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[199] 29.II 16


Liebste, eben habe ich eine ruhige Minute in einem französischen Unterstand, um Dich zu grüßen, was ich so hundertmal im Tage tue. Sei versichert, es geht mir nicht schlecht. Es ist halt doch was andres, als Offizier einen Bewegungsfeldzug mitmachen wie ehemals als Unteroffizier! Aber die Arbeit und Verantwortung ist natürlich oft riesig. Wir sind jetzt zu zweit, Leutnant Müller und ich, und haben doch zuweilen kaum die Kraft, unsrer Riesenkolonne die innere Organisation zu erhalten. Ich kann allerdings nicht leugnen, daß diese Arbeit, die viel moralische Kraft erfordert, für mich nicht ohne Reiz ist. Solange der Manöverbetrieb in L. war, war es mir oft innerlich sehr peinlich. Jetzt aber weiß man, wozu man Offizier ist und auf seinem Posten steht. Über das eine freue ich mich: daß meine Nerven von einer wirklich erstaunlichen Unberührtheit sind. Von einer Verwendung als Artilleriebeobachter kann jetzt natürlich gar keine Rede sein, – Du brauchst Dich in keiner Weise zu ängstigen. Ich bin neugierig, wie diese ganze Operation noch hinausgeht, – wir sind gänzlich ohne Nachrichten. Von München kam etwas Post, von Dir leider nichts. Man muß sich gedulden. Ob Du wohl noch in Bonn bist? Ich schreibe Dir gleichzeitig ein Kärtchen nach Ried für alle Fälle. Dieser tief beschämende schmachvolle Krieg muß ja jetzt bald ein Ende nehmen. Ich bin ganz vertrauensvoll. Mit Küssen und Streicheln Dein guter alter Franz, – diesmal von hinten!

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 199.
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