182

[155] 4. Sept. 15


Liebste, ich kann von nichts erzählen als von Dingen und Gedanken, die Du auch erlebst, vom Herbst, vom Grün, das langsam den bräunlich faulenden Ton bekommt und von Erinnerungen. Denn von dem, was vor uns liegt, kann man nicht reden; ich sehe trübe, – andre[155] sind äußerst optimistisch; alles Reden ist aber zwecklos. Es geht uns äußerlich famos; geistig ist man sicher nicht normal, – keiner von uns; aber ich denke: die Anormalität des Empfindens ist kaum mehr als eine von den Weltumständen aufgenötigte Chamäleonfähigkeit; das Chamäleon wird sich dessen auch kaum bewußt sein, daß es seine Farbe zehnmal am Tage wechselt. Vielleicht hat das alles doch für später die glückliche Folge, daß man im späteren Eigenleben erst recht eigen und unbeeinflußbar wird und Regie, Betrieb und Unwahrheit als eigentliche Sünde wider den heil. Geist empfinden wird. Darauf hoffe ich sehr bei mir selbst. Kuß D. Fz. M.


Hast Du genügend Kohlen für den Winter?

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 155-156.
Lizenz:
Kategorien: