Judas, der gottlose Gesell, verehrt das Alter nicht.

[334] Sobald der gebenedeite Heiland von dem begierigen hebräischen Lotters-Gesind und Henkers-Knechten gefangen und an Ketten und Strick gefeßlet worden so hat man ihn den geraden Weg zu dem Annas geschleppt, als dem ältesten Hohenpriester, so bereits ganz schneeweiß auf dem Kopf war. Dem Iscarioth war solches gar nicht recht, sondern sein völliger Anschlag und gänzlicher Antrieb ist gewesen, daß man Jesum gleich zu dem Kaiphas soll führen, weil solcher dasselbige Jahr das Oberhaupt der Priesterschaft war: der alte Geck, der Annas, habe hierinfalls keine Vollmacht, ja er liege bereits im Pflaumen- und Feder-Bett, und werden sie bei dem alten Schaafkopf zu finsterer Nachtzeit eine langsame Audienz gewinnen etc.

Es ließ aber der Kaiphas, obschon der Höchste in dem Klero, durch die Seinigen andeuten, daß man auf keine Weis den alten Herrn soll präteriren; dann er nannte den Annas nur seinen Herrn Vater, und thäte gänzlich nichts ohne seine Meinung und Rathschlag: und wann endlich der Seligmacher wär den geraden Weg zu der Behausung des Kaiphä gezogen worden, so hätte der Iscarioth daselbst den Peter angetroffen, dem er vorhin nicht günstig gewest, und folgsam denselben ebenfalls verrathen, auch in allweg[335] gesucht, wie er den Alten zugleich in die Gefängnuß konnte bringen, und aus dem Weg räumen. O iscariothische Bestia! so bist du dem Alter so abhold, willst du nit alt werden, laß dich jung erhenken.

Das Alter soll man verehren, weil solches unser lieber Herr selbst verehrt hat. Zu Jerusalem war ein alter und lieber Tättl, mit Namen Simeon, von hundert und zwölf Jahren, ein Priester, ein Doktor und Ausleger der hl. Schrift, dieser wollte einmal seinen Scholaren und Zuhörern den Text des Propheten Isaia erklären: Virgo concipiet et patriet etc.

Es wird eine Jungfrau empfangen und gebären etc., gedachte sich aber, daß über eine solche unmögliche Sache seine Scholarchen würden ein Skrupel nehmen, ist derentwegen da, und löscht das Wort Virgo oder Jungfrau aus, und setzt anstatt dessen Puella, eine junge Tochter; weil er aber vermerkt, daß augenblicklich seine Schrift verschwunden, und das Wort Jungfrau wiederum vorhanden, also hat er das anderte, sogar auch drittemal dieses Wort ausgelöscht, und dafür Puella oder junge Tochter gesetzt; aber allezeit nicht ohne höchste Verwunderung erfahren, daß seine Schrift nichts golten, sondern der vorige Text beständig verblieben, wessenthalben er sich zu Gott dem Allmächtigen gewendet, und hierinfalls einige Erleuchtung demüthigst gesucht.

Worauf ihm Gott der Herr geoffenbaret, daß er noch vor seinem Tod werde sehen dieselbige Jungfrau, welche ohne Verletzung der Jungfrauschaft werde einen Sohn gebären, und zwar den rechten Messiam[336] und Heiland der Welt. Wie nun die seligste Jungfrau Maria ihren gebenedeiten Jesulum im Tempel aufgeopfert, da ist der alte Simeon samt der Anna Phanuelis, so bereits im 84. Jahr gewest, und den Tempel nimmermehr verlassen, alsbald auf die Kniee niedergefallen, das göttliche Kind angebetet, und selbiges mit Trost auf seine Arm genommen, und ihm tausend herzige Seufzer und Lieb-Aeugel geschenkt.

Allhier ereignet sich die einige Frag, weil der alte Simeon und die alte Mutter Anna so heilig und gerecht vor den Augen Gottes gewesen, warum daß der Allmächtige, sie nit auch gen Bethlehem zu dem Krippel, gleich denen Hirten und drei weisen Königen, gezogen, damit sie dem neugebornen König und Messiä auch hätten können die schuldigste Visita geben? Haimon und Damianus antworten, daß, weil diese beeden so liebe alte und betagte Leut gewesen, so habe Gott sie nit plagen wollen mit der Reise von Jerusalem nach Bethlehem (die Hirten seynd starke Gesellen gewesen, die König seynd auf Kameelen geritten), sondern Gott habe selbst, dem lieben Alter zu Ehren, zu ihnen wollen kommen, uns gesamten Adamskindern zu einer sondern Lehre, so wir das Alter sollen verehren, und mit demselben ein Mitleiden tragen.

Das Ort, allwo unser Herr 40 Tag und Nächt gefastet, fünf Meilen von Jerusalem entlegen, ist eine erschreckliche und unbewohnliche Wüste, allwo nichts als die dürren Felsen, er war allein der Brunn des Lebens; nichts als Hecken und Dörner, er allein die Rose; nichts als Bären und Wölf, er allein das wahre[337] Lamm Gottes. Alldorten ist der leidige Satan, so nichts als das Gute haßt, und forderist das Fasten, zu ihm getreten, und ihn versucht, aber in was Gestalt? etwan wie ein Holzhacker in einem rupfenen Kleid und paar schmutzigen Stieflen, mit einem Hut, der die Flügel hängt wie ein abgestochenes Schwalmnest, oder aber ist er erschienen wie ein Edelmann in einem französischen Kleid mit einer langen gekrausten, geschneckleten Baroque, so dergestalten eingepulvert, daß man ihm sagen konnte: Memento Homo, gedenk, o Mensch! daß du Staub und Asche bist, und daß dein Kopf zu einem Narren wird etc., oder etwan ist der Vater aufgezogen wie ein Jäger mit einem grünen Kleid, mit einem Jägerhorn auf der Seite, mit einer gefältleten Waidmannstasche, mit einer Flinte auf der Achsel, und mit tausend Ackerment im Maul, nichts dergleichen, gar nichts dergleichen, sondern Lyranus spricht, der Teufel sey erschienen wie ein eisgrauer Mann, wie ein schneeweißer Tättl, mit einem langen rauhen Rock bis auf die Erde, und in Gestalt eines lieben alten Einsiedlers und Eremiten etc. Soll aber dieses dem Alter eine Ehr seyn, daß der böse Feind dero Gestalten angenommen? was dann, er gedachte, ich muß eine Gestalt an mich nehmen, daß er Ursache habe mich anzubeten; ich aber kann keine bessere Gestalt an mich nehmen, als die eines alten Manns; denn das Alter wird er verehren, dem Alter wird er glauben, die weißen Haar wird er in allweg respektiren etc. Er ist ein bescheider, frommer und gottesfürchtiger Mann (dann der böse Feind glaubte nicht, daß Christus zugleich Gott sey), also wird er[338] mich verehren. Gewiß ist es, daß, wann es nicht der vermäscherte Satan wäre gewesen, sondern ein anderer guter alter Tättl und erlebter Mensch, so hätte ihm der liebste Heiland eine Ehr angethan, ihn lassen niedersitzen, ihn, so es etwan vonnöthen gewesen, durch Engel oder auf eine andere Weis, lassen speisen und bedienen, massen er das Gebot geben: Du sollest vor einem weißen Haupt aufstehen, und verehren die Person eines Alten: Coram cano Capite consurge, et honora Personam Senis etc.

Wie Christus der Herr durch den freiwilligen Tod wollte von der Welt scheiden, da hat er anstatt seiner göttlichen Person beschlossen, einen Vikari auf Erden zu setzen, dem er konnte geben die höchste Vollmacht zu binden und zu lösen: aber wer soll dieser seyn? Zweifelsohne Joannes? ja wohl nit, ob er schon ein Augapfel war des Herrn, ob er schon bei dem letzten Abendmahl auf seiner Brust gelegen, ob er schon eine reine Jungfrau etc., so ist ihm doch der Peter vorgezogen worden. Joannes, ein reiner junger Gesell, Petrus aber verheirath, Joannes ein verständiger Jünger des Herrn, Petrus aber meineidig, den Gockel-Hahn um Bericht, Joannes hat den Namen des liebsten Herrn, Petrus ist gar ein Teufel titulirt worden, und dannoch ist Petrus Pabst worden, Joannes aber nicht, und war keine andere Ursache als diese: Weil Christus der Welt gleichsam kein Aergernuß wollte geben, und den Jungen einem Aeltern vorziehen, er wollt der ganzen Welt zeigen, wie man die alten Leut soll verehren: Detulit igitur aetati[339] non meritis, nec praetulit conjugatum Virgini; sed provectiorem Juveni.

Sobald Gottes Sohn durch Ueberschattung des heil. Geists zu Nazareth in die reinste Schooß Mariä, der Jungfrau, gestiegen und daselbst die Menschheit angenommen, welches geschehen ist den 25. Martii an einem Freitag, hat sich erstgedachte seligste Jungfrau, gleich darauf, benanntlich den 1. April, auf die Reis' über das Gebirg, und in 4 Tagen nach Hebron gelangt in das Haus Zachariä, daselbst ihre liebste Maim oder Baas Elisabeth heimgesucht, und in die zehn Wochen gedienet, als die dazumal mit Joanne im sechsten Monate schwanger ging, und dieses nur darum, weil sie gewußt, daß Elisabeth schon sehr alt und betagt wäre, also ist, Maria nämlich, die noch nit 15 Jahre hatte, kommen, das Alter zu verehren, und das Alter zu bedienen.

Wann dann nun Gott und Gottes Mutter das Alter verehren, die grauen Haar beobachten, die lang erlebten Tag respektiren, so soll sich ja billig schämen ein mancher kleiner Witzbeutel; billig soll sich schämen ein mancher junger Spitzbub, so mit der Nase noch die Aermel anspieglen; billig soll sich schämen ein unzeitiger Maulaff, dem noch das Bürschen-Intresse in der Haut steckt, daß er dem Alter so schlechte und seltene Ehr anthut, demselben auch gar nicht den Hut rucket, ja wo öfter dasselbe noch auszuhöhnen und zu schimpfen pflegt. Schäm dich du undankbares Kind; der du die gottlose Klag führest, als gehe dir dein alter Vater im Weg um, schäm dich du junger Grindschüppel, der du saure Gesichter machest gegen die[340] alte Schwiegermutter, und ihr alle Stund die letzte wünschest, auch wohl mit altem Hexentitel und Gabel-Prädikat entunehrest etc.

O! wie vielen Alten begegnet dasjenige, was dem Poeten Aeschylo widerfahren. Der Adler naschet über alle Massen gern die Schildkroten; weil ihm aber solche zum Aufbeissen gar zu hart, also ergreifet er diesen Fund. Er führt dieselbige mit seinen Klauen in alle Höhe, und stürzet sie nachgehends auf einen harten Felsen herunter, worvon sie zerschmettern, und folgsam dem Krotenfresser zu Theil werden. Obgedachter Aeschylus suchte einsmals eine wenige Ruhe in dem Gras, worinnen er seinen abgematten Leib niedergelegt; weil aber gleich dazumal ein Adler mit solchem Raub in der Höhe schwebte, und auf den alten Glatzkopf, der Meinung, es seye ein Stein, die Schildkrot herabgeworfen, also hat er hiervon müssen sterben, und elendiglich das Leben lassen. O wie oft wird ein Alter von einer Krot umgebracht!

Ein alter Vater übergibt zuweilen dem Sohn die ganze Habschaft und Wirthschaft; dieser heirath ein junges Mägdl, die noch nicht weiß den Unterschied zwischen einer Brühe und Suppe, die nichts kann als einen Spitz klecklen, so mehr gleich einem Fischernetz; die einen Faden spinnet, den eine starke Spicknadel kaum durch eine Leinwath ziehet etc. Dieser ist der alte Rotzer (so ist ihr Sprichwort) gänzlich zuwider, den grüßet sie wie ein Spanien den Franzosen, den tractirt sie wie ein Kettenhund einen Bettler, dem wünscht sie, was ein Jud der Speckschwarte etc. Solches[341] nimmt sich mehrmal der gute Tättl zu Herzen, entrüstet sich dessenthalben im Gemüth, daß er hierüber erkranket und stirbt. Wer hat ihn umgebracht? wer? eine Schildkrot, oder besser geredt eine Scheltkrot, diese junge Krot, diese nichtsnutzige Krot, diese neidische und unverschamte Krot, die nit weiß, noch will das Alter verehren, die hat ihm den Rest geben, den Garaus gemacht, das Licht ausgelöscht etc. O verfluchte Krot!

Das Alter soll man verehren, weil es weit erfahrner und verständiger als die Jugend; wann ein Alter schon weiß auf dem Kopf, so mußt du wissen, daß weiß und weis' nur ein Buchstaben von einander: wann er schon dunkel in den Augen, so ist er desto mehr erleucht in dem Verstand; wann er schon keine Zähn im Maul, so ist doch keine Frag zu hart; wann er schon mit dem Kopf zittert, so ist er doch beständig in der Wissenschaft; wann er schon schwach in Füßen, so gehet er doch grad durch; wann er schon einen gebogenen Rucken, so ist er doch kein Achselträger; wann er schon einen Stecken an der Hand, so seynd doch seine Anschläg nicht hölzern; wann er schon naß unter der Nase, so sagt er doch die Wahrheit gut trocken; wann er schon voller Falten, so sagt er doch die Sach gar glatt heraus; wann er schon glatzet auf dem Kopf, so weicht er doch Verstand halber einem nit ein Haar; wann er schon wenig Kräften, so hat er doch viel Erfahrenheit; wann er schon ein lauterer Krippel, so mußt du wissen, daß bei diesem Krippel kein Ochs noch Esel, sondern die Weisheit stehe.[342]

Der apokalyptische Engel Joannes hat auf eine Zeit in dem offenen Himmel gesehen Gott sitzen auf einem hohen Thron voll mit göttlichem Glanz, um diesen stunden gleicher Weis vier und zwanzig Stühl. worauf eben so viel alte Männer gesessen, deren jeder eine guldene Kron auf dem Haupt trug etc. Die Ausleger göttlicher hl. Schrift tituliren besagte alte Männer Gott des Herrn seine Konsiliarios und Rathsherren, nit darum, als hätte der allwissende Gott ihrer vonnöthen, sondern uns zu einem Beispiel und Lehr, daß, wann wir in schweren Sachen und hohen Geschäften, sollen den guten Rath suchen bei den Alten, zumal bei denselben der Verstand und Erfahrenheit weit größer, als bei der Jugend.

Ein alter Wein ist doch gesunder als ein neuer, ein altes und dürres Holz ist doch besser, als ein neues und grünes, ein altes Silber ist doch besser als das neue, ein alter Dachziegel ist besser als ein neuer, ein alter Käs ist gesunder als ein neuer, ein altes Gemäuer hält doch stärker als ein neues, ein altes Stammhaus ist edler als ein neues, ein alter Fuhrmann wirst weniger um als ein neuer, in einer alten Kirche, bei alten Bildnussen, geschehen mehr Mirakul als bei neuen, ein alter Doktor verstehet mehr als ein neuer.

Mein, wer ist besser gewest unter den zweien, die Noe, der gerechte Vater, hat aus der Arche gejagt, damit sie ordentlich und mit Wahrheit ein Avisa sollen bringen, ob der Sündfluß bereits, im Abnehmen seye oder nicht? Diese zwei geflügelten Boten waren der Raab und Taube. Der Raab hat dießfalls sehr[343] unverständig und unbedachtsam gehandlet, weil er nicht mehr in die Arche kommen; die Taube aber war so verständig, daß sie mit einem Oelzweigel im Schnabel zurück gekehrt, und allesamt in der Arche nit ein wenig aufgemuntert und getröst. Der Raab ist ein gänzlicher Entwurf der schlüpferigen Jugend, welche meistens den leiblichen Anmuthungen, und viehischen Sinnlichkeiten den freien Paß vergönnet, und schier allemal sehr unbesonnen handlet; aber die Taube ist ein rechtes Sinnbild des Alters, weil man zu sagen pflegt, der alte Tättl ist wie eine Taube so weiß; diesem ist der Verstand weit größer und vollkommener, als bei den Jungen.

Noch hat es allemal einen schlechten und unglückseligen Ausgang genommen, wann man dem Rath der Alten nicht gefolget hat. Ein junger Fuchs hat etlichmal wahrgenommen, wie die Vögel in der Höhe hin und her fliegen, so geschwind wie der Wind, der nicht sieht, der ist blind! sagt demnach zum alten Fuchsen, Vater ich will fliegen, du junger Phantast, setzt hinwieder der Alte, was sticht dich für ein Vorwitz? Vater, ich will fliegen, wiederholt der kleine Narr; du unbesonnenes Fletschmaul, sagt mehrmal der Alte, hast du doch kaum so viele Haare am Schweif, daß du ein A B C Taferl könntest abstauben, und willst dannoch fliegen, wo die Flügel nehmen? Vater, ich will fliegen, um die Flügel lasse dir kein graues Haar wachsen; zwar du bist ohnedas schon weiß. Ist also der junge Kehrwisch da, macht sich ein paar Flügel von den Hennenfedern, deren eine Menge daselbst gelegen, steigt auf einen hohen Thurm, springt zum Fenster[344] hinaus, fliegt aber gar nicht glückselig; dann gleich dazumal ein Hechelmacher unterhalb feil gehabt, auf dessen spitzfindige Waare er mit solcher Gewalt gefallen, daß ihm allerseits das häufige Blut herunter geronnen; worauf der alte Fuchs alsobald gefragt, Bürschel, wie kommt dich das Fliegen an? Das Fliegen, war die Antwort, hat mir schon sanft gedünkt, aber das Niedersitzen hat der Teufel gesehen. Geschieht dir recht, warum willst du den Alten nicht folgen, warum verachtest du den Rath der Alten, so weit verständiger als die Jungen. Wie oft und manchesmal hat es schon mißlungen ein angefangenes Werk, wann man den Rath der Alten in Wind geschlagen? man findet dessen ein klares Beispiel in göttlicher hl. Schrift. Der König Roboam wollte seine Regierung in guten Stand bringen, versammelt derentwegen die alten Consiliarios und Rathsherrn, so noch bei seinem Herrn Vater Salomon in großem Ansehen gewesen, und trägt ihnen eines und das andere vor; weil sie ihm aber das Placebo nicht gesungen, so hat er dero weisen Rathschlag in Wind geblasen, und sich an junge Leute gehängt, die mit ihm gewachsen, dero unzeitiges Gutachten angehört und ihrem Ausspruche gefolgt. Aber mein Gott, wie schändlich steht es, wann das Ei will mehr wissen als die Henne, wann die Staude will mehr gelten als der Baum, wann das Kitzel will höher steigen als die Gais, wann der Bühel will mehr pochen als der Berg etc. Wie übel stehet es, wann die Jugend will witziger seyn als das Alter. Roboam hat sich hiedurch einen solchen Aufruhr im Reiche verursacht, daß alles Volk ihm abgefallen[345] und er in die äußerste Noth gerathen. So geht es, wann man den Alten, nicht folgt, bei denen doch eine weit größere Erfahrenheit als bei den Jungen. Joannes hat in seiner Offenbarung gesehen bei dem höchsten Thron Gottes vier Thiere, die hatten hinten und vorn sehr viele Augen. Die jungen Leute haben nur vornher Augen, sehen wohl etwas, aber nicht gar weit hinaus, die Alten aber haben auch auf dem Rücken Augen, schauen und denken zurück, was und wie es vor diesem geschehen, und in solcher Gestalt ist ihr Rathschlag und Vortrag weit fester als der Jungen.

Leonius, ein Bischof zu Antiochia, war ein abgesagter Feind der arrianischen Ketzerei; weil er nun ganz alt und schneeweiß war, und bisher mit apostolischem Eifer und unermatter Wachsamkeit besagte Kirche bestens verfochten, so hat er doch künftige Gefahren nach seinem Tod und weitaussehende Anstöße sehr weislich vorgesehen; daher die Hand ein mal auf seinen alten Kopf gelegt, und anbei sich hören lassen: »Wann dieser Schnee einmal zergehet, so wird es ein großes Koth abgeben: Hae nive liquefacta, multum erit luti,« als wollt er sprechen, wann er einmal werde die Augen zudrücken und mit Tod abgehen, da werde die Sache in schlechten Stand gerathen.

Wie oft hört man reden, wie vielfältig ist der Diskurs, seither der alte Herr gestorben, seither die alte Frau nicht mehr lebt, da gehet es sehr schlecht und unordentlich her, der Schnee ist zergangen, jetzt sieht man das Koth häufig; von der Zeit, da die Jungen beim Brei sitzen, hat sich alles verkehrt,[346] wann der alte sollte wiederum auferstehen, er thät sich fürwahr nicht mehr erkennen, es seynd halt junge Leute, die verstehen es noch nicht etc. Freilich wohl ist das Alter verständiger als die Jugend; die alte Stadt zu Prag gilt mehr als die neue. Vor diesem mußten die alten Leute die Richterstelle vertreten, und bei gemeiner Stadtpforte sitzen, über aller Sachen Beschaffenheit urtheilen, und den Schluß fällen. Ein alter Schiffmann scheitert nicht so leicht als ein junger. Jonathas hat sich berathschlaget mit den Aeltesten, wie er könne im jüdischen Lande Festungen bauen. Ein alter Bot weiß den Weg besser als ein junger. Der König Saul hat sogar den alten Samuel wieder von der andern Welt lassen zu sich citiren, damit er könnte recht der Sachen Ausgang erforschen. Der alte Kalk ist besser, und gibt mehr als der neue. Der Patriarch Abraham hat dem ältesten Diener seines Hauses Alles anvertraut. Alte Geigen haben einen bessern Klang als die neuen. Gott hat wollen, daß der junge Knabe Samuel soll lernen von dem alten Diener Heli. Der Römer Macht und allherrschende Potenz hat sich meistens gesteuert auf die alten Leute, so im Rath gesessen; daher Senator a Senio den Namen ererbt. Christus der Herr, als die ewige Weisheit selbst, hat im zwölften Jahre seines Alters sich zu Jerusalem in Tempel begeben, daselbst unter den ältesten Schriftgelehrten sich eingefunden, und mit dero höchster Verwunderung seine Weisheit spüren lassen; aber nit allein hat er gelehrt, sondern auch zugleich einige Fragen vorbracht, damit er der Jugend zeige, daß sie noch allemal von dem Alter könne etwas lernen.[347]

Die Sonne, dieses strahlende Himmelslicht, hat sich auf eine Zeit gänzlich entschlossen, zu heirathen; nachdem auch bereits das Versprechen vorbei gangen, da wurden alle gehörigen Anstalten gemacht zu einer prächtigen Hochzeit, in Ansehung, daß dieser Planet der Fürst ist aller gesamten Himmelsgestirne; daher die Ladschreiben geschickt worden an alle lebendigen Geschöpfe der Erde, zumal solche allesamt der Sonne reichen Gnaden und Freigebigkeit genießen. Wie unter andern die jungen Frösche vernommen, daß ich zu der Hochzeit und herrlichen Ehrenfest der Sonne eingeladen worden, da waren sie voller Freuden und Frohlocken, sie konnten kaum den Tag und Zeit erwarten. Allegro, sprachen sie unter einander, da werden wir lustig seyn, da werden wir ein gutes Müthel haben. Mutter, du mußt uns neue grüne Hosen machen lassen, da wollen wir tanzen, daß sie sich alle darüber verwundern werden, dann wir hupfen ohnedas gern, lustig, Allegro. O ihr Fratzen! sprach der alte Frosch, als ihre Mutter, zu ihnen, es ist wohl Schein, daß der Verstand nicht vor der Zeit komme, ihr denkt nicht so weit hinaus, was Uebel solche Heirath inskünftig nach sich ziehe; ihr sollt in dem Fall mehr weinen als lachen. Gedenkt nur, daß bisher nur Eine Sonne am Himmel gewesen, und solche manchen Sommer die Strahlen also hitzig von sich geworfen, daß die mehrsten Lacken, worin wir uns arme Frösche aufhalten, hievon ausgetrocknet. Was wird erst geschehen, wann die Sonne heirathet und folgsam durch solchen Ehestand mehrere Sonnen hervor kommen?

Es ist zwar dieses ein Poetengedicht, und will[348] sich nicht wohl schicken unter die hl. Schrift, so öfters in dieser meiner Verfassung citirt wird, allein es zeigt doch die gründliche und unverfälschte Wahrheit, gleich wie aus dem schlechten Eselskinnbacken des Samsons ein klarer Brunnenquell geflossen. So hat auch ein Rabe, sonst ein unwerther Galgenvogel, gleichwohl dem Elias ein Brod gebracht; also kann ebenfalls eine poetische Fabel eine Unterweisung leisten. Diese Fabel zeigt es sattsam, daß der Verstand selten vor der Zeit komme, und daß solcher weit reifer und ausgeschliffner sey bei dem Alter, als bei der Jugend. Gewiß ist es, daß ein alter Soldat weit erfahrner als ein junger; darum schlägt es öfters nicht gut aus, wann ein junger den Regimentsstab führt, und ein alter die Musquete trägt. Gewiß ist es, daß ein alter Rathsherr mehr versteht, als ein junger; darum steht es mehrmal nicht wohl, wann die jungen den Vorsitz gewinnen, und die alten bei der Thür sitzen. Gewiß ist es, daß ein alter Religios verständiger, als dem unlängst die Kappe an Hals gebracht worden;. daher nicht selten eine schlechte Regierung, wann ein Junger, so gleich einem neuen Weinmoost noch nicht vergährt, zum Amt erhoben wird, und der Alte auf die Seite gesetzt wird.

Gott der Allmächtige, wie er gesehen die weißen Haar auf dem Haupt Josue, hat also zu ihm gesprochen: Nunc, quia senuisti etc. weil du nunmehr alt und betagt, so theile das Land aus unter die Stämme etc. als wollt er sagen, du hast zwar das Land erobert, da du noch bei jungen Jahren gewest, anjetzo aber, weil du bereits alt worden, theile[349] das Land aus, wozu ein großer Verstand erfordert wird, welchen du vorher nicht gehabt hast. So ist demnach das Alter zu verehren, weil es eine größere Erfahrenheit hat, als die Jugend.

Es hat noch allemal der gerechte Gott den Muthwillen der jungen Leut gestraft, wenn selbige das liebe Alter entunehrt haben; wie dann solches klar zu ersehen in dem 4. Buch der Königin. Als der alte, betagte Mann Gottes Elisäus den Weg einst genommen gegen die Stadt Bethel, da seynd ihm entgegen geloffen zwei und vierzig unerzogene Buben, welche den lieben, alten Tättl auf allerlei Weis ausgehöhnet, und ausgespottet; unter andern nennten sie ihn einen Glatzkopf, Ascende Calve etc. Es wollte aber der Allerhöchste nit zulassen, daß ein liebes Alter soll beschimpft und veracht werden; dahero durch seine Verhängnuß alsobald zwei wilde Tatzbären aus dem nächst entlegnen Wald hervor gesprungen, und diese muthwilligen Spitzbuben samentlich in Stücke zerrissen. Die üppige und all zu freche Jugend ist bei diesen unsern Zeiten nit um ein Haar besser, als obgedachte böse Buben und unerzogene Raupen, zumalen alles Alter dermassen veracht wird, daß ein altes Weib fast keinen andern. Titel höret, als du alte Hex, du altes Rabenvieh, du alte Gablfahrerin, du alter Kehrwisch, du alte Rungunggel, du alte Fechhauben, du alte Zebethkatz, du alte Däntlerbutten, du altes Raffelscheid, du alter Stiefelbalk, du alter Doppelhacken, du alter Schimmel, du alte Zahnlücke, du alte Husten, du alte Unhold, du alte Wettermacherin, du alte Falten-Krämerin, etc. ich glaub wohl, daß die Juden, als ungebärtige[350] Lottersgesellen, dergleichen Wort haben gebraucht, oder wenigst gedenkt, wie das alte Weibl zum Opfer gangen, und zwei Heller in den Stock gelegt; aber unser lieber Herr hat sich alsobald des alten Mütterl angenommen, und selbes mehr gelobt und hervor gestrichen, als alle andere.

Zu Cosä in Lusitania ist eine vornehme und sehr berühmte Kirchfahrt Unser lieben Frauen, welche ihren Ursprung genommen, von einem alten Weib, so an Armuth halber einmal Waldholz zusammen klaubt, ungefähr aber ihren Haus-Schlüssel verloren, welchen Schaden sie nicht ein wenig bedauret, und die Sach der Mutter Gottes bestens anbefohlen, welche dann alsobald der alten Käthel (dieses war ihr Name) samt der heil. Martha erschienen, den verlornen Haus-Schlüssel wiederum eingehändiget, sogar ihr das Holz helfen zusammen suchen, und nachmals mit Beihülf des alten Mütterl einen wüsten Brunn ausgeraumet, und zugleich geoffenbaret, daß solches Wasser durch dero Vorbitt alle Presten und Krankheiten werde abwenden und heilen. Das alte Mütterl hat dieses nach Möglichkeit geprediget, und allerseits lautmährig gemacht, aber nichts anders erhalten, als ein Gelächter; ja etliche wollten, man sollt die alte Hex und zauberische Wahrsagerin gar in Kotter stecken; ja einige waren so frech, daß sie der alten Holztragerin gar den Scheiter-Haufen vergonnet. Es seynd aber alle dieselbigen, welche das alte Mütterl übermäßig geschimpft, nicht allein wunderbarlich gestraft worden, sondern auch bald hernach große Wunderwerk bei besagtem Brunnen geschehen, daß man gleich eine schöne[351] Kirche aufgericht, und Gott der Herr das alte Weib in solchen Ruhm und Ansehen gebracht, daß sie von der ganzen Gemein reichlich ernährt worden; ja es schätzte sich jemand glückselig, wann er nur einen alten Fetzen von der armen Kätherl konnten haben.

Wie der Job bereits hundert Jahr erreicht, und also schon unter das alte Eisen gehört, da hat er von freien Stücken sein Leben verglichen mit einem Schiff. Meine Tage, sprach er, seynd schneller vorbei geloffen, als ein reitender Bot, sie seynd vorbei geronnen, wie ein Schiff auf dem Wasser. Warum aber, daß der gute Alte sich einem Schiff vergleichet? Ich glaube, es sey keine andere Ursach als diese; gleichwie ein Schiff viel tragen muß, also müsse ein alter Mann viel übertragen. Nit allein allerlei Krankheiten, Schwachheiten, Gebrechlichkeiten, sondern auch allerlei Spott und Schimpf von der unbedachtsamen Jugend; dann Juventus und Juvenkus seynd Namen halber etwas gefreundt und seynd beide muthwillig. Das hat erfahren der heil. Jakobus Nissibenus Bischof, welcher auf eine Zeit etliche junge Menschen bei einem Bach an getroffen, so daselbst sich in dem frischen Wasser abgekühlet und allerlei Muthwillen getrieben, unter andern auch den heiligen alten Mann mit frechen Augen angesehen, in unterschiedliche Scherzwort ausgebrochen, und sich unverschamt verlauten lassen, wann er nicht ein so alter Geck wäre, so wollten sie nicht umsonst bei ihm anschanzen. Den alten Tättl thäte solcher Muthwillen zu einer billigen Rach veranlassen, hebt demnach seine Augen zu Gott, und bittet um eine verdiente Straf, so da alsobald erfolget; massen die[352] junge, schöne, frische und wohlgestalte Töchter alsobald in uralte (hätte bald gesagt Huralte) Weiber verkehrt worden. Die schönen, gelben, Haar, und dem Gold ähnlichen Haar in eine alte Schimmel-Paroque verwandelt, die Stirn wie ein Hackbrettel zerrunzelt, die Wangen wie ein altes Kameel-Leder verdorren, und das ganze Gesicht einer baufälligen Wasser-Krotta gleich worden. Da sollt jemand gehört haben das Seufzen dieser siebenzigjährigen alten Weiber; indem sie über Willen den Alt mußten singen, sie konnten sich nicht genug verwundern, daß ihnen ohne gehabte Sorgen die grauen Haar gewachsen, sie wollten sich vor Niemand sehen lassen, um weil sie in so blühender Jugend in eine so verächtliche Spitalwaar verkehrt worden; sie konnten es nicht fassen, daß eine frische Semmel so bald konnte verschimmlen, sie mußten endlich es für eine augenscheinliche Strafe Gottes an nehmen, weil sie das liebe Alter also entunehret. Theodoretus in Philotheo. So lasse sich dann ein jeder die Lektion, welche Gott selbst vorgeschrieben, anbefohlen seyn: »Coram cano Capite consurge, et honora Personam Senis etc. Du sollst vor einem weißen Haupt aufstehen, und verehren die Person eines Alten.«

Quelle:
Abraham a Sancta Clara: Judas der Erzschelm für ehrliche Leutߣ. Sämmtliche Werke, Passau 1834–1836, Band 6, S. 334-353.
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