Vierzigstes Kapitel.

Bei Josty.

[352] Beim Schweizer Kuchenbäcker Josty unter der Stechbahn traten mehrere Offiziere in Gala-Uniform ein. Heller als das Gold und Silber ihrer Achselbänder und Schärpen leuchtete die Freude auf ihren Gesichtern. Zum Theil schien diese selbe Empfindung auch auf denen der Gäste aus dem Civil zu strahlen. Es war ein großer Fest- und Feiertag in Berlin. Die Gruppen von Neugierigen wollten den Schloßplatz und den Lustgarten noch nicht verlassen, obgleich in diesem Augenblick nichts mehr zu sehen war, als die Truppen, welche in ununterbrochenen Zügen in der Königsstraße und über die lange Brücke in die Friedrichsstadt zurückmarschirten. Aus den geöffneten Fenstern schallte ihnen noch manches Hallo! und Vivat! und Hurrah! und manche geschmückte Dame wehte mit dem Taschentuch. Auch trugen der große Kurfürst und seine Sklaven Guirlanden und Kränze von den Blumen, die der späte Herbst in den Gärten darbot.

Aber das Schauspiel war ein anderes als neulich das der durchmarschirenden Truppen. Diese waren nicht mit Staub bedeckt, an ihren Gamaschen klebte nicht der Koth der Landstraße; sie funkelten im glänzendsten Paradeanzug und nur der Puder ihrer wohlfrisirten Haarlocken stäubte auf das dunkle Blau ihrer Monturen; sie rückten auch nicht ins Feld, sondern kehrten von einer Paradeaufstellung zurück. Es waren die auserlesenen Regimenter Möllendorf, Knebel, Rheinbaben, die Grenadiere Prinz August von Preußen und die Gensd'armen und Garde du Corps, die vom Schloß bis ans Thor eine große Chaine gebildet, um den einziehenden Kaiser Alexander zu empfangen.

Wie viele Jahre waren es her, daß ein Selbstherrscher aller Reußen in die Thore Berlins eingezogen! Wer ihn gesehen, den jugendlich strahlenden, humansten Fürsten, dessen Blick Güte und Wohlwollen lächelte, der die Majestät vergessen ließ in der Liebenswürdigkeit, glaubte etwas gesehen zu haben, was er sein Leben durch nicht vergessen dürfe. Wie mehr als gnädig hatte er gegrüßt, mit welcher Huld die Anreden empfangen. Wie viele Frauen[352] schworen, wenigstens bei sich, daß das Auge des Unwiderstehlichen auf ihnen gehaftet.

Aber er war nicht zu Tanz und süßem Liebesspiel gekommen. Der Ernst der Gegenwart dämpfte wieder die aufsteigende Lust; in die Jubelstimmen hatten sich andre Laute gemischt, kühne Rufe, die der unbewachten Brust entschlüpften, auch Thränen; die funkelnden Degenspitzen schienen Vielen schon angeröthet. So ernst wehmüthig war der Empfang gewesen im großen Portal des Schlosses. Hier hatten König und Königin, von ihrem Palais herübergekommen, den Gast bewillkommnet. Es war eine feierliche Scene, als die beiden jungen Monarchen sich umarmten, als der Czaar die Hand der huldvollsten Königin an die Lippen drückte; ein Moment, von dem Europas Schicksal abhing! Und in wie lautloser Theilnahme hatte die Menge dem Familienstück zugesehen, das zum großen Trauerspiel für hundert Tausende, für Millionen werden durfte, mit welcher bangen Spannung gewartet, was drinnen vorgehe, als die höchsten Herrschaften in die Apartements getreten waren. Und doch wusste man, daß es hier nicht geschehe. Sie nahmen nur Erfrischungen ein. Die Hofequipagen standen schon vor dem Portal, in denen die Wirthe den hohen Gast nach Potsdam entführen wollten. Dort – wo Friedrich schläft – sollte gewürfelt werden über das Loos der Zukunft.

Die Hofequipagen rollten schon lange auf der gedielten Kunststraße hin, die für eines der wunderbaren Prachtwerke der Königsstadt galt, als die Offiziere in den Konditorladen traten. So prächtig ihre Gala-Uniform, so bescheiden sah damals der Laden aus. Nichts von Gold und Mahagoni, nichts von Säulen und funkelndem Krystall. Auch glänzte das wenige Tageslicht, das durch die Kolonnaden der Stechbahn ins Zimmer fiel, nicht wider von zahllosen Riesenbogen ausgespannter Zeitungen. Zeitungen waren freilich auch hier schon, zwei oder drei vielleicht, bescheidene Blättchen, auf grauem Löschpapier, die wöchentlich zwei oder drei Mal alle Neuigkeiten der Welt wieder erzählten, was in der Türkei geschah und am Rheine, und von Berlin brachten sie voran lange Listen aller angekommenen Fremden, mit ihren Titeln und den Wirthshäusern, darin sie wohnten. Dann alle Ernennungen zu Hof- und Staatsdiensten, zuweilen auch eine Mittheilung, daß ein hoher Herr bei Hofe empfangen und zur Tafel gezogen worden. Und hinterher Theaterrecensionen, Charaden, Fabeln, Anzeigen von Auktionen, Verkäufen, Büchern, Wohnungen und sehr vielerlei.

Aber bei besonderen Gelegenheiten stand auch voran ein Gedicht, gereimt oder ungereimt, immer jedoch zum Lobe der höchsten Herrschaften. Denn jene Zeiten waren vorbei, wo man sich in den Zeitungen auch wohl einen Spaß erlaubte, wie der wunderliche[353] Gelehrte Philipp Moritz und der erst in diesem Jahre 1805 verstorbene noch wunderlichere Burrmann, welcher die Leser mit Reimereien, so seltsam wie er selbst, beschenkte. So hatte er einst am 21. Dezember die Vossische Zeitung mit dem Vers angefangen:


Gottlob und Dank

Die Tage werden wieder lang.


Nein, seit jenen Zeiten war ein feiner klassischer, französischer Geschmack in die Zeitungen gefahren, wie er ja auch in der Gesellschaft war. Der tölpelhafte deutsche Hanswurst war längst fortgeschickt, und man sprach nur das aus, was gegen nichts und Niemand verstieß, auch auf die Gefahr hin in dem Gesagten nichts zu sagen. Darum, doch aus andern Gründen, las man nie in den Berliner Zeitungen von dem, was in Berlin geschah, es sei denn, daß eine hohe Obrigkeit es der Druckerei zugesandt, und auch über das Draußen enthielt man sich jeder eignen Meinung und druckte nur ab, was andere Zeitungen vorher gedruckt hatten. Heute aber war ein außerordentliches Ereigniß auch in der genannten Vossischen Zeitung. Voran stand ein langes Gedicht, dessen Anfang und Ende so lauteten. Jemand las es in der Konditorei laut vor, als die Offiziere eintraten, und Alle, die es hörten, sahen sich verwundert an:


Nicht Salomon und Titus – wozu Namen

Der Vorzeit! Sind wir Neueren so arm? –

Nein, Alexander, Friedrich, Arm in Arm,

Stehn da, ein Brüderpaar. Zu Preußens Adler kamen

Die Adler Rußlands! Jubelnd sieht Berlin

Sie über sich vereinten Fluges ziehn.

Sie stehen vor dir, Arm im Arm.

O glückliches Berlin! Sprich aus die schönen Namen!

Wer sind die Menschenfreunde? Sprich!

Wer? – Alexander, Friederich!


Daß das Gedicht ausgezeichnet schön sei, darüber war nur eine Stimme, aber einer der eingetretenen Offiziere begriff nicht, wie solch ein Blitzkerl von Zeitungsschreiber augenblicklich von den Evenements Witterung habe, daß er auf der Stelle im Stande sei, sie drucken zu lassen, und gar in Versen! »Und,« sagte ein anderer, »daß man's drei Mal in der Woche erfährt, was vorher passirt ist! Erst muß es doch geschrieben werden, was schon eine verfluchte Arbeit ist, und dann gedruckt und verkauft.« – »'s ist auch 'ne schwarze Kunst,« lachte ein Anderer. Herr Josty, mit der Flasche Euraçao in der Hand, flüsterte den Herren zu: »Und was werden Sie erst sagen, wenn wir alle Tage ein Blatt bekommen, was uns jeden Tag von den Kriegsevenements avertirt. Sehn Sie mal gefälligst in der Ecke hinterm Ofen den Herrn im grünen Rock und[354] Nankinghosen. Das ist Herr Professor Lange. Der giebt ein solches Blatt heraus, es soll Telegraph heißen. Morgen schon kommt die erste Nummer. Die Leute werden sich den Kopf überschlagen.« – Die Offiziere vigilirten den »verfluchten Kerl«, der mit dem Bleistift Notizen machte, und stritten ob seine Ohren oder Nase spitzer wären.

Auch der Herr Kriegsrath Alltag hatte diesen Tag nicht alltäglich begangen. Auch er hatte in der Konditorei des Herrn Josty eine Tasse Chocolade genippt, was zu jener Zeit, als wir ihn kennen lernten, ein außerordentliches Evenement gewesen wäre. Aber schien er doch selbst ein Anderer geworden. Der gestickte blaue Rock war zwar schon etwas über die Mode hinaus, jedoch vom feinsten Tuch, das sauberste weiße Halstuch war über das Jabot geknüpft und feine Brüsseler Manchetten spielten um die knappen Aermel. Frisch gepudert war das Haar, und der Zopf mit neuem glänzenden Seidenband umwickelt. Die goldene Uhrkette hing um einen Finger breit länger auf die schwarz taffetnen Beinkleider, und die gestreiften Seidenstrümpfe mit den silbernen Schnallenschuhen deuteten unverkennbar auf ein nicht alltägliches Evenement. Und das war es, wo der Herr Minister ihn gewürdigt, ihn aufzufordern sich im Schloß zu gestellen, er wolle schon für einen Platz sorgen, daß er die Majestäten recht von nahe sähe. Hatte er ihn nicht selbst dort an die Treppe gestellt, wo die hohen Herrschaften vorbei mussten? Wenn er sich nicht ans Geländer zurückgedrückt, so weit als möglich, hätte ihn da nicht das seidene Kleid Ihro Majestät der Königin fast berührt? Durch eine glückliche Schwenkung der Schleppe hatte der Page es noch vor dieser Berührung bewahrt. Der Kriegsrath war erröthet vor Schreck. – Welcher neue Schreck aber! – Kaiser Alexander, der die Königin am Arm führte, war auf dem Podest einige Stufen über ihm stehen ge blieben, damit die hohe Frau Athem schöpfe. Seine Majestät, der hinter ihnen ging, war natürlich auch stehen geblieben, und auf derselben Stufe, auf der die Füße des Kriegsraths standen. Zwar war die Stufe breit, aber es war dasselbe Brett, und der Kriegsrath fühlte unter seinen Füßen die Bewegung, welche der Fuß Seiner Majestät verursachte. – Und es war noch nicht Alles. – Excellenz, der Minister, sein Gönner, flüsterte dem Könige einige Worte zu, und – er traute seinen Ohren nicht, aber es war so – er hörte seinen Namen. Der König hatte sich darauf umgesehen, hatte ihn angesehen und die Worte gesprochen: »Treuer Diener seines Herrn. Freue mich.« – Er hatte es gesprochen, wirklich und wahrhaftig, und es war noch nicht Alles. – Als die hohen Herrschaften auf dem Podest sich in Bewegung setzen wollten, war der König bei ihnen, und sagte der Königin etwas ins Ohr, und die Königin wandte auch[355] ihr Gesicht zum Kriegsrath nieder, und er hörte die Worte: »Ah c'est lui!« – War das neue Täuschung, oder war es auch Wahrheit, sie hatte ihm von oben freundlich zugenickt.

Wie der Kriegsrath nachher von der Treppe herunter gekommen, wie auf den freien Platz, das wusste er selbst nicht. Er las nie ein Märchen, weil er überhaupt nicht las, aber aus seiner Jugend, aus der Ammenstube, wusste er doch, was ein Feenmärchen ist. – Zuerst hatte ihn die Luft wunderbar angefächelt, wie einen, der nach langer dunkler Haft ans Sonnenlicht gerissen wird, oder wie den Trinker, der aus dem Keller in's Freie tritt. Unten hat er es noch nicht gefühlt, jetzt aber dreht sich die Welt um ihn, und der Boden wankt unter seinen Füßen. Der Rippenstoß eines Korporals, dessen Rotte er in seinem Schwanken vermuthlich zu nahe gekommen war, hatte ihn wieder zur Besinnung gebracht. Es war kein Traum gewesen, auch keine Erscheinung aus einem arabischen Märchen, vielmehr nichts als die Besiegelung dessen, was er längst ahnte, vielleicht wusste, und in der Stadt munkelte es schon. Er sollte nicht mehr lange Kriegsrath bleiben, er war zu Höherem bestimmt. Diese Bestimmung drückte sich auch in seiner Haltung aus, wie er am Tische in der Ecke neben einem andern Manne gesessen, und mit demselben dem Anschein nach ein eifriges Gespräch gepflogen hatte.

Der andre Mann, ungefähr im Alter des Kriegsrathes, oder etwas älter, war in seiner Erscheinung just das Gegentheil. Sein fein geschnittenes, intelligentes Gesicht war durch ein Paar kleine graue, ins Blaue spielende. Augen, wenn sie mit Eifer auf einen Gegenstand fielen, lebendig. Sonst hatte es mehr einen kalkulatorischen Ausdruck, jene verschrumpften, doch nicht unedlen Züge, welche ein beständiges Nachdenken über plus und minus ausdrücken, jene Absorbirung von allem was Impuls oder Phantasie heißt. Wenn aber die Augen aufblitzten oder auf einen Gegenstand zuckten, bewegte sich wohl um die Lippen ein sarkastischer Zug. Sein Haar, weißblond von Natur oder weiß vom Alter, schien schon lange den Puder als etwas Ueberflüssiges abgestreift zu haben. Es fiel schlicht, eben nicht sorgsam gekämmt, auf den Hinterkopf und um die Schläfe herab. Daß er eben so wenig Umstände mit der Toilette wie mit der Frisur machte, verrieth der Ueberrock von grobem Tuch und einem dick übergelegten Kragen. Seine Hände, die auf dem Tische lagen, waren weiß und fein, seine Füße dagegen, die er weit vorgestreckt hatte, schienen grob wie die blauen Strümpfe und die dick versohlten Schuhe.

»Also keine Mariage nicht!« hatte der Mann mit den graublauen Augen gesagt, und zwei Gläser mit Granatwein gefüllt,[356] worauf der Kriegsrath das eine nach einigem Bedenken ergriffen und mit ihm angestoßen hatte.

»Ueberdem ist sie auch noch zu jung,« setzte er hinzu, und das halb ausgetrunkene Glas auf den Tisch.

Der Andere sagte: »Alter schützt vor Thorheit nicht, und zu jung ist keine nicht, um sich nicht zu verplempern.«

Der Kriegsrath spielte etwas verlegen oder verletzt mit der silbernen Dose, einem Präsent seines Ministers: »Nun was das Verplempern anlangt, mein Herr van Asten, so dünkt mich –«

»Mein Sohn hätte sich verplempert – meinen Sie vielleicht,« fiel der Kaufmann ihm ins Wort. »Wenn auf meinem Kornboden zwei Säcke geplatzt sind und der Roggen und Waizen liegen untereinander, da kümmert's mich wenig, welcher Sack zuerst platzte, sondern wie ich die Körner auseinander bringe, oder mitsammen verwerthe. Unsere Säcke sind Gott sei Dank noch nicht geplatzt, da halte ich nun fürs Beste, daß Jeder seinen an sich nimmt und sich nicht um den andern kümmert. Sehen Sie, aufrichtige Leute kommen bald zu Rande, und das, was sonst ist, soll uns nicht kümmern, und wir bleiben gute Freunde. Darum erlaube ich mir noch ein Mal an Ihr Glas anzustoßen.«

Der Kriegsrath seufzte; der Andere hätte es recht gern zur Gesellschaft gethan, nur um die Einigkeit vollkommen herzustellen, der alte van Asten konnte aber nicht seufzen.

»Mein hochverehrtester Herr Kriegsrath, mit Ihrem Permiß, ich lese Ihre Gedanken. Daß die jungen Leute jetzt auch ihren Willen haben wollen, das gefällt Ihnen nicht. Sie seufzen: ehedem war's anders! Habe ich gar nichts dagegen. Ehedem wog man ein Pfund Pfeffer mit Gold auf, jetzt kostet's ein paar Groschen. Ehedem bezahlte man mit Pfeffer seine Wechsel. Wenn mir jetzt Einer damit käme, würfe ich ihn die Treppe runter. Ist so mit Allem, mit der kindlichen Liebe, mit der Freiheit, der Erziehung; der Marktpreis ist ihr Werth. Steht darum geschrieben, daß wir den Marktpreis nicht machen können! Man muß nur geschickt operiren. Mein Herr Sohn will auf dem Kopf stehen, Ihre Mamsell Tochter auch. I nu, so lassen wir sie, bis sie müde werden. Daß sie's aber werden, dazu kann man schon was thun. Wenn ein Materialist einen Jungen in die Lehre nahm, ehedem kriegte er Schläge nach Noten, wenn er naschte. Es hat wohl nicht immer geholfen. Jetzt lässt sein Prinzipal ihn so viel Syrup nippen, und Rosinen und Mandeln naschen, als er Lust hat. Ein, zwei Mal den Magen verdorben, und er ist curirt auf sein Leben. Und so ist's mit dem eignen Willen auch, und mit der Freiheit und mit, was sonst ist. Sie kommen retour, sage ich Ihnen, wenn man's nur recht anfängt. Lassen Sie nun Ihre Demoiselle Tochter[357] in meinen Herrn Sohn verliebt sein, ganz geruhig, bis sie sich übergeliebt haben. Glauben Sie mir, das kommt über kurz oder lang, denn satt macht die Liebe nicht, und zanken werden sie sich auch, und verknurren, wenn man sie nur lässt, und dann kommt die lange Weile, die rothen Augen machen auch nicht schöner. Aus Wochen werden Monate und aus Monaten Jahre. Sieht ein hübsches Mädchen erst eine Falte im Gesicht, die nicht fort will – ich will gar nicht sagen Runzel – da guckt wohl ein kleiner Gedanke raus: ja wenn ich den nicht zurückgewiesen hätte! Oder den! Dann wird der Liebste auch nicht grade sehr freundlich angesehen, wenn er zur Thür rein kommt, und auf einer seiner Runzeln steht: ich habe noch immer nichts! Sieht er nu in ihrem Gesichte, was sie in seinem sieht, na – und so weiter, und am Ende – sie weinen, sie fühlen sie haben sich getäuscht, es wird geklatscht dazwischen, dafür braucht man gar nicht zu sorgen, und am letzten Ende nimmt die gehorsame Tochter den ersten besten, den der Papa ihr zuführt. Und überlässt man's dann den Muhmen und Gevattern die Sache zu arrangiren, so kommt's am letzten Ende raus: sie hat ihn von Kindheit an geliebt.«

Dies war ungefähr das Gespräch, welches die beiden ältlichen Herren vor dem Eintritt der Offiziere geführt, und das durch das laute Vorlesen des Gedichtes unterbrochen war. Der Kriegsrath schüttelte den Kopf als er seinen Hut nahm.

»Gefallen Ihnen die Sentiments nicht von Salomon und Titus?« fragte der Kaufmann und griff nach einem Zeitungsblatt.

»Sie sind sehr schön,« entgegnete der Kriegsrath, »nur begreife ich nicht, wie man so etwas zu drucken erlaubt. Dadurch wird ja der Bonaparte avertirt, was hier passirt ist.«

»Sehr richtig bemerkt,« sagte van Asten, und sein schlaues Gesicht wollte gewiß noch etwas sagen, aber der Kriegsrath gab, als der vornehmere Mann, das Zeichen, daß er genug gehört, indem er sich mit einer leichten Verbeugung empfahl. Der Vornehmere muß das letzte Wort behalten. Aber als er durch die Offiziere den Weg nach der Thür suchte, waren offenbar diese die Vornehmeren. Sonst liebte er doch nicht die Offiziere, aber mit verbindlichen Verbeugungen schlängelte er sich durch ihre Füße, welche die Herren sich nicht besondere Mühe gaben aus dem Wege zu ziehen. »Das war der Vater von dem schönen Mädchen,« sagte ein Garde du Corps zu dem Rittmeister, der seine glänzenden Reiterstiefeln auch nicht um einen Finger breit zurückgezogen hatte. Der Cornet lachte: »Was sprechen Sie zu Dohleneck von schönen Mädchen! Für meinen Onkel ist nur Eine schön, und wenn die Eine nicht, so mag die Anderen der Teufel holen und die Papas dazu.«[358]

Der Rittmeister, der am Fenster saß, trommelte an die Scheiben, »Krieg! Krieg! das ist das Beste.«

»Zum Avancement!« lachte der Chor. Die Unterhaltung ging auf dies wichtige Thema über, wichtiger als Alexanders Ankunft, als der Streit, ob die Königin dem Kaiser zuerst die Hand gereicht oder er nach der Hand gegriffen, wichtiger als der Krieg selbst. Man stritt über die Ernennung eines Kapitäns zum Major. Einige wollten sie gelesen haben, Andere leugneten es. »Es steht heute drin.« – »Es steht nicht drin.« – »Her den Wisch!« Mit einem Satz war der Cornet nach dem Tisch gesprungen, an dem van Asten saß, und hatte ihm die Zeitung aus der Hand genommen: »Wir wollen etwas nachsehen.«

Es musste noch etwas Anderes vorgefallen sein. »Wollen Sie etwas?« fragte der Cornet und ließ seine Pallaschscheide auf die Diele klirren, indem er sich zum Kaufmann umkehrte, als dieser sich mit einigem Geräusch erhoben hatte.

»Mich nur gehorsamst entschuldigen,« sagte van Asten und zeigte auf sein vorgestrecktes Bein, »daß Herr Cornet von Wolfskehl auf meinen Fuß treten mussten! Haben sich doch hoffentlich keinen Schaden gethan?«

»Ich glaubte es wäre ein Holzklotz. Excüs!« sagte der Cornet und hoffte auf einen beistimmenden Lach-Chor. Aber die Einen griffen nach dem Zeitungsblatt, die Andern machten eine ernste Miene: »Cornet, keinen Spaß mit dem Mann! Der reiche van Asten aus der Spandauerstraße, der mit dem Minister *** unter einer Decke steckt!«

Die Ernennung stand nicht im Blatt, dafür ein paar Dutzend andere, wie jede Zeitungsnummer sie in diesen Tagen brachte. Auch fingen unter den Annoncen schon die Abschiedsworte an, welche Offiziere, Wundärzte und Beamte an ihre Freunde und Bekannte in den eben verlassenen Garnisonen richteten; auch Nachrufe und Danksagungen ganzer Städte an die abziehenden Garnisonen und deren Offiziere. »Wenn das kein Beweis ist, daß wir wirklich in den Krieg ziehen!« – »Ehe nicht die Kugeln durch meinen Mantel pfeifen, glaub' ich nicht daran.« – »Ich glaub's auch dann noch nicht« ein Dritter, als ein Vierter durch die Glasthür, die er klirrend aufgerissen, eintrat: »Nu glaub' ich's, Kameraden. Aufs Pferd! aufs Pferd!« – »Du sprangst eben runter!«

»Direkt von Steglitz in Karriere! Habt Ihr nichts gehört? – Vierundzwanzig Kanonen donnerten aus dem hohen Busch, als die Equipagen durch's Dorf schwenkten. Der dicke Stallmeister fiel beinahe von seinem Schimmel. Die Königin sah erschrocken zum Kutschenschlag raus.«[359]

»Possen!«

»Nein, Ernst. 's war aber nicht Bonaparte, nur Beyme! Wenn Beyme Kanonen auffährt, Beyme schießen lässt, da müsst Ihr zugeben, es wird ernst, es geht los.«

»Victoria!« schrieen zehn Stimmen.

»Wenn er nur nicht blind geladen hätte!« rief der Rittmeister und riß die Thür auf. »Man braucht frische Luft. Krieg! Krieg!«

Herr Josty sah am Fenster den Offizieren nach. Er schien die Häupter seiner Lieben zu zählen, aber nicht mit der Zufriedenheit, die auf den Gesichtern der Offiziere strahlte. Was half ihm der Krieg! Er war gewiß ein guter Patriot, aber wie viele können ihm noch immer entrissen werde, an die theure Bande ihn schon lange knüpften. Er schlug ein kleines Büchlein im Winkel auf und schrieb kleine Zahlen zu den Namen. Aber viele kleine Zahlen machen eine große. Herr Josty schüttelte den Kopf und wollte seufzen. Indessen – er besann sich: »Indessen,« sagte er, »es gleicht sich in der Welt Alles aus.« Und auf seinem Gesicht glichen sich auch die Falten aus.

Die Offiziere hatten sich links nach der Schloßfreiheit zerstreut. Nur einer von ihnen, er schien abhanden gekommen, suchte die Freiheit rechts unter den Kolonnaden der Stechbahn. Die Augen auf den Boden, ging er grad aus bis die Mauer ihn erinnerte, daß an der Ecke die Freiheit zu Ende war. Er wollte zur Kolonnade hinaus treten, als aus der Brüderstraße eine elegante Equipage rasch vorüber fuhr. Die Dame darin in Pelz, Hut und Schleier verhüllt, sah ihn nicht, aber der Mops auf dem Rücksitz bellte heftig den Offizier an. Ob die Dame aufmerksam ward, wissen wir nicht, wenn sie sich aber vorbeugte, um nach dem Gegenstand auszuschauen, der den Eifer ihres Hundes verursachte, konnte sie ihn nicht mehr sehen; denn der Rittmeister hatte sich hinter den Pfeiler gelehnt.

Er schien, mit geschlossenen Augen, auf das Rollen der Räder zu hören, bis es unter dem Klappern der Werderschen Mühlen verrollte. Dann riß er sich auf, machte sich durch einen schweren Athemzug Luft und – wollte auch ins Freie, in den Thiergarten. Es mussten wunderbare Dinge im Rittmeister Stier von Dohleneck vorgegangen sein. Er freute sich auf einen Spaziergang in den stillen, einsamen Alleen des Thiergartens. Er hatte seinen Plan gemacht: links durch die Buschpartien an den Zelten vorbei, nach dem Poetensteig. Da traf er gewiß Niemand.

Aber – wenn nur die Aber nicht wären, als er an der Konditorei vorüberging, öffnete Herr Josty freundlich die Thür. Er glaubte der Gast wolle zurückkehren. Solchen Glauben darf ein Kavalier nicht täuschen. Einen Schritt war er schon vorbei, es[360] kostete also nur einen zurück, und er stand wieder in dem traulichen, gemüthlichen Lokal. Es war ja auch da einsam geworden. Als Herr Josty die Thür verbindlich schloß, hatte er wieder ein Haupt seiner Lieben in seinen Mauern.

Quelle:
Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländische Romane, Berlin: Otto Janke, 4[1881], Band 7, S. 352-361.
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