Trost-Schreiben an Herrn Friderich Ortlob/weit-berühmten Doctorem Medicinæ und Breßlauischen Physicum

[43] Mein Freund/ des Herren Hand hat ihn wohl harte troffen/

Indem die liebsten Zwey von seiner Seite ziehn.

Wo äusserlicher Schein hieß langes Leben hoffen/

Das riß der frühe Tod/ eh mans gedacht/ dahin.


Was treue Brüder-Lieb und Einigkeit verbunden/

(Ein schön und seltnes Gutt) wird unvermutt getrennt.

Was aber reiss' ich auff die kaum verharschten Wunden/

Wenn noch ein neuer Leyd in heisser Wehmutt brennt?


Der Seelen halbes Theil von Gottes Hand gerühret/

Weist schon ein Ebenbild der blassen Leichen aus.[43]

Es wird durch treuen Fleiß was Besserung gespüret/

Darüber stärcket sich mit ihr das gantze Hauß.


Verwandt-Bekandter hofft ein völliges Genesen/

Und bildet ihm annoch ein langes Wohlseyn ein;

Er aber/ der versteht wie die Gefahr gewesen/

Kan nimmer ohne Leyd und stille Sorgen seyn.


Sein eigner Leib empfindt/ wie er von andern jage

Durch Kunst und Gottes Gunst/ was seinem Hause stellt/

Wie er den Samen deß/ gleich andern/ bey sich trage/

Worwider doch kein Kraut zu finden in der Welt.


Der vor-erwehnte Fall muß solchen Schmertz vermehren/

Biß Gottes Hand numehr noch einmahl wiederkümmt/

Und wir mitleidig die betrübte Zeitung hören/

Daß sie das liebste Pfand aus seinen Armen nimmt.


Den Epheu kan man nicht aus seiner Mauer bringen/

Daß nicht in selbiger die tieffe Narbe bleibt:

Wie wolte Thränen-Blutt nicht aus dem Hertzen springen/

Von dem der Keil der Noth das Angewachßne treibt!


Die wahre Gottesfurcht/ der Geist voll Andachts-Flamme/

Die treue Häußligkeit muß nun vermisset seyn;

Der Freund/ des Armen Mund beklagt die Wohlthats-Amme/

Der Spiegel der Gedult verlieret seinen Schein.


Der treu-erkandte Sinn/ der immer gleiche Wille/

Sezt numehr von ihm ab/ will izt nicht/ was er will.

Des Tages Einsamkeit/ der Nacht betrübte Stille

Steckt seinem Leyd kein Maaß/ und seiner Angst kein Ziel.


Wir sind nicht Felsen-Art/ daß wir nicht fühlen solten/

Wenn unser Hertze wird von solchem Weh beklemmt:

Und wenn wir/ als erstarrt/ die Schmertzen bergen wolten/

So würden sie doch nur auff eine Zeit gehemmt.


Jedennoch müssen wir in Thränen nicht zerrinnen/

Die Zähren müssen uns nicht selber zehren auff:

Wir künnen doch dadurch vom Tode nichts gewinnen/

Verkürtzen uns nur selbst den kurtzen Lebens-Lauff.[44]


Wer aber nun ergänzt die Wunden in dem Hertzen?

Die/ aller Urtheil nach/ vor tödtlich sind erkandt.

Welch Julep kühlet ab die heiß-entbrannten Schmertzen?

Welch Mittel/ welcher Arzt/ wird nützlich angewandt?


Kein Heydnisch Wundkraut heilt dergleichen süchtge Wunden/

Kein Pflaster vom Parnaß/ kein Anstrich von Athen/

Hier hat kein Podalir vergnügte Mittel funden/

Man heisset uns umsonst zur harten Stoa gehn.


Die Wehmutt ist ein Glaß/ das falsche Farben zeiget/

Ein thränend Auge sieht den heitern Himmel nicht/

Der Monde der Vernunfft/ der in die Höhe steiget/

Ist doch zu schwach/ daß er die dicken Wolcken bricht;


Es muß ein ander Glantz vom hohen Himmel scheinen/

Der solchen Nebeldunst mit Krafft zertheilen kan:

Die irdsche Sonne macht ein blödes Auge weinen;

Die Ungeschaffne frischt zu wahrer Großmutt an.


Nun/ mein geehrter Freund/ er folge deren Leiten/

Die ihn aus einer Nacht des tieffen Traurens zieht/

Die ihm hat Zeit vergönnt sich Christlich zu bereiten

Zu dem/ was er itzund vor seinen Augen sieht.


Wer uns geschlagen hat/ kan auch am besten heilen.

Die Hand/ die uns verlezt/ thu auch den ersten Bund.

Erfahrung und Natur heist uns nach diesem eilen/

Was uns durch seine Gifft und zorngen Biß verwundt.


Zwar hier ist keine Gifft/ hier ist kein Zorn zu finden:

Es thuts des Herren Hand/ die alles wohl gemacht/

Des Herren Hand/ gewohnt zum Schlagen und verbinden/

Des Herren Hand/ der nie zu unserm Schaden wacht.


Schwer ist es/ unsern Schmertz bald erstlich zu bestillen/

Die Eigen-Liebe denckt offt mehr auff sich/ als Gott/

Sieht ihren Kummer an durch falsch-geschliffne Brillen/

Verdoppelt ihren Harm/ vergrössert ihre Noth.


Wir suchen nur/ was wir an unsrer Seite missen/

Und klagen/ daß uns Freud/ und Hülff/ und Trost entgeht/[45]

Erwegen aber nicht/ daß wir diß Liebe wissen/

Wohin auch unser Wunsch und brünstig Seufftzen steht:


Bedencken nicht/ wie es dem Tode kan entrinnen/

Wie es verlassen hat das Siech-Hauß dieser Welt/

Und wollen ihm gar bald die Freude nicht vergünnen/

Die ihm des Herren Hand in seiner Schos bestellt.


Wir sehen nicht/ wie Gott auff seine liebsten Kinder

Das Siegel iederzeit des heißen Creutzes drückt/

Wenn er die wilde Schaar der Gotts-vergessnen Sünder/

Bey blühendem Gelück in ewge Straffe schickt.


Wir wissen nicht/ was die vor Unglück offt entkommen/

Die ein noch früher Tod aus unsern Augen reist;

Und anders/ was ich mir zu melden vorgenommen/

Wenn nicht die Schwachheit noch beschwerte Leib und Geist.


Doch wird sein Christenthum/ mit welchem kluges Wissen/

Vernünfftges Urtheil und Verstand gesellet gehn/

Sein stets gemäßigt Sinn/ und männliches Entschlüssen/

So diß und mehr betracht/ dem Höchsten stille stehn.


Der selge Geist ruht nun in seines Herren Händen/

Der Kranckheits-müde Leib schläfft in dem Grabe wohl!

Man wird der Tugend Ruhm zur späten Nachwelt senden:

Kein ORT ist/ welcher nicht ihr LOB vermelden soll.


Quelle:
Hans Aßmann von Abschatz: Poetische Übersetzungen und Gedichte. Bern 1970, 4, S. 43-46.
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