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Die Friedfertigen werden das Himmelreich nicht sehen. Unzufriedenheit ist ein wunderbares Ferment. Wir sind unzufrieden und erwarten den Dank aller, die das Bessere wollen.
Künstler sind nicht von den Ausstellungen abhängig, sondern die Ausstellungen ganz und gar von den Künstlern.
Mit diesem Fundamentalsatz sollten alle Ausstellungstatuten beginnen. Es gibt nur einen Regulator, den die Ausstellung selbst zu handhaben hat: die Platzfrage. Diese muß der Organisator gelöst haben, bevor er die Einladungen an die gutmütigen (oder auch gelegentlich nicht gutmütigen) Künstler versendet.
Daß die künstlerische Ausbalancierung von großen Ausstellungen auch so praktisch große Schwierigkeiten bietet, wissen wir alle. Aber es gibt nur dies Ziel: Ungebrochene Kraft neben Kraft zu setzen, reinen Klang neben Klang, Maß neben Maß. Künstlerische Ideen stehen dann nebeneinander wie Säulen, die den Bau der Kunst tragen.
Große Ausstellungen sind dazu da um große Kunstwirkungen zu erzeugen. (Massenausstellungen, wie die Sezessionen sie arrangieren, sind an sich ein Blödsinn und haben mit echter Kunstwirkung nichts zu tun. Von ihnen ist hier selbstverständlich nicht die Rede). Die Herren des Sonderbundes erstreben aber große Kunstwirkungen. Vorbedingungen für großes Gelingen sind – latent – auch unzweifelhaft vorhanden. Aber die Praxis versagt. Durch ungleiche Gewichtsverteilung werden alle Urteile und Maße verzerrt und die ganze lebendige Architektur, deren Grundprinzip Maß ist, gründlich verdorben.
Wir brauchen dafür nur auf den Fall der riesigen van Gogh-Ausstellung zu weisen. Der edle, kluge van Gogh würde der Ehrung wenig Dank wissen und nach den Lebenden fragen.
»Ja, die mußten zusammengepreßt, gevierteilt werden; Sie haben uns zu viel eingesandt, da Sie gestorben sind, darf man Sie nicht zurückstellen: Ehrung den Toten.«
Er hätte vielleicht geantwortet: »Nach Ihnen, meine Herren; meine Werke haben jetzt keine Eile mehr. Es gibt nur eine Frage von Bedeutung: was passiert heute? Welche Kräfte halten heute den Bau? Warum tat meine Zeit nicht diese Fragen und stellte mich und meine Kollegen aus, als wir noch lebten; Ihr wäret heute weiter!«[132]
Man stellt uns aus; wir möchten sagen »leider«, denn man glaubt damit genug getan zu haben. Man ignoriert, daß in den großen Ausstellungen von heute das entscheidende Problem unserer künstlerischen Kultur liegt, liegen könnte. Man sieht hier, wie es scheint, überhaupt kein Problem. An dieses heranzugehen, gelingt nur, wenn man die Künstler selbst mitarbeiten läßt, jeden Kreis, jede organische Kraft für sich, unabhängig bis zum Letzten.
Wenn jemand eine Maschine erfindet, führt er sie der Welt auch selbst vor, wenigstens so lange, bis seine konstruktiven Ideen Gemeingut seiner Schüler geworden sind. Oder gibt es in aller Welt den Fall, daß man dem Erfinder die Maschine fortholt, zerlegt und auf irgend eine Weise, die dem Erfinder ganz fern liegt, popularisiert? Warum verfahren die Ausstellungen so mit uns Künstlern? Wir Maler schaffen nicht so sehr Bilder als Ideen und wir allein sind berufen, unsere Ideen vorzutragen, wie wir es für richtig halten; ein Postulat, das Dichtern und Komponisten die conditio sine qua non ihres Wirkens ist und um dessen Willen die ersten Maler sich heute immer mehr von allen offiziellen Ausstellungen zurückziehen; wo sie es nicht tun, sind sie sich ihrer Verantwortlichkeit vor ihrer eigenen Kunst nicht bewußt. Die Ausstellungsleitung hat nur die praktische Organisation des Ganzen zu schaffen. Dann passieren auch, um auf den aktuellsten Fall zu weisen, jene üblen Dinge nicht: die Ablehnung würdiger Unbekannter für welche wir Kollegen nur zu oft betteln gehen müssen, um an neun von zehn Türen abgewiesen zu werden.
Hoffentlich gelingt es dem Sonderbund noch einmal, solche Ausstellungen zu schaffen.
Der kleine Kreis süddeutscher Künstler, der hier seine im Sonderbund nicht ausgestellten Werke zeigt, hat wenig Freude an dem, was der Sonderbund von ihm ausgestellt hat. Es nagt an unserm künstlerischen Gewissen, wir geben dort nicht bewußte und abgewogene Kunstwirkung, die wir beabsichtigten; alles von uns dort ist Bruchteil. Zerrissene Kunstwirkung ist keine Kunstwirkung. Wie viel andere mögen ein ähnliches, schlechtes Gewissen vor den Ideen haben, die sie dort herausstellen wollten.
Ein andermal: ganz oder gar nicht!
Vielleicht gelingt es uns, durch diese kleine Ausstellung und unsre Worte das schwierige Problem der modernen Ausstellung zur Diskussion zu stellen, auf der Basis jenes Satzes:
Die Künstler sollen nicht von den Ausstellungen abhängig sein, sondern die Ausstellungen von den Künstlern.[133]
* ›Ideen über Ausstellungswesen‹ (Juni 1911)
Aus: DER STURM, 3. Jahrgang 1912/13, Nr. 113/14, Juni 1912, S. 66
Unterzeichnet: »Franz Marc«
Manuskript verschollen
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