38.

[196] Wir stehen in einer viel zu erregten Zeit, wir selbst sind zu erregt, um die Bedeutung der Werke messen zu können, die die Pioniere der neuen Zeit bis heute geleistet haben. Wir suchen nur die feine Grenze zwischen dem Gestern und Morgen. Sie ist kein gerader Strich, wie ihn die Handlanger der Moderne mit skrupelloser Hurtigkeit ziehen wollen, um ihre Jenseitigkeit zu zeigen, – wahrscheinlich, um sie nicht zu verpassen, da sie die einzige Stütze ihrer leidigen Gegenwart bildet.

Die Linie und Grenze, die wir sehen, schlingt sich in geheimnisvollen Kurven vielfach weit zurück in Vergangen- und Vergessenheit und noch weiter vor in Fernen, die unserm trüben Auge entrückt sind.

Gerade die neuen Europäer müssen die Selbstbeherrschung üben, kein Ärgernis zu nehmen an den Gräbern und Ruinen, zwischen denen sie leben und noch lange leben werden. Der Mensch lebt immer zwischen Gräbern, und[196] an seiner Würde, mit der er sich zwischen ihnen bewegt, erkennen wir seine Zukunftsart.

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Franz Marc: Schriften. Köln: DuMont, 1978, S. 196-197.
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