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[160] 1. Okt. 15


Liebste, von nun an brauchst Du bei Deinen Sendungen an mich nicht mehr besonders auf Platznot Rücksicht zu nehmen; ich hab jetzt meinen geräumigen Koffer, den ich mir in diesen Tagen aus Metz besorgen lasse (Holzkoffer mit Eisenbeschlag), in den viel hineingeht. Ich schrieb Dir schon gestern, daß ich plötzlich mit der Beförderung zum Offiziers Stellvertreter überrascht worden bin, der in einigen Wochen das Leutnantspatent folgen wird. Heut war die offizielle Offiziers wähl; die ministerielle Bestätigung dauert kaum länger als 4 Wochen. Das angenehmste ist obendrein, daß ich bei der Kolonne bleibe; ich brauche weder eine Prüfung zu machen noch Referenzen einzureichen. (Dies mag vielleicht darauf zurückzuführen sein, daß ich einmal erwähnt habe, daß Deine Angehörigen als Offizier gefallen sind.) – Schick mir mal den Emanuel Quint, den ich jetzt gern lese. – Als Offiziersstellvertreter habe ich monatlich 205 Mk. Außerdem 150 Mk Mobilmachungsgelder. Als Leutnant bekomme ich 300 Mk, dazu 800 Mk Mobilmachungs- und Einkleidungsgelder, – viel mehr, als ich brauche! Also die Geldsorgen kannst Du jetzt wirklich fahren lassen und nicht etwa mit Heizmaterial und was sonst für's Häuschen nötig ist, knausern; auch nicht mit München fahren, soviel es Dich freut. Hilf auch Niestlés aus, wenn sie es nötig haben. Ich dachte mir schon, ob ich ihnen einmal, wenn ich das Leutnantsgeld habe, 100 Mk als Feldgeschenk schicken soll;[160] was meinst Du? Soviel könnt ich leicht einmal entbehren, nachdem Du selbst ja auch die Berliner Verkäufe hast. Als kinderlose Leute könnten wir das und sollten das wohl machen. Auf Urlaub im Spätherbst, spätestens Dezember kannst Du auch sicher rechnen. Weihnachten selbst glaub ich keinesfalls. Erstens werden da eventuell dieselben Alarmgerüchte, die sich voriges Jahr so traurig bewahrheitet haben, umgehen, andrerseits werden, wenn kein Alarm ist, dann wohl die älteren Offiziere das Urlaubsvorrecht beanspruchen und wir die Jüngeren die Truppen führen müssen; momentan ist jeder Urlaub vollständig gesperrt wegen der Offensive im Westen; wie lang das dauert, kann ja kein Mensch wissen. Jedenfalls hab ich als Offizier ganz andere Urlaubsaussichten als früher. ... Nun genug von diesem Militärzeug! Heut kamen Deine 2 lieben Briefe, die von den armen Rehchen erzählen. Das gute liebe kleine Trimchen! Hoffentlich bringst Du die Hanni und Schlick durch. Wenn ich zurückkomme, sorge ich jedenfalls sehr energisch, daß die Tierchen vor Hunden Ruhe haben. Am besten denke ich mir, man pflanzt einmal auf der langen Seite dichtes kurzes Gebüsch und kleine Tännchen und zieht einen 2. Innendrahtzaun. Ich glaube, diese eine lange Seite würde genügen. Auf der Nordseite dann eventuell nur die Bretter bis auf ca. 1 Mt erhöhen; es sieht freilich nicht hübsch aus und ist am Ende nicht billiger als Draht und auch Gebüsch, das gegen Sicht deckt. Gegen das Erschießen und gar Prozeß!! bin ich auch. Man macht sich die Leute zu direkten Feinden und zieht schließlich nur den kürzeren. Es wird ein bissel was kosten, aber schließlich ist alles Angepflanzte immer Gewinn. Wir müssen unser Leben in Ried so einrichten, daß wir möglichst wenig Reibung mit den Bauern haben. Wir können unser Rehgärtchen sehr gut so ausgestalten, daß sie uns auch die Tierchen nicht stören können. Im Westen bekommen wir, glaub ich und hoff ich, langsam wieder die Oberhand. Man fühlt sich eigentlich allgemein erleichtert, daß die Offensive endlich ausgebrochen ist, – die Hoffnung daß sie die Kriegsentscheidung bringt, ist doch wieder sehr lebendig geworden. Die Größe des Bluteinsatzes ist beiderseits fürchterlich; aber niemand sieht einen anderen Ausweg; der einzelne natürlich, aber nicht als Volksganzes; da kann es keiner verantworten zu sagen: hören wir von heut auf morgen auf und lassen wir die Franzosen und Russen in unser Land. Nötig dazu wäre eine Verständigung von Volk zu Volk, – aber wie eine solche heute anbahnen? Man darf über das alles nicht leichtsinnig und dilettantisch urteilen. Ich halte die Dinge streng auseinander; dem rollenden Völker Schicksal kann nur ein Dilettant in die Räder greifen wollen; der Reine sieht schweigend und trauernd zu und geht zur Quelle des Übels zurück, einsam und einzeln ganz weit zurück. Bleib gesund und denk auch wieder fröhlich an mich und unsere Zukunft. Mit heißen Küssen Dein Fz.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 160-161.
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