[175] 1. Dez. 1915
Liebe Maman, dank vielmals für Deinen guten Brief 117 ... Wenn +++ die Musik von Schönberg im Blauen Reiter meint, so kannst Du ihr sagen, daß sich meine Beurteilung der Schönbergschen Musik auch gewandelt hat. Sie klingt wohl ganz anregend und interessant, bleibt aber doch im Sentimentalen stecken. Mehr würde es mich interessieren, wenn sie Kulbin (einen russischen Musiker) kennen sollte, – von dem müßte sie mir einiges erzählen. Ich kann gar nicht ruhig von diesen Dingen reden, eine solche Sehnsucht habe ich nach meiner Arbeit, die mir immer mehr unter den Fingern brennt, wann wird doch dieses geistige Leben wieder kommen, in dem man früh und spät keinen anderen Gedanken hat, als nach den reinen Ideen, die dem Weltbau zugrunde liegen, zu suchen und sie darzustellen. Die Urlaubstage, die mir wieder die engere Fühlung mit dem Lebendigen, mit Frauen und Freunden und Kunst brachten, haben diese Sehnsucht schrecklich vermehrt; heraußen fühl ich mich immer als Larve; der Krieg hat sich längst selber überdauert und ist sinnlos geworden; auch die Opfer, die er fordert, sind sinnlos geworden. Etwas Gewissenloseres und Traurigeres als das nutzlose Blut, das am Isonzo vergossen wird, läßt sich in menschlichen Gehirnen nicht mehr ausdenken. Gestern kam ein Päckchen mit Honigkuchen von unserer Babette, – sie denkt doch immer treu an die großen Buben in Pasing. Jetzt kommt wohl bald Advent, – diesmal können wir keine Zweigelchen übers Bett stecken, das wir in friedlichen Jahren so – oft vergessen haben! So denkt man jetzt oft zurück, was man früher alles hätte tun können!