Sechsunddreißigstes Kapitel.

Eine wichtige Konferenz in Staatsgeschäften.

[307] »Der Herr Geheimrath sind nicht zu Hause –« »Der Herr Geheimrath ertheilen heute keine Audienz« – lauteten die verschiedenen Antworten, mit denen der Kammerdiener die verschiedenen Personen, welche in der Wohnung des Geheimraths Bovillard nach ihm fragten, abgewiesen hatte. Auch Herrn von Fuchsius war dasselbe begegnet, »wegen einer wichtigen Konferenz in Staatsgeschäften.«

Bei Konferenzen in wichtigen Staatsgeschäften war der Rath immer zugezogen. Der Diener zuckte lächelnd die Achseln: »Herr Geheimrath haben heut expreß befohlen keine Ausnahme zu machen –« Fuchsius sah aus dem Thorweg den Wagen des Ministers fahren: »Wenn die entsetzlichste Rathlosigkeit wirklich zum Rath – und wenn sie zur That führte!« sprach er aufseufzend. »Es ist spät, aber doch vielleicht noch nicht zu spät!«

»Excellenz waren nicht aufgelegt,« bemerkte der Kammerherr von St. Real in der kleinen Hinterstube, wo sich die Konferenz versammelt hatte.

»Leidet am Magen,« sagte Bovillard mit dem moquanten Lächeln, das seine Freunde kannten, wenn er die Worte eines nicht gegenwärtigen Freundes citirte.

»Am Magen?«

»Excellenz halten nicht Diät. Mischen zuviel, Trüffelwürste und Rhabarber, Sonnenaufgänge und nächtliche Promenaden, Tugend und Tänzerinnen –«

»Die auswärtigen Angelegenheiten liegen in seinem Magen wie Kraut und Rüben.«

»Wir sind indeß, meines Wissens, nicht hier wegen der affaires éntrangères,« bemerkte der Kammerherr.

»Mais qu'est-ce qu'on peut faire, mon ami, wenn der Leiermann vor der Thür von Morgen bis Abend sie abgeorgelt, Hardenberg mit so schönem Discant singt und Lombard und Beyme und Voß, und dazwischen brummt der Baß des Herrn von Stein, und Johannes Müller zwitschert, und Herr von Massenbach giebt seine unmaßgebliche Meinung, und Luchesini räuspert sich, und[307] Rüchel trommelt und Prinz Louis schmettert mit Trompeten, und seine Schwester und die Prinzeß Mariane accompagniren mit Jeremiä Klagegesang. Da bleibe ein vernünftiger Mensch unafficirt! Ich will in allem Respekt noch gar nichts sagen von der Venus Urania, die in der Stille vor ihrem Spiegel die Haube der Bellona probirt, und wie ihrem himmlischen Gesichte der Blick des Zornes und der Entrüstung steht, den sie auf den Monstrepilz bei Gelegenheit werfen will.«

»Monsieur de Bovillard braucht uns nicht zu versichern, daß er nie ein Admirateur der Venus Urania war.«

»Offenherzig, ich halte es mit dem edlen Schiller, – der ist nun auch todt, alles Edle stirbt, meine Freunde, – als er sang:


Ach, da euer Wonnedienst noch glänzte,

Wie ganz anders, anders war es da!

Da man deine Tempel noch bekränzte

Venus Amathusia!«


Der Dritte im Bunde, der kein anderer war als der Legationsrath Wandel, meinte, er könne die Besorgniß nicht theilen, so viel er wisse, sei doch gestern beschlossen: der König wolle, die besondere Lage seiner fränkischen Lande erwägend, jeder der kriegführenden Mächte den Durchzug gewähren. Damit schiene denn doch alles ausgeglichen, und die äußeren Angelegenheiten dürften dem excellenten Freunde seines edlen Freundes kein Kopfbrechen mehr verursachen.

»Gestern, Theuerster! Aber heute nicht mehr. Man hat angeführt, das verrathe Schwäche. Darum wollen wir heute Stärke verrathen, und erklären, daß wir Niemand durchlassen. Brauchen uns aber darum nicht zu änstigen, morgen haben wir uns wieder anders besonnen, und lassen durch. Dieser Durchlaß nun liegt Christian im Magen, ein Aderlaß an seinem Humor, und darum lief er fort, ehe wir anfingen.«

Wandel hatte sich an den kleinen Tisch gesetzt, auf dem, wie zum Spott, für vier Personen vier Aktenhefte, Papier und Federn lagen; das wichtigere Aktenstück oder Corpus delicti stand unter dem Tische, der Champagnerkorb. »Von nun an wird Niemand wer es sei, eingelassen,« rief Bovillard, als der Kammerdiener die Leuchter auf den Tisch gesetzt. »Also, meine Herren, wir standen bei Artikel zwei –« rief er noch mit einer Stimme, welche der abtretende Diener im Nebenzimmer hören konnte. Als die äußere Thür zuklang, erhob sich der Flaschenkorb, ein Pfropfen knallte gegen die Decke und drei Gläser stießen gegen einander: »Auf guten Fortgang!«

»Der scheint gesichert,« sagte Wandel.

»Und wir verdanken ihn, was ich als Präsident hier auszusprechen[308] mich für verpflichtet halte, insbesondere der unermüdlichen Thätigkeit unseres theuren Kollegen. Herr Legationsrath von Wandel, wiewohl gleichsam als Experter zugezogen, hat sich doch der Sache als Amateur angenommen. Gehen wir demnächst zur Sache über. Wir standen also –«

»Ich erlaube mir, ehe wir fortfahren, eine präjudicielle Bemerkung,« hub der Kammerherr an. »Ich weiß für gewiß, daß der französische Gesandte von unseren Verhandlungen Kenntniß hat. Sollte durch die unverzeihliche Indiskretion eines Kanzleibeamten demselben ein Aktenstück in die Hände gespielt sein? Wenn dem so wäre, erlaube ich mir, bei unsern würdigen Herrn Präsidenten den Antrag auf strengste Recherche deshalb.«

»Das Kollegium hat den Antrag vernommen,« sagte Bovillard. »Ich muß präjudiziell bemerken, daß ich dagegen stimmen werde. Wenn das Kollegium erlaubt, erkläre ich meine Gründe. Pro primo haben wir keine Aktenstücke, denn es ward nichts geschrieben, logischer Schluß: sie können nicht abgeschrieben werden. Pro secundo haben wir keine Kanzlei, was nicht ist kann keine Indiskretion begehen, pro tertio würde eine solche Untersuchung den Verdacht der Indiskretion auf ein oder das andere Mitglied unsres hochverehrten Kollegii werfen, was wir aus besonderen und höheren Rücksichten vermeiden müssen. Herr Kollege von Wandel wünscht uns seine Ansicht mitzutheilen.«

»Was das Faktum anlangt,« sagte der Legationsrath, »so muß ich dem geehrten Kollegen von St. Real beistimmen. Laforest weiß es; aber was folgt daraus? – Laforest weiß Alles. Warum sollte er dies nicht wissen. Wer es ihm zuträgt, –«

»Vermuthlich der Champagnergeist,« rief Bovillard, sein Glas füllend, daß der Schaum über den Rand stieg. »Landsleute plaudern gern weiter!«

»Aber es schadet unserer Sache nichts. Diplomatische Berichte bleiben versiegelte Geheimnisse, und wenn die Archive sich für Historiker lüften, kümmert es keinen Lebendigen mehr. Ferner was Laforest weiß, weiß er nur für Napoleon oder Talleyrand. Beide werden unsre Pläne nicht kontrecarriren. Endlich wenn das Geheimniß auf dem Wege nach Paris auch hier durchgeschwitzt hätte, was ich nicht in Abrede stellen will, ist die Sache doch zu pikant, als daß der ehrliche Finder den Verräther spielen sollte. Aus diesen Gründen, meine Herrn, erblicke ich in dem hingestellten Faktum weder Gefahr, noch etwas Hinderliches, und stimme, salve meliori, unmaßgeblich über den Einwand hinweg zu gehen.«

Der Präsident blickte, die Feder in der Hand, sich um. Es war einstimmiges Conclusum. Der Wein fing an die Zunge zu lösen, und man warf den Curialstyl mit den Akten in den Winkel.[309]

»Sie also tout à fait ébloui?« rief Bovillard nach dem Bericht des Legationsraths.

Der Kammerherr anerkannte mit gebührenden Lobsprüchen die Diligenz, welche Herr von Wandel bewiesen, bestand indeß darauf, daß die Baronin, wenn die Schwadron vorübermaschirte, sich jetzt ostensibler am Fenster zeige. Es sei zuviel gefordert, wenn sein Pflegebefohlener, der Amandus, sich jedes Mal einbilden solle, daß der Kopf der Amanda hinter Balsaminentöpfen versteckt sei. Die Imaginationskraft eines Kavallerieoffiziers sei aber nicht die eines Poeten; er müsste ihn also dann und wann leibhaftig sehen, um im Glauben zu verharren.

»Unser Operationsplan aber forderte Bedacht,« entgegnete Wandel. »Wir mussten als Psychologen zu Werke gehen. Wer ist schwerer zu erobern? Sie oder Er? Das war die Frage. Es galt eine Bildsäule zur Galathee zu erweichen, und aus der Galathee eine Potiphar zu machen. Haben wir nur erst eine Madame Potiphar, so ist doch keine Sorge darum, daß ein Gardekavallerie-Offizier den Joseph spielen sollte. Diese zweite Eroberung machte sich vielmehr dann von selbst – A propos, warum ich Herrn Kammerhern so oft ersucht, der Amandus, Ihr Client, darf nicht mehr den Knebelbart streichen.«

Der Kammerherr versprach, daß es unterbleiben solle.

»Sie haben auch gewiß schon eine kleine Entrevue in petto?« sagte Bovillard. »Sie etwa im Negligee von ihm überrascht!«

»Wer setzt auf eine Karte sein Ganzes, wenn er im Gewinnen ist! Wer spielt überhaupt ein gewagtes Spiel, wenn er durch arithmetische Progressionen zum Ziele kommen muß! Der beste Zauber, meine Herren, ist, der sich selbst wirkt, auf organischem Wege. Neugier und Eitelkeit operiren wunderbar in der Psyche des Weibes. Die gespannte Erwartung entzündet die Phantasie. Um zu erfahren, ob es so sei, wie ich angab, gab sie sich alle Mühe, den Amandus zu beobachten, und entdeckte nun mit weiblichem Scharfsinn weit mehr, als ein Mann mit seiner roheren Wahrnehmungsgabe nur erfinden kann.«

»Und die Uhr geht fort?«

»Eine schlechte, die man jede Stunde anstoßen muß. Sie geht so normal, daß ich alle Intermezzos und gewaltsame oder nur freundliche Hülfe von draußen wegwünsche.«

Bovillard wiegte sich, beide Hände in den Seitentaschen, behaglich im Stuhl, und fixirte schlau den Redner:

»Wenn der Schalk ihm nicht im Nacken säße! Allen Respekt für seine Intuitionen in die Psyche des Weibes, aber er weiß eben so gut, wie man Weiber durch Weiber behandelt, und uns möchte[310] er doch einbilden, daß wir seine Agentinnen nicht kennen. In der Jägerstraße hängt freilich ihr Agenturschild nicht heraus, aber die Zwirnsfäden sieht man doch, mit denen sie ihre Mirakel weben. Ueberhaupt, cher ami, wozu denn diese Mystères! Ist gar nicht Ihr Profit, Legationsrath. An Talismänner und Wünschelruthen glauben wir hier nicht, aber je mehr zweibeinige Maschinen Einer für sich in Bewegung zu setzen versteht, ein um so größerer Wunderthäter wird er für uns.«

Auf Wandels Stirn lagerte sich eine officiöse Falte und die Augenbrauen drückten sich zusammen:

»Prätendire ich, ein St. Germain zu sein! Aber der ausgezeichneten Frau thun Sie unrecht. Eine Dame, deren Verstand in so andern höheren Regionen schweift, würde sich nie zu einer mesquinen Intrigue bequemen; Verzeihung, meine Herren, aber nennen wir die Sache bei ihrem Namen, man muß seine Menschen kennen. Ich hätte nicht einmal gewagt, ihr von der Sache zu sprechen. Meine Herren, ich wiederhole es, Sie kennen diese seltene Frau nicht.«

»Holla! Also offen ausgesprochen ihr Ritter. Und uns den Handschuh hingeworfen! Kennen Sie sie denn?«

Nach einigem Schweigen antwortete Wandel: »Nein! – Es giebt Erscheinungen, wo der Augenaufschlag die Seele uns erschließt, andere, wo der geschickteste Psychologe sein Senkblei umsonst gebraucht. Ich fühle nur, daß dies Seelengewebe aus so zarten ätherischen Fasern zusammengesetzt ist, daß die leiseste Berührung unharmonischer Töne es zusammenschrecken macht; und hinwiederum ist es von einer Elasticität, daß ein rauher Anstoß diese Fühlfäden zu hartem Stahl verwandelt.«

»Lassen Sie sich nicht erdrücken von dem Stahl. Heim sagte mal, in der Frau wäre eine cachirte Sinnlichkeit. Gegen die Sinnlichkeit habe ich nichts, aber das Cachirte liebe ich nicht.«

»Diese rohen Aerzte, die die Schwungfedern der Seele nur empirisch betasten! Da wollen sie ihren Mann mit Assa foetida und Valeriana behandeln, und seine Krankheit ist rein eine des Gemüthes. Der Geheimrath lebte längst nicht mehr, wenn sie nicht eine geistige Atmosphäre um ihn zu bereiten wüsste, worin er athmet.«

»So schlimm stände es mit dem Bücherwurm?«

»Sie sahen ja auch wohl ihren Bedienten, einen Moribundus. Was quält sie sich ab, diesen Menschen wieder auf die Beine zu bringen! Ich gebe Ihnen zu, es ist vielleicht ein krankhafter Instinkt, der Natur in den Arm greifen zu wollen, aber sie will's sie muß probiren. Die Doktoren haben ihn längst aufgegeben, er ist ja nur ein Bedienter, aber denken Sie – neulich fand ich sie,[311] wie sie von dem theuren Lebensäther, den Herr Flittner präparirt, dem Menschen einflößte. Mein Gott, sagte ich, der Aether ist immer nur ein Palliativ, er lässt die Lebensflamme noch einmal auflodern, aber um so schneller verzehrt sie. Man wendet ihn bei hohen Personen an, wo die letzten Momente kostbar sind; aber dieser Bediente, was kommt es da auf eine Spanne Leben und Bewusstsein an. Er kann Ihnen unter den Hände zusammensinken. Was würden Sie dann sagen? – Ich kann Ihnen das wunderbare Lächeln nicht beschreiben, mit dem sie anwortete: Ich habe mir dann selbst genügt. So ist sie –«

»Eine Schwärmerin! Gehn Sie mir vom Leibe mit Ihrem Lebensäther.«

»Ich gebe Ihnen gewissermaßen recht, Herr von Bovillard. Das Verhalten zu ihrem Pflegekind könnten strenge Moralisten auch eine Schwärmerei nennen. Sie opfert sich ihm ganz und warum? und wie wird es ihr belohnt! Sie wissen von der soit disant Verlobung mit dem jungen Schulmeister. Eine andere Frau würde außer sich sein. Welche Pläne sind ihr vereitelt. Sie lächelt als Philosophin.«

»Es giebt Personen, auf die alles Mißgeschick zusammenstürmt,« fuhr er, den Kopf schüttelnd, nach einer Pause fort, wo die Andern geschwiegen; der Abstecher, in welchem der Legationsrath sich so zu gefallen schien, kam Beiden ungelegen. »Der Vater des Lehrers, der alte van Asten, brummt über die Sache, und ist sogar auf die Geheimräthin ungehalten.«

Bovillard fiel ein: »Die Ehrbarkeit seines alten Hauses fühlt sich touchirt. Was ist natürlicher, er sah sie mal aus einem andern Hause kommen. Um das Renommée eines Hauses und die Ehrbarkeit ist's doch eine köstliche Sache! Was macht der Alte für Geschäfte damit, mit dem verräucherten Steinhaufen in der Spandauerstraße, mit dem glatt gepuderten Kopfe, der Catomiene, die sich nie verzieht, auch nicht, wenn er das große Loos gewinnt, mit seinen rindsledernen Schuhen, die schon eine Viertelmeile weit knarren! Das ist ein Respekt auf dem Markte, an der Börse, wenn der alte van Asten mit seinem Bambusstocke heranhustet. Und das nennt die Kanaille nicht Diplomatie.«

Der Geheimrath schien vergnügt, von dem ihm sichtlich unangenehmen Gegenstande abgelenkt zu haben, während der Kammerherr mit eben so sichtlicher Ungeduld meinte, man komme ja ganz von der Hauptsache ab.

»Mademoiselle Alltag bleibt indeß immer eine sehr interessante Nebensache,« lächelte der Legationsrath.

Bovillard stichelte, er hege den Verdacht, daß sein Freund eine noch vornehmere Agentin in Kontribution gesetzt. Wandels Stirn[312] legte sich diesmal nicht in offiziöse Falten, sie blieb ganz glatt, als er erwiderte:

»Herr von Bovillard will damit andeuten, was Herr von Laforest dazu sagen dürfte, wenn ich mit der russischen Fürstin kommunicire. Laforest weiß, daß ich Kosmopolit, und die Prinzeß, daß ich ein Sünder bin. Der Unterschied ist nur, daß Herr von Laforest es aufgiebt, die Fürstin aber noch nicht, mich zu ihrem Glauben zu bekehren.«

»O der Verräther! Nun ist er auch geständig, unsre Geheimnisse an Rußland verrathen zu haben!«

»Hat aber damit den Beistand seiner Diplomatie erkauft. Schlagen Sie diesen Beistand nicht zu gering an, meine Herren. Ihre Erlaucht interessirt sich wirklich en passant für die Baronin Eitelbach.«

»Sie will sie zur Sünderin machen, um sie nachher zur Heiligen zu bekehren. Delicieur! Magnifique der Gedanke!«

»Meine Herren,« sagte der Legationsrath sich verneigend, »ich habe das Meinige gethan. Die nächste Aktion muß vom Rittmeister ausgehen.«

Man ließ die Gläser auf den Strategen und seine Agentinnen klingen. St. Reals Bericht war kürzer:

»Sie glauben nicht, wie schwer es uns ward, den Stier auf die Spur zu bringen. Als es indeß soweit war, ging es auch wie ein Brummtriesel, der nicht mehr zu sich kommt. Oder es überschauerte ihn wie ein Donnerwetter mit Platzregen. Der Mann ist vollkommen ausgetauscht, weich, sage ich Ihnen, wie Wachs. Sein Gewissen gerührt; er delirirt, verwünscht zuweilen seinen Knebelbart, ja es giebt Augenblicke, wo er ihn abschneiden möchte. Nach dem letzten Billet wollte er wirklich Urlaub nehmen. Wir hatten Mühe, ihm begreiflich zu machen, daß das jetzt als Feigheit ausgelegt werden könnte. Mit einem Wort, er ist zu Allem bereit, was das verehrte Kollegium über ihn beschließt. Nur muß man ihm zu Hülfe kommen. Er ward ordentlich jungfräulich schüchtern aus Gewissensbissen, daß er eine schöne Dame, die ihn liebt, so lange und grausam beleidigt hat.«

»Aber was nun weiter?« sagte der Kammerherr.

Der Geheimrath nahm die Präsidentenmiene an: »Unser Thema also war, sie sollen und müssen sich verlieben. In der Ausführung sind wir auf den Punkt angelangt: sie stehen im Begriff sich zu verlieben. Die nächste Frage ist nun: wie soll dieser Prozeß weiter geführt werden? und die darauf folgende, welchen Ausgang soll er nehmen?«

»Als Tragödie oder als Komödie?«

»Nur keine Tragödie! Haben draußen Trauerspiele genug.[313] Höchstens etwas Sentimentales, ein wenig Jammer, unterbrochen durch einige Affektblitze, Verzweiflungsseufzer, einige Thränen, etwas Menschenhaß und Reue, pour décorer la situation, aber so wenig wie möglich.«

»Eine Zwischenfrage, meine Herren. Wünschen Sie die Sache schnell zum Resultat geführt?«

»Legationsrath, was fällt Ihnen ein! Wir führen ja das Stück zu unserer Rekreation auf.«

»In diesem Falle wird es nöthig, einen Hemmschuh anzulegen; denn lassen wir die Dinge sich jetzt entwickeln, so platzt über kurz die Erklärung heraus und endet in einer Liaison oder einem stillen Seelenbündniß.«

»Zum Geier mit Ihrem Seelenbündniß! Auf Eklat kommt's an, Schauspiele soll's geben, einen Skandal, daß die Stadt die Hände zusammenschlägt.«

»Excellenz meinten nicht so –« warf St. Real ein.

»Excellenz ist ein Hypochonder geworden. Wer A gesagt muß B sagen. Keine Retiraden! Hemmschuhe meinethalben. Ersinnen Sie was. Warum ging Ihr verfluchter psychologischer Prozeß auch mit Siebenmeilenstiefeln? Etwas von Rendezvous auf Redouten, oder im Mondenschein, wo man zusehen kann. Dann Hindernisse! Wenn Eitelbach nicht will, so werden Sie ja schon Ehrenwächter finden. Kann man nicht eine Prinzessin, oder die Königin für die Tugend der Baronin interessiren. Grausame Trennungen, überraschendes Wiedersehen!«

»Er könnte wie Leander zur Hero schwimmen! Die Spree ist nur nicht breit genug.«

»Imagination, meine Herren! Sie können sich in einer Kutsche ein Rendezvous geben, sie wird als verdächtig angehalten, Beide auf die Wache gebracht.«

»Nur nicht auf die Wache! Das ist ein zu hässlicher Eklat!« rief der Kammerherr.

»Oder er steigt zu ihr ein. Der Nachtwächter entdeckt die Leiter, Lärm wird gemacht, man sucht nach Dieben.«

»Wünschen Sie, daß er mit Madame's Bewilligung eingestiegen ist?« fragte Wandel.

»Besser nicht. Nein, er muß es in toller Leidenschaft thun. Sie muß außer sich sein. Man kann sie ja vorher wieder ein Bischen gegen ihn eingenommen haben. Sie wird empört, daß er ihren Ruf aufs Spiel setzt. In tugendhafter Entrüstung befiehlt sie ihm, sich nie wieder vor ihr sehen zu lassen. Er stürzt ihr zu Füßen, hilft nichts, er muß wieder zum Fenster raus. – Da fehlt die Leiter, der Lärm geht los. Denken Sie sich die pikante Situation! Sie in Zorn, er in Verzweiflung. Je größer die Gefahr, je näher[314] die Tritte, so mehr schwindet ihr Zorn, das Mitleid siegt, das Bekenntniß ihrer Liebe platzt heraus. –«

»Und? –«

»Zur Zärtlichkeit ist da nicht Zeit. Immer Aufschub. Die Polizei schlägt an die Thür. Sie muß ihn verstecken – in den Kleiderschrank.«

»Da kriegen Sie den Rittmeister nicht mehr rein!« lächelte St. Real.

»Es wird sich ja ein Versteck finden. Lassen Sie ihn auf den Boden springen, aufs Dach klettern.«

»Und! – Er muß doch auch vom Dach wieder herunter. Ich meine, was das Ende vom Liede sein soll?«

»Kommt Zeit, kommt Rath, Legationsrath; schlagen Sie einen alten Roman nach. Vom Dach werden wir ihn nicht fallen lassen.«

»Mit einem Worte, verlangen Sie eine Entführung oder nur –«

»Prächtig! eine Entführung. Göttermensch, Sie stehlen mir's aus der Seele. Wie lange ist in Berlin Keine entführt worden. Das giebt ein Gerede, Kinder, einen Spaß! Ich will selbst die Postrelais bezahlen, mit Seegebarth sprechen, die schnellsten Postpferde sollen sie haben.«

»St. Real schüttelte den Kopf: ›Alles sehr schön. Wer soll sie aber verfolgen?‹«

»Nun, Ihr Mann!«

Kaum war es über die Lippen, als er selbst in das stille Gelächter der Andern einstimmen musste.

»Er lacht sich vor Vergnügen todt, wenn er's hört.«

Es war ein unerwarteter Querstrich.

Bovillard riß die gekreuzten Arme auseinander, mit denen er eine Weile vor sich sinnend gesessen. »Er thut's doch vielleicht!«

»Der Baron! Er schämte sich in den Tod, daß man ihn für eifersüchtig hält.«

»Wer spricht von Eifersucht, St. Real! Neunzigtausend Thaler gehen ihm durch. Kann er neunzigtausend Thaler mir nichts dir nichts über die Grenze lassen!«

»Neunzigtausend Thaler,« wiederholte der Legationsrath.

»Sie haben freilich getrennte Gütergemeinschaft,« sagte der Kammerherr. »Ihn schätzt man eben so hoch.«

»Hundertachtzigtausend Thaler unter Brüdern, meine Herren,« fuhr Bovillard fort, »die zerreißen wir. Bedenken Sie das wohl.«

»Hundertachtzigtausend Thaler!« wiederholte der Legationsrath.

»Was so ernsthaft, Wandel?«

»Die Sache ist es. Er müsste sich nach dem Eklat scheiden lassen, sie würde den Rittmeister heirathen, und wir verschaffen ihm[315] eine Frau mit neunzigtausend Thalern. Meine Herren, Sie räumen mir ein, daß die Sache dadurch ein ganz anderes Fundament gewinnt. Es ist kein Divertissement mehr, es wird zu einem reinen Geschäft, und wir müssten uns fragen – das heißt, ich bitte Sie, sich darüber zu entscheiden, welche Raison Sie haben, den Herrn von Dohleneck zu einem reichen Mann zu machen?«

»Raison! Pah, was kommt's drauf an! Und hab' ich keine! Der Rittmeister hat sich nobel gegen meinen Taugenichts benommen. Blutvergießen verhindert. Sie auch, Legationsrath. Sollen Sie sie entführen? Hätte nichts dagegen. Neunzigtausend Thaler, wir sind ja in einer generösen Laune und er hat Schulden wie Haare auf dem Kopfe.«

Die vierte Flasche war entkorkt und die Gesicher leuchteten. »Handeln wir wie die Vorsehung, welche die Güter dieser Welt ausgleicht. Angestoßen auf den großen Gedanken, Freunde! Für die Menschheit –«

»Das heißt für Stiers Gläubiger.«

»Das Gefühl uneigennützigen Handelns für die Zwecke der Humanität stärke uns. Reine Liebe edler Seelen, neunzigtausend Thaler in ersten Hypotheken und schlesischen Pfandbriefen und eine wunderschöne Frau und dumm! Was Götter selbst beneiden könnten, wir schenken's einem verschuldeten Kavallerieoffizier.«

Der Legationsrath stimmte nicht in die Ausgelassenheit: »Sie zerstören Ihre eigenen Beschlüsse, wenn Sie zu hastig losgehen.«

»Legationsrath, ein edler Entschluß darf nicht Runzeln bekommen.«

»Aber ein Witz nicht zur Spekulation werden, sonst bricht seine Spitze. Conclusum est–«

»Sie sollen sich noch eine Weile quälen,« sagte der Kammerherr.

»Hatte ich es beinah vergessen! 'S ist mein gutes Herz. Ich kann nun einmal Unglückliche nicht leiden sehen. Alle Menschen sind ja Brüder –«

»Und alle Frauen Schwestern!« sagte Wandel aufstehend. »Aber ich muß Contreordre geben, wenn's nicht schon zu spät ist.« Er zog die Uhr, und stampfte auf. »Wahrhaftig, es ist schon zu spät.«

»Was ist's?«

Sie standen nicht mehr ganz fest, als sie jetzt aufstanden. Der Legationsrath strich über die Stirn.

»Unser Joseph geht heut an Madame Potiphars Haus vorüber. Ein leises Schluchzen sollte seine Schritte fesseln –«

»Ei, Herr von Wandel, mir ins Gehege!« rief der Kammerherr. »Der Joseph war zu meiner Disposition.«

»Verzeihung! Ich wollte Sie überraschen; es war gut gemeint.[316] Eine schluchzende Gestalt am Balsaminenfenster sollte ein Bouquet auf seine Brust fallen lassen; – eine rasche Entwicklung stand dann in Aussicht. Wer konnte den heutigen Beschluß ahnen! Um zehn Uhr war's bestellt, und es ist ein Viertel auf eilf. Vielleicht kann ich noch retten.«

Bovillard fiel ihm in den Arm: »Bleiben Sie, lasst sie glücklich sein, wir sind's ja auch. Glückliche Menschen machen, was giebt es Schöneres unterm Sternenzelt. Fand einmal meine Selige in Thränen über Lafontaines neuestem Roman: Kriegen Sie sich nicht? frage ich. – Er ist erst am Ende des ersten Bandes, sagte sie. – Er muß! sage ich. – Wie kannst Du's? – Da klopft es. Wer tritt ein? Herr Lafontaine. Ich riß meine Selige auf, ich zeigte ihm ihre rothen Augen: Barbar, das ist Ihr Werk; können Sie's ruhig ansehen? Eine Thräne der Rührung, eine Thräne der Versöhnung. – Er küsste ihre Hand. – Sie sollen sich kriegen, Madame! – Auf der Stelle ließ ich ihn zu Herrn Sander fahren, dem Buchhändler. Zwei Bogen wurden makulirt, und nach acht Tagen kriegte sie die ersten des zweiten Theils. Schon im ersten Kapitel hatten sie sich gekriegt. – Den Jammer sparte er nachher für dir Ehe – zwei Bände voll!«

»Das nenne ich einen exemplarischen Ehemann!« sagte Wandel.

»Und Herr Lafontaine kriegte die Präbende!« bemerkte St. Real.

»Eine gute That belohnt die andre.«

Schon als Bovillard den Dichter Lafontaine klopfen ließ, hatte man ein starkes Pochen an der Hausthür gehört, darauf einen Lärm von mehren Stimmen; die des Kammerdieners war deutlich zu erkennen, welche Eindringenden den Zutritt verwehren wollte. Eine andre Stimme tönte aber scharf hindurch, welche den Lagationsrath zu frappiren schien, auch der Kammerherr horchte aufmerksam. Nur der Geheimrath hörte in seiner Aufregung erst darauf, als feste Männertritte die kleine Hintertreppe heraufstürmten. »Sie dürfen nicht, ich darf Niemand reinlassen,« schrie der Kammerdiener, der um die Wette mit dem Stürmenden zu laufen schien. »Aber mich!« rief es. Darauf ein Fall, der Diener musste zurückgestoßen sein, und die Thür sprang auf.

»Was bedeutet das!« rief der Geheimrath, einen Leuchter ergreifend, und wollte ins Kabinet.

»Das Vaterland!« rief die Stimme im selben aufgeregten Tone, als der Geheimrath schon, wie von einer Erscheinung erschreckt, zurückprallte. Der Leuchter entfiel ihm.

Der Legationsrath hatte hastig den Hut gefasst, als er den Eintretenden erblickte, der Kammerherr folgte ihm eben so schnell. Der Geheimrath Bovillard blieb mit der Erscheinung allein im Zimmer.[317]

Quelle:
Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländische Romane, Berlin: Otto Janke, 4[1881], Band 7, S. 307-318.
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