Marini

[104] Der unglückselge Mensch kan kaum die Welt begrüssen/

Daß nicht ein Thränen-Fluß/ eh das noch schwache Licht

Den hellen Tag erkennt/ aus seinen Augen bricht:

Wird frey und lässet sich in neue Bande schlüssen.

Ist er der zarten Milch und ersten Speiß entrissen/

So fässelt seinen Mutt der Zucht gezwungne Pflicht/

Befreyet ihn die Zeit/ wie muß sein Hertze nicht

Sich lebend offt und tod von Glück und Liebe wissen!

Was hat er denn für Sorg' und Kummer auszustehn/

Was muß ihm nicht für Schmertz und Leid zu handen gehn/

Biß er gebückt und matt ergreifft den schwachen Stab.

Zulezt entflieht der Geist/ der Leib wird hingetragen/

So plötzlich/ daß ich muß mit tieffem Seuffzen sagen:

Wie nahe grentzen doch die Wieg' und unser Grab.


Quelle:
Hans Aßmann von Abschatz: Poetische Übersetzungen und Gedichte. Bern 1970, 2, S. 104.
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