Fünfunddreißigstes Kapitel.

Gehen Sie nach Karlsbad.

[297] »Ruhe!« sagte der Minister.

Ein andrer als der, welchen wir in seinem Tuskulum gesehen. – Trug der hohe stattliche Mann auch nicht Stern und Ordensband, so gehörten sie doch zu dieser Miene, dieser Frisur, dieser Gestalt, wie dazu geboren. Das Wort Ruhe, das er zum Geheimrath Bovillard gesprochen, passte ebenso zu der ganzen Erscheinung des im Vollgefühl seiner Würde aufrecht dastehenden Nannes, ein König in seinem Zimmer.

Bovillard lehnte sich, den Hut in der Hand, in die Fensterbrüstung. Er war, im Gehen begriffen, nur noch durch eine Wendung des Gespräches zurückgehalten. Am Tische blätterte der Rath von Fuchsius in einer der aufliegenden Druckschriften, die er später in die Tasche steckte.[297]

»Die Oesterreicher konzentrirten sich zwischen Ulm und Memmingen,« sagte er, durch eine Bemerkung im Gespräch der Beiden dazu aufgefordert. »Nach den letzten Nachrichten aber nicht in einer Stärke, um einen Angriff wagen zu können. Sie warten offenbar auf Kutusow und die Russen, die von der Donau her kommen sollen –«

»Wenn Napoleon ihnen Zeit lässt,« fiel Bovillard ein.

»Wenn wir Kutusow durch Schlesien lassen,« sagte der Minister.

»Das soll nun freilich jetzt nicht geschehen,« warf der Geheimrath hin.

»Buxhövden ist eben so unverrichteter Dinge abgereist wie vor ihm Duroc.«

»Wir nehmen wirklich die Miene einer respektablen Selbstständigkeit an,« bemerkte der Rath.

»Sie meinen, weil wir Alle vor den Kopf stoßen, und Keinen zum Freunde behalten.«

»Ei, Herr von Bovillard, von Ihnen das!« sagte der Minister. »Ist das jetzt auch Lombards Meinung? – Haugwitz war freilich beim L'hombre neulich ganz konsternirt. Aber er leidet am Magen.«

»Excellenz, ich muß gestehen, die Sachen wachsen mir über den Kopf. Eine Bewegung wie eine Völkerwanderung. Und wir so ganz allein in der Mitte!«

»Sollen wir darum auch wandern!«

»Napoleon lässt seine Truppen von Bologne und vom Rhein heranrücken. Marmont führt sein Korps von Mainz her, Wrede eins von der obern Donau, Davoust aus Schwaben. Das ist genug um die Oesterreicher zu erdrücken. Und nach Allem, was man aus Paris schreibt, genügt es ihm diesmal nicht, seinen Feind zu schlagen, er will ihn vernichten. Sie studirten vorhin die Karte, sind Sie nicht der Ansicht, Herr von Fuchsius?«

»Wenn die Russen nicht zu ihm stoßen, sei Mack geliefert, war Herrn von Eisenhauchs Meinung. Napoleon développirt Kräfte wie nirgend zuvor.«

»Kann er nicht,« warf der Minister ein.

»Wer hindert ihn?«

»Wir. Bernadotte steht mit Hunderttausend in Hannover. Lassen wir ihn nicht durch, so ist Bonaparte ohne ihn nicht stärker, als die Oestreicher.«

»Und wenn er nun doch stärker wäre!« rief Bovillard.

»So lasst sie sich die Köpfe zerschlagen. Wir haben Profit tout clair.«

»Wenn aber Napoleon unsere Neutralität nicht respektirt!«

»Lassen wir die Russen durch. Sie sind doch sonst ein so[298] ruhiger Mann. Alteriren Sie die Vorwürfe, die man Herrn Lombard macht? Oder kümmert Sie Ihr Sohn? Das ist ja nun auch abgemacht.«

»Ich weiß nicht, Excellenz, es ist mir zuweilen wie in einer Gewitterluft.«

»Gehen Sie nach Karlsbad. Zwei Becher Sprudel täglich, nachher drei. Drei Wochen lang. Ist Alles vorbei, ist Alles nur Imagination.«

»Excellenz mögen recht haben,« sagte Bovillard, sich zum Gehen anschickend. »Nochmals meinen Dank, daß Sie sich meines fils perdu angenommen.«

»Nicht der Rede werth. Aber, wie gesagt, fort muß er, wenn er abgesessen hat. Leidet auch an Imaginationen. Die Reden, die er führt, sollen ja exekrabel sein.«

»Er hat sie nicht von mir.«

»Assurément! Aber eben darum. Ist für Sie selbst am besten.«

»Gewiß! aber wie?«

»Ihr Herr Sohn,« sagte Fuchsius benimmt sich diesmal weit gefasster im Gefängniß, »ja er hat selbst erklärt, es wäre ihm lieb, Berlin und Preußen auf immer zu verlassen.«

»Charmant!« sagte der Geheimrath. »Aber wohin? Wenn wir Kolonien hätten!«

»Wenn wir die hätten!« sagte der Minister und legte seufzend seine Hand auf Bovillards Schulter. »Dann wäre Vieles besser. Das waren die Herren von der Theorie unter den vorigen Königen! Gestehen Sie mir, Geheimrath, ist das ein kluger Staatsmann, der eine Domaine, weil sie nur tausend einbringt und er hoffte eine Million, der sie darum für 'nen Spottpreis fortgiebt! Brauchten wir unser Korn, Holz den Engländern zu verkaufen, uns von ihnen Preise machen lassen? Müssten wir noch von ihren Kolonialwaaren nehmen? Hätten wir Noth, wo unsre schlesische Leinwand lassen? Brauchten wir Rußland zu bitten, wie neulich, unsere inkorrigiblen Verbrecher nach Sibirien zu schaffen! Kolonien, Herr Geheimrath, und wir schafften unsre Verbrecher hin, unsre Rohprodukte, unsre Fabrikwaare, Ihren Herrn Sohn auch, wir machten allein die Preise, und die Kolonisten müssten kaufen und bezahlen. Wenn das wäre, könnten wir doppelt lachen über die Kalamitäten um uns her; wir können es aber auch so. Sie schlagen sich, plündern, brennen, verwüsten, und wir kultiviren unser Land, protegiren unsere Fabriken. Dann halten wir Markt und machen auch die Preise. Wie steigen jetzt schon unsre Güter mit den Friedensaussichten! Wissen Sie, was man mir für Schöneichen geboten hat? – Der Herr van Asten in der Spandauerstraße möchte es gern.[299] Will das Holz schlagen lassen, Brettermühlen anlegen; aber ich lasse es ihm nicht. A propos « – der Minister zog den Geheimrath bei Seite und sprach leiser – »kennen Sie den van Asten?«

»Er gilt für einen sehr respektablen Mann.«

»Ja, ja, aber das intus! Er hat viel in französischen Weinen gemacht. Seit dem Lager von Boulogne ist das Holz in Frankreich theuer. Will nun in Brettern hinmachen und in Wein retour. Entre nous soit dit, warum soll man den Vortheil nicht mitnehmen! Warum soll ich nicht selbst mein Holz zu Brettern und die Bretter zu Geld machen, oder auch zu Wein. Wein im Keller ist baares Geld.«

»Und der Wein aus Excellenz Kellern unter Freunden doppeltes Geld werth.«

»Also Sie meinen, man kann ihm trauen? Aber Schöneichen laß ich ihm jetzt nicht. Wissen Sie, wie hoch es der Legationsrath taxirt?«

»Herr von Wandel ist ein Kenner.«

»Hat mir Mergellagerungen nachgewiesen, an die kein Mensch gedacht. Hat sich auch sehr nobel bewiesen gegen Ihren Sohn, seine sogenannte diplomatische Qualité ganz desavouirt.«

»Von einem so edel gesinnten Manne konnte ich es erwarten.«

»Er meinte, ob man Ihren Sohn nicht auf eine schonende Weise, etwa durch einen Courierritt nach Petersburg oder Madrid entfernen könnte? Was meinen Sie dazu? Können's ja mit Lombard abmachen.«

»Ich will darüber nachdenken.«

»Reiten ist sehr gut. Treibt auch das finstre Blut aus. Sollten auch reiten, Geheimrath, Ihr Embonpoint – aber besser, wie gesagt, ist Karlsbad. – Haben Sie solche Eile?«

»Zu Herrn von Wandel, dem ich noch meinen Dank schulde. Man trifft ihn so selten zu Hause.«

»Verschließt sich auch viel in seinem Laboratoire.«

»Oder bei der Lupinus,« lächelte Bovillard.

»Inklination!«

»Wer hätte das denken sollen!«

»De gustibus – wissen Sie. Ueberhaupt was der Mann prästiren kann! Sagt mir der Präsident vom Pupillenkollegium, tagelang sitzt er in der Registratur ohne Refraichement.«

»Was macht er denn da?«

»Liest die Akten durch. Ich habe ihn empfohlen.«

»Wozu die Pupillenakten?«

»Was der Mann sich für Agrikultur interessirt!«

»Der Grund und Boden der märkischen Güter ist doch nicht in den Pupillenakten verzeichnet.«[300]

»Er findet Ihnen im kleinsten Umstand Renseignements. Sie glauben nicht, wie merveillös er im Diviniren ist. Aus einer Gutsrechnung, was an Gerste, Korn, Weizen gewonnen ist, zu welchen Preisen das Holz fortging, wie viel Torf gestochen ist, daraus macht er Schlüsse, zum Etonnement. Sein Kopf ist voll Verbesserungspläne für unsere Landwirthschaft.«

»Um so mehr zu bedauern, daß Haugwitz einen Degout gegen ihn hat. Was könnte er im Staatsdienst nützen!«

»Hat er den Gout dafür?«

»Der kommt von selbst, wenn man unter Ministern wie Excellenz arbeitet.«

»Ich ästimire ihn sehr. Hat geniale Gedanken, zum Beispiel über Schafzüchterei. Wie ich mich mit meinen Bauern separirt habe, das möchte er allen Gutsbesitzern zum Exempel hinstellen. Hat mir eine Rech nung aufgemacht, wie viel der Gutsherr eigentlich Schaden hat bei den Frohndiensten. Ich versichere Sie, die Augen gingen mir über –«

»Vor Freude, daß Ihr Genie ein so glückliches Arrangement getroffen. Die Bauern sind gewiß auch zufrieden. –«

»Sie wissen, wie Bauern sind.«

»Aber das Publikum verehrt Excellenz als einen Wohlthäter der unterdrückten Menschenklasse, und als der Staat für Ihre Verdienste Ihnen Schöneichen schenkte, hat er nicht daran gedacht, daß es so viel mehr werth war, als Excellenz daraus gemacht. In der Taxe, die Seiner Majestät damals vorgelegt wurde, war es ja wohl nur geschätzt auf –«

Der Minister unterbrach ihn: »Ich ästimire, wie gesagt, Herrn von Wandel sehr, indessen –«

»Seine Relationen mit der französischen Ambassade?«

»Was kümmert mich das! Möchte er den Türken dienen oder wem draußen. Aber –«

»Haugwitzs Abneigung –«

»Kümmere ich mich um Haugwitzs äußere Affairen! Was braucht er von meinen inneren zu wissen! Auch solche modernen Ideen! Jeder Minister trägt Seiner Majestät vor, oder lässt vortragen, was er für nöthig hält, im übrigen Herr in seinem Departement, und kümmert sich nicht, was ein anderer Minister will und denkt, oder nicht will und nicht denkt, und wenn ich Jemand anstelle, der Haugwitzs Pläne kontrekarriren oder Lucchesini vergiften wollte, das ginge doch nur mich an, ob ich einen solchen Menschen behalten will oder nicht. Also 's nicht um Haugwitz noch um irgend Jemand.«

»Dann wüsste ich in der That nichts, was man Herrn von[301] Wandel vorwerfen kann, als daß er keine Diners giebt. Gewisse Personen choquirt das allerdings.«

»Er hat nicht von unten auf avancirt. Verstehen Sie mich wohl, was ich damit meine. Kann das Hereingeblasene nicht leiden. Der Pli muß durch die Schule kommen. Es ist mir nicht sowohl um die Examina, denn wäre er von guter, ich meine von sicherer Extraktion, so – aber – die Familie Wandel, sie mag sehr respektabel sein, je n'en doute pas, indessen im Rüxner und in Kaiser Caroli Landbuch finden wir keinen Wandel. Comprenez-vous? Wie gesagt, ein genialischer Mann, sehr unterrichtet, generös – ich werde ihn morgen zu Tisch einladen.«

Die Einladung war die Entlassung, oder der Wink zum Gehen für Bovillard.

An der Thüre winkte ihn noch ein A propos zurück. Der Minister ging dem Rückkehrenden noch um einige Schritte entgegen, und mit einem faunischen Augenblinzeln flüsterte er in einem Tone, zwischen Herablassung und Kordialität: »A propos, Herr Geheimrath haben ja wohl interessante Staatskonferenzen jetzt bei St. Real?«

»Verstandesspiele, Rekreations in der Gewitterschwüle,« entgegnete Bovillard und war hinaus.

»Wer war denn das im Vorzimmer?« fragte er, als Fuchsius ihn noch im Flur des Hotels einholte. »Die Physiognomie muß ich schon gesehen haben.«

»Der Sohn des reichen Kaufmanns van Asten.«

»Der! – Ist ja ein Genie. Was will der beim Minister?«

Fuchsius zuckte die Achseln: »Was eigentlich, weiß ich nicht. Vielleicht eine Anstellung.«

Im Weitergehen begegnete er dem Rittmeister, der in Gedanken versunken ihn nicht sah. Der Rath blickte ihm nach:

»Ob es nicht Pflicht wäre, dieser Puppe den Staar zu stechen, daß er sähe, an welchem Draht er gezogen wird. Es ist doch eine Natur in ihm!«

Er hatte es unwillkürlich halb laut gesprochen. Der Major Eisenhauch, der hinter ihm gekommen, klopfte ihm auf die Schulter: »Lasst die Puppen noch eine Weile nach der Drehorgel tanzen. Der Blitz züngelt schon, der die Drähte schmelzen wird, alle mit einem Schlage. Dann lasst uns sehen, was auf dem Resonnanzboden fällt, was steht!«

»Ihre Augen glühen.«

»Die Wolken rollen; das Gewitter muß sich entladen. Abermaliger Aufschub ist unmöglich. Die zuverlässigsten Nachrichten,« sagte er leiser und sich vorsichtig umblickend, »kamen eben an. Napoleon darf, kann, wird die Oesterreicher an der Donau nicht[302] eher angreifen, als bis Bernadotte aus Hannover zu ihm stößt. Er darf keinen Umweg nehmen, die Stunde brennt, Napoleon muß schnell zuschlagen, bevor die Oesterreicher sich verstärken; Bernadotte muß also durch die fränkischen Lande, um zur Stunde zu kommen. Wissen Sie, was es heißt, wenn Napoleon sagt, es muß sein?«

»Wenn doch ein Mensch bei uns dies Muß ausspräche!« stöhnte der Rath.

»Wo die Menschen zu schwach sind, donnern die Umstände. Er wird die Traktaten verletzen, er wird durch preußisches Gebiet brechen und wir –«

»Was werden wir thun?«

»Wenn noch ein Funke preußischen Muthes ist, zündet er und die Mine springt. Sie zweifeln noch! – Sie glauben, auch diesen Hohn könne unsre Langmuth dulden! Herr, ich schelte Sie einen Hochverräther an sich selbst. Ich hoffe, auch Haugwitz lässt seine L'hombrekarten fallen; auch Lombard blitzt es in einem lichten Momente, daß er eine dupe war. Wer nicht! Oder wäre der Nerv schon ausgezogen diesem eisernen Volke, Glanz und Elasticität diesem Herrschergeschlechte, jene Wunderkraft, die dies Reich aus einem Nichts geschaffen, wäre lungenkrank im letzten Stadium!«

»Sei unser Genius wach!«

»Und wir auf sein Kommando! Darauf kommt es an.«

»Stein ist fest. Er wird auf Hardenbergs eben so feste Unterstützung rechnen dürfen.«

»Keiner darf ruhen, wir müssen einheizen, schüren, Jeder an seiner Stelle. Brandstifter sein wird jetzt zur Tugend und Pflicht. Keine Parteimeinungen mehr, Civil und Militär, die traurige Spaltung muß verschwinden. Die Prinzen unterstützt! Die Königin! Vor allem Prinz Louis! Die Regimenter angejubelt auf der Parade beim Marsch. Haben wir denn keine Kriegslieder, keine Dichter! Auf dem Theater Stücke, die das Blut entzünden! Wozu haben wir Federn, Papier, Druckerschwärze, Zeitungen, wenn sie nur da sind um Räthsel und Anekdoten zu drucken. Das wäre das Mittel um Blitze –«

»Sie vergessen –«

»Die für die Gebildeten schreiben! Ins Volk die Blitze geschleudert! Das gilt es. Haß, Grimm muß die Massen durchwühlen, Rachewuth zum Opfermuth werden. Erfinde man Greuelgeschichten, wenn die wirklichen noch nicht zünden, vom Franzosen-Uebermuth, von Schande und Schändungen, Erpressungen, Hohn und Höllenlust; diese Dichtung ist heilig, es gilt ja das Volk, nicht uns. Ihm sein Alles zu retten, seine Sitte, Sprache, Geschichte, selbst sein eigenes Leben, seine Zukunft. Denn alles das[303] steht auf dem Spiel, nicht wenn wir geschlagen werden, wenn wir nicht schlagen. Wir gehn unter in uns, und vor uns selbst. Wem dies Schrecklichste der Schrecken klar ist, der kennt keine Rücksichten mehr.«

Während Fuchsius auf der Straße seinen Freund bitten musste, sich zu mäßigen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, stand Walter van Asten vor dem Minister. Wenn er mit Feuer gekommen war, verloderte es vor dem aufrechten Mann, der ohne eine Miene zu verziehen seine Anrede angehört hatte. Er war ins Stocken gerathen, er hatte wenigstens nicht das gesagt, nicht alles, was noch auf der Schwelle zum Hotel, noch im Vorzimmer in seiner Brust, ein wohlgeordneter Strom der Ueberzeugung, fertig lag.

»Was wollen Sie eigentlich?« sagte der Minister.

»Ich habe es in der Druckschrift, welche ich meiner ehrfurchtsvollen Bitte um diese Audienz beilegte, dargelegt.«

»Ich lese nichts Gedrucktes,« sagte der Minister.

Es war ein kalter Blitzschlag. Aber er zündete in Walters Brust. Eine Pause, dann verbeugte er sich:

»So bitte ich um Verzeihung, daß ich an die unrechte Stelle mich wandte.«

Walter hatte übersehen, daß der Olymp, aus dessen Wolken der Blitz kam, seine Stirn nicht kräuselte. Auch nach dieser Antwort blieb er unbeweglich. Er gab nicht das Zeichen zur Entfernung. Nach einer neuen Pause kam aus denselben Lippen dieselbe Frage:

»Was wollen Sie eigentlich?«

»Jetzt nur meine Dreistigkeit bereuen.«

»Sie sind der Sohn von van Asten und Compagnie?«

»Zur Compagnie gehöre ich nicht.«

»Ein respektables Haus. Macht nur in Geschäften, die es versteht.«

Abermals eine Pause, und noch kein Zeichen der Entlassung. Aber der Olymp bewegte sich. Die Hände auf dem Rücken, ging der Minister einige Mal auf und ab:

»Der Tausend noch mal, wie kommen Sie denn zu dem Zeug!«

Also hatte er sich doch vortragen lassen, von Jemand, der Gedrucktes las. Der Schluß war richtig, und Waltern, ich sage nicht der Muth, aber die Lust zurückgekehrt:

»Weil ich in Euer Excellenz den Mann erkannte, welcher durch die That dem, was nothwendig wird, vorausgekommen ist. Sie sind es, der mit seinen Bauern sich gesetzt hat, der ihnen Freiheit, Eigenthum zurückgab, Sie der erste, der dies glänzende Beispiel –«[304]

»Ach also darum!« unterbrach der Minister. »Ich glaubte von wegen Ihres Vaters –«

»Nein, weil Excellenz erkannt, wo uns der Schuh drückt, weil Excellenz erkannt, daß diese Säule, auf welcher der germanische Staat ruht, der Bauernstand, kein Helotenstand länger bleiben darf –«

»Ja, ja, ja, also darum!« wiederholte der Minister ihn unterbrechend, und nahm eine Prise, vielleicht ein Zeichen der Zufriedenheit, jedenfalls eines, daß er fürs erste nichts weiter hören wollte. – »Was geht Sie denn der Bauernstand an? Sie haben doch keine Güter.«

»Erlauben Sie mir zu fragen, was ging er Excellenz an –«

»Weil meine Bauern faules Volk sind, weil der Meier sie aus dem Kruge treiben musste, weil mein Inspektor gut rechnen kann, und mir wie's Ein mal Eins bewies, daß die Frohnarbeit uns theurer zu stehen kam, als der Tagelohn, weil ich meine Aecker durch die Bauernäcker arrondirte, die sie mir als Abkaufssumme hergaben, weil ich ein guter Landwirth bin, und sie zweimal besser nutze als sie, weil ein großer Complex sich besser bewirthschaftet als ein kleiner. Darum mein junger Herr –«

»Und wenn auch nur diese, gelten diese Gründe nicht für Alle!«

»Was gehn mich die Andern an! Fege Jeder vor seiner Thür, und wer sich im Mist betten will, warum soll ich's hindern!«

Walters Brust hob, seine Lippen öffneten sich, der vorhin unterdrückte Strom der Rede floß heraus in kurzen, schlagenden Sätzen, und die Excellenz hatte die Güte ihn nicht zu unterbrechen. Sie beschäftigte sich, einen Fleck auf ihrer Emaildose abzuwischen. Er hatte gesprochen; das Was wissen wir schon, oder wir erfahren es noch. Da war der Fleck wirklich gereinigt und der Minister sagte recht freundlich:

»Eine hübsche Elaboration. Wenn Sie das geschrieben hätten, könnte man's ad acta nehmen. Aber Drucksachen, das ist nichts; es schickt sich nicht für einen Geschäftsmann. – Was wollen Sie nun eigentlich, ich meine Sie für sich?«

»Ich leugne nicht, Excellenz, wenn diese Ansichten vor unsern Staatsmännern Eingang finden, und man an die Ausführung ginge, daß ich mich wohl befähigt fühlte, mit Hand anzulegen. Ich würde eine Freiheit opfern, die ich mir lange als ein köstliches Gut bewahrt, und würde gern eine Anstellung annehmen.«

»Sehn Sie, das lieb ich, das ist vernünftig gesprochen. Sie gehn auf eine Anstellung aus, um das Uebrige kümmern Sie sich nicht.«

»Dies dürfte doch von meiner Ansicht differiren.«[305]

»Drauf kommt es nicht an. Wird Ihren Vater sehr freuen. Ist ein braver Mann, und wird es Ihnen an Unterstützung nicht fehlen lassen, wenn ich ein Wort einlege. Denn Unterstützung werden Sie noch eine ganze Weile brauchen. Die große Karriere, die geben Sie natürlich auf, haben ja nicht Cameralia studirt. Und die Examina! Schadet nichts. Das von unten Anfangen ist das solideste. Erst in der Kanzlei ein Jahr, höchstens ein paar als Kopist. Dann machen wir einen Versuch mit dem Expediren, Sekretair! An Konnexionen wird es Ihnen ja wohl bei guter Conduite nicht fehlen« – lächelte der Minister – »dann Geheimsekretär, Kanzleiinspektor!«

Der junge Mann stand sprachlos da.

»Der Kriegsrath Alltag, sehn Sie dessen Karriere! Noch nicht voll sechszig und war schon Kanzleidirektor mit dem Titel Kriegsrath, und Sie wissen noch nicht, was er noch wird. Aber nun etwas, mein junger Herr, die Flausen lassen Sie aus dem Kopf. Nie etwas besser wissen wollen als Ihre Vorgesetzten. Wenn's auch mal falsch wäre, nie den Mund aufgethan. Sie wissen nicht, warum sie's falsch machen. Keine Sylbe mehr gedruckt, das versteht sich von selbst. Wenn Sie Bücher lesen müssen, thun Sie's für sich. Nöthig ist's nicht. Stört immer im Dienst. Gelehrte sind schlechte Officianten. Und« – der Minister fasste mit holdseliger Miene den Knopf seines Rockes – »und am Kopistentisch sollen Sie nicht zu lange sitzen, Sie schreiben ja eine saubere, präzise Hand, habe mich wirklich gefreut, die Grundstriche so grade und voll. Daran sieht man den Charakter. Da dispensiren wir Sie wohl schon nach einem halben Jahre!«

Walter hatte die volle Sprache und Ruhe wieder gewonnen:

»Gerührten Herzens habe ich Ew. Excellenz gütige Intentionen vernommen, die ich wohl nur der guten Meinung verdanke, welche Excellenz für meinen Vater hegen. Da aber meine Ansichten von der Art, wie der Staat die Kräfte seiner Bürger nutzen muß, von der Ansicht Deroselben abweichen, so glaubte ich unrecht zu thun, wenn ich Dero wohlwollende Gesinnung Solchen entzöge, welche williger und befähigter zu den Diensten sind, für die ich meinen Willen und meine Kraft unausreichend bekennen muß.«

Der Minister sah ihn weder verwundert, noch erzürnt an. Er liebte wohlgesetzte Kanzleiphrasen. Dann nickte er ihm freundlich Abschied.

»Also Sie wollen nicht. Grüßen Sie Ihren Vater von mir und gehn Sie nach Karlsbad, lieber Herr van Asten. Nach Karlsbad sage ich Ihnen. Wenn wir alle Staatsverbesserer dahin schicken könnten, würde es mit unserem Staate besser. Nicht nach der[306] Festung, dafür bin ich nicht. Simpel nach Karlsbad, drei Becher täglich am Sprudel, die gehörige Promenade darauf, drei Monat und wir hätten Ruhe im Lande.«

Quelle:
Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländische Romane, Berlin: Otto Janke, 4[1881], Band 7, S. 297-307.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon