18.

Trittst du hin zum Haupte des Erkrankten

Bete fromm ein Fātĭhā für ihn,

Und erschliess den Mund, denn neues Leben

Spendet Todten deines Mund's Rubin!

Dem der zum Besuche kam und gehet

Wenn zuvor ein Fātĭhā er sprach,

Sage du, er zög're noch ein wenig,

Denn ich sende schnell den Geist ihm nach.

Der ein Arzt du heissest der Erkrankten,

O besehe meine Zunge dir,

Denn, als Herzenslast, belegt die Zunge

Dieser Hauch und Rauch des Busens mir!

Mehr als sonnenheiss durchglühte Fieber

Mein Gebein, bis dass es endlich schwand;

Doch es schwindet mir aus dem Gebeine,

Gleich dem Fieber, nicht der Liebe Brand.

Deinem Maal gleicht meines Herzens Lage,

Denn das Feuer ist ihr Vaterhaus:

Krank und schmachtend, deinem Auge gleichend,

Sieht darum mein ganzer Körper aus.

Lösche denn, durch beider Augen Wasser,

Jene Gluth die mir im Innern wühlt,

Greife dann den Puls mir, um zu sehen

Ob man d'rin ein Lebenszeichen fühlt.

Jener der beständig mir die Flasche

Sonst gereicht mit lusterfülltem Sinn,

Warum trägt er alle Augenblicke

Meine Flasche jetzt zum Arzte hin?

Mir, Hafis, mir gossen deine Lieder

Die Arznei des Lebenswassers ein:

Lass den Arzt denn fahren, komm und lese

Die Recepte meiner Arzenei'n!

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 2, S. 447-449.
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