Judas der Erz-Schelm ermordet seinen leiblichen Vater Ruben.

[234] Als einst Pilatus in seinem Pallast unter dem Fenster eine annehmliche Herbst-Luft schöpfte, sah er in dem nächst angränzenden Garten einen überaus fruchtbaren Apfelbaum, worauf die zeitigen Früchte und schönes Obst ihm dergestalt die Zähn' kitzleten, daß er öffentlich zu verstehen gab, er möchte solches[234] Eva-Confekt verkosten. Kaum, daß solches der Hof-Schalk Judas vernommen, ist er alsbald mit eilfertigen Füssen in den Garten gestiegen, daselbsten ein Prob-Stuck seiner künftigen Diebsstuck' erwiesen und das beste Obst entfremdet. Als ihm aber solche Frechheit und keckes Bubenstuck der alte Ruben, dem der Garten zugehörig, scharf verwiesen und ungezweiflet den Judam mit schmählichen Schelm- und Diebs-Titul bewillkommt, hat es ihm dermassen den Busen verwundet – weilen er als ein bisheriger Hofmann dergleichen Grüß' nicht gewohnt – daß er in einem ungezaumten Grimmen einen grossen Stein erwischt, mit demselben den Ruben also au die Schläf' getroffen, daß er alsobald geistlos niedergesunken und Tod's verblichen. Hat also der Erz-Bösewicht seinen leiblichen Vatern, den er zwar nicht gekennt noch von ihm erkannt worden, mit mörderischen Händen erlegt und ihm das Leben genommen, von dem er das Leben ererbt! O Kinder! O Kinder! Kinder hüt' euch doch, daß ihr euere lieben Eltern nicht beleidiget!

Ein brüllender Löw' in Afrika, ein reißender Wolf in Apulia, ein blutdürstiger Tieger in Armenia, ein giftiger Drach in Epiro, ein schädlicher Bar in Scotia, ein wildes Krokodil in Iberia ist nit, ist nit, ist nit so[235] erschrecklich wie ein Kind, welches seine Eltern beleidiget! Des Esau sein Haß ist eine große Sünd' gewest, des Kain sein Neid ist eine große Sünd' gewest, des Aman seine Hoffahrt ist eine große Sund' gewest, des Achan sein Diebstahl ist eine große Sünd' gewest; aber noch eine größere Sund' ist die Undankbarkeit deren Kinder gegen ihre Eltern! Ein Kind, welches seine Eltern übel anschaut, ist werth, daß es keine anderen Augen soll haben, als gehabt hat der alte Tobias, wie er von den Schwalben den Schaden gelitten; ein Kind, welches von seinen Eltern übel redet, ist werth, daß es keine andere Zung' soll haben, als gehabt hat Zacharias, zur Zeit, als seine Elisabeth schwanger gangen; ein Kind, welches seine Eltern schlägt, ist werth, daß es soll keine anderen Händ' haben, als es gehabt hat jener Lahme zu Capharnaum; ein Kind, welches nach seinen Eltern stoßet, ist werth, daß es keine andere Füß' habe, als gehabt hat jener Krumme bei der schönen Porten zu Jerusalem.

Merks wohl, mein Christ: dein Christus hat derentwegen in dem Garten von den hebräischen Lotters-Buben wollen gefangen werden, damit er im Garten anfange die Schuld zu bezahlen, welche Adam gemacht hat im Garten! Merks wohl, mein Christ: dein Christus hat derentwegen im Garten von Malcho dem Bösewicht einen harten Backenstreich leiden wollen, weilen Adam eine Maultasche verdienet hat wegen feiner gethanen Lug im Paradeis! Merks wohl, mein Christ: dein Christus ist derentwegen mit harten Geißlen geschlagen worden, damit er zeige, er sey das wahre Treidkörn'l, von denen Hebräern dergestalten ausgedroschen,[236] endlich gar in die Erd' geworfen, daß es den dritten Tag wiederum aufgangen und uns eine Frucht des Lebens worden! Merks wohl, mein Christ: dein Christus hat derentwegen wollen den schweren Kreuzbaum auf seinen Achseln tragen, damit er ein Kreuz mache durch den Schuldbrief des Adams, worinnen du auch unterschrieben warest! Merks wohl, mein Christ: dein Christus hat derentwegen wollen mit Dörnern gekrönt werden, damit du augenscheinlich kannst wahrnehmen, wie emsig er das verlorne Schäfel in der Wüsten durch Stauden und Hecken gesucht hat, daß ihm dessenthalben die Dörner noch im Kopf! Merks wohl, mein Christ: dein Christus hat darum wollen nackend und bloß am Kreuz sterben, weilen er war die Wahrheit selbsten: Ego sum via, veritas et vita; damit du siehest, daß man die Wahrheit nit soll vermantlen oder verdecken, sondern fein bloß vorweisen! Merks wohl, mein Christ: dein Christus hat darum wollen mit drei Nägeln an das bittere Kreuz-Holz angeheftet werden, damit du hinfüro auch all' dein Glück an diese Nägel henken sollest! Merks wohl, mein Christ: dein Christus hat darum wollen mit geneigtem Haupt sterben, inclinato capite, damit er dir weise, wie man solle durch die Himmels-Thür' eingehen, nemlich man muß sich bücken und demüthigen! Merks wohl,[237] mein Christ: dein Christus hat darum nach so bitterem Tod' aus der Seiten-Wunde Blut und Wasser rinnen lassen, und zwar auf die letzt das Wasser – denn wenn man ein Geschirr, worinnen Blut ist, will recht auswaschen, so nimmt man zuletzt ein Wasser, und schweibt dasselbe aus – also hat es dein Jesus gethan, damit er dir weise, daß er dir sein Blut bis auf den letzten Tropfen gespendiret habe. Was hast du ihm gethan? Merk alles dieses wohl, aber merk eines gar wohl, vergiß nicht, gedenke, mein Christ, daß dein Christus bis in den letzten Lebens-Athem, auch in den unermeßlichen Schmerzen und Tormenten seiner liebsten Mutter nicht vergessen, sondern dieselbe dem Joanni in seinen Schutz und Obacht anbefohlen: ecce Mater tua! Was noch mehr ist! viel heilige Lehrer halten es für ein sonderes Wunder, daß Mariä der Mutter Gottes weder der geringste Schimpf noch Unehr geschehen ist! Die Juden und das hebräische Lotters-Gesind' hat Tag und Nacht, früh und spät nachgesinnt, wie sie möchten diesen Jesum von Nazareth plagen, schimpfen, peinigen, spöttlen und alles Uebel anthun, und ist ihnen nie eingefallen, daß sie seiner Mutter auch sollen einen Spott erweisen, welches ihm, Jesu, nit eine geringe Herzens-Wunde gewest war; ja unter dem Kreuz, als die unmenschlichen Henkers Knechte allen Muthwillen getrieben, mit Würfeln[238] um die Kleider gespielt und allerlei Ungebühr, Feigen, Esel, Narren und tausenderlei Ausspottungen gezeiget: Moventes capita sua, auch mitten unter ihnen die Mutter Jesu war, so ist doch keiner gewest, der solche hätte auf die Seiten gestoßen, wie dergleichen Troß-Buben zu thun pflegen! ja sogar niemand sie mit den mindesten üblen Wort beleidiget! Denn solches wollte der gebenedeite Heiland nicht zulassen, sondern weilen es in seiner Gewalt stunde, befand er sich schuldig und verpflicht', alle Unehr von der Mutter abzukehren. Merks wohl, mein Christ, und erachte bei dir selbsten, ob dann jene können Christen genennet werden, welche nicht allein ihre Eltern vor Spott und Unehr nicht schützen, sondern dieselbigen noch hart beleidigen, sie zum fruhzeitigen Tod und Grab befördern! ja gar (o Ottern und Vippern-Brut!) gewaltthätige Händ' an sie anlegen! O ihr stein- und beinharte Gemüther! o ihr eisenharte und eiskalte Herzen! Ist dann möglich, daß euch das süße Wort Vater, das durchdringende Wort Mutter nicht soll erweichen? habt ihr dann ein so schlüpfriges Gedächtniß, daß euch gänzlich Alles entfallen, was ihr von euren liebsten Eltern empfangen? habt ihr vergessen die Schmerzen, mit denen euch die Mutter geboren? habt ihr vergessen das Speis-Gewölb, welches euch die Mutter auf ihrer Brust aufgeschlagen und euch auf Pelican-Art mit eigenem Blut ernährt hat? habt ihr denn vergessen so vieler tausend Busserl,[239] so ihr von den mütterlichen Lefzen habt eingenommen? wer hat euch von dem täglichen, ja oft stündlichen Pfuy – indem hierinfalls die jungen Schwalben manierlicher hausen in ihren Nestern – gesäubert und gereiniget, als eben die Mutter? wer hat euch das schlaflockende »Haia Popaia« öfters um Mitternacht bei der wankenden Wiege zugesungen, als eben die Mutter? wie oft habt ihr euch der Mutter um den Hals gewicklet wie ein Wintergrün um den Baum? wie oft hat euch die Mutter in ihren Armen, als in einer lebendigen Wiege, hin und her geschutzet, gleichwie ein Baum auf seinen Aesten einen rothen Apfel bei Winds-Zeiten zu thun pflegt? wer hat euch aus dem Koth, aus der Noth und öfters auch aus dem Tod' gezogen, als eben die Mutter? Eine guldene oder silberne Hals-Uhr braucht viel Aufziehens! – aber ihr, die ihr so vielfältig wie eine Uhr der Mutter um den Hals gehangen, braucht weit mehr Auferziehens, und sollt ihr an alle diese unzählbaren Gutthaten und Liebthaten nicht mehr denken? nit mehr an die Lieb, mit dero euch der Vater gezeugt? nit mehr an die Sorg, mit dero euch der Vater erzogen? nit mehr an die Gutthaten, mit welchem euch der Vater behäuset? ist euch denn die Natur also verwildet, daß der Brunn nicht mehr gedenket an den Ursprung, der Apfel nit mehr an den Baum, die Blum nit mehr an die Wurzel, der Topf nit mehr an den Hafner, der Essig nit mehr an den Wein, die Statua nicht mehr an den Bildhauer, das Kind nit mehr an den Vater und Mutter? So gedenkt aufs wenigst auf diese zwei Wort: Bibel und Uebel, wie stark euch die heilige Bibel auferlegt, die Eltern[240] zu verehren, und was Uebel ihr euch auf den Rucken ladet in Unterlassung dessen! etc.

Wie der allmächtige, allwissende, allgewaltige Gott dem Mosi die Tafel der zehen Gebot' eingehändiget auf dem hohen Berg Sinai, haben sich etliche Wunder dabei ereignet, und zwar erstlich: da solche der Mann Gottes von dem Berg herab getragen, hat er nit allein mit seinen Ohren ein großes Getümmel und einen ungeheurigen Jubelschall vernommen, sondern auch mit Augen erfahren, wasgestalten dieselben Ochsen-Köpf' ein guldenes Kalb für ihren Gott haben angebetet, und dabei nit ohne Verwunderung gespürt, daß die von Gottes Hand geschriebenen Gebot' sammt allen Buchstaben verschwunden und nichts mehr als eine glatte Stein-Platte zu sehen: welches dann den Mosen zu einem billigen Zorn veranlasset, daß er selbe zu Boden geworfen und zertrümmert. Wie solches bestätigen Rabbi Abre, Aben Ezra und Rabbi Salomon bei Tostatum. Das andere Wunder ist, daß auf diesen zwei Tafeln die zehen Gebot' ganz ungleich verzeichnet waren, nemlich auf einer Seite drei, auf der andern Seite sieben! Warum nicht auf einer Seite fünf und auf der andern Seite auch fünf? Merke die Ursach'! das vierte Gebot ist in dem göttlichen Gesatz: honora patrem et matrem: Du sollst Vater und Mutter ehren! Wann demnach auf eine Tafel fünf Gebot' wären gesetzet worden, da wäre das Gebot »du sollst Vater und Mutter ehren« gar weit herabkommen. Damit aber der Allmächtige zeige, wie groß dieses Gebot', so wollte er, daß, gleichwie auf der ersten Tafel das erste Gebot war: »Du sollst an einen Gott glauben[241] und selben verehren!« also soll auch auf der anderen Tafel zum allerersten vor allen andern stehen: honora, etc. Du sollst Vater und Mutter ehren. Hierdurch hat der Allerhöchste wollen andeuten, wie groß, wie vornehm, wie wichtig das Gebot sey, die Eltern zu lieben.

Siehe, dir ist vorgangen Laurentius Celsus! Als solcher wegen seiner großen Verdienste und Tugenden zu einem Herzog in Venedig ist er wählt worden und damalen sein Vater noch bei Leben; wollt er auf keine Weis' zulassen, daß ihn sein Vater soll ehren, obgleich ihm die gesammte Republik bestermassen vorgetragen, wie solches seiner hohen Würde gezieme, daß er nicht allein mit bedecktem Haupt vor seinem Vater stehe, sondern auch der Vater schuldig seye, gegen ihn die Knie zu biegen. Weilen er aber dieses über sein Herz nicht konnte bringen, also hat er einen sinnreichen Fund erdacht: Er ließ vornher auf seiner Haube oder Hut ein sehr kostbares Kreuz heften, welches annoch bei den Herzogen zu Venedig im Brauch, damit also die Reverenz und Ehrbeweisung von dem Vater nicht ihm, sondern dem Kreuz zugemessen wurde, und er solchergestalten seinen kindlichen Gehorsam und Schuldigkeit nit vergesse.

Ein Papier ist ein solches vornehmes Wesen, daß es auch in der höchsten Monarchen Hände gehalten wird, ja darauf päbstliche und kaiserliche Namen und Ehren-Titel geschrieben werden, da es doch von einem schlechten Haus herstammet, indem sein Vater der Lump zu Hadersdorf, seine Mutter die Fetzinn gewesen, und gestaltermassen ein unsauberer Hader, worinnen ein Zigeuner-Kind eingewicklet war, zu solchen großen Ehren[242] gelangt. Deßgleichen sieht man öfters in dem prächtigen Tempel, auf den kostbaren Altären eins und das andere schönest vergulte Bild, welches von den eifrigen Christen nicht angebetet – wie es unsere Widersacher beschnarchen – sondern verehret wird. Diese stattliche Statua ist von geringen Eltern, indem ihr Vater der Blockhauer, die Mutter die Holzerinn, bekannte arme Tropfen, gewesen seyn. Gestalter Massen ist es auch eine öftere Begebenheit, daß etliche, dero Herkommen von geringen Eltern, zu hohen Würden und Dignitäten gelangt seynd. Dergleichen war Saul, David, Mahumet, Othomann, Cracus, Vamba, Leo, Justinus Thrax, Maximinus, Diocletianus, Aurelianus Arabus, Sept. Severus, Aemilius, Scaurus, Herodes, lauter Kaiser und König', dero Väter doch Sau-Hirten, Schaf-Hirten, Küh-Hirten, Eseltreiber, Strümpfdoppler, Todtengraber, Schergen und andere arme Bettel-Leut' gewesen. Urbanus, Benediktus, Nikolaus, Joannes, Sixtus, lauter römische Päbst', dero Väter doch Schuster, Schneider, Bauren, Meßner, Müllner und Land-Boten abgeben. Ist gar nichts neues mehr, daß auch der Zeiten etliche in großer Fürsten Hös' beim Brett' sitzen, dero Väter Tischler waren; ist nichts neues mehr, daß mancher ein Hofmeister wird, dessen Vater ein Hausmeister[243] gewesen; ist nichts neues mehr, daß mancher ein Rathsherr wird, dessen Vater ein Radmacher, ein Wagner gewesen; ist nichts neues mehr, daß mancher ein Hauptmann wird, dessen Vater ein Amtmann gewesen; ist nichts neues mehr, daß mancher ein Befehlshaber wird, dessen Vater ein Befehlstrager gewesen; ist nichts neues mehr, daß einer ein Botschafter wird, dessen Vater ein Bote gewesen; und ist gar recht, wann einem seine Feder hinauf hilft, weilen auch die Vögel durch die Federn emporsteigen; ist gar recht wann einem seine Faust in die Höhe hilft, weilen auch die Faust einen Ballon in die Höhe treibt; – aber, aber, die ihr also in die Höhe kommt, schämt euch bei Leib' nicht eurer geringen Eltern! denn sogar auch ein römischer Pabst, ein Vicarius Christi, dem König' und Monarchen müssen die Füß' küssen, schuldig ist, seine Eltern zu verehren, da er doch Gottes Person vertritt in dieser Welt. Also bezeugt Aquilanus und Baldus: Si filius esset Papa, nihilominus debet honorare Parentes. Filii enim semper tenentur debitam obedientiam et reverentiam exhibere. Solches hat im Werk erwiesen absonderlich Pabst Benediktus der Eilfte, welcher aus einem armen Hirten-Sohn, zu dieser höchsten Dignität gelangt:[244]

Als ihn einst seine leibliche Mutter von andern Frauenzimmern sehr prächtig bekleidet heimgesucht, wollte er sie auf keine Weis' erkennen. Das ist meine Mutter nicht, sagte er: meine Mutter hat einen schlechten Baurenkittel an, geschmierte Stiefel, eine schmutzige Schmeer-Haube, ein rupfenes Mieder und schmeckt vom Stall-Balsam etc.; diese muß eine vor nehme Gräfinn oder Marchesinn seyn; meine Mutter kenn ich nur gar zu wohl, sie hat die Kieselstein besser kennt als die Edelgestein, sie hat die kleine Noth besser kennt als die Kleinodl, sie hat die Schmier-Riem besser kennt als die Schnürriem' etc.; hat demnach diese vermummte Dame und stattlich bekleidete Bäurinn nit ohne Schamröthe des anderen Frauenzimmers solche Comödienkleider müssen abziehen, die vorige grobe Joppen und schlechte Lumpen anlegen, das Haarpulver von dem Kopf stauben, sich mit der vorigen Schmeerkappe krönen und also vor dem Pabst erscheinen, in welchem bäurischen Aufzug er sie alsobald umfangen, ihr um den Hals gefallen, die Händ' geküßt, alle kindliche Treu und Ehr' erwiesen, und fein oft in Gegenwart eines Adels diese Worte wiederholet: Diese ist meine Mutter, meine liebste Mutter, meine treueste Mutter, meine leibliche Mutter dieser bin ich schuldig zu dienen! – Da sehe jemand, wie auch das höchste Haupt und Statthalter Christi auf Erden sich seiner armen Eltern nicht schämt, sondern dieselbigen möglichst verehrt! In diesem spiegle sich mancher stolze Rotzbub oder mancher aufgeblasener[245] Grindschipl, welcher durch günstiges Glück zuweilen in hohen Stand kommt und sich nachmals der armen Eltern schämt! Geschieht gar oft, daß einer durch der Eltern Schweiß auf der Schulbank die Doctors-Kappe erwischt, sich bald in Sammet und Seide einwickelt, das Wammes mit Fleglen (holla! Hab' mich geirret mit Flüglen) behängt, den Grind mit einer gestrobleten Paroca verhüllt und wie eine dreijährige Nachteul' herausguckt, und sich nachmals schämt, mit seinem Vater, der etwa Rüben auf den Markt geführt, zu reden; ja, so mein doctrinalischer Pracht-Hans (Ihr Gestreng ist manierlicher geredt) etwann eine Mahlzeit anstellt und andere Clarissimos nec non darzu ladet, muß seine Gemahlinn, Frau von und zu Hohenheim, den besten Ort besitzen, unterdessen die arme Mutter in der Kuchel die Teller abspühlen, oder in der Kindsstube den jungen Prinzen wiegen; ja es ist ein scharfes Gebot, es soll sich Vater und Mutter vor den Leuten nicht viel sehen lassen! Mein Gott, sagen sie oft – diese zwei Knödelgeborne Edelleut – wenn nur Gott diese[246] zwei Leut'l zu sich nähm'! O ihr schandvollen Kinder! ihr seyd ärger als die Bestien; dann Bestien seynd die Storchen, und dennoch diese vernunftlose Vögel pflegen ihren Eltern, wann selbe Alters halber federlos werden, auf ihrem Rucken zu tragen, und auf alle Weis' zu verehren. Seyd ihr dann höher kommen, als Joseph in Egypten, allwo er zu einem Vice-König erhoben worden? und gleichwohl ist dieser seinem liebsten Vater Jakob mit großer Begleitschaft entgegengereist, sich gar nicht geschämt, daß sein Vater ein Schafhirt gewest und in geringer Bauerntracht daher gegangen! Habt ihr denn schon vergessen die Vermaledeiung, welche dem Cham über den Hals gewachsen, um weilen solcher seinen Vater Noe nur ausgelacht? Was haben erst diejenigen zu gewarten, so sich ihres Vaters und Mutter gar schämen, ihnen kaum einen engen Winkel im Haus vergönnen und mit täglichem Unwillen, finsterem Gesichte, rauhen Worten das väterliche und mütterliche Herz dergestalten beleidigen, daß sie vor der Zeit die Welt segnen! Alle Kinder sollen deßfalls in die Fußstapfen treten des starken und heldenmüthigen Samsons, welcher in dem zerrissenen Löwen einen Bienenschwarm und Honigfladen gefunden, einen guten Theil von diesem Raub seinen guten Eltern überbracht und sie damit demüthigst regulirt. Merkts wohl, ihr Kinder! Honig müßt ihr euren herzliebsten[247] Eltern vorsetzen, und keine Gall! mit honigsüßen Worten müßt ihr sie traktiren und nicht mit bitteren und gallsüchtigen Schnarchreden und Schmachreden! denn wenn ihr sie schon auf den Händen tragt, wenn ihr sie schon mit aller Leibsnothdurft unterhaltet, wann ihr ihnen alle Tag' hundertmal die Händ' und Füß' küsset, so habt ihr noch nicht bezahlt, was ihr ihnen schuldig seyd; denn ihnen seyd ihr schuldig, daß ihr seyd und was ihr seyd, nämlich das Leben!

Geliebt und verehrt hat Jesus Christus seine wertheste Eltern, denen er dreißig ganze Jahr in Unterthänigkeit gedient; geliebt und verehrt hat Salo mon seine Mutter Bersabeam, dero er von seinem königlichen Thron aufgestanden und vor ihr niederknicet; geliebt und verehrt hat David seine Eltern, welche er aus Lebensgefahr errettet und in die moabitische Sicherhheit gebracht; geliebt und verehrt hat Tobias seine Eltern, indem er seinem Vater das verlorene Gesicht wieder erstattet hat; geliebt und verehrt hat sogar Cain seine Eltern, weil er in deren Gegenwart den Bruder nicht wollte ermorden, sondern ihn mit verblümleter Arglist in das Feld hinausgelockt und daselbst den Rest gegeben.

Insonderheit aber wird eine denkwürdige Lieb' gegen die Mutter geschrieben, als nemlich: In Japonia[248] war eine edle Frau, welche durch große Kriegsempörung in solche äußerste Noth gerathen, daß sie auch das Brod zu betteln gezwungen worden. Diese hatte drei wackere und wohlerzogene Söhne, welche öfters mit nassen Augen ansahen die große Noth der armen Mutter, und haben dessethalben mit einander berathschlaget, auf was Mittel sie der bedrängten Mutter möchten zu Hilfe kommen. Weilen nun dazumalen eine große Unthat begangen worden, wodurch die Majestät des japonesischen Königs sehr hoch beleidiget, der Thäter aber nicht bekannt, also ist durch öffentlichen Trompetenklang allerseits kundbar gemacht worden: daß jener, so den Thäter werde an Tag geben, mit einer gewissen und zwar großen Summe Geld sollte belohnt werden. Dieses veranlaßte die drei Brüder, in einen neuen Rath zu treten, und »Wie wäre es – sagte der erste aus diesen – wann einer aus uns sich diesfalls schuldig gäbe und die zwei ihn für den Thäter anklagten? bekommeten nit also die zwei das von der königlichen Rentkammer verheißene Geld, womit sie nach Genügen der Mutter Armuth konnten wenden?« Dieser Rathschlag wurde alsobald gut geheißen, und weilen das Loos auf den jüngeren Bruder gefallen, also wird solcher alsobald von den andern zweien gebunden für den Magistrat geführt, ganz umständig angeklagt, welcher dann auch auf des Richters ernstliches Befragen die That bekennet hat, so er doch niemalen begangen, und gleich darauf in einen finstern Kerker an eiserne Band' angefesselt gelegt worden; die andern zwei Brüder aber nach empfangenen Geld voller Trost seynd wieder zu der Mutter gereist, und mit größten Freuden ganze Säck' Geld auf den Tisch aus geschüttet.[249] »Wohlan! sprechend – herzliebste Mutter, nunmehr hast du baare Geldmittel, womit du deine Noth und überhäuftes Elend einmal wenden kannst! getrost meine Mutter, jetzt kannst du mit bessern Speisen, als bishero mit schwarzem Brod, versehen werden und deinen alten, matten Leib erquicken!« Die Mutter verwundert sich hierüber, wie billig, fragt, wie und wo und wann und von wem sie solches Geld erworben? und und weilen sie mit ausflüchtigcn Worten sich nicht recht konnten verantworten, vermerkte solches mehr ihren Argwohn, also, daß sie ganz angstvoll gezittert. »Was gilts, sprach sie, ihr gottlosen Kinder habt solches durch ungerechten Raub oder Mordthat erhalten? wo ist denn mein jüngerer Sohn? unfehlbar hat es müssen der arme Tropf mit der Haut bezahlen?« Indem sie nun die That auf alle Weis' geläugnet, mit dem Vorwand, daß sie um ihren jüngern Bruder im geringsten nichts wissen, hat die bedrängte Mutter noch inniger angehalten, mit Bedrohung mütterlicher Ungnad', so fern sie nicht wollten die Wahrheit an Tag geben; dann sie verlange gar nicht mit ungerechtem Gut sich zu bereichern, sondern wolle lieber in äußerster Bedürftigkeit ihr Leben zubringen! – Endlich haben diese nicht ferner wollen das mütterliche Herz in Aengsten schwimmen lassen, sondern die That mit allen gehörigen Umständen der Mutter bekennet. Die Mutter stund hierüber ganz redlos, unwissend, ob sie sollte loben dero kindliche Lieb', oder[250] schelten dero harte Unbarmherzigkeit gegen ihren Bruder. Nachdem ihr nun die wiederholten Lebensgeister die Stimm' geliefert, hat sie alsobald mit heller Stimm aufgeschrien: Ach nein! nur das nit! aus keine Weis' will ich mich mit meinem eignen Blut ernähren! das nit! fort, lauft, schnauft, schreit, schreibt, eilt und nicht verweilt, damit ihr doch euren Bruder noch vom Tode errettet! Sie selbsten ist sammt ihren zweien Söhnen vor dem Senat erschienen, das Geld mit Unwillen ihnen vor die Füß' geworfen, ihren in dem Kerker geworfenen Sohn ernsthaftig los zu machen begehrt, auch ausdeutlich dargethan, wie diese zwei nur derenthalben angeben, damit sie solchergestalten ihrer Mutter Armuth zu Hilf' kommen, sie aber verlangte nicht ihr Leben mit ihres Sohns Tod' zu verlängern. – Die Richter haben nit wenig sich über solche unerhörte That verwundert, der ganzen Sach' Urkund' dem König schriftlich beigebracht, welcher dann die Mutter sammt den dreien Söhnen zu sich berufen, deroselben Kinder Lieb' nicht genugsam können hervorstreichen und darauf der Mutter sammt ihnen ihr Leben lang eine standesmäßige Unterhaltung angeschafft. – Gebenedeit das Land, welches eine solche Mutter gehabt, gebenedeiet die Mutter, welche solche Kinder gehabt, gebenedeit die Kinder, welche eine solche Lieb' gehabt, gebenedeit die Lieb', welche ein solches Lob gehabt, daß mans sollt in Cedernholz einschneiden, in Marmolstein einhauen, in[251] Goldplatten einstechen und forderst in alle kindliche Gemüther eindrucken! Da habt ihr Kinder einen Spiegel, worinnen ihr euch ersehen könnt; da habt ihr ein Original wovon ihr ein Modell nehmen könnt; da habt ihr Kinder ein Exempel, woraus ihr euch eine Nachfolg' machen könnt! O wären auch solche Kinder in unsern Ländern, würde mancher Fluch der Eltern unterlassen; o brönne auch solche kindliche Lieb' in unseren Oertern, würde manches Mutterherz mehr getrost! aber leider bei uns heißt es gar oft:


Ein böses Kind,

Deren man viel find't,

Der Eltern Schand

Lauft um im Land,

Ausborgt und spielt,

Lügt, raubt und stiehlt,

Die Eltern sein durch Sorg und Pein

Oftmals bringt in die Erd' hinein.


Es ist auch nicht zu vergessen allhier der großen Lieb', welche der römische Cardinal Dominicus Grimani seinem Herrn Vatern Antonio Grimani erwiesen hat. Dieser war Prokurator di San Marko zu Venedig und zugleich ein General über die ganze Armee dieser[252] berühmten Republik wider den Türken. Weilen er aber das Glück ihm sehr mißlingend in diesem Kriege erfahren und benebens durch heimliche Mißgönner bei der Republik einer Untreu beschuldiget worden, also ist er in eiserne Band geschlagen und in einen hohen Thurm geleget worden, wobei sich dieses sehr Denkwürdige zugetragen, daß ihm der Cardinal in selbst eigener und hoher Person, diesem seinem bedrängten Vatern, mit weinenden Augen – nit ohne gleichmäßiges Weinen des ganzen Volks – das Gleit geben bis zu dem Thurm, daselbst auch mit seinen heiligen Händen die schwere eiserne Fußkette, als der Herr Vater die Leiter hinaufgestiegen, hinnach gehebt, damit dero großes Gewicht die Füß' seines Vaters nit also möcht' beschweren, auch noch inständig gebeten: man wolle ihn doch auch in der Gefängnuß lassen bei seinem lieben Herrn Vatern. Weilen ihm aber solches durch die hohen Beamten geweigert worden, hat er seinen Ruckweg nach Rom genommen. Aber merke auch anbei das kugelwalzende Glück! Dieser Antoni Grimani von allen Ehren entsetzet, in eiserne Band und Kerker geworfen, aus dem Land verbandisirt, ist nachmals wieder nach etlicher Zeit in vorige Würde gesetzt und nach dem Tode des Herzog Leonardi, als er ein neunzigjähriger alter Tätl, mit sonderer Glückwünschung und Jubelgesang des gesammten Volks zu einem Herzog zu Venedig erwählet worden, in welcher hohen Dignität er noch über anderthalb Jahr gelebt hat. –[253] In dieser Geschicht' ist sich sowohl zu verwundern über des Glücks seinen anverwandten Wankelmuth, als über die große Lieb' des Cardinals Grimani gegen seinen Vatern.

Nicht weniger wird gepriesen die große Lieb' welche zwei Söhne ihrem liebsten Vater zu Genua erwiesen. Dieser war genannt Franziskus Scaglia, ein sehr vornehmer und reicher Edelmann, der im fünfzigsten Jahre seines Alters dergestalten durch gesalzene Flüß' in den Augen geplagt wurde, daß er gar stockblind worden und in solchem betrübten Stand das zwei und neunzigste Jahr erreicht. Weilen er nun von guten Mitteln war, also sind ihm auf keine Weis' Bediente abgegangen und also ohne Lakei nie gewesen. Nichts desto weniger haben zwei seiner Söhne Odoardus und Nikolaus als edle, schöne junge Herren nie wollen zulassen, daß ausser das Haus er von einem andern solle geführt oder gewiesen werden, sondern allzeit einer aus beiden hat den Vater an den Arm gehalten und ihm einen sichern Tritt theils in die Kirche oder anderwärts hingezeigt, an welcher großer Lieb' und kindlicher Treu die ganze Stadt Genua ein sonders Wohlgefallen geschöpfet hat.

Ich will daher umgehen jene Tochter, welche ihre leibliche Mutter in der Keichen mit eigenen Brüsten gesäuget hat und selbige dergestalten bei dem Leben erhalten; ich will geschweigen jenes Sohns, welcher bei Regierung Petri, Königs in Castilia, für seinen Vater, der begangenen That halber das Leben verwirket hatte, wollte sterben; ich will nicht melden des Kaisers Alexius, welcher die kaiserliche Krön' freiwillig geweigert und selbige seinem Vater aufgesetzt. Diese und alle[254] dergleichen haben Vater und Mutter verehrt, wie ihnen das Gesatz der Natur auferlegt, wie sie das Gesatz der Rechten verbunden, wie ihnen das Gesatz Gottes geboten: Honora patrem et Matrem, etc. Wenn jemand liest den Ascanium Clementinum den Legisten, Aristotelem don Weltweisen 1. 4. Ethi., Thomam den englischen Doktor opusc. quaest. 26., Hieronymum den Kirchenlehrer Epist. 11. ad Geron., Zwinglerum den Histori-Schreiber lib. teat. c. 2., Navarram den Theologen Decis. 28., ja forderist die heil. Schrift Sprichw. 19., Coloß 3. 20. Eph. 6. 1. Matth. 14. Joan 19. etc.; so wird er finden, daß man die Eltern wie irdische Götter verehren solle, lieben solle, halten solle, besser halten, mehr lieben, stärker verehren, als ein Mann sein Weib, als ein Weib ihren Mann. Gedenkt demnach, ihr Kinder, an die Bibel, vergeßt aber auch nicht das Uebel, welches allen undankbaren Kindern auf den Rucken geladen wird!

Was sagt ihr zu dieser erschrecklichen Sentenz, welche der heil. Geist selbst euch in die Ohren schreit: Maledictus a Deo, qui exasperat matrem: Vermaledeit von Gott, welcher seine Mutter erzürnet! Der heil. Priester Severinus hat nur einmal einen Espen-Baum vermaledeit, um weilen er sich an dessen Aesten in etwas verletzet hat, und siehe, der Baum ist augenblicklich verdorret! Der heil. Medok hat einst einen harten Felsen vermaledeit, und siehe, alsobald ist derselbe mitten von einander gesprungen![255]

Der heil. Franziskus von Assis hat einmal ein Schwein vermaledeit, weilen solches ein kleines Lämm'l zerbissen, und siehe, gleich hernach ist das Schwein verreckt und haben sogar die Raben einen Abscheu vor diesem Aas gehabt! Haben nun die menschlichen Vermaledeiungen eine solche Wirkung, was wird nicht erst haben jene Vermaledeiung, welche von Gottes Mund selbsten ausgehet! Wie ist es euch Kinder? erstarret euch nicht das Blut in den Adern, zappelt euch nit das Herz in dem Leib, stehen euch nicht die Haar' gen Berg, zittert ihr dann nit in allen Gliedern, wann ihr hört die scharfe göttlichen Wort' Maledictus etc. vermaledeiet von Gott, welcher seine Mutter erzürnet? Erschrecket euch denn nicht der schändliche Tod eines schönen Menschen? dieser war der Absalon, ein schöner, wohlgestalteter, junger Fürst des David, aber auch ein schändlicher, gewissenloser Fürst und Oberhaupt aller undankbaren Kinder. Dieser Absalon ist in seiner lasterhaften Ehrsucht alsoweit kommen, daß er sich auch freventlich unterfangen, seinem Herrn Vater die Kron' von dem Haupt zu nehmen, den Scepter aus den Händen zu reißen und sich wider alles Recht und kindliche Verpflicht in die Regierung einzudrängen. Solchen gewissern Zweck zu erhalten, hat er unter dem Adel und Pöbel einen großen Aufruhr und einheimischen Krieg erweckt, sogar die Waffen mit großem rebellischen Anhang wider seinen Herrn Vater als nämlich den David, selbst ergriffen und mit häufiger Mannschaft einen blutigen Streit mit seinem eigenen Vater eingangen. O verfluchtes Kind Absolon! Gesetzt, daß du auch keinen Blutstropfen mehr von deinem Vater in deinem vermaledeiten[256] Leib empfindest, soll denn dir nicht einfallen die Schärfe des göttlichen Zorns, so allgemach ober deinem Kopf schwebet? Ein Kalb, so es genug gesogen hat an dem Euter seiner Mutter der Kuh, stoßt nachmals dieselbe noch mit seinem muthwilligen Kopf: du Ochsenkopf Absalon bist nit besser als dieser Kalbskopf! Ein Klächel oder Schwengel in einer Glocke, indem er von derselben stets umgeben und bedecket wird, schlägt sie noch darüber beederseits mit Ungestümm: du, Galgen-Schwengel Absalon, bist nicht besser als dieser Glocken-Schwengel. Allo! zieh denn vom Leder, du ungerathener Absalon, wider deinen Vater, aber gedenke auch, daß ebenfalls Gott das Schwert seiner göttlichen Justiz ziehet wider dich: laß sehen, welches eine bessere Schneid hat, dein verruchter Säbl, oder Gottes gerechtes Schwert! Wohlan, das Gefecht nimmt einen Anfang in der Wüste Ephraim, die Armee des Absalons übersteigt weit die Mannschaft des David, dieser wird ungezweifelt den kürzern ziehen; denn viel Hund' seynd des Haasen Tod. Aber David war kein forchtsamer Haas, sondern setzte seine einige Zuversicht auf den allmächtigen Gott. Und siehe! David erhält einen glorreichen Sieg, der Absalon wird spöttlich in die Flucht geschlagen! Dessen ist aber kein Wunder, gar kein Wunder! denn wider den rebellischen Absalon war Gott und alle seine Geschöpf', allermaßen Löwen, Tieger, Bären, Wölf' und allerlei wilde Thier' erschienen, welche des Absalons Kriegs-Knecht niedergerissen. Dieß war noch nit genug; denn von freyen Stucken die Erd' allerseits Stein in die Höhe geworfen, wovon die absalonischen Soldaten verwundet und aufgerieben worden, ja in dem,[257] Wald seynd die Aest' hin und her von denen Bäumen geflogen, ungezweifelt von den Händen der Engeln abgeschlagen, welche des Absalons Armee – nunmehr Arme – ganz grausam zerquetscht. – Vermaledeiet ist denn ein Kind, welches wider seine Eltern handelt. Himmel und Erd' sammt allen Geschöpfen streiten wider solchen Menschen; vermaledeit seynd alle seine Schritt' und Tritt', vermaledeit ist sein Gut und Blut, vermaledeit ist sein Leib und Weib, vermaledeiet seine Kinder und Rinder, vermaledeiet seine Felder und Wälder, vermaledeiet seine Scheuer und Gemäuer, vermaledeit sein Geld und Zelt, vermaledeit sein ganz Leben darneben, seine Gesundheit wird seyn wie die Kürbiß-Blätter des Jonas, seine Wirthschaft wird seyn wie das übernächtige Manna, seine Felder werden seyn wie der Berg Gelboe, seine Kühe werden seyn wie die Rinder, so Pharao in dem Traum gesehen, seine Habschaft wird seyn wie die Statua Nabuchodonosors, sein Leben wird seyn wie der Topf der Propheten-Kinder, seine Kinder werden seyn wie die Spott-Fratzen Elisäi, das ist ungerathene Kinder; ein bitterer Lebenswandel, eine unglückselige Habschaft, unfruchtbare Felder, eine wurmsüchtige Wirthschaft, eine verwelkende Gesundheit, alles Unglück und Unstern, alles dieß schließt in sich das einige Wort Maledictus, vermaledeit!

Ich ging einsmal durch einen grünen und schattenreichen Wald und erwägte dazumal die Höflichkeit der Bäume in Iudäa, welche sich auf dem Oelberg ganz tief bis auf die Erde geneigt haben gegen die Mutter Gottes Maria, und gedachte bei mir selbsten, was für grobe Blöck' seynd doch diejenigen Gesellen, die[258] kaum eine kleine Reverenz machen gegen Gott den Herrn und seine Mutter in der Kirche. Als ich in diesen Gedanken stund, so ist mir vorkommen, als hörte ich allda einen abgehackten Baum sehr wehmüthig lamentiren, und stunde die Klag' in dem, wie daß unlängst ein Hacken habe gebeten denselbigen Baum ganz flehentlich um einen Stiel. Nachdem nun die gutherzige Buche solchen willfährig ertheilt und die Hacke einen Stiel bekommen, so ist sie da und haut die größte Gutthäterinn die Buche selbst nieder! Ach! sagte der Baum, das soll mich ja schmerzen in meinem Herzen, daß die Hacke den Stiel, den ich ihr so gutwillig habe geschenkt, jetzt ganz undankbar gegen mich braucht. Diese wehmüthige Klag' erschallt öfters aus dem Mund einer bedrängten Mutter, aus dem Mund eines Vaters, welche so große Undankbarkeit an ihren ungerathenen Kindern erlebet haben, daß auch diese vermaledeite Kreatur gwaltthätige Händ' anlegt an seinen Eltern! Soll es dann nicht schmerzen eine solche Mutter, daß sie selbst muß leiden von denjenigen Händen, welche sie in ihrem Leib getragen? soll es denn einem Vater nicht das Gemüth durchdringen, daß er muß beleidiget werden von denjenigen Händen, welche er nach Gott dem verruchten Kind gespendiret? wie ist es nur möglich, daß sich die Erd' nicht gleich aufsperret und ein solch gewissenloses Kind verschlückt, wie sie verschlückt hat den Datan und Abiron. Wie kommt es doch, daß nicht gleich[259] die freßgierigen Feuersflammen vom Himmel fallen und einen solchen verkehrten Menschen zu Asche verzehren, wie sie verzehrt haben alle Inwohner zu Sodoma und Gomorrha? Ja, ja, alles dieses geschah, dafern Gott nit gewisser Ursach' halber, die ihm allein bekannt und uns verborgen, mehrmalen alle Elemente im Zaum hielte, welche sonst gierig die Unbild der Eltern rächen thäten. Und bilde sich nur ein ein solches vermaledeites Kind, welches gegen seine Eltern mit Schlägen verfahret, daß kein Geschöpf auf Erden, so ihm nicht mißgönnig und feind sey. Dahero solche unmenschliche, tiegerartige, steinharte, herzlose, gottvergessene, lasterhafte, teufelsüchtige, höllenwerthe, bestialische Kinder (nicht Kinder, sondern Schlangen- und Attern-Brut) auch noch auf der Welt vom gerechten Gott gestrafet werden.

In der vornehmen Stadt Talenz ist einer bei dem Magistrat falsch angegeben worden, als habe er eine große Unthat begangen, wessentwegen er zum Strang und Galgen verurthlet worden. Als solcher aus dem Kerker an den Ort seines schmählichen Todes geführt wurde, hat er daselbst die Händ' zusammen geschlagen und das gerechte Urtheil Gottes, nicht aber der Menschen erkennt, und beinebens öffentlich entdeckt, wie daß er unschuldig sey in demjenigen, was ihm dießfalls zugemessen wird, wohl aber habe er eben an diesem Ort seine leibliche Mutter mit harten Streichen traktiret, welche dazumal den Fluch über ihn gethan: Wollte Gott, du müssest an diesem Ort an den Galgen kommen![260]

Zu Rom hat einer aus Zorn seiner Mutter einen Backenstreich versetzt, welches sie dermaßen geschmerzt, daß sie alsobald gewunschen: sie möchte diese Hand abgehaut sehen. Diese Red' war einer sibyllischen Weissagung nicht ungleich; denn kurz hernach ist dieser ganz unsinnig worden: in welchem verwirrten Stand er in eine öffentliche Fleischbank hineingeloffen, daselbst sich mit einer großen Hacke die Hand abgehauen und also den Mutter-Fluch selbsten vollzogen.

Ein anderer Jüngling zu Rom, weilen er auch Hand angelegt an seine Mutter, ist bald hernach in diesen blühenden Jahren Tods verblichen, den andern Tag aber nach seiner Begräbniß den Arm aus der Erd' gestreckt, und weilen man solches der Nachlässigkeit des Todtengräbers zugeschrieben, ist das Grab mit mehr Erd' überschüttet worden. Ungeachtet dieses ist auch den dritten und vierten Tag der Arm ganz hervorgangen, bis endlich die Mutter zu dem Grab' berufen worden und unschwer die Ursach' dieser seltsamen Begebenheit erkennt. Ich weiß mich zu erinnern, sagte sie, daß mich dieser mein Sohn einmal hart geschlagen, welches ich so sehr in meinem Herzen empfunden, daß ich ihm gedrohet habe, ich will ihm solches nimmermehr verzeihen, anjetzo aber mein Kind, verzeihe ich dir herziglich diese mir angethane Unbild! Worauf gleich der Todte seinen Arm zurückgezogen und ferners nicht mehr gespürt worden.

Unweit der schönen Stadt Ragus ist ein kleines Dorf entlegen, in welchem auch wohnte ein arbeitsamer[261] Bauersmann mit Namen Boscas, dessen ungerathenet Sohn die Mutter mit so vielen Streichen übel zugerichtet, daß sie also über solchen Bösewicht nicht wenig erbittert und ihm gewunschen: daß er möchte sterben, und sey nit werth, daß seine Beiner weder die Luft, noch die Erd', noch das Wasser behalte! Dieser Fluch hat seinen Ausgang gewonnen, denn er bald hernach elend gestorben, dessen Leib oder Körper die Erd' auf keine Weis' wollte behalten, sondern ihn öfters mit Unwillen heraus geworfen, und die Luft thäte nit weniger und hat ihn mit Ungestümm auf die Erd' gestoßen, das Wasser deßgleichen hat ihn allemal wieder an das Gestade getrieben, bis endlich aus Befehl der Mutter dieser verruchte Körper in das Meer, da es zum heftigsten tobte, gestürzt worden, welcher gleich von den wüthenden Wellen an einen harten Felsen getragen worden, allwo er sich in drei Theil zertrümmert und alle Theil in harte Felsen verändert worden, so annoch von den beifahrenden Schiffleuten zum ewigen Wunder beobachtet wird.

Es seynd viel hundert tausend, ja viel Millionen Meilen von der Erde in den Himmel hinauf, und dennoch in einem Augenblick reist der Mutter-Fluch dahin vor das Angesicht Gottes. Die schöne, strahlende Sonne hat einen so schnellen Lauf, daß sie in einer Stunde eilfmal hundert und vierzig tausend deutsche Meilen postirt, und gleichwohl ist viel schneller ein Fluch der[262] Mutter; denn solcher augenblicklich in die Höhe steiget und von Gott erhört wird. Deßwegen hütet euch, ihr Kinder, vor dem Fluch' eurer Eltern! denn nicht allein wahr worden der Fluch, welchen Noe der alte Vater über seinen Sohn den Cham ergehen lassen, allermassen dieser sammt den Seinigen nie kein Glück gehabt, ja er selbst ein Zauberer und Hexenmeister worden, den auch der Teufel lebendig verbrennt.

Wunderbarlich ist, was sich in Arvernia zugetragen. Allda hatte eine Mutter ein sehr widerspenstiges Kind, dem sie einsmal befohlen, es soll sich anlegen, und weilen es solches ganz halsstarrig unterlassen, so hat der Zorn die Mutter also angefeuert, daß sie endlich in diesem Fluch ausgebrochen: Ei du vermaledeites Kind, so gebe Gott, daß du keinen Fetzen dein Lebtag an deinem Leib' tragest! Siehe das eilfertige Verhängnuß Gottes! Das Kind zieht alsobald das Hemd wieder aus, und von selbiger Stund' an keinen Faden mehr an den Leib gebracht, und im Sommer und im Winter blutnackend gangen, doch bekennt, daß es dessenthalben nit größern Frost bei Winterszeit, noch mehrere Hitz' bei heißem Sommer empfinde. – Dieser Mensch hat nachmals einen Schaf-Hirten abgeben, doch jederzeit bloß und nackend. Wie denn solche Geschicht bei Clarmont allen bekannt ist.

Theresia, eine königliche Prinzessinn Alphonsi Sexti zu Kastell, ist von ihrem eigenen Sohn Alphonso in die finstere Keichen geworfen und daselbst an eiserne Banden gefesselt worden, und weilen zu ihrer Erlösung weder das inständige Bitten, noch des römischen Papstes ernstlicher Befehl nichts vermochte, also hat sie ihrem[263] undankbaren Sohn gewunschen: daß ihm möchten beede Fuß' gebrochen und er ein elender Gefangener, gleich wie sie, in den Händen des Feindes werden. Dieser mütterliche Fluch hat bald seinen Ausgang gezeigt, indem nicht lange hernach gedachter ihr Sohn Alphonsus unter dem Stadtthore beide Schienbein gebrochen, und kurz darauf von Ferdinando legionischem König gefangen worden.

Was erbärmlichen Untergang hat nit erlitten Cramus, ein Sohn Clotari Königs in Franken, welcher in einer niedern Bauern-Hütte erdrosselt, seine Gemahlinn sammt der jungen Herrschaft lebendig darin verbrennt worden! Die Ursach' dieses seines und der Seinigen Verderbens ist gewest, weilen er nach Absalons Exempel dem Herrn Vater die Kron' wollte vom Haupt zucken.

Dergleichen Geschichten konnten fast ohne Zahl und Ziel beigetragen werden, welche alle billig der Kinder Muthwillen, Ungehorsam, Halsstärrigkeit, Haß, Undankbarkeit gegen ihre Eltern sollten im Zaum halten. Auf solche Weis' geschieht es vielen Eltern, was dem fruchtbaren Apfel- und Birnbaum begegnet, indem man gar oft stehet, daß einem solchen Baum wegen Schwere der Früchte die Aest' brechen. Wohin der Symbolist kann schreiben: Multum onerant, parum ornant: ein schweres G'wicht meine eigene Frücht'.

Solchergestalten erfahren es viel Eltern, was da täglich das Holz auf dem Herd' muß ausstehen, welches[264] dem Feuer die Nahrung spendirt, und dieses undankbare Element entgegen das Holz verzehret, dem der Symbolist das Lemma beigefügt: Satiantem saucio: der mich thut nähren, thu ich verzehren.

Auf solchen Schlag widerfährt vielen Eltern, was da unsere allgemeine Mutter die Erde muß leiden, welche die Dämpf, so empor steigen, gleichsam gebähret, diese aber gar oft in Schauer und Riesel sich verkehren, und ihre eigene Mutter die Erde nicht wenig beleidigen, welches dann auch ein Sinnbild kann seyn eines undankbaren Kinds, forderist wann das Lemma dabei stehet: Pro nutrimento detrimentum: was ich getragen, thut jetzt mich schlagen.

Dergestalten begegnet viel Eltern, was der edlen Aurora oder Morgenröthe, welche alle Tag' die schöne Sonn' gebähret, entgegen wieder von dieser ihrer Geburt den Untergang leiden muß, welches der Poet besser vor Augen stellt mit der Beischrift, dum pario pereo: was ich geboren, macht mich verloren. Freilich wohl seynd bei vielen Eltern ein schweres Gewicht ihre eigenen Frücht'; manchen Vater und Mutter thut das Kind verzehren, [265] welches sie thun nähren; eine manche Mutter was sie getragen thut's nachmals schlagen, ja oft wiederholt eine solche mit tiefen Herzens-Seufzern: was ich geboren, macht mich verloren. Aber wie erschrecklich vor den göttlichen Augen solches seye, erhellet aus folgender Geschicht', welche sich Anno 1550 zu Königsberg in Preußen zngetragen mit einem jungen Schlosser-Gesellen, welcher daselbst allem leichtfertigen Leben ergenben, die Zeit nur mit Schlemmen und Demmen zugebracht, und weilen ihm hierzu die Eltern nit allemal die Geldmittel nach Begehren wollten beistrecken, also hat dieser gottvergessene Bub' Vater und Mutter mit einem Mörserstößel jämmerlich ermordet. Nach vollbrachter Unthat gehet dieser den geraden Weg zu einem Schuster, kauft daselbst ein neues Paar Schuh, und läßt die alten zerrissenen sohlenlosen allda, welche der Lehrjung unter die Bank geworfen. Es verstreicht kaum eine oder die andere Stund, da bringt dieser gottlose Bösewicht ein Geschrei auf, daß er seine beide Eltern todt gefunden, rauft sich selbst die Haar' aus, zerkratzt sich das ganze Angesicht, heult und weint mit solchem Ungestümm, daß keinem der mindiste Argwohn eingefallen, ob soll er der Thäter seyn. – Aber denen Augen Gottes kann nichts verborgen seyn, welcher dann auch dergleichen Missethaten nit ungerochen auf der Welt lässet. Es geschieht, daß der Schuster ungefähr wahrnimmt, wasgestalten die alten Schuh' dieses Schlosser-Gesellen unter der Bank in etwas mit Blut bespritzt waren, worüber er gleich einen seltsamen Gedanken geschöpft, welcher Argwohn vermehrt hat, weilen er bei gedachtem jungen Schlosser[266] dießmal mehr Geld als sonsten gesehen. Dieß alles hat er dem Magistrat umständig angezeigt, und dieser nach weiterer Nachfrag' bald die ganze Begebenheit vermöge eigener Bekenntnuß in Erfahrenheit gebracht und nachgehends solches Lasterkind mit erschrecklichem Tod' hinrichten lassen. Das mehrste aber ist allhier zu verwundern, daß der Mörserstößel, mit welchem dieses gottlose Kind seine Eltern ermordet hat, in dem Rath-Haus an die Wand aufgehenket worden zu einer ewigen Gedächtnuß, und solle dieser noch auf heutigen Tag stets zittern. Wodurch der allmächtige Gott die Abscheulichkeit und Grausamkeit dieses Eltern-Mord's ungezweifelt will andeuten.

Aber, meine Eltern, was verursacht solche ungerathene Kinder anders, als eure sorglose Obsicht in dem Auferziehen, euer gar zu großes Nachsehen in Abstrafung, Fahrlosigkeit in Unterrichtung derselben? Deßwegen die meisten Sünden der Kinder werden in euer Protokoll eingetragen.

Wann die Tochter eine Helena und zugleich eine Lena, wenn sie zwar eng eingeschnürt, aber ein weites Gewissen hat, wer ist daran Ursach? Die Eltern. Wann der Sohn stets Pflaster und Laster betritt, wann er einen schlimmen Vokativum abgibt in Genitivo, wer ist daran[267] schuldig? Die Eltern. Wann die Tochter lieber mit Löfflen als Koch-Löfflen umgeht, wann sie mehr denkt auf das Nachtkiss' als auf das Nähkiss, wann sie lieber mit Buhlen als Spulen die Zeit vertreibt, wer ist daran schuldig? Die Eltern. Wann der Sohn einen Treiber abgibt – will nit sagen einen Ochsentreiber, Sautreiber, sondern einen andern, wann er einen Jäger abgibt und mehr Dienl als Deul ins Netz bringt, wer ist daran schuldig? Die Eltern. Wann die Tochter schow einer alten Kupplerinn den Topf und Kropf anfüllt, und solche sich nachmals für einen Postillion nach Manuheim brauchen läßt, wer ist daran schuldig? Die Eltern. Wann der Sohn sich nicht adelich, sondern adlerisch hält und fliegt gern zu der guldenen Sonne, allwo er wegen der Kreide ziemlich schwarz stehet, deßwegen in dem Vater unser unter dem Vergib uns heut' unsere Schulden! auch den Wirth verstehet; wer ist daran schuldig? Die Eltern. Wann die Tochter hübsch liederlich um den Hals ist und also zudeckt, wie die Fleischbank an der Faßnacht, und kann man auf dem Hals lesen, was im Herzen geschrieben; wer ist daran schuldig? Die Eltern. Wann der Sohn genaturt ist wie der vermaledeite Feigenbaum, und hat nur Blätter und[268] keine Frucht, verstehe Karten-Blätter – wo ja eine schlechte Frucht – wann er mit dem verlornen Sohn die Säu' hütet, Eichel-Sau, Schellen-Sau, Herz-Sau etc. wer ist daran schuldig? Die Eltern. Wann die Tochter immerzu mit der stolzen Jezabel nach Hoffart trachtet, wann sie fast alle Wochen will haben andere Kleider, wo das Echo sagt: leider! wer ist daran schuldig? Die Eltern. Wann der Sohn einen guten Stilum hat, absonderlich in des Vaters Hosensack, und fischt schon aus trucknem Land, daß er also in guter Hoffnung stehet, er möchte einmal Strickto modo gehenkt werden, wer ist daran schuldig? Die Eltern. Wann die Tochter lieber die Harfen Davids hört, als seine Psalmen, wann sie hübsche Liedl singt vom Rettig und Ruben, Mädl und Buben, etc. wer ist daran schuldig als die Eltern? Wann der Sohn fleißig ist im Studiren und kann besser argumentiren in formosâ als in formâ, wer ist[269] daran schuldig als die Eltern? Wann die Tochter gern auf Danzig reist und zu Nacht bei Leipzig bleibt, wer ist daran schuldig als die Eltern? Wann endlich der Sohn zum Teufel fährt und die Tochter in die Höll' kommt, wer ist daran schuldig? Ach! ach! mehrestentheil die Eltern.

Ihr Eltern thut zu viel und thut zu wenig: Ihr thut zu wenig strafen, ihr thut zu viel lieben eure Kinder. Ihr habt Zweifels ohne öfters vernommen aus der hl. Schrift, wie einst die Bäume seynd zusammen kommen und auf ihrem hölzernen Reichstag einen König erwählt. Die mehresten Stimmen seynd gefallen auf den Oelbaum, auf den Feigenbaum, auf den Weinstock, etc. vom Birkenbaum geschieht keine einige Meldung. Meines Theils, wann ich wäre gegenwärtig gewesen und als ein Mitglied auch eine freie Wahl hätte gehabt, so hätte ich unfehlbar den Birkenbaum zum Könige erkiesen, denn niemand glaubt's, wie ruhmwürdig dieser regieret, absonderlich in der Kinderzucht. Alle heiligen Engel gefallen mir wohl, einen ausgenommen: der Kostherr des Daniel war ein Engel, der gefällt mir wohl, der Arzt des Tobiä war ein Engel, der gefällt mir wohl, der Abgesandte der Mutter Gottes war ein Engel, der gefällt mir wohl, des Loths sein Salvo-Condukt, war ein Engel, der gefällt mir wohl, die Schildwache vor dem Paradeis ist ein Engel, der gefällt mir wohl, etc. aber einer will mir schier nit gefallen, derjenige, welcher dem gehorsamen Patriarchen Abraham in den Säbel[270] gefallen und aufgeschrien: »Non extendes manum tuam super puerum:« »Strecke deine Hand nit aus über den Knaben und thue ihm nichts!« Ich weiß gar wohl, daß solches der Befehl des Allerhöchsten war und dessenthalben hierinnfalls keines Fehlers zu beschuldigen. Wann ein Vater eine Mutter mit der Ruthe wird einen Streich führen über den Knaben, bin versichert, daß ihm kein Engel den Streich wird aufhalten, wie dem Abraham, ja die Engel werden ihn noch anfrischen mit ernstlichen Worten: »Extende manum tuam super puerum! strecke deine Hand aus über den Knaben!«

Ich schneid', ich schneid', ich schneid' – was aber? ich schneid' ab – was? die Nasen? Nein, nein! Constantinus Pogonatus hat beeden seinen Brüdern Heraclio und Tiberio die Nasen abgeschnitten, damit sie nur nicht zur Kron und Regierung gelangen möchten. Das ist crudel und tyrannisch, das thue ich nit. Ich schneid', ich schneid', ich schneid' – was aber? ich schneid ab – was? die Ohren? Nein, nein! Petrus hat dem Bösewicht Malcho das Ohr abgehaut, welchen schmerzlichen Schaden der gebenedeite Jesus wieder geheilt hat. Das thue ich nicht. Ich schneid', ich schneid', ich schneid' – aber was? ich schneide ab – was? die Zungen? Nein, nein! Den streitbaren Blutzeugen Christi Hilario und Florentio seynd die Zungen ausgeschnitten worden, nichts destoweniger haben sie gleichwohl geredet[271] und Jesum Christum gebenedeiet. Das thue ich nicht. Ich schneid', ich schneid', ich schneid' – aber was? ich schneide ab – was? Ich schneide allen Eltern die Finger ab. Adonibezec, ein stolzer und tyrannischer König, hat 70 andern gefangenen Königen die Finger abgeschnitten, das war erschrecklich. Diesem folge ich nach und möchte gern denen mehresten Eltern die Finger abschneiden, damit sie nit mehr so stark ihren Kindern durch die Finger sehen, sondern dieselbigen von Jugend auf strafen! So lang Moses die Ruthen in Händen gehabt, ist sie eine schöne Ruthe verblieben, so bald er's aber aus der Hand fallen lassen, »versa est in colubrum: da ist gleich eine Schlange daraus worden.« Also auch meine liebste Eltern, so lang ihr die Ruthe in Händen habt und eine gute scharfe Zucht führet unter denen Kindern, so bleibt alles gut; wann ihr aber die Ruthe fallen lasset, so wird gleichförmig eine Schlang' daraus! Ich will sagen: es ist lauter schädliches Gift den Kindern, so man die Ruthe nicht in die Händ' nimmt.

Die Erde bringt keine Frucht, sondern Disteln, wann man sie mit scharfen Pflugeisen durchgrabt: die Jugend thut kein gut, wann man sie nit scharf hält. Das Eisen, so erst aus dem knoperten Bergwerk gebrochen, ist nichts guts, es komme denn der harte Hammerstreich darauf: die Jugend bleibt nichts nutz, so man der Streiche verschonet. Der Weinstock wird nit tragen, sondern verfaulen, so nit ein Stecken dabei stehet; die Jugend wird nit fleißig seyn, sondern faul, wann nie die Ruthe darneben steckt. Die Musik wird auf Katzen: Art ungereimt verbleiben, wann der[272] Takt-Streich des Kapellmeisters abgehet; die Jugend wird sich mehrist ungereimt verhalten, wann der Takt der Eltern oder des Präceptors mangelt. Die Leinwand des Mahlers wird kein schönes Bildnuß vorstellen, wann er den Streich-Pinsel nit an die Hand nimmt: die Jugend wird denen Eltern keine Zierde bringen, wann sie nicht wohl mit dem birkenen Streich-Pinsel auf die Leib-Farb anhalten.

Wie nennt Clemens Alexandrinus die Kinder? Er nennt sie Flores matrimonii, Blumen des Ehestands. Gut, gut, die Blumen müssen umzäunt seyn mit Ruthen und Stecken, sonst kommt eine jede Sau darüber. – Wie nennt der hl. Vater Augustinus die Kinder? Er nennt sie Naviculas fluctuantes, kleine wankende Schifflein. Gut, gut, zu diesem Schifflein muß man Ruder brauchen, die der Besenbinder feil hat. – Wie nennt der heil. Gregorius Nazianz die Kinder? Oculos suorum parentum, Aug-Aepfel ihrer Eltern. Gut, gut, aber denen Aug-Aepfeln hat die Natur Augenbraunen gesetzt, welche wie die Ruthen gestalt seyn. – Wann man aber die Ruthen spart, so kommt Schand' und Schad' über die Kinder. Nero wäre kein solcher Bösewicht worden, wann ihn seine Mutter Agrippina hätte schärfer gehalten. Jener Sohn hätte bei dem Galgen der Mutter das Ohr nicht abgebissen,[273] wann sie ihn hätte besser gezüchtiget in seiner Jugend. Derselbe Bub wäre wohl nit schlimm worden, welchen der Beichtvater befraget, ob er das Vater unser könne, der antwort mit nein, worauf der Pater widersetzt: Ey das ist nichts nutz. Eben darum, sagt der schlimme Schelm, Hab' ich es nicht gelernet. Dieser wäre bei weitem nit so bös worden, wann seine Eltern öfters hätten die Ruthen gebraucht. Ein anderer ist drei Jahr in einer Schul' wegen seiner Faulheit und Unfleiß sitzen blieben, welches ihm der Vater hart verwiesen. Dem aber der Sohn zugeredet: mein Vater, verwundert euch doch nicht so sehr über dieß, ist doch mein Professor schon das vierte Jahr' in dieser Schul. Dieser Maus-König wäre nicht so träg' und faul gewesen, dafern er in der Jugend die Ruthe mehr gekostet hätte.

In einer gewissen Stadt Deutschlands hatte eine Mutter einen einigen Sohn, dem sie aber allzuviel geheuchlet und von Kindheit auf mit ihm als mit einem zarten Biscotten-Teig umgangen. Er war ihr ein einiges Herzl, Scherzl, er hatte im achten Jahr noch keine Ruthe gesehen, und als man ihm solche zeigt, wußte er gar nicht, was dieses für ein Meer-Wunder seye. Er schauete sie an nicht anders, als eine Kuh ein neues Stadel-Thor, und weilen er dazumal schon unter der Sorg' des Präceptors war, also hat solcher Pflicht halber einen Ernst und keinen Clement abgeben; dann[274] er vermerkte in diesem Knaben die Natur der Brennessel: wann man solche glimpflich tractirt, so brennen sie, da man's aber stark und hart reibet, so schaden sie nichts. Nahm also der gute Präceptor stets die Ruthe in die Hand und gedachte: wo solcher Zeiger sey, könne die Uhr nicht unrecht gehen. Aber die Mutter wollte solches auf keine Weis' zulassen, massen ein jeder Streich, den der Präceptor versetzte diesem Zucker-Affen, war ein Echo oder Wiederhall in dem mütterlichen Herzen, also zwar, daß sie ihn nur den groben Drescher nennte, der kein anderes Gewerb verstehe, als dreschen, dreschen. Einst mußte er Noth halber den hölzernen Cometstern in die Hand nehmen, und weilen etwann aus Einrathung der böse Bub ein großes Geschrei verbracht, also ist die Mutter ganz eilends zugeloffen, den Präceptor mit feimendem Maul wie ein Wiesel angeblasen: huy Drescher! wie gibt's Dreschen aus? Worauf der Präceptor geantwortet: Frau gar schlecht, lauter Stroh, lauter Stroh, kein Treib auf mein' Eid! Und war dem also; dann der Knab' ein lauter Strohkopf verblieben. Und weilen nachmals dem Präceptor die Ruthe gänzlich verboten worden, also ist dieser saubere Gesell ohne Wissen und Gewissen aufgewachsen. Nach der Mutter Tod hat er das Seinige fein förderlich durchgejaget vivendo luxuriosè, mit lustigen, listigen, lästerlichen Leuten umgangen. Das war bei ihm eine alte Mette, aber solche verursachte ein geschwindes[275] Complet seiner Geldmittel. Nachdem ihm nun der Feierabend in den Beutel kommen, hat er sich mit dem verlornen Sohn entschlossen zum Pater zu gehen: Ibo ad Patrem. Hält demnach an bei einem gewissen Pater Superior um den klösterlichen Habit. Den Orden will ich dießfalls verschweigen, woselbst er auf- und angenommen worden. In dem Orden hielt er sich wie die Statua des Königs Nabuchodonosoris, welche ein guldenes Haupt, eine silberne Brust, metallenen Leib, eiserne Schenkel und erdene Füß. Also war es anfänglich gut, in wenig Jahren aber merklich schlechter, zuletzt gar irdisch: Indem er das gut Leben von Jugend auf gewohnt ware, ohne Zucht allezeit gelebet, also hat er sich in dieses harte Leben, wie der David in den harten Panzer und Harnisch nicht schicken können, dessentwegen den Orden spöttlich verlassen, den evangelischen Glauben angenommen, und in einem schlechten Dorf einen Schulmeister abgeben. Weilen ihn aber die Armuth gar zu stark drückte und drängte, also hat er in fremde Sachen die Händ' gestreckt, bis er selbsten nachgehends von dem Henker gestreckt worden, und dazumal erst Ihr Streng zu seyn angefangen, als er sein Leben mit dem Strang geendet. O elender Untergang! Wäre dieser von Jugend auf mit dem Birkenbaum besser bekannt gewesen, so wäre er nicht also mit dem Eichbaum in eine spöttliche Freundschaft gerathen; hätte ihm die Mutter nicht gar zu viel nachgesehen,[276] so wäre er nachmalens auf dem Galgen nit worden also hoch gesehen; hätten ihm die Eltern zu Zeiten eine gute Ruthe bunden, so hätt' ihn mit der Zeit der Henker nit also gebunden. O wie unbedachtsam handelt ihr, wann ihr denen Lehrmeistern so schimpflich nachredet, als brauchen sie in der Schulkur das Birkenwasser zu sehr und verfahren gar zu streng mit euren Kindern! Aber glaubt mir darum: ein mancher Schilling ist mehr werth, als acht halbe Kreuzer, und wann ihr Eltern wollt einmal einen Schatz finden bei euren Kindern, so lasset seinem Zuchtmeister die Wünschruthe brauchen! Etliche Eltern seynd heiklicher mit ihren Kindern, als die Venetianer mit ihrem Arsenal.

Nehmt eine Lehr' nicht von mir, sondern von Jesu Christo selbsten. Wie dieser gebenedeite Heiland bereits auf dem hohen Berg Calvariä mit seinem, meinem und deinem gestiegen, das ist mit seinem Kreuz', mit meinen und deinen Sünden, welche er auf dem Rücken[277] getragen, so folgte ihm eine große Menge der Edelfrauen, Bürgers-Weiber nach, welche alle aus Weichherzigkeit und Mitleiden über den bedrängten Christum bitterlich weinten, welches dann eine lobwürdigste Sach war, Jesu von Nazareth schmerzliche Passion zu beweinen. Ungeacht' dieses wandte der Herr und Heiland sein blutiges Angesicht gegen sie. »Nolite flere super me, sed semper vos et super filios vestros! meine Weiber von Jerusalem, weinet nicht über mich, sondern viel mehr über euch und eure Kinder!« Die Ursach' dessen gibt der hl. Anselmus. Wie daß dieser Weiber ihre Kinder neben Christo dem Herrn geloffen, ihn höhnisch ausgespöttelt, ja mit Steinen und Kothbatzen auf ihn geworfen und allerlei Muthwillen und Bubenstück verübet; also wollte der Herr Jesus diesen Müttern zu verstehen geben, daß es nit genug sey, wenn sie fromm und andächtig seynd, sondern sie sollen auch ihre Kinder besser auferziehen und in gebührender Zucht halten!

O wie mancher Mutter wird es widerfahren, was der Agar mit ihrem Sohn Ismael geschehen! Dieser schlimme Bub beging allerlei Muthwillen, und war fast kein Bubenstück, welches dieser ungerathene Fratz nicht getrieben. Wessentwegen er aus dem Haus' des Abrahams verjagt worden; und nit allein er; sondern auch seiner Mutter hat man den Strohsack vor die Thür geworfen, zu einer Straf', ob sie schon für sich selbst ein gutes Weibsbild war, um weilen sie ihr Kind den Ismael nicht besser erzogen, sondern ihm gar zu viel[278] durch die Finger gesehen. Also wird manche Mutter auch aus dem Haus' Gottes und herrlichen Himmels. Saal auf ewig ausgeschlossen, weilen sie ihre Kinder nit recht auferzogen. Wen soll nit erschrecken der erbärmliche Untergang des Hohenpriesters Hell, der ein Mann war von großer Vollkommenheit, auch mit sonderm Lob das Volk Gottes vierzig Jahr' regieret hat! gleichwohl hat ihn Gott mit dem jähen Tod' gestraft, und, wie Greg. Pap. Joan. Chrysost. Basil. Isidor. Beda, Philippus Hebrä. davor halten, auch sey er ewig verdammt worden, nur darum, weilen er seinen Kindern zu viel nachgesehen und dero Uebertretungen nicht gestraft.

Die Eltern thun also gar oft zu wenig strafen und gar zu viel lieben. Sie sollen dem israelitischen Führer Moses nachfolgen, der einst in der Wüste ein bitters Wasser angetroffen, welches er gleich süß gemacht, so bald er ein Holz hinein geworfen! Ob's eine Ruthe oder ein Prügel ist gewest, das weiß ich nit. In dulcedinem versae sunt. Also wann sie ein Kind vermerken, daß es wegen des Ungehorsams und anderer Mängel sie öfters erbittert, so dann sollen sie nach dem Exempel des Moses das Holz brauchen und zwar das birkene: will versichern, was vorhero übel gewest, werde gut seyn.

Zu viel, zu viel, zu viel werden die Kinder gehebt! – Wie Jerusalem vom Tito Vespasiano belagert[279] worden, war allerseits in der bedrängten Stadt großes Elend. Erstlich seynd die Hebräer mit großem Ungestümm öfters ausgefallen, die aber also von denen Römern begrüßt worden, daß der Juden in die sieben und neunzig tausend gefangen worden; und waren diese Spottvögel also spottwohlfeil, daß deren einer um einen Heller sammt dem Leihkauf verhandelt worden. Das war ein Elend! Viel tausend der Juden wollten sich mit der Flucht salviren, so aber alle von arabischen und syrischen Soldaten ertappt, welche ihnen lebendig die Bäuch' aufgeschnitten, des Glaubens, als wollen sie geschlücktes Geld finden. Das war ein Elend! Der gefangenen Hebräer seynd alle Tag gegen fünfhundert gekreuziget worden, also zwar, daß ganze Wälder zu Kreuz-Galgen ausgehauet waren und auf die letzt nie der Jud dem Galgen, sondern der Galgen dem Juden abgangen. Das war ein Elend! Wie die Stadt endlich nach vierthalb monatlicher Belagerung erobert worden, war ein solches Blutvergießen, daß, obwohl die Stadt allerseits in Flammen stunde, an vielen Orten das Feuer mit lauter Blut gelöschet worden. Das war ein Elend! In allem, schreibt Joseph, seynd in die zehnmal hundert tausend Juden zu Grund gangen. Das war ein Elend! Aber doch nit das größte – das äusserste und größte Elend, dunkt mich, sey gewesen der[280] Hunger, also zwar, daß eine adeliche Frau ihr eigenes säugendes Kind gemetzget, kocht und gessen. Ach Elend! Wir haben, Gott sey der höchste Dank, dergleichen bedrängte Zeiten noch nit erlebt! – Aber das Elend, welches ja nit klein, sehen wir täglich, daß etliche Eltern nit aus Hunger, sondern aus gar angeordneter Lieb gleichsam ihre Kinder möchten essen. Deßwegen all dero Dichten, Schlichten, Sorgen, Borgen, Laufen, Schnaufen, Schauen, Bauen, Gehen, Stehen, Schreiben, Treiben dahin zielt, daß es den Kindern wohl gehe. Aber leider denkt man nur an den Leib und nit an die Seel, man sorgt nur um das Zeitliche und nit um das Ewige der Kinder.

Bei vielen Eltern gehet der Traum aus, welchen gehabt hat des Königs Pharaonis sein Mundbäck oder oberster Pfisterer. Diesem hat geträumt, als trage er drei Mehlkörb' auf dem Kopf; in dem obersten aber trüge er lauter Semmeln und Kipfeln, die Vögel aber fraßen es. Die zwei Körb' waren fleißig zugedeckt, worinnen nit viel besonders, vielleicht nur Gesindel-Brod; aber der alleroberste, in welchem des Königs Mund-Semmel, war offen den Vögeln zu einem Raub. So und nit anders pflegen viel Eltern zu hausen: sie schauen auf alle Weg' und Steg', wie sie den Leib der Kinder, so ja nur ein schwarzes und speres Haus-Brod, versorgen, schützen, verwahren, bedecken, zieren und aufbringen; aber die Seel, welche der oberste Theil, worin, woran das mehreste liegt, lassen sie unbewahret offen stehen den höllischen Raben zu einem Raub.[281]

Wann die Eltern ein Kind haben, welches einen Buckel hat so groß wie ein Scheerhaufen im Majo, wie schämen sie sich so sehr? oder wanns in den Augen schielet, daß es zwei Bücher auf einmal lesen kann und mit einem Aug' in die Höhe, mit dem andern in die Niedere schaut, wie eine Haus-Gans! Wie verdrüßt es so stark, wann's auf einer Seite hinkt wie ein Hund, den die Köchinn mit dem Nudelwalker bewillkommet! Wie schmerzt nit solches die Eltern, wann's im Gesicht ein ungeformtes Muttermahl hat, etwann auf der Nase eine Kirsche, daß der Stängel ins Maul hängt! Was gäben die Eltern nit darum, daß ein Kernbeiß solches Obst verzehrte! Der geringste Leibstadel ist denen Eltern verdrießlich, und sucht man Augen-Arzt, Zähn-Arzt, Ohren-Arzt, Nasen-Arzt, Maul-Arzt, Kinder-Arzt und Aerztinn: in allen Orten und Porten, solches Uebel zu wenden. Aber wann die Seel' ist wie eine Wüste, wo nit Pachomius, sondern ein Bauchomius wohnt; wann die Seel' ist wie ein Tempel, wo nit ein heiliger Venantius, sondern eine heillose Venus verehret wird; wann die Seel' ist ein Garten, worinnen nit Nüsse, sondern Aergernuß, nit ein riechender Salvi, sondern eine stinkende salva venia wachset; wann die Seel' eine Gasse ist, aber nicht bei den zwölf Aposteln zu[282] Wien, sondern im Sauwinkel daselbst, das achten und betrachten die Eltern nit, das schmerzt sie nit: wann ein Kind den Fuß bricht, da weinet die Mutter, da ist nässers Wetter als im November; wanns aber Gott beleidigt, da ist trocknes Wetter, wie im Heumonat. Das kommt mir just vor, als wann einer Achtung gäbe auf den Schuh und fragt nichts um den Fuß; das heißt die Nußschalen aufgehebt und den Kern hinter die Thür' geworfen, das heißt die Dukaten ausschütten und die Saublätter aufbehalten, das heißt den Degen verrosten lassen und die Scheid vergolden, das heißt die Gans vor den Hund werfen und den Flederwisch auf den Tisch legen, das heißt dem Esan ein Bußl geben und dem Jakob die Feigen zeigen. O bethörte Eltern! ihr seyd nit werth, daß ihr Eltern sollt genennt werden, wann ihr nit seyd, wie Abraham und Isaak. Abraham ist in größten Gnaden bei Gott gewest, Gott hat seinen Samen, Stamm und Namen vermehret, wie die Stern' des Himmels und den Sand am Ufer des Meers, er hat ihn gemacht zu einem Patriarchen der Patriarchen. Warum? Darum, merks Vater, gib Achtung Mutter, hört ihr Eltern! Darum, »quia non pepercisti unigenito filio tuo, weilen nemlich Abraham seinen einigen Sohn nit verschont.« Also meine Eltern, verschont auch eure Kinder nit! Ihr sollt seyn wie der Isaak. Als solcher alte Tättel schon gegen den Abend seines Lebens gangen, hat er[283] seinem Sohn dem Jakob den väterlichen Segen ertheilt, aber den Himmel vor der Erde gesetzet: »De rore Coeli, de pinguedine terrae; Gott gebe dir von dem Thau des Himmels und von der Fettigkeit der Erde!« Also sorgt auch vor allen, wie ihr denen Kindern den Himmel zuwegen bringet, welches geschieht durch gottesfürchtige Auferziehung! nachmals kümmert euch erst um das Zeitliche und Irdische, so ihr ihnen wollt verlassen!

Quelle:
Abraham a Sancta Clara: Judas der Erzschelm für ehrliche Leutߣ. Sämmtliche Werke, Passau 1834–1836, Band 1, S. 234-284.
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