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[200] 2.III.16


Liebste, ich benutze die Gelegenheit eines Krankheitsurlaubers, um Dir auf diesem Wege sichere Nachricht von mir zu geben. Ich vermute natürlich Postsperre. Wir stehen natürlich mit in der Riesengeschichte im Westen, schauerlich und ungeheuerlich, wie es Worte nie werden schildern können. Ich führe mit Leutnant Müller zusammen unsre Kolonne unter schwierigsten Umständen; aber es geht alles. Und gottlob geht es bis jetzt auch gut. Wir sind 10 Kilom. durch die französische Front durch. Wir hausen nachts in den französischen Unterständen. Die Pferde sind seit unserem Abmarsch (25.) nicht mehr aus dem Geschirr gekommen. Ich selbst fühle mich wohl und frisch, – meine Nerven sind unberührt, daß ich oft selbst staunen muß; Dinge, die mein eigentliches wahres Wesen nichts angehen, berühren mich überhaupt nicht mehr. Jetzt ist übrigens der Moment gekommen, in dem ab und zu ein gutes Päckchen (Schokol. Gilka, Stück Hartwurst und dergl.) hochwillkommen sein wird. Wie mag nur diese Riesensache hinausgehen?! Ich zweifle nicht, daß Verdun fallen wird, – aber ob es dann gelingt, den grausamen Stoß in's Herz des armen Frankreich zu führen?! Seit Tagen seh ich nichts als das Entsetzlichste, was sich Menschengehirne ausmalen können. Ich freute mich gestern über eine Karte von Dir und Lisbeths Brief, in dem Du auch was geschrieben; es ist so beruhigend für mich, Euch jetzt beisammen zu wissen und zu hören, daß Ihr beide Euch Menschliches und Künstlerisches zu sagen habt. Bleib nur ruhig und sorg Dich nicht; ich komme Dir wieder – Der Krieg geht in diesem Jahr zu Ende. Ich muß schließen, der Krankentransport, der diesen[200] Brief mitnimmt, geht fort. Bleib auch Du gesund und ruhig wie ich und laß Dich küssen und laßt uns in Gedanken immer beisammen sein. Grüß Lisbeth und die Kinder. Küsse von Deinem Fz.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 200-201.
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