Umbständige Erzehlung deß Todts zu Wienn /vnd der traurigen Zeiten.

[39] Erstlich hat der Todt seinen Anfang geno en in der Leopoldstatt / so vor etlichen Jahren wegen der schlimmen Inwohner die Judenstatt genannt ware /vnd alldort ein lange Zeit hero / jedoch auff eine gsparsame Manier die Menschen verzehret / nachgehends ist solche Seuch über die Donau oder vielmehr über den Arm der Donau / in die andere Vorstätt geschlichen / vnd ist anfänglich[39] das Ansehen gewest /als traue sich der Todt nicht in die Residenz Statt /sondern wolle sich mit den Vorstätten befriedigen /wie er dann dieselbe vmb vnd vmb ziemlich verwüst /jedoch solcher gestalten / daß mehristen Theil die vnsaubere Winckel von diesem Ubel angegriffen / vnd nun gemeiner Pöbel / wie auch das schlimme Lotter-Gesindel / von welchen kein Statt befreyt / dem Todt vnter die Sensen gerathen / daß also nicht ohne Frevel die Red gangen / der Todt nehme nur die Spreyer hinweg / durch suche die Bettler-Säck / vnd wolle seinen Hunger mit gemeinen Gesindl-Brod in den Vorstätten stillen / also gar vermuthlich vor seiner die Herrn-Häuser vnd reicher Leuth Bewohnungen die Salv. Quard. erhalten / holla! sagt der Todt / damit ihr gleichwohl solt wissen / daß mir keine Vestung zu starck / vnd solle sie auch versehen seyn mit Pasteyen / die so hoch / wie der Diezberg in Karnten /[40] der Schöckl in Steyermarck / der Chasteiner in Saltzburg / der Caravancas in Bayern / der Läber-Berg in Schweitzerland / der Fichtelberg in Böhmen / der Kallenberg in Oesterreich / etc. vnd soll sie auch vmbgeben seyn mit einen Graben / der dem grossen Oceano könte Wasser leihen / so will ich ohngeacht alles diß die Statt erobern; welches dann leyder geschehen ist in dem Julio / vnd hat solcher Todt fast mitten im August: das offenlich Plündern / vnd grausame Rauben vorgenommen.

Zu Zeiten Cæsaris Dictatoris hat in Rom ein Ochs geredt / Ful: 9. lib. Zu Zeiten deß Propheten Balaam hat ein Eßlin geredt / Num. 22. Zu Zeiten Kaysers Mauritij hat ein Metalline Bildnuß geredt / P. Dic. lib. 17. Zu Zeiten Tarquinij Superbi hat ein Hund geredt. Ful: lib. 1. Zu Zeiten Bedæ haben die Stein geredt Cæsar: lib. 1. Bey der Zeit zu Wienn aber /[41] weil bald an disen Eck ein Krancker lainte / auff der anderen Seyten ein Sterbender seufftzte / über etlich Schritt ein Todter lage / vnd die Cörper auff offentlichen Wägen auch den Fuhr-Leuthen den Paß verstellten / auff solche Weiß zu Wienn haben die Gassen geredt / vnd menniglich gleichsamb zur Buß vnd Penitentz ermahnt: auff auff ihr sündige Menschen! die Axt ist schon an dem Baum gesetzt / der Zorn GOttes ist vor der Thür / die Stimm deß Allerhöchsten wird euch beruffen zur Ewigkeit / der H. Ertz-Engel Michael halt schon die Waag / eure Werck hierdurch zubeurtlen / auff / auff! vnd thut die wenige Tag vnd Stund so euch noch übrig / der Buß schencken / dann dise ist allein noch der Schwammen / der eure Sünd kan abwaschen / dise ist allein das Feur / welches eurern Schuldbrieff kan verbrennen / dise ist allein der Nast / an dem ihr euch noch vor dem Fall der ewigen Verdamnuß[42] könnt erhalten: Bußzäher / glaubet / daß sie seyn das Schaidwasser / welches noch die Ketten kan zertrennen / mit dero ihr an die Dienstbarkeit deß bösen Feinds seyt angefesselt; die reuende Hertz-Klopffer / haltet fůr gewiß / können noch die euch versperrte Himmels-Thür einschlagen: die inbrünstige Seufftzer / trauet wohl / seynd noch die Music / so GOttes Zorn können lindern; auff! auff! bereitet euch zu der Reiß in die Ewigkeit / damit wenigst / wo ihr das zeitliche Leben müsset dran wagen / nicht zugleich auch das Ewige verschertzet / auff; auff; beynebens auch ihr vnschuldige Menschen / es ist also in dem geheimen Rath deß Allerhöchsten beschlossen /das / ob ihr zwar durch einen Christlichen Wandl den Zorn Gottes nicht auffgehetzet / gleichwohl vil auß euch můssen den Schuldigen das Glait geben in die Ewigkeit / reiniget euch demnach auch von den kleinen Mackl / ohne welche wir elende[43] Adams-Kinder kaum leben können / damit ihr der zeitlichen Straff entgehen möget; auff solche Weiß redeten einem jeden zu alle Gassen / vnd Strassen / vnd das Pflaster / so man mit Füssen tratte / erinnerte alle / daß sie ein Pflaster über ihre Gwissens-Wunden vnverweilig suchen sollen / wie dann mit Verwunderung zusehen war / daß die Leuth häuffig den Gottes-Häusern zugeeilt / vnd mit nassen Augen den Beicht-Vättern zu Füssen gfallen / sich also zu dem Todt gericht; wie dann deren vil hundert kaum den Altar vnd Kirchen verlassen / in der Ruckkehr nach Hauß von der Hand-GOttes berührt worden / die Beul vnd Tipel an dem Leib auffgefahren / ja vil bereits vor dem Beichtstühlen vhrblätzlich nidergefallen / das mans halb todt zur Thür hinauß schlaiffte / etliche bey denen noch ein Fünckl von einer Curaggi sich blicken liesse / tratten auff offentlicher Gassen zusammen / jedoch[44] mit verstopfften Naßlöchern / vnd gerauchten Schnufftüchern / ziechten aber nicht mehr an nach alten Brauch / was etwann der Curir auß dem Reich noch was die Zeitung von Madritt mitführe / sonder es ware das traurige Reden von dem gegenwärtigen Ellend / vnd wann sie nach abgekürtzten Discurs einander beurlaubten / seynd ihnen die Augen übergangen / als Prophezeyeten sie ihnen selber / daß sie den dritten Tag einander nicht mehr sehen wurden. Die Wierths-Häuser seynd sonsten Einkehr der Freuden auch zu weilen der Freyheiten / dann es ist nicht ohne Geheimnuß /das / wie die seeligste Jungfrau mit Joseph nacher Bethlehem ko en / sie in einem übel bedeckten Stall die Herberg nehmen müssen / non enim erat eis locus in diversorio, Luc. 7. dann es ware kein Platz mehr für sie in dem Wierts-Hauß / vnd ist wohl war / das der gütigste GOtt keinen Raum findet in solchen Häusern zu[45] Zeiten / weil allda alles Vbel einlogiret; das von einem Lambl ein Schwein / von einem Adler ein Rab / von einem Roß ein Bock komme / ist so gar kein grosses Meer-Wunder / dann die öfftere Erfahrnuß macht vns dergleichen Begebenheiten nicht seltzamb / wer weiß nicht? das zu weilen sich nicht einer beym weissen Lambl Sauvoll trinckt / beym gulden Adler ein Galgenvogel / beym rothen Rößl ein gailer Bock wird / wundere dich dessen nicht / dann wann Bachus ein haitzt / so setzt sich die Venus hinter den Offen. Dardurch seynd nicht alle offentliche Wierths-Häuser verstanden / sondern nur die jenige / in denen die Zech / so wol die Weiber als Weinbeer antrifft: Wierths-Häuser mit einem Wort seynd Freuden-Häuser / vnd wird dem Pfeiffer sein auffblassene Arbeit an keinen Orth mehr bezahlt als in disen / auch alle Spihl-Leuth vnd Possen-Krammer thun hierinnen ihre Wahr versilberen /[46] aber der Zeit in dem Volckreichen Wienn hat man das klågliche Widerspiel erfahren /vnd ist mancher Kellner mehr beschäfftiget gewest in Auffzeichnung nicht der Zech / sonder der Zecher die er Morgents fruhe hinter oder vor der Thür Todter gefunden / ja man schlepte gar offt den Gast vnd den Gastgeb herauß auff den Todten-Wagen; der Boden so vorhero wegen stätes Tantzen must mit Wasser besprengt werden / würde nachmahls mit Zäher benetzet / so hatten auch die Wierth vnnöthig die Glåser außzuschwencken / sonder es thäte mehr daß wie Glaß zerbrechliche Menschens-Leben ihre Gedancken abmatten / an Statt deß vielfältigen Juitzgen /schöpffte man tieffe Seufftzer / vnd ware mehr / O Veränderung! mehr vom Weinen als vom Wein zusehen; Es gangen die Leuth auff der Gassen so wohl als Hertzloß als Redloß daher / vnd ihre entferbte Angesichter[47] waren gar scheinbahre Zaiger / wie das inwendige Vhrwerck beschaffen seye: bißweilen auff der Gassen / ware die Ansprach / willkomm Bruder / lebest du auch noch? deme solcher mit ja geantwort /vnd beynebens mit halb gebrochnen Wörter folgends hinzugesetzt / ja ich lebe noch / aber mein Vatter /mein Mutter / mein Schwester seynd mir gestorben /warüber das Valete die Sti verschlagen / vnd die nasse Augen allein Urlaub genommen.

Im grossen Elend ware Anno 1578. die Statt Lißbona / in dero auff die siebenzig tausend Menschen gestorben. Sehr betrangt ware / Anno 1542. die Statt Preßlau in Schlesien / allwo in zwey vnd zwantzig Wochen / fünff tausend neunhundert Persohnen darauff gangen. Ein trauriges Spectackel war dazumahl in Rom / allwo zu weilen in einem Tag zehen tausend Menschen gestorben / Plutarch. in Vit. Camill. Ein vnbeschreibliche Trübsal[48] ware Anno 1381. zu Prag /daß einmahl auff einen Tag tausend einhundert vnd sechzehen Menschen begraben worden / wie Hedius bezeuget. Ein grosse Sterbens-Noth litte An. 1466. die Statt Pariß / in dero in weniger Zeit in die viertzig tausend Burger vnter die Erd geschart worden / Riccius Neap. Ein absonderliches Elend / stunde auß Anno 1576. die Statt Venedig / allda innerhalb 9. Monath auff die sechzig tausend Menschen der Todt hinweg gezuckt / Petrus Forst. lib. 6. obser. Ist demnach zuerkennen / daß alle diese Stätt mit grossem Elend seynd überfallen worden; wer aber Anno 1679. in der Wiennstatt in dem Monath September hat gelebt / der muß es hoch betheuren / das solches Elend allen Mahlern zu entwerffen vhnmöglich scheinet /dann der Todt solcher gestalten gewůtet / daß vielen vorkommen / es sey der allgemeine Epilogus vnd Weltschluß verhandelt / es[49] findet sich nicht ein einige Gassen noch Gassel / deren doch so viel in dieser Volckreichen Residentz Statt / welche deß Todts Grimmen nicht hätte außgestanden. In der Herrengassen hat der Todt geherrschet. In der Klugerstrassen / ist der Todt nicht klueg gewest / sondern verschwenderisch. In der Bognergassen / hat der Todt ziemlich seinen Bogen abgeschossen; In der Singerstrassen / hat der Todt vielen das Requiem gesungen. In der Schulerstrassen / hat der Todt kein Vacanz gesetzt. In der Riemerstrassen / hat der Todt auß frembden Häuten Riemen geschnitten. In St. Dorotheagassen / hat der Todt keinen Feyertag gehalten. In der Beckerstrassen / Wallerstrassen / Breinerstrassen / Kärnerstrassen / Donfaltstrassen / [50] Wiplingerstrassen / hat der Todt einen Strassenrauber abgeben; In der Naglergassen / hat der Todt seine Pfeil gespitzt; In der Himmelportgassen / hat manchen der Todt geschickt im Himmel oder darneben. In der Joannesgaß / ist der Todt Joannes in eodem gewest. Auff dem Hohenmarckt / hat der Todt viel erniedriget. Auff dem Fischmarckt / hat der Todt keinen Fastag gehabt. Auff dem Neuenmarckt / hat der Todt keinen nichts Neues gemacht. Auff dem Kohlmarckt / hat der Todt nichts als kohlschwartze Trauerkleider verursachet. Auff dem Kienmarckt /hat der Todt auch angezündet. Auff den Baurenmarckt / hat der Todt viel Burger angetroffen. Auff dem alten Fleischmarckt /[51] hat der Todt auch sein Fleischbanck gehabt. Auff dem Sawmarckt / nunmehr Schaumarckt genannt / hat der Todt manches Spectackel erwiesen. Auff dem Graben / hat der Todt nichts als eingraben. Auff der Freyung / waren wenig befreyt vor dem Todt. Auff den Heydenschuß / hat der Todt nach Christen geschossen. Auff dem Judenplatz / hat der Todt ziemlich geschachert. Auff der Sailerstatt / hat der Todt vielen die Fall-Strick gelegt. Auff der Brandstatt / hat der Todt viel abgebrannt / daß sie seynd zu Staub vnd Aschen worden. Auff dem Saltzgriß / hats der Todt manchen versaltzen. Auff dem Katzensteig / hat der Todt starck gemauset. Den Sauwinckl / hat der Todt ziemlich gesäubert. Bey[52] den zwölff Aposteln / hat der Todt einen Iscariot abgeben. Auff dem Grünanger / hat der Todt gemacht daß viel wie ein Graß verdorret / Omnis caro fœnum. Den Peters-Freythoff / hat der Todt bey seinen Nahmen gelassen. Auff der Hohenbrucken / hat der Todt manchen gestürtzt. Im Ofenloch / ist manchen der kalte Todtschweiß über das Angesicht geronnen. In dem Schlossergassel / hat der Todt vielen die Thür auffgesperrt in die Ewigkeit. In dem Jungfraugassel / hat der Todt nicht wenig Galanisieret. In dem Hutergassel / hat der Todt wohl nicht vnter dem Hütel gespielet / sondern offentlich gewütet. Das Rathgassel / ist vor dem Tod kein Röttgassel gewest. In dem Rosengaßl / hat der Todt[53] zimlich abgebrockt. In dem Judengaßl / hat der Todt keinen Sabath gehalten. In dem Blutgassel / ist auch der Todt nicht schamroth worden. In dem Renngassel / seynd dem Todt wenig entloffen. In dem Strohgassel / hat manchen auff dem Strosack der Todt erwürgt. In dem Ferbergassel / hat der Todt zum mehristen die bleiche Todten-Farb angestrichẽ. In beeden Schenckerstrassen / hat der Todt nicht vielen das Leben geschenckt. In der Lands-Cron / hat der Todt den Scepter geführet. Auff der Fischerstiegen / seynd dem Todt viel in das Netz gerathen. In der Weidenburg / hat der Todt einen Burggraffen vertretten. Im Stock in Eysen / hat sich der Todt hart gnug erzeigt: Summa es ist keine[54] Gassen noch Strassen / ob auch ihre Nahmen nicht alle hier beygefügt / so wohl in Wienn als in dero grossen weiten Vorstätten / welche der rasende Todt nicht hätte durchstrichen; Man sahe das gantze Monath vmb Wienn / vnd in Wienn nichts als Todte tragen / Todte führen / Todte schlaiffen /Todte begraben / ja so weit wachste das Elend / das weil der Bedienten hierzu ein grosse Anzahl erfordert wurde / diese betrangte Statt ge nöhtiget worden / mit offentlichen Trommelschlag durch etliche Wochen Todtengräber vnd Todtentrager zuwerben / vnd hat solche Trommel einen so traurigen Hall von sich geben / daß hierdurch männiglich bestürtzt / dahero auß tausend gemeinen Leuthen kaum einer sich eingefunden zu solcher Dienstverrichtung / den man dannoch mit überhäuffigen Geld besolden muste / deßhalben auch alle Keichen / Thürn / Stockhäuser vnd Ambthäuser /[55] in denen nicht wenig verhafft lagen /seynd empsigst durchsucht worden / vnd die / so ohne das durch gerichtliches Urthel ihrer Unthat halber das Leben verwürckt hätten / zu solchen Diensten angestrengt / deren zwar der mehriste Theil auß den eysenen Banden deß Huetstocks gerathen vnter die Sensen deß Todts.


Umbständige Erzehlung deß Todts zu Wienn

[56]


Umbständige Erzehlung deß Todts zu Wienn

Mortuus est & Aaron: 2. Reg.


Auff! auff! du fromme Clerisey

Mit allen Ordens-Gnossen /

Ihr alle seyd vorm Todt nicht frey /

Man macht kein neuen Possen:

Das Reverende Domine,

Mit schönen Titl vnd Nomine,

Thut euch vorm Todt nicht retten /

Dann sterben můssen alle Leuth /

Das ist ein alte Metten.


Quelle:
Abraham a Sancta Clara: Mercks Wienn. Das ist des wütenden Tods ein umbständige Beschreibung [...], Wienn: Peter paul Bivian; der Löbl, 1680 [Neudruck: Tübingen: Niemeyer, 1983, [Deutsche Neudrucke: Reihe Barock; 31], S. 39-57.
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