Judas war gestern ein Dieb, heut ein Dieb, und morgen wieder ein Dieb, hatte immerzu gestohlen, in der Meinung, es sehe ihn niemand.

[79] Weder Petrus, weder Joannes, weder Jakobus, weder Matthäus, weder andere Apostel haben gewußt, daß Judas ein Dieb sey; dann sofern sie solches in eine Erfahrenheit hätten gebracht, ist wohl zu vermuthen, daß sie ihm zuweilen hätten eine gute Predigt gemacht und jenem Samaritan nachgefolget, welcher dem armen beschädigten Tropfen Oel und Wein in die Wunden gossen: also hätten sie gleichförmig mit linden und scharfen Worten ihm seine Frechheit verwiesen. Der Prophet Elisäus hat zwar den Giezi geschickt, daß er mit seinem Stab den todten Knaben solle zum Leben erwecken, hat aber nichts ausgericht; sobald aber Elisäus selbst zu ihm und seinen Mund auf den Mund des Knaben gelegt, alsdann ist der Todte auferstanden. Aus welchem zu lernen, daß man mit guten Worten und sanfter Manier zuweilen ehender einen zurecht bringe, als mit hartem und grobem Verweis. Es ist aber glaublich von Joanne und Jakobo, wann sie gewußt hätten, daß der Iscarioth ein solcher Mauser, sie hätten ihn grob ausgescholten und mit hartem Filz empfangen; dann weilen sie dazumalen schon also ergrimmt waren über die Samariter, um weilen dieselbe dem Herrn Jesu die Herberg versagt,[80] daß sie überlaut aufgeschrieen: Herr, willst du, daß wir sagen, daß das Feuer vom Himmel falle und sie verzehre? also ist wohl zu vermuthen, sie hätten Christo dem Herrn gesagt, er soll den Judam als einen unverschämten Dieb zum griechischen Buchstaben P, welcher also geschrieben wird Π, promoviren und hängen lassen. Indem aber nichts dergleichen im hl. Evangelio registrirt wird, also ist wohl und gar gewiß zu glauben, daß kein Apostel habe um sein Diebstuck gewußt, aus Ursachen: er hatte allezeit gestohlen, wann keiner bei ihm war. Dazumalen hat er sich allzeit gedacht, jetzt sieht mich niemand. O du verruchter Mensch! sieht dich denn Gott nit?

Gleichwie nur acht Personen in der Arch Noe seynd errettet worden, die übrigen alle, alle, alle in dem allgemeinen Sündfluß zu Grund gangen, also werden auch viel mehr verdammt, als selig. Wer ist Ursach? Niemand.

Gleichwie Moses ein Führer des Volks Israel sechsmal hundert tausend streitbare Männer aus Egypten geführt, ungezählt der Weiber und Kinder, und aus allen diesen nur zwei in das gelobte Land kommen, die übrigen alle, alle, alle draußen geblieben; also wird weit größer seyn die Anzahl der Verdammten, dann der Seligen. Wer ist Ursach? Niemand.[81]

Gleichwie die schöne Stadt Jericho von dem tapfern Kriegsfürsten Josue ist erobert und in Asche gelegt worden, ist das einige Haus der Rahab unbeschädigt verblieben, die andern alle, alle, alle in Brand gesteckt worden; also werden wenig zur Seligkeit gelangen, viel aber in den höllischen Ofen geworfen werden. Wer ist Ursach? Niemand.

Gleichwie aus zwei und dreißigtausend Soldaten nur 300 bei dem Josue verblieben, die andern alle, alle, alle abgedankt worden; also werden weit mehr von Gott als zu Gott kommen. Wer ist Ursach? Niemand.

Gleichwie aus dem mit Schwefel vermischten Feuer-Regen zu Sodoma und Gomorrha nur vier Personen, benanntlich der Loth, sein Weib und die zwei Töchter seynd salvirt worden, die andern alle, alle, alle durch solche stinkende Flammen zu Grund gangen; also werden viel mehr in die höllische Pein und Qual als in die ewige Freud kommen. Wer ist Ursach? Niemand.

Gleichwie nur ein Theil des guten Samens des evangelischen Ackermanns hat Frucht gebracht, die andern drei Theile alle, alle verdorben; also wird auch nit der halbe Theil der Menschen selig werden. Wer ist Ursach? Niemand.

Der Kardinal Baronius schreibt, daß dem hl. Einsiedler Simeon sey von Gott geoffenbaret worden, daß zu seinen Zeiten aus 10000 Seelen kaum eine selig worden. Ab solchem stehen einem die Haar' gen Berg. Wer ist aber Ursach? Niemand.[82]

Wer ist Ursach, daß die Gebot' Gottes, die Gebot' der Kirche, die Gebot' der Natur so oft, so stark, so schändlich übertreten worden? Wer ist Ursach? Niemand.

Wer ist Ursach, daß der allmächtige Gott, daß Gottes auserwählte Heiligen, daß Gottes heilige Kirche so mannigfaltig, so schwer, so gewissenlos beleidiget werden? Wer ist Ursach? Niemand.

Wer ist Ursach alles Uebels, aller Gottlosigkeit, aller Laster, aller Unthaten, aller Sünden, aller Verbrechen, alles Muthwillens, aller Unzucht, aller Missethaten? Niemand, ja Niemand! O verfluchter Niemand! der Niemand, der Nemo, der verursacht alles Uebel! wann nemlich der bethörte Sünder sagt: Niemand sieht's, Niemand hört's, Niemand weiß es! –

Daß kohlschwarze Raben nach stinkendem Aas trachten, ist kein Wunder; daß schwarze Kothkäfer im Mist und Unflath herum wühlen, ist kein Wunder; aber von weißen Tauben wundert's mich. Zwei alte Richter zu Babylon, schon weiß wie eine Taube, haben noch ungebührende Augen geworfen in die Weibsbilder. Auf solche Weis' heißt es: unter der grauen Asche findet man oft eine Glut, unter den grauen Haaren findet man oft Kitzel und Muth; auf solche Weis' ist es wahr: unter dem weißen Schnee findet man oft einen Misthaufen, unter den weißen Haaren thut oft Cupido schnaufen. Solche alte Krausköpf und Mausköpf seynd natürlich, wie die Blätter des[83] Eschenbaums, welche auf einer Seite ganz weiß, auf der andern ganz grün: also waren diese alten Richter richtige Gesellen, unter deren weißen Haaren noch ein großer Muthwille grünte. Diese zwei alten Vögel seynd fast gewest, wie der Berg Aetna, welcher zur Winterszeit übersich mit Schnee bedeckt und doch innwendig mit lauter Feuer gefüttert; diese zwei alten Lümmel seynd gewest wie der Kalch, welcher zwar weiß, jedoch voller Hitz. Diese zwei haben die Augen geworfen auf eins: sie haben nemlich öfters wahrgenommen, daß eines vornehmen Herrn seine Frau Gemahlinn, Namens Susanna, in ihrem Garten spaziere, welche vom Angesicht und Leibsgestalt überaus schön war, wessenthalben denen alten Möchaberis dieser rothe Apfel die Zähn' wässerig gemacht, denen alten Stockfischen diese mit so schöner Menschen-Haut verköderte Angel so wohl gefallen, daß sie allen Fleiß angewendet, dieses Wildpret in das Netz zu jagen. Wie nun auf eine Zeit gedachte schöne und tugendliche Frau in den Garten getreten, daselbst in einer kühlen Abend-Luft in etwas sich zu ergötzen, also haben sich diese schlimmen, alten Gesellen unter einem dicken Gesträuch und schattenreichen Busch verborgen. In dem Dornbusch, welchen Moses gesehen, hat ein göttliches Feuer gebrunnen; aber in diesem Busch thät sich ein teuflisches Feuer sehen lassen. Wie diese unverschämten Vögel die schöne Susannam erblicket haben, wünschten sie nichts anders, als daß sie möchten Kothkäfer seyn bei dieser schönen Rose. Ihr übels Beginnen wurde noch heftiger entzündet, wie sie vermerkt, daß wegen allzuscharfer Sonnenhitz die[84] edle Susanna ihren alabasternen Hals in etwas entblößt, ja endlich gar, nachdem sie die Kammer-Menscher von sich geschafft, in einer wasserreichen Grotte, allwo ein krystallener Brunnquell mit annehmlichem Getöß der geißfüßige Wald-Gott häufig spendirte, nach abgelegten Kleidern sich angefangen zu baden. Worauf gleich diese alten zwei Böck, von den unsinnigen Begierden ganz entzündet, hervor gesprungen und sie also angeredet: Wir seynd in dich verliebt, die Thür des Gartens ist verschlossen, et Nemo nos videt, und Niemand sieht uns. O du verruchter Nemo, Niemand! stift' doch niemand mehr Uebels, als der Niemand, Nemo!

Es ist nit wahr, ihr unverschämten Bösewicht', es sieht euch ja der allmächtige Gott, heißt das Niemand? Es ist nichts also verborgen, nichts also verhüllt, nichts also verschlossen, nichts also versperrt, nichts also vermantelt, verdeckt, vergraben, versenkt, verdunkelt, vertieft, vertuscht, das Gott nit siehet: es sey groß, es sey klein, es sey weit, es sey nahe, es sey tief, es sey seicht, es sey dick, es sey dünn, es sey finster, es sey licht, es sey was es wolle, so sieht doch alles Gott. Kein Gedanke, keine Umständ' der Gedanken, kein Werk, keine Umständ' des Werks, kein[85] Wort, keine Umständ' eines Worts seynd, welche Gott nit siehet. Was auswendig, was innwendig, was oben, was unten, was auf der Seite, was um und um, alles dieses sieht das göttliche Aug. Was und wann und wie und wo dein Verstand verstehet; was und wann und wie und wo dein Gedächtnuß gedenket; was und wann und wie und wo dein Will begehrt; was und wann und wie und wo deine Augen sehen; was und wann und wie und wo deine Ohren hören; was und wann und wie und wo deine Zunge redet; was und wann und wie und wo deine Händ' greifen; was und wann und wie und wo deine Füß gehen: alles dieses siehet Gott. Gott siehts, der dich erschaffen, Gott siehts, der dich erlöset hat, Gott siehts, der dich richten wird, und sollst du dich vor Gott nicht schämen?

Sapatta, ein vornehmer spanischer Fürst, war ein bevollmächtigter Legat und Gesandter bei den Friedens-Tractaten zu Münster, welcher Friede bald wurmstichig worden. Dieser ansehnliche Herr war neben anderen höchst rühmlichen Tugenden forderist der Andacht und dem eifrigen Gebet sehr ergeben, und alle Tag, so viel als seine hohen Geschäfte zugelassen, etliche heilige Messen mit sonderbarer Auferbauung gehört. Es wollte aber auch der fromme und gottselige Fürst, daß seine Edel-Leut', Aufwärter und andere Bediente mit gleichem Eifer ihre Andacht sollen verrichten. Aber das Widerspiel zeigte sich zum öftern; denn wenn sie hinter ihrem Herren in der Kirche waren, so haben sie geschwätzt, geschmutzt, gelacht, die Nase mit dem Hut verschanzt, und weiß[86] nit was für einen Augenpfeil, Augenwinker, Augenschuß, Augenstrahl, Augenwurf, Augengruß auf eine oder andere Bürgers-Tochter geworfen, und also mehr Verdacht als Andacht spüren lassen. Der Fürst, welcher niemalen in der Kirchen pflegte umzuschauen, so bald er mit den Seinigen nach Haus kommen, hat gleich unter der Porte des Pallasts einem und dem andern einen scharfen Verweis geben, mit der Bedrohung, daß, wofern ihr und ihr, du und du noch einmal werdet dergleichen Muthwillen in dem Gotteshaus erzeigen, so sollt ihr meinen Dienst meiden! Diese konnten ihnen das nicht einbilden, wie doch der Fürst alles so genau wisse, einem sein Verbrechen ganz umständig beschreibe, da sie doch wohl in Acht genommen, daß er niemals habe umgeschauet, auch noch mit niemand geredet, der ihm solches hätte können zutragen. Einen anderen Tag, als er mehrmalen etliche hl. Messen hörete, ist einer und der andere ganz still zum Tempel hinaus geschlichen, und nach eingebrachtem kurzen Fruhstuck bald wieder zurück kommen. Der Fürst hat nit umgesehen, noch hat kein einiger Mensch etwas entdeckt; gleichwohl, sobald er aus der Kirche getreten, hat er diesen und jenen scharf angefahren: wißt ihr was, Ferdinand, hört ihr, Ludwig, wo seyd ihr gewest? wo habt ihr das gelernet, daß man das schmutzige Maul erst in der Kirche abwische? Die Bedienten konnten sich dessen nit sattsam verwundern, und glaubten schier, ihr Fürst habe Augen in dem Rucken, daß er alles und alles so umständig sehe und doch niemalen umschaue. Endlich ist ihm einer über sein Betbuch gerathen, worinnen[87] er denjenigen erhascht, welcher alles dem Fürsten zugetragen. Der Einbund dieses Betbuchs hatte einwendig bederseits einen Spiegel, und wann der Fürst also aus besagtem Buch gebetet, hat er zugleich wahrgenommen, wie sich seine Bedienten hinter ihm verhalten.

Diese Leut' seynd in den Argwohn kommen, als hätte ihr Herr Augen auf dem Rucken, dem aber nicht also war; – aber Gott wohl, der hat Augen vornher, der hat Augen auf dem Rucken, der hat Augen auf der Seite, der ist ein pures Aug, welches selbst alles sieht, alles was gewesen, alles was noch ist, alles was seyn wird. Nicht jedermann ist Ihro Heiligkeit, sondern nur der Pabst allein; nicht jedermann ist Ihro Majestät, sondern nur der Kaiser, der König allein; nicht jeder mann ist Ihro Eminenz, sondern nur der Kardinal allein; nicht jedermann ist Ihro Gnaden, sondern die mehresten Edel-Leut' allein; nicht jedermann ist Ihr Gestreng, sondern nur der Bürgermeister, der Stadtrichter, der Secretarius etc.; nicht jedermann ist Ihr Hochwürden, sondern nur der Dechant, der Probst, der Domherr etc.; nicht jedermann ist Ihr Ehrwürden, sondern nur der Priester, der Pater. Aber jedermann ist Ihr Durchlaucht, alle Menschen auf Erden seynd Ihr Durchlaucht; denn Gott als eine göttliche Sonne leucht durch und durch. Nit ein Mensch, in dem Menschen nit ein Herz, in dem Herzen nit ein Oertel, in dem Oertel nit ein Gedanke, in dem Gedanken nit ein Umstand, den diese göttliche Sonn' nit durch und durch leucht und alles siehet. Die Menschen kann man leicht hinter das[88] Licht führen. Das hat erfahren Jakob: wie seine ungerathenen Kinder den frommen Bruder Joseph verkauft, haben sie seinen Rock in ein Bockblut eingedunkt, dem guten alten Vater Jakob zugeschickt mit der traurigen Zeitung, als sey Joseph von einem wilden Thier zerrissen worden. Der gute und schier bis in den Tod bestürzte Vater küßt und bußt den blutigen Rock: Ach, du guldenes Kind, seufzte er, so hab ich das erlebt, daß ich dein Blut also in meinen Händen muß sehen! Der gute Alte hat Bock-Blut für Menschen-Blut gehalten; das heißt ja hinter das Licht führen! Die Menschen kann man leicht hinter das Licht führen, das hat erfahren der Laban, ein Vater der schönen Rachel: Wie Jakob mit dieser insgeheim und in der Stille darvon gezogen, und dem Laban seine guldenen Götzen-Bilder entfremdet, ist er ganz schleunig nachgereist. Wie solches die Rachel wahrgenommen, hat sie gedachte guldenen Götzen-Bilder unter das Stroh verstecket und nachmals darauf gesessen, und als sie der Laban angetast, wo sie seine guldenen Götzen habe – mein Vater, sagte sie, ich weiß weder guldene, weder silberne, weder eisene Götzen, ich habs wohl nicht. Stehe auf, widersetzt er, laß mich suchen! Ach mein Vater, stellte sie sich, ich bin so krank, du glaubst nit; wann du mir sollst Buttenweis[89] guldene Götzen schenken, so könnt' ich dir nit aufstehen! Laus, fraus muliebria sunto. Das war eine Weiber-List, das heißt hinter das Licht führen.

Die Menschen kann man hinter das Licht führen, das haben erfahren die Soldaten des Königs Saul. Diese waren beordert von dem König, daß sie sollen den David zu ihm führen, er wolle ihm selbst den Rest geben. Die Michal aber, als des Davids Frau Gemahlinn, nachdem sie ihn in der Stille über das Fenster hinunter gelassen, hat ein Bild mit des Davids Kleider angezogen und also auf das Bett gelegt, das Gesicht mit einem rauhen Geiß-Häutl bedecket. Wie nun die Trabanten mit allem Ernst in die Behausung kommen, David gefangen dem König zu überbringen, siehe, da hat sich die Frau Michal gestellt, als wäre sie ganz melancholisch. Vielleicht, wer weiß, hat sie die Augen mit Zwiebel-Saft bestrichen und geseufzet als die eine Henne, die den Zipf hat; sich sehr beklagt, daß ihr lieber Herr Gemahl stark und gefährlich krank sey, zeigt ihnen von fern, wie er dort im Bett liege der arme Schlucker; also werde er Ihro Majestät dem König solchergestalten gewiß nicht darvon laufen; sie sollen dieses nur also dem Saul in Unterthänigkeit vortragen. Die[90] Phantasten haben es kräftiglich glaubt, als liege David auf dem Bett, da es doch ein hölzernes Bild war. Das heißt ja hinter das Licht führen!

Die Menschen kann man hinter das Licht führen; aber Gott nicht, der selbst das Licht ist, so alles durchleucht'. Er sieht nit allein das Auswendige, sondern auch das Inwendige; er sieht nicht allein das Offene, sondern auch das Verborgene; er sieht nicht allein das Bestandene, sondern auch das Verschwiegene; er sieht nit allein das Ertappte, sondern auch das Vertuschte; er sieht nit allein das Wahre und Bloße, sondern auch das Verblümlete; er sieht Alles. Raub, klaub, back in Sack, stiehl viel in der Mühl, es siehts niemand, es siehts aber Gott.

Wie unser gebenedeiter Herr und Heiland einmal aus dem Schiff gestiegen, so folgeten ihm überaus viel Leut nach; unter anderen war ein Weib, die 12 Jahr aneinander einen sehr üblen Zustand hatte, welche alles das Ihrige denen Aerzten und Medicis angehängt, und haben ihr solche dergestalten viel Recept vorgeschrieben, daß sie endlich den Geldbeutel ganz auspurgirt; gleichwohl kunnten sie die arme Haut nit kuriren. Wie nun diese unterschiedlich vernommen, daß Jesus von Nazareth so große Wunder wirke und alles Volk nach sich ziehe, so wollt sie auch ihr Heil bei diesem suchen; drängt sich und zwingt sich dessenthalben mit allem Gewalt durch das Volk, ungeacht daß da und dort einer mit dem Ellenbogen zurück getrieben, ungeacht, daß dieser und jener Jud auf die[91] Füß' getreten; sie reibt sich und' treibt sich durch, bis sie ganz nahe zu Jesu kommen und ihm mit großem Glauben den Saum seiner Kleider angerühret, wordurch sie wunderbarlich gesund worden. Diese fromme Tröpfinn hat sich gar nit getraut, Christo dem Herrn unter das Gesicht zu treten, sondern suchte nur, wie sie von hinten zu auf dem Rucken seine Kleidung möchte anrühren: »venit in turba retrò.« Aber sie hat nit ohne sondern Trost erfahren, daß sie unser Heiland auch ruckwärts gesehen. Dann, ob er schon Menschheit halber nur zwei Augen in seiner Stirn tragte, so war er doch Gottheit halber allerseits voller Augen, ja ein pures Aug, so Alles siehet: »Dico, quod Deus totus oculus est.« David war ganz allein bei Bethsabe, wie er den Ehebruch begangen, niemand hat ihn gesehen. Es ist nit wahr, es hat ihn Gott gesehen, ist das ein Niemand? Der Prinz Ammon war ganz alleinig, wie er mit seiner Schwester Thamar die Blutschand begangen, niemand hat ihn gesehen. Es ist nit wahr, Gott hat ihn gesehen, ist das Niemand?. Der Achan war ganz allein, wie er in der Stadt Jericho gestohlen, niemand hat ihn gesehen. Es ist nicht wahr, Gott hat ihn gesehen, ist das Niemand? Kain war ganz allein, wie er seinen Bruder Abel auf dem Feld ermordet hat, niemand hat ihn gesehen. Es ist nit wahr, Gott hat ihn gesehen, ist das Niemand?

Anno 1585, just vor hundert Jahren, ist auf einen Tag bei einbrechender Morgenröthe ein Edelmann ausgeritten auf die Jagd unweit der vornehmen Stadt Wien. Wie er nun in den dicken Wald und[92] großes Gesträuß hinein gerathen, vermerkt er ein ungewöhnliches Bellen und Scharren eines Hunds, welcher mit seinen Bratzen dergestalten die Erde ausgraben, bis er endlich zwei ganz weiße Beiner heraus gezogen, die der Edelmann auf keine Weis' für Menschen-Beiner angesehen, ja noch dem Lakei einen Befehl geben, wie daß er solche dürre Beiner soll mit sich tragen, er sey gesinnet, aus diesen für seinen Hirschfänger eine gute Handheb machen zu lassen; wie er dann noch selben Abend dem Schwertfeger diese Beiner eingehändiget mit dem Begehren, er soll ihm um baare Bezahlung erstgedachte Handheb verfertigen. Siehe Wunder! kaum daß solche der Meister in seine Händ' gebracht, haben sie alsobald das helle Blut geschwitzet, so daß ein Tropfen den andern geschlagen, welches alle Beiwesende in große Verwunderung gezogen. Forderist aber war dieser Schwertfeger dem Tod gleicher, als einem Menschen. Dieser, wie er sich in etwas wiederum erhohlt, den Kavalier demüthigst gebeten, er wolle ihm doch entdecken, wo er diese dürren und weißen Beiner genommen? worüber ihm der gnädige Herr das Ort mit allen Umständen, den Wald, das Gesträuß beschrieben, und wie einer aus seinen besten Jagdhunden allda besagte Beiner habe ausgraben. Ach, seufzte dieser sprechend, ich hab' vermeint, ich sey ganz allein gewest, es hab mich niemand gesehen, jetzt spür ich aber, daß mir Gott habe zugeschaut! Vor 20 Jahren, da ich noch ein Handwerksgesell war, hab ich einem meiner Kameraden, der dazumal in die Wander gereist, daß Gleit geben, und weilen ich gewisse Nachricht erhalten, daß[93] er wohl mit Geld versehen, also hab ich ihn in demselbigen Wald ermordet und eben an gedachtem Ort begraben. Nun merke ich, daß mich gar kein Mensch gesehen, aber Gott wohl, der mich derentwegen richten wird. – So sieht dann der allmächtige, allwissende, allgewaltige Gott alles, alles was auch in der Finster geschieht, alles was in der Wildnuß geschieht, alles was in einem Winkel geschieht. Die Rahab hat die Auskundschafter Josue dergestalten verborgen, daß kein Mensch gesehen; der David hat sich dergestalten in die Spelunken verborgen, daß ihn Saul auch nit gesehen; die zwei Richter zu Babylon haben sich hinter ein Gesträuß verborgen, daß sie kein Mensch gesehen; die Priester zu Zeiten der Machabäer haben das Feuer verborgen, daß kein Mensch aus denen hat können finden: Vor dem Menschen läßt sich oft was verbergen, daß niemand find't noch ergründ't; aber vor deinem Gott, o Mensch läßt sich nichts verbergen!

Von dem Joseph ist die Geschicht' allbekannt, wie er den Mantel hinten gelassen, wormit die saubere Frau des Putiphars ihre Frechheit ihre wollte verdecken. Diese ist dem unschuldigen Jüngling lange Zeit nachgangen, nichts als zuckersüße Wort gegen ihn gebraucht: Gute Nacht, mein schöner Joseph! hat's geheißen, schlaf fein wohl mein Engel! – und seufzte darneben. Wann diese Seufzer mit Schellen wären behängt gewest, wie der Ober-Steyrer ihre Roß, so hätte man hören können, wo sie hingangen. Bona dies! guten Morgen, mein lieber Joseph! hat dir nichts getraumet? mir hat's von dir getraumt, will dirs schon einmal sagen und in der Geheim[94] erzählen! An einem Tag war ein großes Fest gefallen, an welchem nach Gebrauch auch alle Weiber mußten erscheinen in dem Tempel. Das war ein schöner Vortheil für diese Dama: alle gingen zu der Andacht außer dem Joseph, welcher das Haus mußte hüten. Die gnädige Frau verbindt den Kopf, stellt sich krank, als wäre ihr ein starker Fluß gefallen, der ihr unglaubliche Schmerzen und Zahnweh verursacht. Auweh, sagte sie, was leide ich! (glaubs) ach wie brennt's! (im Herzen, Schelmen-Vieh!) Mein Schatz, redet sie zu ihrem Herrn, er gehe nur mit allen Bedienten in Tempel, ich traue mir nit in die Luft, ich will schon meine Andacht zu Haus verrichten! Auweh, auweh, auweh, das seynd, das seynd Schmerzen! Der Joseph kann schon zu Haus verbleiben, daß ich gleichwohl nit allein bin, es möcht bald etwas auskommen. Nachdem nun Alles aus dem Haus, so fängt die Mausköpfinn den Joseph anzulachen. Gelt Joseph, sagt sie, ich kann meinen Mann stattlich betrügen! schau, mein guldenes Maul, jetzt ist alles aus: es ist kein Mensch sonst im ganzen Haus! mein Mann ist nicht da. Mein, stelle dich nicht so fremd, wie abgeschmach! es sieht uns niemand. Niemand? ich frag dich noch einmal: Niemand? O Unverschämte, es sieht dich ja Gott! Schämst du dich vor den Augen des Menschen, und schämst du dich nicht vor den Augen Gottes? Höre, was der keusche Jüngling dir unter das Gesicht sagt: Wie kann ich dieses thun, und vor Gottes Augen sündigen?

Wir schelten, wir verwerfen, wir verdammen, wir vermaledeien jene Unthat der Hebräer, indem ihnen[95] Pilatus der damahlige Landpfleger zu freier Wahl gestellt, sie sollen aus dem Gefängnuß begehren entweders Jesum oder Barabbam – dieser war ein Mörder; so haben sie dannoch einhellig aufgeschrieen, man solle Jesum kreuzigen, den Barabbam aber frei und los lassen. O ihr höllischen Gemüther! so gilt denn bei euch mehr ein Sünder und großer Sünder, und ein mörderischer Bösewicht, als Gottes Sohn? Aber sag her, bethörter, verkehrter, beschwerter Mensch, indem du dich schämen thust vor den Augen der Menschen, nicht aber vor den Augen Gottes; so gilt denn auch mehr bei dir ein Mensch, als Gott selbsten?

Es war ein Student, welcher zur Faßnachts-Zeit, da man mit Schellen in die Schul leutet, auch nicht wollte bescheid seyn. Er wollte es auch erfahren, ob ihm die Lappen-Kappe möchte wohl anstehen; bittet demnach seinen Kostherrn, der ein guter Maler war, er woll das Gsicht mit Farben ihm also überstreichen, daß es einer Larve gleich sey. Der Kostherr zeigt sich hierinfalls gar willfährig: befiehlt ihm, er soll sich unterdessen mit einem Narren-Kleid ausstaffiren, bis er seine Farben mische. Der lateinische Gispel hatte schon alles im Vorrath, weßwegen er gleich die Narren-Schuh, die Narren-Strümpf, die Narren-Hosen, das Narren-Wammes, endlich das große Narren-Krös angezogen, und sich auf den Stuhl mit närrischer Reputation oder reputirlicher Narrheit niedergesetzet. Jetzt, sagt er, Herr malt mich halt frei närrisch! Der Kostherr war ein arger Schalk,[96] und gedachte, nunmehr habe er eine erwünschte Gelegenheit, diesem Studioso curioso oder furioso einen lächerlichen Possen zu reißen; schafft demnach, er soll die Augen wohl zudrucken, theils damit ihm die abrinnenden Farben nicht schaden, theils auch, damit er desto bequemer seine Farben möchte auftragen. Das Malen nimmt nun seinen Anfang: der Kostherr konnte das Lachen nicht verhalten. Um solches zu beschönen, sagt er dem g'studierten Narrn, es wird ihn kein Teufel kennen wegen der vielfärbigen Züg und Strich und Tüpfel. Unterdessen aber hat er nur allezeit den Pinsel in das pur klare Wasser gedunkt und niemalen in Farb, welches der mit verschlossenen Augen nagelneue Narr nicht konnte wahrnehmen. Nachdem nun der verschmitzte Maler ziemlich das Gesicht überstrichen, jedoch nur mit klarem Wasser, legt er endlich den Pinsel auf die Seite, sprechend: Herr, Herr Ferdinand, ich wollt' einen halben Gulden darum geben, wann mein Weib zu Haus wäre, damit sie den Spiegel möcht' geben, worinnen sich der Herr kunnt ersehen: das ist ein Gesicht! das ist eine Larve! das heißt figurirt! in der ganzen Stadt wird kein größerer Narr seyn, als der Herr. Dieser, ganz begierig, sich auch sehen zu lassen, eilet mit seiner Wurst und ledernem Scepter auf die Gasse, von der Gasse auf den Markt, macht seine Narren Gebehrden bestermassen; er aber wurde allerseits ausgelacht. Herr Ferdinand, sagt einer, was ist der Herr für ein seltsamer Narr! Holla! gedacht er, der Kerl kennt mich.[97] Er geht kaum zwei Schritt weiter, da grüßt ihn eine ganze Bursch Studenten. Herr Ferdinand, domine condiscipule, quare ita solet stultescere? Schau, schau, der Narr ist des Malers sein Kostgeher, der ist ein sauberer Narr, er gibt sich fein zu erkennen! Um Gotteswillen, seufzt er bei sich selbsten, so kennt mich ja jedermann; wie muß mich dann mein Herr gemalen haben! Springt derentwegen in ein bekanntes Haus, bittet um einen Spiegel. Sobald er in solchen geschaut, hat wenig gemanglet, daß er nicht in eine Ohnmacht gefallen, indem er gefunden, daß nit ein Tüpfel von einer Farb in dem Gesicht, sondern solches mit bloßem klarem Wasser überstrichen, wessenthalben ihn männiglich leicht erkennen konnte. O wie hat er sich geschamet! viel Geld hätte er gspendiret, wann das nicht geschehen wäre. Niemalen hätt' ich das Ding gethan, so ich gewußt hätte, daß mich jemand soll kennen! Narras benè narrata.

O wie viel verruckte und verruchte Adams-Kinder seynd anzutreffen, welche auch ein thörichtes Werk um das andere thun, in der Meinung, es sehe sie niemand, es kenne sie niemand. In dem Evangelio[98] steht geschrieben: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist! bei manchen heißt es: Stehlt's dem Kaiser, was des Kaisers ist; aber stiehl, daß niemand sieht! In dem hl. Evangelio stehts geschrieben, daß die drei frommen Frauen haben kostbare Salben eingekauft; aber etliche nehmen ungerechte Schmiralia umsonst ein; aber still, daß niemand merkt. In dem Evangelio steht geschrieben, daß ein Weib wegen Verlust eines Groschen das ganze Haus auskehrt, bis sie ihn gefunden; manche Dieb gibts, die Kisten und Kästen aussuchen, bis sie Geld finden; aber still, daß niemand sieht! In dem Evangelio steht geschrieben, daß sich einer dessentwegen entschuldigte, er könne bei der Mahlzeit nicht erscheinen, dann er habe fünf Joch Ochsen erkauft; ein mancher Dieb stiehlt Ochsen und Kühe; aber still bei der Nacht, daß niemand sieht! In dem Evangelio steht geschrieben, es kann niemand zwei Herren dienen; aber mancher dient wohl zwei Frauen; aber still, daß niemand merkt. In dem Evangelio steht geschrieben, daß unser Herr am Samstag einen Wassersüchtigen kurirt habe; aber mancher Wirth hängt schier alle Tag dem Wein die Wassersucht an; aber still, daß niemand im Haus sieht. In dem Evangelio steht geschrieben, daß Martha mit dem Koch-Löffel sehr sey beschäftigt gewesen; aber eine manche hat ein weit anders Löfflen mit diesem oder jenem; aber still, daß niemand sieht. O elende Adams-Kinder! hört mich auch an, was in dem Evangelio steht: In demselben steht geschrieben, daß Joannes der Täufer denen Juden, welche ihn gefragt, ob er Christus sey, geantwortet: Medius vestrum stetit, quod vos nescitis: »Er steht mitten unter euch, den ihr nit[99] kennet.« Ihr Menschen glaubt, es sehe euch niemand, weilen es finster ist, niemand, weilen es verschlossen ist, niemand, weilen es ein Winkel ist, weilen es hinter der Mauer ist, niemand, weilen kein Mensch vorhanden ist, niemand: glaubt aber auch, daß Gott mitten unter euch, bei euch, an euch, um euch, neben euch, ja in euch stehe, quem vos nescitis! O wie weit haben geirret jene frechen Lotters-Knecht, welche neben andern Schmach und Spott auch dem gebenedeiten Jesu seine Augen verbunden, nachmals die stinkenden Speichel in das allerheiligste Angesicht geworfen, selbiges mit hartem Backenstreich verunehret, und also vermeinet, er sehe sie nicht, er solle rathen, wer diesen oder jenen Streich versetzet habe! Weit ist das gefehlt, ihr verdammte Satans-Brut, Gott läßt sich die Augen nicht verbinden, er sieht nicht allein durch diesen wilden Hader und unreinen Lumpen, den ihr ihm um das Gesicht gewunden und gebunden, sondern er siehet auch durch die Mauer, soll auch selbe dicker seyn, als der ganze Erdboden. Nicht allein die Juden haben diesen lasterhaften Muthwillen an dem Heiland Jesu verübet, sondern es gibt auch ihres Gleichen unter den Christen, die nit weniger sich gottvergessen stellen.

Aber o Thorheit! Adam hat auch vermeint, er wolle sich hinter die Stauden, verbergen; aber umsonst, Gott sieht alles. Jonas hat auch vermeint, er wolle sich aus den Augen des Herrn schraufen, wie er nach Joppe gereist; aber umsonst, Gott sieht Alles. Von etlichen Heiligen ist bekannt, daß sie auf einmal in zwei Oertern seynd gesehen worden: Also war der hl. Abt Bernardus zugleich zu Rom und zu Claravall; also war der hl. Adalbertus zugleich zu Rom und zu Prag in Böheim; also[100] war der hl. Antonius Paduanus zugleich auf der Kanzel und bei dem Altar. Aber Gott ist nicht nur an zwei Oertern zugleich, sondern an allen Orten. Er sieht dich allenthalben, er hört dich allenthalben, er greift dich allenthalben, und sollst du dich nicht schamen, vor den göttlichen Augen zu sündigen?

Als einst der Herr und Heiland in dem Tempel vor einer großen Menge des Volks lehrete, brachten die Pharisäer und Schriftgelehrten ein Weibsbild in die Kirche, machten ein groß Geschrei und Tumult, und klagten sie öffentlich an, daß sie in flagranti in dem Ehebruch sey ertappet worden; und weilen das Gesetz Mosis solche zu steinigen befehle, also fragen sie dießfalls, ob man dem Gesatz solle nachkommen? Wie solches der Heiland vernommen, so neigte er sich zu der Erde und schrieb mit den Fingern auf dieselbe. Rathe aber, was er geschrieben, indem solche Schrift den großen Hansen und gelehrten Gesellen dergestalten mißfallen, daß sie alle schamroth seynd darüber worden, und einer nach dem andern zum Tempel hinaus marschirt? Er hat dero Schelmenstücke und Diebstückl ganz umständig entworfen, die sie doch für verborgen und geheim gehalten haben; das hat sie veranlasset, daß sie mit langer Nase, mit unterschlagenen Augen ihren Weg weiter genommen. Wie, sagt einer bei sich selbsten, wie muß er das Ding wissen? hat mich doch niemand gesehen! Das weis ich, dacht ein anderer, daß ich ganz bin allein gewest, wie ich dasjenige hab gestiftet, wie muß dieser Nazarener darhinter seyn kommen? er kann ja nicht durch die Mauren schauen?[101] er hat es ja nit gesehen? Ja, ja, ja, meine Hebräer, er hat es gesehen, wie, wann, wo es geschehen; denn seinen göttlichen Augen kann es nicht entgehen. Wir seynd in diesem Fall wie die Kinder, aber nicht so unschuldig wie die Kinder. Diese pflegen zuweilen durch ihr kindliches Scherzen die Augen mit ihren Händlen zuzuhalten, oder stecken ihren Kopf in den Schoß ihrer Mutter, und meinen also, man sehe sie nicht. Wir üben die mehrste Frechheit und Uebelthaten in der Stille, in verborgenen Winklen, bei finsterer Nacht, verrieglet, versperret, vermauret, und meinen, uns sehe niemand, da doch unterdessen Gott, welcher den Himmel für die Frommen, die Höll aber für die Bösen erschaffen, Gott, welcher die Tugend ewig belohnt, die Unthaten ewig strafet, Gott, welcher barmherzig gegen den Guten, gerecht gegen den Sünder ist, Gott, welcher richten wird die Lebendigen und die Todten, Gott, welchen verehren alle heiligen Engel, und förchten alle Teufel, Gott welcher dreifach in denen Personen, und einfach in der Gottheit – dieser Gott sieht dich und schauet dir zu! –

Zu Wittenberg in Sachsen ist einmal eine schädliche Brunst entstanden, und hatte man einen allgemeinen Argwohn, daß solches Feuer durch einen lasterhaften und bösen Menschen sey gelegt worden. Weilen aber der Menschen Urtheil gar oft auf Stelzen geht, also ist auch dazumalen ein unschuldiger Tropf in Verhaft kommen, welcher sogar bei dem Gericht seine Unschuld durch ein Wunderwerk verfecht: massen er ein ganz glühendes Pflugeisen in die Hand genommen, und solches einen langen Weg durch die Stadt[102] ohne einige Verletzung zum Beweisthum seiner Unschuld getragen. Mitten aber auf dem Platz, in Gegenwart einer großen Menge Volks, hat er dieses glühende Eisen hinweggeworfen, welches dann augenblicklich verschwunden, und kunnte es auch nach viel angewendtem Fleiß kein einziger Mensch finden. Was geschieht aber? Ein ganzes Jahr nach diesem mußten etliche den Platz mit Kieselstein pflastern, worunter einer aus dem Sand daselbst das noch glühende Pflugeisen heraus gezogen, an welchem er neben ungeheurem Geschrei die Hand erschrecklich verbrennt. Die Sach wird alsobald lautbar. Man konnt' sich nit gnugsam verwunderen, daß vor einem Jahr das Eisen verschwunden, und anjetzo, ein ganzes Jahr hernach, von diesem Menschen noch ganz glühend gefunden worden. Wessenthalben dieser Gesell in die strenge Frag gezogen worden, worinnen er bald bekennt, daß er der Thäter sey jener vor einem Jahr erweckten Brunst, darüber er hernach durch billiges und gerechtes Urtheil lebendig ist gerädert worden.

Dieser armselige Mensch hat auch vermeint, es sehe ihn niemand – es war bei der finsteren Nacht, da jedermänniglich in dem tiefen Schlaf war versenket, kein Mensch hat sich auf der Gassen nicht gefunden, er war ganz alleinig – niemand sehe ihn, keinem hat er solches entdecket. Hat er nach einem ganzen Jahr müssen erfahren, daß ihn wahrhaftig Gott gesehen habe.

Der Prophet Jeremias hat auf eine Zeit etwas Wunderbarliches gesehen, nemlich eine Ruthe mit einem Aug: Virgam oculatam. Partitenmacher[103] in deinem Amt, Dieb bei der Nacht, unzüchtiger Buhler in der Kammer, Laster-Mensch in dem Winkel, Mörder in dem dicken und finstern Wald, sündiger und boshafter Mensch in der Stille, sage nit mehr: Nemo videt, niemand sieht mich; es ist nit wahr, es sieht dich die strenge Ruthe von oben her mit dem allmächtigen göttlichen Aug! und was diese siehet, das wird sie urthlen, und was sie wird urthlen, das wird sie auch nach dem Verdienst strafen.

Es hat der allmächtige Gott dem Kriegs-Fürsten Josue einen ernstlichen Befehl geben: Wann er werde mittelst seiner göttlichen Beihilf die Stadt Jericho erobern, so solle bei Meidung höchster Straf und Ungnade keiner eines Fadens groß, eines Heller Werths rauben oder Beut' machen! Das war ein hartes Gesatz: Venire di guerra, et no haverubato? »aus dem Krieg zurückkommen ohne Diebsstuck?« das gehört unter die Raritäten. Gleichwohl haben sich die wackeren Soldaten also scrupulos gehalten, unter Geld und Gut nach Eroberung der Stadt nit einen Pfenning eingeschoben, ausgenommen einer mit Namen Achan, der hat einen rothen Mantel und etwas von Silber und Gold gestohlen, aber ganz behutsam, mäusestill; sogar hat er das Silber unter die Erde gegraben. Dann wie er gesehen, daß ihm niemand zuschaue, weder der Obrist, weder der Wachtmeister, weder der Rittmeister, weder der Profos etc., o, gedachte er, jetzt heißt es: Herr mein Fisch, der[104] Mantel taugt mir stattlich ins Regenwetter, in Winterszeit ist er mir viel lieber, als ein alter Kotzen, der mausen thut, oder eine Matratze, die durchsichtig; das Silber und Gold aber taugt mir zu meiner nothwendigen Wirtschaft. Kann ich doch alles vertuschen; ist nicht nothwendig, daß ichs einem an die Nase bind'; der Charmi mein Vater, muß ebenfalls nichts darum wissen. – Ei du plumper Mantel-Dieb, sieht dich niemand? Niemand sieht mich. Halt's Maul, auf eine solche Lug gehört eine Maultasche! es ist ja der allerhöchste Gott, welcher deinem Kriegsfürsten Josue das Gebot gesetzt: es soll keiner was aus der verruchten Stadt Jericho mit sich nehmen. Es ist nicht lang angestanden, so hat der gerechte Gott diesen ungerechten Beutelmacher entdecket; weßwegen er von dem gesammten Volk versteiniget worden, und der vorhero mit Silber und Gold umgangen, mußte anjetzo wider Willen mit Steinen handlen.

Was hat nit schon der Niemand gestift? Der Niemand stiehlt zum mehristen. Augustinns der große Erzvater, da er noch ein muthwilliger Bub war, ist mehrmalen denen Leuten in die Obstgärten gestiegen, aber allzeit in Obacht genommen, ob ihn niemand sehe. Wann er vermerket, daß der Herr zum Fenster hinaus geschaut, so hat ers wohl seyn lassen. Der Mensch wird nit eine Spinnnadel entfremden, der Bub wird nit einen Pfenning verrucken, der Diener wird nit eine halbe Elle taffete Bändl[105] einschieben, wann sie wahrnehmen, daß es ihr Herr siehet. Ich hab noch nie gehöret, daß auch der frecheste Dieb hat auf einem Jahrmarkt krumme Finger gemacht, wann ihm der Stadt-Richter hat zugeschauet. Wie kannst du dann so frei ohne Scheu und ohne Reu begehen so manche Schelmerei, indem du vergwißt bist, daß dir obere Herr zuschaue, respiciens per fenestras, welcher dir solches in dem Thal Josaphat vor dem gesammten menschlichen Geschlecht wird vorhalten und vorrupfen?

Der gebenedeite Heiland sagt selbsten bei dem Evangelisten Joan. K. 8: Ego sum Lux Mundi, Ich bin ein Licht der Welt! Man mag das Wörtlein Lux lateinisch oder deutsch verstehen, so schickt sich doch beedes auf unsern Herrn, massen er ein Licht, so alles durchleucht, und ein Luchs, so alles durchsieht, zumalen wegen Schärfe der Augen von diesem Thier gesagt wird, es könne durch eine Mauer sehen.

Das Wörtlein Lux hat jener Fuchs erst in seinem hohen Alter erfahren, daß Gott habe gesehen, was er gestift in jungen Jahren: In Oesterreich hat ein Schneider-Bürschl seinem Meister 50 fl. entfremd't. Mit solcher Beut hat er das Haus gemeid't und in andere Länder gewandert, bis er auch ist Meister worden, welcher zwar schon zuvor meisterlich zu stehlen wußte. Nachdem 50 Jahr von diesem begangenen Diebstahl verflossen, so hat Gott auch wollen die 50 fl. wunderbarlich offenbaren. Dann als[106] einmal erstgedachter Meister, ein bereits alter Greis, auf dem Markt spazieren gangen, allwo die unruhigen Gassen- Buben mit Kreiden unterschiedliche Tändlerei verübten an einem Fenster-Laden; so hat sich dieser alte Geck auch unter die Kinder gemischt und ebenfalls mit der Kreide wollen schreiben. Wie es aber Gott so wunderlich geschickt! Dieser hatte sein Lebenlang niemalens schreiben noch lesen gelernet. Indem er dann vermeint, mit der Kreide nur krumme und grade Strich zu machen, ist er aber ganz deutlich diese Wort auf das Brett verzeichnet: Ich bin ein Dieb. Wie solches die ohnedas muthwilligen Buben gelesen, fangen sie alsbald an mit lauter Stimm diesen saubern Titel zu reintoniren: Der ist ein Dieb, der ist ein Dieb! Die Sach gelangt vor den Magistrat, welcher diesen alten Schneider hierüber zur strengen Frag gezogen, und endlich aus ihm gepreßt daß er ein Dieb sey, und habe vor fünfzig Jahren jenem Meister N. 50 fl. entfremdet. Nach welcher Erkanntnuß der zwar weiße Tättl denen schwarzen Raben einen Mitgespann müssen abgeben, und einen solchen Seiltanzer abgeben, daß er am Strick ist hangen blieben.

Sag jetzo mehr, es sehe dich niemand, indem Gott die verborgensten und geheimsten Ding schon so oft auf der Welt an das Tagslicht ganz wunderbarlich gebracht, auf daß der unbehutsame Mensch[107] greiflich spüren solle, daß er denen göttlichen Augen keineswegs entgehen möge. Wann wir den allmächtigen Gott stets vor Augen hätten und wohl zu Gemüth führeten, daß derjenige uns zusehe, welcher uns kann augenblicklich in die Höll' abstürzen, so würden wir ungezweiflet mit Lastern nit also beladen seyn. Was hat unter den Kaisern Henricum, unter den Königen Kasimirum, unter den Fürsten einen Hemenegildum, unter den Grafen einen Elzearium, unter den Freiherren einen Rochum, unter den Bürgern einen Homobonum, unter den Bauren einen Isidorum, unter den Bettlern einen Servulum zu solcher Vollkommenheit und Heiligkeit gebracht, als eben daß sie stets Gott vor Augen gehabt? Was hat den Soldaten Mauritium, den Rathsherrn Appollonium, den Arzt Pantaleonem, den Edelmann Sebastianum, den Fürsten Abdon, den König Olaum zurück gehalten, daß sie nicht die Götzen verehrt und angebetet, sondern heroisch gekämpfet und ihr Blut vergossen? Nichts anderst, als daß sie den wahren Gott allzeit vor Augen hatten. Was hat Benedictum mit so vielen Benedictinern, Augustinum mit so vielen Augustinern, Dominicum mit so vielen Dominicanern, Franziscum mit so vielen Franziscanern, Bernardum mit so vielen Bernardinern etc. zu so bekanntem Tugend-Wandel gezogen, als das Einige, daß sie stets Gott vor Augen hatten? Von Boleslao dem Dritten, wackern und sehr berühmten König in Polen, wird geschrieben, daß er stets die Bildnuß seines Herrn Vaters selig habe am Hals getragen, damit er in dessen Angesicht und Gegenwart nichts Sträfliches oder Unrühmliches[108] begehe. Von Alexandro dem Sechsten, römischen Pabsten, vermerket Carriocciolus, daß er habe das höchste Altar-Geheimnuß in Gold gefaßt an den Hals gehenket, auf daß er immer und immer gedenke, daß Gott all seinen Werken und Gedanken zusehe. – Ich auch, sprichst du, der du solches liesest, will hinfüro nimmer der göttlichen Augen vergessen, sondern ein und allemal meinen Gott, der mich aus nichts erschaffen, meinen Gott, der mich so theuer erkauft und erlöst hat, meinen Gott, der mich noch durch seine grundlose Gütigkeit erhält und ernähret, meinen Gott, von dem ich forderist ein glückseliges Sterbstündlein bitte, meinen Gott, an dem ich einen barmherzigen Richter erwarte, meinen Gott, von dem ich eine trostreiche Auferstehung hoffe: diesen meinen Gott will ich hinfüro allezeit vor Augen haben, damit ich ihn nachmals in jener Welt auf ewig möge anschauen etc.

Quelle:
Abraham a Sancta Clara: Judas der Erzschelm für ehrliche Leutߣ. Sämmtliche Werke, Passau 1834–1836, Band 2, S. 79-109.
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