Uber die Worte der Schöpffung:
Im Anfang schuff Gott Himmel und Erden

[75] O Anfang sonder Ort/ o Anfang sonder Ende/

Wo warestu/ eh Welt und Menschen fiengen an?

Eh man bereitet sah des blauen Himmels Wände/

Eh noch bewohnet war der Erde Kugel-Plan?

Ein Archimedes will den gantzen Bau verrücken/

Weiß aber ausser ihm zu finden keinen Stand:

Wo läst sich denn ein Raum vor deine Grösse blicken/

Eh sich die gantze Welt noch ungebildet fand?

Ich schwör es/ Fleiß und Witz kan deinen Sitz nicht finden/

Das unerschaffne Schloß der Sternen schloß dich nicht

In seine Mauren ein/ die du noch soltest gründen/

Die Erde trug dich nicht/ die noch unzugericht:

Und dennoch warestu/ o dreyvereintes Wesen/

O Schöpffer aller Welt/ Gott Vater/ Sohn und Geist/

Wie wir davon Bericht in deinem Worte lesen/

Und deiner Hände Werck uns dessen überweist.

Seh ich den Himmel an/ so muß ich dich erkennen/

Und glauben/ daß ein Gott sein Meister müsse seyn.

Wie könten Sonn und Mond aus eignen Kräfften brennen/

Wenn nicht ein hellers Licht entzündet ihren Schein.[75]

Die Sternen löschten aus/ ihr Feuer müst erkalten/

Wenn sie der Höchste nicht zum Leuchten auserwählt.

Wie könte sich die Erd in freyer Lufft erhalten/

Dafern sie nicht die Hand des Schöpffers angepfählt?

Wer heisset Finsternis und Licht die Tag' entscheiden/

Das ungeheure Meer in seinen Gräntzen stehn?

Gewächse mancher Art die Felder überkleiden/

Die Lufft befiedert/ Land und See voll Thiere gehn?

Wer hat dem Menschen Geist und Odem eingegossen/

Die Sinnen in das Haubt/ die Sprach in Mund gelegt?

Von wem ist Fruchtbarkeit und Segen hergeflossen/

Daß die verallte Welt sich nimmer müde trägt?

Es muß doch etwas seyn/ von dem diß alles kommen/

Das alle dem sein Ziel und Ordnung hat bestimmt/

Das/ eh als alles diß/ den Anfang hat genommen/

Und welches folgbarlich von nichts den Anfang nimmt.

Was aber dieses sey/ und wo es sey zu wissen/

Ist keinem/ welcher noch die Erde baut/ erlaubt/

Wohl dem/ wer die Vernunfft legt zu des Glaubens Füssen/

Zwar wenig weiß/ doch viel nach Gottes Worte glaubt.

Ich glaube/ grosser Gott/ und ehre dich mit Schweigen/

Mein Suchen suchet ihm in deinem Worte Ruh/

Ich lasse mir den Weg zu dir darinnen zeigen/

Und frage nun nicht mehr/ wie vor/ wo warest du?

Verzeihe/ wo sich hier mein Vorwitz hat vergangen/

Und nachgeforscht von dir/ was unergründlich ist.

Du wohntest in dir selbst/ an keinem Ort gefangen/

Da/ wo du heute noch und immer wohnend bist.

Wo ewig um dich her die reinen Geister schweben/

Wo deinen Ruhm besingt der frohen Väter Schaar/

Wo ich nach dieser Zeit werd ohne Sterben leben/

Und ungefragt verstehn/ was hier zu dunkel war.

O Anfang sonder Ort/ der alles angefangen/

O Anfang/ welcher nichts von keinem Ende weiß/

Gieb/ daß ich dessen bald den Anfang mög erlangen/

So singet dir mein Mund ohn Ende Lob und Preiß.

Quelle:
Hans Aßmann von Abschatz: Poetische Übersetzungen und Gedichte. Bern 1970, 2, S. 75-76.
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