12.

Tritt zur Thür herein, erhelle

Uns're Nacht durch deinen Strahl,

Und mit Wohlgeruch erfülle

Dann die Luft im Geistersaal.

Seel' und Herz weiht' ich des Lieblings

Augenpaar und Augenbrau'n;

Komm, o komm die hohen Bogen

Und die Fenster anzuschau'n!

Trag' ein Stäubchen uns'res Saales,

Du des Himmelsgartens Luft,

Hin in's Paradies, durchräuchernd

Es mit süssem Aloëduft.

Schönheitsschimmer fällt als Schleier

Vor das Auge des Verstand's:

Komm und mach' das Zelt der Sonne

Lichter noch durch deinen Glanz!

Sterne in der Nacht der Trennung

Leuchten und erhellen nicht!

Steig' denn du auf's Dach des Schlosses

Statt des Mondes Fackellicht!

Deiner Reize Macht erkennen

Alle Schönen auf der Flur:

Blick auf Pinien und Jasmine

D'rum mit sprödem Trotze nur.

Aufgeblasenheit erzählet

Mährchen ohne Unterlass;

Thu' indess was deines Amtes,

Schenke! giessend Wein in's Glas.

Nimmer wag' ich's zu begehren

Deiner Liebe bares Geld:

Gib mir auf die Zuckerlippe

Einen Wechsel ausgestellt![435]

Küsse erst des Glases Lippe;

Gib's dem Trunk'nen in die Hand,

Und mit dieser Zartheit würze

Das Gehirn du dem Verstand!

Räth der Liebe Spiel zu meiden

Dir der rechtsgelehrte Mann,

Reiche ihm den Becher, sprechend:

»Feuchte das Gehirn dir an!«

Mögest du durch edle Gaben

Und durch Reize immerdar

Hoch empor als Kerze ragen

In der Trinkgenossen Schaar!

Dieser Kopfbund, diese Kutte,

Sie beengen mich gar sehr:

Durch den Blick, der Ssofis tödtet,

Mache mich zum Cālěndēr!

Wenn der Liebe Lust genossen

Du mit einem Mondgesicht,

Dann erlerne und behalte

Ein hafisisches Gedicht.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 2, S. 433-437.
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