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[167] 28.X.15.


Liebste, Du schreibst mir ein Klagekärtchen, daß ich mich gegen das tägliche Schreiben sträube. Ich habe in letzter Zeit aber recht fleißig geschrieben und meist auch recht gern; für die Unregelmäßigkeiten der Post kann ich natürlich nichts. Es ist für mich oft schwer zu schreiben; jeder äußere Anlaß hier fehlt; denn ich bringe es nicht über mich, von ›hier‹ zu erzählen, von Ried kann man erzählen; aber der Krieg heraußen macht stumm, – wenigstens mich. Sei froh, daß ich so bin. – Paul ist nun in nicht ganz harmlose Situationen gekommen, – hoffentlich hat er Glück wie ich im Elsaß, für sich und seine Leute; denn das war mir immer ein schrecklicher Gedanke, daß Leute, die meiner Führung anvertraut sind, verwundet würden oder fallen könnten. Denn man kann soviel an Fährnissen durch geschickte Führung der Munitionswagen vermeiden. An Pauls plötzlichem Kommando siehst Du, wie unberechenbar alles im Felde ist; das ist natürlich kein Trost für Dich, – das weiß ich schon, – aber eigentlich sollte es doch einer sein; denn das Schicksal ist Herr über unseren Leib, nicht der Krieg.

Daß Du wieder Schmerzen an Deinem Stellchen fühlst, ist doch arg. Schon Dich recht; vertrau doch auf das gute Glück, mein Lieb, und laß diese Sorgen und Ängste; daß Du traurig bist, verstehe ich schon, – ich bin's auch. Aber Angst ist nicht würdig. Gefahr gibt es nicht, sondern nur Bestimmung.

Einen Mordsspaß macht es mir, daß sowohl Du als Maman seelenruhig ›Offizier-Stellvertreter‹ schreibt, während Ihr mir selber die Leutnantsernennung aus der Zeitung mitteilt!!! Das Patent hat ja mit der Ernennung nichts zu tun. Es stand doch in der Zeitung am Anfang: ›zufolge allerhöchster Entschließung‹, – auf was wartet Ihr eigentlich noch?? Ich bin Lt. d. Landwehr, nicht Lt. d. Reserve, aber jedenfalls Lt. wohlbestallt und wohlgestaltet. Ich fühl mich jedenfalls wohler als als Unteroffizier und Vizewachtmeister.

Daß nicht einmal so ein anständiges Quartett wie Wendung oder Rosé oder meinetwegen die Münchner die Front abreisen und uns einmal heraußen einen Beethoven oder Mozart vorspielen. Hier im Stellungskrieg wäre das so anstandslos zu machen. Wie sehne ich mich so oft danach, – überhaupt!! Ich glaube, wir heraußen haben doch noch ein bißchen mehr Anlaß zum ›trübsinnig werden‹ als Ihr daheim und auch Du in Ried, – und wenn meine Briefe matt und trüb sind, – an meinem Herzen liegt es nicht, auch nicht an meiner Liebe, das glaub mir. Mit einem Kuß auf Deinen Mund

Dein Fz.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 167-168.
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