Die erst-auffgestandene Rosilis

[262] Ich kam den andern Tag zur Rosilis gegangen/

Als sie zum Morgen noch unangeleget war.

Sie stellte die Auror in eignem Bilde dar/

Wenn sie der frühen Welt zeigt ihre Rosen-Wangen.

Die Augen/ welche fast der Schlaff noch hielt umfangen/

Verglichen sich der erst entwichnen Sternen-Schaar/

Ihr über Stirne/ Wang und Hals gestreutes Haar

Dem Netze/ welches uns die theuren Würme langen.

Der weißen Hände Schnee schien heller denn der Tag/

Der angebohrne Schmuck/ die lieblichen Geberden/

Beschämten was der Fleiß/ die kluge Kunst/ vermag.

Giebt Rosilis/ mein Licht/ zum Morgen solchen Schein/

Wie soll mein Hertze nicht zu lauter Flamme werden

Wenn sie wird angelegt in vollem Mittag seyn!

Quelle:
Hans Aßmann von Abschatz: Poetische Übersetzungen und Gedichte. Bern 1970, 1, S. 262.
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