Was man in der Wienn-Statt über die Krancke vnd Pestierte für ein Obsicht getragen / vnd wie selbigen zu Seel vnd Leib müglichst seye beygesprungen worden.

[345] Zu End deß Monats November erst verwichenen Jahrs ist von einem Evangelischen Pastor in einer vornehmen Reichsstatt / dero Namen ich dißfalls verschweige / offentlich geprediget worden / wie daß in der Statt Wienn bey grassierender Pest die Leuth ohne einigen Geistlichen Trost seyn elend dahin gestorben /ja es seye die Wehemütigkeit der betrangten Leuth vergrössert[346] worden nicht ein wenig / durch die sorglose Obsicht der Geistlichen / sonder so wohl Münch als Pfarrherrn haben alle Seelsorg beyseyt gelegt / vnd sich entweder zwischen vier Mauren in Sicherheit gehalten / oder aber fern von der Statt die Flucht genommen. Ob ich zwar von obberührten Pfarrherrn in Glaubens Articul entzweyet bin / so hat vns doch beede der Tauffstein anverwandt gemacht / dahero ich dißfalls nicht mit vngeschlachten Worten vnd knoperten Widerwillen ihn anzuschnarchen gesinnt bin /sonder als ein lieben Freund benachrichtige ich ihn /wie daß mir nicht einfallt / als habe er solche Zeitung mit einem Poetischen Hammer geschmidet / sonder ich glaube / es habe ein mißgönnende Feder solche Vnwarheit vnd grundlose Geschicht überschrieben /ich nimb aber der Seyts meine eigne Glaubens-Genossen nicht zu Zeugen / sondern euch Evangelische[347] selbst / die ihr hin vnd her bey solcher trangseeliger Zeit in der Wieñstatt habt gewohnet / bekennt mir /habt aber vor Augen das jenige Ohr / so alles höret /bekennet mir vmb die Wunden vnsers allgemeinen Heylands / der da mich vnd euch richten wird / sagt an / ob nicht allerseits allein genugsame / sonder wohl überflüssige Obsorg wegen der Seelen geschehen seye.

Und hat solche weiseste Anstalt gemacht der Hochwürdig vnd Hochgelehrte Herr Joann Baptista Mayer / der Heiligen Schrifft Doctor, Ihro Kayserl. Mayest. Rath / wie auch Ihro Fürstl. Gnaden vnd Bischoff zu Wienn Vic: Gener. vnd Officialis, welcher die gantze Pest-Zeit zu allgemeiner Seelsorg allhier verblieben /vnd ist durch Göttliche Beyhülff noch bey gewüntschter Gesundheit.

Bekant ist jene Parabl vnd Gleichnuß / so auß dem süssesten Mund der vermenschten Göttlichen Weißheit geflossen /[348] wie nemblich das Himmelreich gleich seye einem Hauß-Vatter / der an morgen fruhe außgieng Arbeiter zu dingen in seyn Weingarten / als er nun etliche zu vnderschiedlichen Zeiten angetroffen /hat er sie in seinen Weingarten gewisen vmb den billichen Lohn / da es nun bey Untergang der Sonnen zur Bezahlung kommen / vnd die jenige / so den gantzen Tag in Arbeit embsig waren / nicht höher belohnt worden / als dieselbige / welche nur den halben Tag gearbeit hatten / also ist es ihnen zuverschmachen gefahlen / vnnd schier vnbillich vorkommen / das nemblich lange Arbeiter / vnd langsame Arbeiter / sollen mit gleichen Lohn besoldet werden / dessenwegen gegen den Hauß-Vatter sich murrerisch beklagt / sprechend: Qui portavimus pondus diei & æstus, die wir deß Tags Last vnd Hitz getragen haben / sollen nicht besser belohnt werden als die andere? Als wöllen sie[349] sagen / es seye kein redlichs Stuck / vnd könne dißfalls der Hauß-Vatter kein redlicher Mann verbleiben.

Liebe Arbeiter eur murrige Zung kan ich dermahlen nicht loben / auß Ursachen / weil euch der gedingte Lohn nicht ist geweigert worden / doch aber verdienet / muß bekennen / gebührendes Lob euer arbeitsamer Eyffer / in dem ihr den gantzen Tag so embsig in dem Weingarten gearbeit habt / lasset aber euch nicht traumen / als seyd ihr die allerfleissigste / dann ich zeige euch weit lobwürdigere / welche in dem Weingarten GOttes nicht nur deß Tags Last vnd Hitz getragen /sonder auch gantze Nächt vnabläßlich ihr Mühe vnd Arbeit nicht gesparret / dise seynd gewest die Geistliche vñ Gott gewidmete Priesterschafft zu Wienn / bey solcher leydiger Zeit; dann als erstgedachte Contagion vnvermuther über Hand genommen / vnd von hoher Geistlicher vnd Weltlicher Obrigkeit[350] auß Vätterlicher Obsorg / so wohl Decreta als auch freundliche Ersuchungen an alle Geistliche abgeloffen / da ist mit Verwunderung zusehen gewest / mit was Eyffer sich die Seel-Sorger anerbotten / ja in viel Klöstern ereignete sich ein fast löbliche Strittigkeit / in deme einer vor dem andern auß Apostolischer Inbrunst zu solchem Seelen-Werck sich wolte brauchen lassen /dahero dise Geistreiche Männer Tag vnd Nacht /fruhe vnd spat die Krancke besucht / die Krancke versehen / dieselbe getröst / gestärckt / sich nicht geschichen in solche Zi er einzutretten / wo zu weilen drey vnd vier Pestierte gelegen / wo das Gifft wie ein blauer Dunst die gantze Wohnung verfinstert / wo man über die Todten-Cörper hat müssen schreiten / wo allerseits der traurige Todt vor Augen schwebte; alles dises überhäuffte Elend thäte sie nicht abschröcken von ihrem Seelen-Eyffer.[351]

Ein witziger Poet hat auff ein Zeit einem solchen embsigen Seelsorger dises Sinnbild gestellt / nemblich auff einem guldenen Leuchter ein schön brennende Kertzen / so fast gantz dahin abgeronnen / mit beygefügter Schrifft: Officio mihi officio, andern zu Ehrn / thu ich mich verzehren: Solches kan in aller Warheit von den Wieñerischen Geistlichen außgesprochen werdẽ / daß sie nemblich wegen deß Nechsten ihr eigne Leibs-Gesundheit / ja so gar das Leben in die Schantz geschlagen / welches der Allerhöchste vngezweifflet mit der ewigen Cron belohnet.

Jener Herodes / von deme der eyffervolle Prediger Joannes Baptista. Warheit halber enthaubt worden /hat seinem hupffenden Töchterl vmb etliche üppige Sprüng das halbe Königreich anerbotten; Wird nicht leicht bekant sein / das einem die Füß hätten ein so mercklichs Interesse getragen;[352] so ich aber die Augen gehn Himmel wende / fallt mir gleich ein trostreichere Belohnung ein / vnd getraue ich mir vor gewiß außzusagen / das der allermildiste GOtt vmb die vielfältige Schritt vnd Tritt / vmb das bey Tag vnd Nacht vnverdroßne Lauffen / den Geistlichen vnd Seelsorgern nicht ein halbes Reich / sondern das allsättliche Hi elreich vnd ewiges Heyl ertheile.

Dann hat der gütigste GOtt versprochen auch einen kalten Trunck Wasser nicht vnbelohnt zulassen / den man seinetwegen den Armen reichet / wie wird er dann erst belohnen die jenige Geistliche / welche ihme so viel vnschätzliche Seelen haben eingehändiget? Hat das Wasser in Erschaffung der Welt disen absonderlichen Ruhm erhalten / das es ein Thron deß Göttlichen Geists worden / dann anfänglich schwebte der Geist GOttes ober dem Wasser / vnd schreiben es etliche Heylige Lehrer diser Ursachen[353] zu / weil damahl GOtt hat vorgesehen / das künfftiger Zeit dises nasse Element werde durch den Tauff die Erbsünd abwaschen; was Thron / Cron vnnd Lohn wird dann nicht verdient haben ein solcher Geistlicher? der so manche Seel von den Sünden gewaschen / gereiniget /vnd zu einem Göttlichen Opffer gewidmet.

Damit aber männiglich bekant seye / mit was Eyffer von der Geistligkeit den Krancken vnd Sterbenden sey beygesprungen worden / konte ich ein zimbliche Anzahl beysetzen deren / so noch durch sondere Göttliche Hülff bey Leben seyn / welche mit vnsterblichem Ruhm solches Apostolische Ambt haben vollzogen / weil aber dero lobwürdigste Demuth alles Lob scheuet / hab ich vor gut angesehen / nur die jenige allhier zu zeichnen / welche wegen deß Nechsten Seelen Heyl / ihr Leben in diser Pest willig verlohren.

Quelle:
Abraham a Sancta Clara: Mercks Wienn. Das ist des wütenden Tods ein umbständige Beschreibung [...], Wienn: Peter paul Bivian; der Löbl, 1680 [Neudruck: Tübingen: Niemeyer, 1983, [Deutsche Neudrucke: Reihe Barock; 31], S. 345-354.
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