Einunddreißigstes Kapitel.

Ein Satz in die Löwenhöhle.

[265] Der Gefreite schulterte: »Herr Lieutenant, ich rapportire.«

»Was?«

»Es schleicht ein Verdächtiger um die Wache.«

»Was hat er gethan?«

»Er hat ins Fenster geguckt, und dann ist er fort.«

»Warum ist er verdächtig?«

»Acht Zoll, Haare ohne Puder, kleiner Kopf, verfluchte Augen, und am Ellenbogen ein Loch, oder ist's ein Kalkfleck.«

»Und sonstens?«

»Der Vorpahl und Schlagebohm haben ihn schon gesehen. Zwei Mal ist er eingebracht worden auf dem Molkenmarkt. Einmal war er Bandit. – Da kommt er all wieder. Soll'n wir'n reinschmeißen, Herr Lieutenant?«

Der Kornet war ans Fenster gesprungen: »Hölle und Teufel, das ist Bovillard!«

»Was!« rief der Wachthabende, »sollte der Kerl es wagen –«[265]

»Eine Peitsche!« schrie der Kornet, als Louis Bovillard schon in der Stube stand und mit ihm beinahe zusammenprallte.

Der Eintretende war nicht der, welcher zurückwich.

»Eine Peitsche wünschen Sie, Kornet? Für Pferde oder für Hunde? Das muß man wohl unterscheiden. Pferdegerten bekommen Sie am besten bei Conradi an der Schleusenbrücke, aber wenn Sie Hundepeitschen wollen, gehen Sie ja nicht anders, als zu Krilow, Spandauerstraße. Echtes Juchtenleder, elastisch, fein gearbeitet. Aber nehmen Sie sich in Acht, nie zu stark geschlagen. Der bestdressirte Hund knurrt, wenn man ihn mit Juchtenleder zu stark traktirt. Also merken Sie, Kornet von Wolfskehl, bei Krilow, Spandauerstraße, Eckhaus nach dem neuen Markt zu.«

Bovillard war beinahe um einen Kopf größer als der Kornet, und es schien sehr natürlich, als er ihn mit der Hand dabei auf die Schulter klopfte. Aber es war nicht natürlich, daß der Kornet es sich gefallen ließ. War's die Magie des Auges, oder was bewirkte nach solcher Ausgelassenheit solche Einschüchterung?

»Was suchen Sie hier?« trat ihm der Wachthabende entgegen.

»Männer von Ehre.«

Was dem Kornet geschehen, geschah jetzt der ganzen ehrenwerthen Versammlung. Sie schwiegen, als wär's eine elektrische Berührung, die Alle in einem Moment umgewandelt hatte! Ein Dritter würde es ein Gefühl der Geschlagenheit genannt haben. Sie wussten nicht was sie zu thun hatten. Bovillard war wie ein Geist aus der Mauer in ihre Mitte gedrungen; ein Zischeln oder selbst nur ein Verständigen durch Blicke war nicht mehr thunlich. Indessen nahm der Wachthabende das Wort:

»Sie kommen in welcher Absicht?«

»Ihren Schutz und Beistand anzusprechen.«

Die Sache war aufs Neue vollständig verrückt.

»Werden Sie von der Populace verfolgt?«

»Die Populace kümmert mich nicht.«

»Oder wollen Sie sich freiwillig in Arrest überliefern, weil Sie –«

Der Offizier hielt inne. –

»Nichts weniger als das.«

»So muß ich den Herrn auffordern, sich etwas deutlicher zu expliciren!«

»Mit dem größten Vergnügen.«

Der Wachthabende hatte, um seine Autorität aufrecht zu erhalten, sich auf den Schemel nieder gelassen, was der Arrestat und der Rittmeister schon vor ihm gethan. Auch der Kornet schien Willens, dem Beispiel zu folgen, als Bovillard mit einer raschen[266] Schwenkung den vierten und letzten Schemel vor dem Wachthabenden niedersetzte und sich selbst darauf:

»Ich komme um einer Ehrensache halb.«

Alle sahen unwillkürlich den Sprecher, dann sich unter einander an.

»In solchen Angelegenheiten pflegt ein Kavalier nicht selbst zu kommen, sondern durch einen Vermittler, – wenn überhaupt davon die Rede sein kann,« setzte der Wachthabende trocken hinzu.

»Diesen Vermittler hoff' ich hier zu finden.«

»Donnerwetter!« brummte der Arrestat. »Glaubt der Herr da, oder wer's ist, den ich nicht kenne, daß wir hier solches Gelichters sind? Vermitteln! Pestilenz! Wer mir das anböte –«

»Ist wohl ein Mißverständniß,« sagte der Rittmeister.

»Gewiß,« fuhr Bovillard ruhig fort, »wenn die Herren an Beilegen denken. Ich will nichts beigelegt wissen, da ich vielmehr einen Gang auf Leben und Tod vorhabe. Wo man a tempo auf zehn Schritt schießt, pflegt der Tod näher zu sein als das Leben. Diese Rücksicht bestimmt auch mich, über andere Rücksichten hinweg zu sehen.«

»So weit schon? Was wollen Sie denn noch?«

»Nur einen Sekundanten. Auf morgen Abend steht die Promenade an. Die Bekannten, auf die ich fest gerechnet, haben mich nachträglich im Stich gelassen, Freunde habe ich nicht, also muß ich an – Nichtfreunde mich wenden. Unter den Civilisten war meine Bemühung vergebens, ich wende mich daher an das Militär.«

»Wie – ich meine, wie kommen Sie zu uns?«

»Weil Sie auf der Wache sind. – Meine Herren, ich betrachte Sie nicht als Individuen und Personen, sondern als Vertreter Ihres Standes, und Ihren Stand als den, welcher die Ehre zu vertreten hat. In einer Universitätsstadt würde ich mich an die Senioren der Landsmannschaften gewandt haben, hier wende ich mich an Sie. – Auf der Wache stehen Sie wie im Felde. Käme ein feindlicher Offizier zu Ihnen, um eine Ehrenangelegenheit abzumachen, so würden Sie als Kavaliere und Offiziere doch keinen Augenblick anstehen, die nöthigen Arrangements zu treffen.«

Die Offiziere sahen sich wieder halb befremdet, halb zustimmend an. Der Rittmeister strich vergnügt seinen Bart. Der Wachthabende sagte nach einer Pause:

»In solchen Dingen kommt doch Alles auf die Verhältnisse und Personen an, mit denen man zu thun hat.«

»Gewiß,« entgegnete Bovillard, »und ich habe keinen Grund, vor den Herren den Namen meines Adversaire zu verschweigen,[267] Ihr Wort vorausgesetzt, daß Sie Namen und Sache bis zum Austrag verschwiegen halten wollen.«

Der Wachthabende blickte sich nach seinen Kamenden um: »Ich kann in ihrem Namen die Versicherung geben.«

»Was kaum noth thäte. Die Herren würden doch nicht eine Ehrensache rückgängig machen wollen?«

»Hol' mich der Teufel, nein!« brach es von den Lippen des Rittmeisters, derselbe freudig verächtliche Ausdruck stand auf den Gesichtern der Andern.

»Mein Adversaire ist der Ihnen wahrscheinlich nicht unbekannte Legationsrath von Wandel.«

»Der!« Alle sahen wieder befriedigt, fast vergnügt ihn an.

»Die Sache ist kontrahirt, und er hat's angenommen?«

»Kontrahirt, angenommen, Ort, Waffen und Zeit bestimmt.«

Der Werth des Fremden war in der Wachtstube sichtlich gestiegen. Der Wachthabende hatte sich wieder vom Schemel erhoben.

»Meine Herren,« sagte er, sich umschauend, »das ist ein eigener Kasus.«

»Gegen den Kerl, der um den Bonapartegesandten schwänzelt, muß man Jedem beistehn,« meinte der Kornet.

»Man muß ihn aber doch auch kennen,« sagte der Arrestat. »Es kommt auf die Verhältnisse und Personen an, mit denen man zu thun hat, äußerten Herr Bruder vorhin.«

»Der Grund Ihres Disputes ist?« fragte der Wachthabende.

»Gründe unter Kavalieren!« rief Bovillard jetzt auch aufstehend. Die Hand in der Brust verneigte er sich leicht. – »Verzeihung, meine Herren, wenn ich mich getäuscht hatte. Es war nicht meine Absicht Sie zu inkommodiren.«

Es war aber jetzt durchaus nicht die Absicht der Andern, sie wollten sich inkommodiren lassen.

»Es fragt sich eben nur mit wem wir –« der Redner stockte. Bovillard fiel ein:

»Die Ehre haben zu thun zu haben. Sehr begreiflich. Da ich nicht so glücklich bin von Ihnen gekannt zu sein, wünschen Sie meinen Stammbaum einzusehen.«

Das Wort Stammbaum schien wieder eine Wirkung hervorzubringen. Dennoch blieb dem Wachthabenden die Frage im Munde stecken. Der Arrestat fragte über den Tisch:

»Sie heißen – Bovillard?«

»Wie meine Ahnen.«

»Da war auch mal hier ein Pastetenbäcker, pâtissier et confiseur Louis Bovillard

»Ich habe die Ehre sein Urenkel zu sein. Man rühmt ihn[268] als einen der trefflichsten Männer in unserm Hause, ein Charakter und seltener Esprit.«

»Es gab aber auch unter den Refugiés,« fiel der Wachthabende ein, »einen Sieur Louis Bertolet Fulcrand de Bovillard, der als Maitre de Cerisé in den Listen eingetragen steht.«

»War auch mein lieber Urgroßvater, ein excellenter Mann.«

»Wie passt das zusammen?«

»Sie waren ein und dieselbe Person.«

»Mein Herr, wir sprechen hier in einer serieusen Angelegenheit.«

»Die serieuseste von der Welt. Mein Ahnherr konnte die Güter von Cerisé nicht mitnehmen, als er vor Louis' Dragonern bei Nacht und Nebel über die Grenze schlüpfte, aber sein Talent Pasteten zu backen, hat er mitgebracht. Er befand sich auch ganz wohl dabei. Ein jovialer Mann. Ich bin nicht stolz auf Verdienste meiner Vorfahren, die mir abgehen, aber ich darf mit Ruhm sagen, daß seine Konfituren am Hofe des nachmaligen Königs Friedrich im besten Renommee standen. Sonst wäre er auch nicht auf kurfürstlicher Durchlaucht Befehl mit nach Königsberg beordert worden.«

»Er ward mit zur Krönung befohlen!«

»Und mit zur Tafel gezogen?« fragte der Arrestat.

»Allerdings. Die große Pastete an der Krönungstafel war sein Werk. Sie nimmt in der Geschichte keinen unrühmlichen Platz ein. Wir besitzen in der Familie eine Abbildung davon. Wenn es den Herren gefällig wäre, sie zu sehen, stehe ich immer zu Diensten.«

»Und in die Pastete hat Ihr Urgroßvater seinen Adel eingebacken?«

»Wie Sie's nehmen wollen, Herr Kapitän. Als sie aufgeschnitten ward, kam der bekannte Zwerg heraus. Mein Ahnherr ward gerufen, mit Lob überschüttet. Ihre Majestät, die geistreiche Königin Sophie Charlotte setzte ihm eigenhändig einen kleinen Lorbeerkranz auf. Leibnitz erwähnt seiner und der Pastete in einer Epistel; Gundling schrieb später eine Abhandlung darüber, auch Morgenstern.«

»Und für diese Verdienste –«

»Ward er persönlich von der Perrückensteuer befreit.«

»Man muß gestehen, Ihre Familie hat eine historische Entrée in unserm Staat gemacht. Aber da Ihre Väter in den Staatsdienst getreten sind, erkannten muthmaßlich die Preußischen Könige durch Briefe Ihren französischen Adel an?«

»Die Bovillards haben nie etwas auf den Briefadel gegeben. Kann man etwas geben, was nicht ist, und etwas vernichten, was[269] ist? So hat einer meiner Vorfahren gesagt, dem man einige Schwierigkeiten machte, als er aus den Kreuzzügen zurückkehrte. Louis der Heilige sagte lächelnd zu ihm, als er's erfuhr: Das kommt mir vor, als wenn Martell Deinen Ahnherrn in der Mohrenschlacht nach seinem Recht gefragt hätte, den Mohren den Schädel einzuschlagen. Mein Ahnherr, sagte Jener zu König Louis, hätte Karl Martell antworten können: ›Die Römer fragten bei Zülpich nicht danach, als mein Urahn hinter Chlodwig in ihr Speerquarree einhieb.‹«

Bis zu den Kreuzzügen konnten ihm weder die Stiere von Dohleneck und die Kniewitze, noch die Horstenbock und Wolfskehlen genannt zu Ritzengnitz folgen. Aus Besorgniß, daß er sie nicht noch bis zur Schöpfung der Welt inkommodire, erklärte man schnell das Verhör für beendet, und der Rittmeister schätzte es sich zum Vergnügen, den Herrn von Bovillard in seiner Ehrensache mit dem fremden Legationsrath zu begleiten.

Bovillard bat den Wachthabenden, ihn mit dem Herrn, den er noch nicht zu kennen die Ehre habe, bekannt zu machen. Er bat es mit Ruhe und feinem Anstande. Mit demselben Anstande erfolgte die Präsentation.

»Von einem Offiziere Ihres Rufes konnte ich diese ritterliche Gesinnung erwarten.«

»Hol' mich Der und Jener,« sagte der Rittmeister, »ich freue mich, daß ich Sie anders kennen lerne, als ich – dachte.«

»Sei keusch wie Eis, und rein wie Schnee, Du wirst der Verleumdung nicht entgehen, sagte ein Poet zu Ophelia, und es ist auch so geschehen.«

»Die sprang ja wohl ins Wasser,« sprach der Rittmeister, den Pallasch umschnallend. »Herr von Bovillard, wir gehen ins Feuer: da wird es anders.«

»Hat sich magnifique benommen, ganz als ein Kavalier,« sagte der Wachthabende, als Beide die Stube verlassen. »Man muß es ihm lassen.«

Der Arrestat paffte Gedanken in die Luft, die er nicht nöthig fand, in Worten zu äußern. Sie mochten nicht ganz mit denen des Wachthabenden harmoniren.

»Donnerwetter!« rief der Kornet am Fenster. »Sie gehen Arm in Arm!«

»Was soll nur daraus werden!«

»Die Hetzpeitsche kann er nicht mehr bekommen –«

»Das kommt davon, wenn man einen leichtsinnigen Onkel hat.«

Der neue Kavalier mochte die Gedanken der Herren in der Wachtstube mit empfinden, denn auf der Straße hatte er den Rittmeister gefragt, ob er sich nicht fürchte, in seiner Gesellschaft[270] gesehen zu werden. Der Rittmeister konnte das Wort fürchten nicht leiden, er hatte sich mit einem um so festeren Druck an Bovillards Arm gehängt. »Wer sich schlagen will und zum Sterben bereit ist –«

»Ueber den ist die Fahne geschwenkt,« fiel Bovillard ins Wort, »und er ist ehrlich, wie des Scharfrichters Schwert den armen Sünder ehrlich macht.«

In der Kaserne, wo Dohleneck wohnte, hatten Beide eine lange Unterhaltung. Unmöglich konnte das Gespräch allein die Arrangements des morgenden Ganges betreffen. Sie schieden mit einem Händedruck, wie Freunde, die sich herzlich über Vieles ausgesprochen haben.

Quelle:
Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländische Romane, Berlin: Otto Janke, 4[1881], Band 7, S. 265-271.
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