwahl als den Sinn; ich erschrecke jetzt über manches, was ich geschrieben habe; das muß ja, so wie ich es ausdrückte, einen Unsinn ergeben und vom Kern der Kunst ablenken, statt hinführen; ich schreib Dir noch ausführlicher; diese Karte soll Dir nur erstens sagen, daß ich II [Aufzeichnungen Nr. 28, d. Hrsg.] mit Freuden zurückziehe; mach Dir darüber gar keine Gedanken; Du weißt, wie leicht ich verfehlte Werke zerschneide. (An den Aphorismen hoffe ich aber vielleicht noch einmal arbeiten zu können, gerade auf Grund Deiner Briefe. Aber jetzt noch nicht. Sie sind für mich schon eine Art ›Werk‹, nicht Worte, sollen es wenigstens nicht sein.) Dann 2. Dank für den famosen Atlas, der mich riesig freut; er ist ganz das was ich wollte ... Ja, der Meister des Marienlebens! Die namenlosen gotischen Meister, – das sind die reinsten. Du hast so recht; die Kunst ging an der vergiftenden Krankheit des Individualitätskultus zu Grunde, am Wichtignehmen des Persönlichen, an der Eitelkeit, davon muß man gänzlich loskommen. Dann ist man frei und hat Boden unter sich. Mit Küssen Dein Fz.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 139-140.
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