56.

Wenn mich auch die Sorge quälet,

Dass die Gegner auf mich schmähen,

Werd' ich doch des Rausches Reize

Nie vor mir verschwinden sehen.

Schnöd ist selbst die Tugend Jener

Die im Zechen Schüler heissen;

Kann da ich, der Weltverruf'ne,

Frommer Werke mich befleissen?

Nenne mich Vernunftberaubten,

Einen König wirrer Köpfe:

Bin ich auf der ganzen Erde

Doch der grösste aller Tröpfe.

Mal' mit Herzblut mir ein Zeichen

Auf die Stirn, damit man wisse

Dass ich, ein bestimmtes Opfer,

Dir, o Ketzer, fallen müsse.

Traue mir; dann aber ziehe

Eilends fort, um Gotteswillen!

Wüsstest sonst dass diese Kleider

Einen Nicht-Děrwīsch verhüllen.

Eile, Wind, mein blutend' Liedchen

Einem Freunde vorzutragen

Der mir in die Seelenader

Wimpernflieten eingeschlagen.

Heb' den Saum auf vor dem Blute

Meines Herzens; du begreifest

Dass du selber dich besudelst

Wenn du an die Wunde streifest.

Hab' als Scheïch und hab' als Zecher

Nichts zu schaffen mit den Leuten:

Selbst bewahr' ich mein Geheimniss

Und begreife meine Zeiten.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 2, S. 349-351.
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