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[180] Gemütlich-Leiningen 16.XII 15


Liebste, heute kam Dein langer Brief vom 13., in dem Du soviel über die uralte Frage des Wahrheit-sagens, Verschweigens und Theaterspielens schreibst. Du mußt letzteren Ausdruck nur ja nicht zu ominös fassen. Wenn dieses Spiel nicht von Liebe getrieben ist, ist es natürlich unfein, herzenshart und unehrlich. Mir scheint der Kern des ganzen Problems darin zu liegen, daß eine Wahrheit, die nicht verstanden wird, eben auch keine ist (für den Nicht-Verstehenden) und damit ihren Sinn gänzlich verfehlt. Die Menschen stehen auf einem ungleichen Niveau. Die Menschen, die auf meinem Niveau stehen wie z.B. Niestlé, – denen brauche ich die Wahrheit ja gar nicht zu sagen; denn da deckt sich Wort und Gefühl ohne weiteres. (Aber in rein künstlerischen Dingen stehen wir auf ungleichem Niveau, – darum können wir zusammen gar nicht über Kunst reden; entweder schweigen wir oder spielen auch gelegentlich ein bissel Theater.) Steht jedoch einer unter oder über mir, so muß ich ihm die Wahrheit schon ausdrücklich sagen, gewissermaßen zurufen, daß er sie versteht, aber das Wort auf sein Niveau gebracht, bedeutet schon längst was anderes. Meine wirkliche Sprache ist für meine Mutter chine sisch,[180] – also rede ich (weil ich in diesem Falle der Überlegene bin) in ihrer Sprache; die bedeutet für mich natürlich Unsinn, – aber für Maman hat sie Sinn. Ich schrieb Dir, glaub ich, schon kürzlich einmal: man darf sich nicht zu viel auf Worte verlassen; es gibt nichts Wandelbareres als Worte. Auf jeder menschlichen Stufe, in jeder Luft bedeuten sie immer wieder etwas anderes. Nur Dichtern kann es gelingen, Gültiges zu sagen mit Worten, aber das kann nur im mysteriösen Bereich der Kunst geschehen und da heißt es: ›wer es fassen kann, der fasse es‹. Aber unterhalb der reinen Kunstregion wird ein grenzenloser Unfug mit der Sprache getrieben; sie ist so recht der Münze gleich, mit immer wechselndem Kurs oder staatlich erzwungenem Kurs; hie und da gibt's Bankrott, ganze Staatsbankrotte von Worten. Mit Worten wird spekuliert wie mit Wertpapieren. Wie kann man ein so gemeines Werkzeug benutzen wollen, um die – Wahrheit zu sagen! Daß Dichter sich des Wortes bedienen, besagt hier gar nichts. Was machen Musiker aus dem Klang, der an sich ja auch ein Fälscher-Bestandteil der Sprache ist. Das sag ich in allem Ernst. Denk einmal darüber nach. Der gewöhnliche Mensch bedient sich der Sprache zu ganz ungehörigen, wirrnisverbreitenden Dingen, die er dann als ›Ideen‹ in Kurs setzt. Man sollte viel weniger reden, sondern nur mit dem Gefühl leben. Dichter und Propheten können ihre Stimme erheben und ›reden‹, – die haben ihre Sprache für sich, die prägen Gedanken; aber das sind eben Künstler, d.h. außerpersönliche Erscheinungen; die wissen nichts von sich, sondern nur von Gott, um mit der Sprache Quints zu reden. Ich will Dich durch mein Mißtrauen gegen das Wort nicht unsicher machen. Wenn man es ohne ›Tendenz‹ gebraucht, ist es ganz harmlos und ungefährlich; aber es scheint mir für unsereins ein ungeeignetes Material, um Wahrheit um uns zu verbreiten. Ich schick Dir einliegend einen netten Brief von Koehler, dann das unglaubliche Testament Menzels!! Dann eine Notiz über Mozart, – wie war es eigentlich möglich, daß M. im Massengrab verscharrt wurde? Ich weiß wenig von Mozarts Leben, – vielleicht leiht mir Kam[insky] einmal eine Biographie von ihm, – ich denke, er besitzt eine. Kaufen sollst Du mir keine, – ich lese so etwas einmal und bruchstückweise und dann niemals wieder, wenn es kein Kunstwerk ist wie das Gauguinbuch. Jetzt fällt mir ein: schick mir doch französisch Stendhal vie de Mozart, Haydn und, ich glaube, Händel. Die sind, glaube ich, in der grünen Lévy-Ausgabe (80 Pfg.) zu haben. Das würd ich jetzt gern lesen. Mit Schlickchen wirst Du wohl recht haben, – es wird die Kälte nicht aus gehalten haben, das gute Tierchen. Melde jedenfalls dem Forstbuchhalter, daß Du nach einem Böckchen suchst, – so Leute wissen immer Gelegenheiten, eventuell auch dem Forstmeister. Die 30–40 Mk kannst Du ruhig aufwenden, wenn sich Gelegenheit bietet, – wenn ich zurückkomme, würde ich sie doch auch ausgeben; Hanni tut mir so leid, so[181] allein. Gerade in einem strengen Winter werden oft Tiere gefangen; sag's auch Bauer und dem Bruder Heinritzi, – ich glaube, er ist Jäger; und setz ordentlich dicht Sträucher an der Längsseite, mit 2. Draht davor. Du könntest Dir auch ein junges Schäfchen oder Zicklein halten, – da hätte die Hanni auch Gesellschaft. Bei ersterem natürlich genau auf das Mutterschaf sehen, ob es ein schönes Tier ist. Hier gibt es z.B. wunderbare, verhältnismäßig schlank, mit schöner glatter Wolle und schwarzen Köpfen. (Eventuell auf einen Markttag gehen.) Betr. Elly Ney magst Du vielleicht in Deinem Gefühl des zu sinnlichen Spiels auch recht haben. In stärkster Erinnerung ist mir der Walzer am Schluß geblieben, – das war aber nicht eigentlich sinnlich, sondern selig-glücklich gespielt, – so wirkte er und auch manche Stellen im Brahms auf mich, während ich Langenholm aus der Kreutzersonate in Erinnerung habe und nicht ganz angenehm, in Vergleich zu Pugno, von dem ich sie zuerst hörte (mit Ysaye). Aber das sind alles so vereinzelte Erinnerungen, von persönlicher Stimmung beeinflußt. Mit Küssen Dein Fz.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 180-182.
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