91.

[211] Noch andre Fragen kreisen.

Gepeinigt, gestaltlos und ungelöst liegt das Problem des zukünftigen Eros.

Unsre Erotik steht noch zutiefst im sentimentalen Zeitalter, das dem Weibe gehörte, (– das ewig Weibliche zog uns hinan). Der wissende, strenge Typus des neuen Europäers wird ein männlicher Typus sein; er wird auch die Erotik, statt sie und sich dem Weibe zu überantworten, wieder seine Sache werden lassen.

Europa wird viel um diese Frage leiden, die die Emanzipation des Mannes bringen muß. Die europäische Frau bewies den feineren Instinkt für die Dinge, die kommen werden. Denn die Emanzipation des Weibes als Angleichung an den kommenden männlichen Typ ist ein klug-bedächtiger Weg nach diesem Ziel. Es ist ein ergreifender Vorgang, daß das Weib selbst seine mannhafteren Triebe zu wecken trachtet, um der Verweiblichung unsrer Erotik ein Ende zu bereiten. Seine Emanzipation bedeutet nichts anderes.

Wir stehen heute inmitten des uralten Amazonenproblems.

Quelle:
Franz Marc: Schriften. Köln: DuMont, 1978, S. 211.
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