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[162] 5.X 15


Liebste, wenn sich die Rehchen strecken, ist es ein sicheres Gesundheitszeichen; das gilt auch für Hunde und Katzen. Würmer sind im Kot nachweisbar; wenn Du keine findest, haben sie auch keine. Dr. Kahle werde ich einen Gruß schreiben. Ich kenne die Besprechung in der Frankfurter Zeitung. – Lisbeth sandte mir wieder ein Paketchen, ich lege ihren kleinen Brief bei. Daß Kam[insky] bei Stramm auch das Lebendige, Schöpferische herausfühlt, freut mich. Die Versuchung, Stramm darum zu überschätzen, liegt ja nicht nah. Vieles, was Str. gemacht, hält einen gründlich davon ab. Aber es geht hier wie bei den Futuristen und manchen Kubisten: ein paar schöpferische lebendige Klänge sind mir wertvoller als die reifsten passé-Vollkommenheiten eines George oder Rilke oder Kokoschka, – selbst wenn mir letztere vorübergehend genußreicher und lesbarer sind. Ich würde mich nur freuen, wenn Du es unternähmest, Behne direkt oder indirekt zu antworten; auch wenn es beim Versuch bliebe. Der Zwang etwas zu formulieren ist immer heilsam. Die Sprache ist doch ein wundervolles Material, mit dem zu arbeiten an sich schon Genuß und Gewinn ist.


Fortsetz. 6.X.15.


Ich habe in diesen Tagen das einliegende Buch von Th. Mann gelesen: lies es auch; ich mag Manns Stil gar [nicht,] vieles ist auch richtige dumme Journalistik; aber liest man weiter, gerät man immer wieder auf Geist und Sinn. Die Darstellung des fridrizianischen Problems ist sehr interessant. Vieles des heutigen Krieges wird klar, wenn man das weiß, was Mann hier ausplaudert. Ich glaube, man muß alt werden, um einigermaßen zu erfassen, was für eine sonderbare Art von Tier der Mensch ist, ›la bête humaine‹, wie Zola so gut sagte. Schick mir das Buch zurück, es gehört Valentiner. Jetzt spielt die Entente ihren gefährlichsten Trumpf aus, – am Balkan!! Da drunten hat nun wirklich der Teufel die Karten gemischt! Wie klug waren unsre Vorfahren, sich die Teufelsfigur auszudenken, um sich die Welt[162] zu erklären. Wir haben Himmel und Hölle entvölkert, bilderstürmerisch, – aber auf Erden, in unserm Blut, leben dieselben Kräfte fort, für die wir jene klassischen Symbole schufen! Die Kunst wird immer wieder in eine neue Welt von Symbolen münden; man wird mit dem Leben und dem Rätsel: Mensch so leicht nicht fertig. Schlaf lieb und gut; ich schlafe momentan ausgezeichnet. Mit Küssen und wieder Küssen Dein Fz.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 162-163.
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