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[183] Neujahr 16!


Liebste, gutes liebes neues Jahr! Also heut läuft man schon mit dem neuen Gesicht 16 herum! Die Welt ist um das blutigste Jahr ihres vieltausendjährigen Bestehens reicher. Es ist fürchterlich dran zu denken; und das alles um nichts, um eines Mißverständnisses willen, aus Mangel, sich dem Nächsten menschlich verständlich machen zu können! Und das in Europa!! Man muß wirklich alles umlernen, neudenken, um mit dieser ungeheuerlichen Psychologie der Tat fertig zu werden und sie nicht nur zu hassen, zu beschimpfen und zu verhöhnen oder zu beweinen, sondern ursächlich zu begreifen und – Gegengedanken zu bilden. Es ist ein schöner Neujahrstag heut, ein bißchen Frühlingsluft, in der die Neujahrsglocken ganz besonders beweglich klingen. Ich gehe nicht ungern in dieses Jahr, – mein Optimismus ist unzerstörbar; Mangel an Optimismus ist Mangel an Wunschkraft und Mangel an Wille. Gestern abend hab ich Dir in Gedanken[183] manches Glas zugetrunken, – und eins besonders: als der Walzer aus Hoffmanns Erzählungen gespielt wurde! (Zither, Geige und Guitarre). Wenn der Friede kommt, muß Wolfskehl ein großes Fest geben, und dann werden wir wieder ein paar alte Walzer tanzen. Du kannst es Wolfskehl heut schon von mir ausrichten, daß ich bestimmt darauf rechne. ...

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 183-184.
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