76.

Obgleich ich alt geworden bin

Und herzenskrank und schwach,

So ward ich doch stets wieder jung

Sobald ich von dir sprach.

Gottlob, dass noch ein jedes Ding

Das ich von Gott begehrt,

Wenn ernstlich ich darnach gestrebt,

Mir immer ward gewährt!

Am Heerweg ew'gen Glückes stieg

Ich auf des Glückes Thron,

Und, wie die Freunde es gewünscht,

Mit einem Weinglas schon.

Geniesse, junger Rosenbaum,

Des Glückes Frucht, denn ich

Erhob zur Nachtigall der Welt

In deinem Schatten mich!

Bekannt war von der Welt mir einst

Kein Buchstab' und kein Laut:

In deines Grames Schule erst

Ward ich damit vertraut;

Und seit dein Schelmenblick mich traf,

Seit jener frohen Zeit,

Ward ich von jeder Schelmerei

Der künft'gen Zeit befreit.

Seit jenem Tag erschloss sich mir

Des Sinnes hohes Thor,

An dem des Wirthes Wohnhaus ich

Zum Aufenthalt erkor.

Das Schicksal weiset unbedingt

Mich an die Schenke an,

So sehr dagegen und dafür

Ich auch bisher gethan.[403]

Mich macht' nicht Jahr und Monat alt,

Der falsche Freund allein

Der, gleich dem Leben, mir entflieht,

Gab mir des Alters Schein.

Die Huld des Herrn gab gestern Nacht

Die frohe Kunde mir:

Hafis, bereue! für der Schuld

Vergebung bürg' ich dir.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 2, S. 401-405.
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