Achtundfünfzigstes Kapitel.

»Ob's edler im Gemüth, die Pfeil und Schleudern

Des wüthenden Geschicks erdulden oder –«

[496] »Thorheit, zu glauben, daß ein Mensch seiner Zeit voraufgeht. Von der Strömung in der Luft werden wir gezogen, wie die Atome dem Athem zufliegen. Es ist das unergründete Gesetz in der moralischen Welt, was den Riesen wie den Zwerg regiert, und die tollste Ironie ist es, der wahnsinnigste Traum unserer trunkenen Phantasie, zu wähnen, daß wir aus eignem freien Impuls die Welt nur um eine Spanne weiter rücken!«

Zwei Genesene saßen auf einer abgelegenen Bank im Thiergarten, die laue Sommerluft einschlürfend. Der Eine, den Arm in einer schwarzen Binde, – schien seine Krankheit bereits abgeschüttelt zu haben, und das blasse Gesicht röthete sich, während die Glieder oft elastisch zuckten. Es war Walter. Der Andre trug keine sichtliche Verwundung, aber sein kräftiger Geist schien mit einer physischen Mattigkeit im fortdauernden Kampf, und sein auch bleiches Gesicht blitzte von einer verrätherischen Röthe, während das dunkle tiefe Auge gespensterhafte Glanzblitze warf. Es war Louis Bovillard; er halte die obigen Worte gesprochen.

Walter hatte längere Zeit vor sich hingeblickt; die Lucubrationen des Freundes hatten ihn nicht gestört: »Wo ist das Allgemeinwohl? das ist die Frage. Sitzt's in den Gipfeln? in den Wurzeln? Wo ist das Mark? Wir fühlen es, wie das Wasser den festen Boden unterspült, die Wurzeln vom Erdreich löst, wir fühlen das Annahen des Sturmes. Und noch wäre Rettung möglich, aber die phlegmatische Masse schließt noch die Augen, trunken schreien Einige in die Lüfte, aber sie helfen nicht, nur dem Feinde geben sie ein Zeichen wie es steht. Die zu Wächtern bestellt sind, zu Baumeistern und Steuerleuten, singen uns Schlaflieder zu. Sie zittern nicht vor der Gefahr draußen, nur vor der Aufregung, welche die Furcht davor im eignen Lager verursacht. Wo nun Einer mit dem besten Willen kommt, wo soll er anklopfen, wo, wenn er sein Gut und Blut hineinwerfen möchte, ist die Büchse, um es aufzunehmen? Das ist die Frage.«[496]

»Was hilft's Dir, wenn Du die rechte Eingangsthür in ein verrottetes Haus findest, wo drinnen nichts mehr zu retten ist.«

»Es ist,« fuhr Walter auf. »Wie hätte dieser Staat so lange bestehen können und leuchten in der Geschichte. Es ist etwas nie Dagewesenes, wie dies Regentengeschlecht persönlich auf das Volk eingewirkt hat. Das leugnest Du Dir nicht fort, vom Anbeginn bis heute. Es hat alles, was sein eigen war, Gedanken, Geist, Intelligenz, Thatkraft, Muth, Entschlossenheit, Ausdauer, ausgesprützt in die Adern der rohen, verwilderten Stämme, die es vorfand, die es später mit seinen starken Armen umklammerte, bis sie unter dem warmen schirmenden Druck zu einem Leibe verwuchsen. Wir sollten freudig staunen über das Wunder einer Gärtnerkunst, denn das war es, wo die Fürsten von anderm Stamme, Blut, aus einem fernen, fremden Lande, so sich mit dem Boden, den Boden mit sich amalgamirten; wenn nicht eben die Impfe so wunderbar nachhaltig gewirkt hätte, daß alles, was auf dem Throne zur Geltung kam, im Volke sich widerspiegelt und reproducirt, wie die Stärke vorhin, nun die Schwächen, wie das Licht, jetzt die Schatten. Es kam einmal die Sitte von oben herab, die nüchterne, strenge, hausbackene Bürgertugend von jenem Soldatenkönig, dann vom selben Throne mit den laxen Sitten und der Frivolität jene eben so nüchterne Aufklärung. Jetzt, wo Frömmigkeit und Gerechtigkeit in mildem Scheine von oben ausstrahlt, wo wir aus einem guten Sinne auf Tüchtiges gehofft, ist's die Unentschlossenheit, die sich auf das Volk ergießt und es zersetzt. Wie, wo soll da geholfen werden! Nein, wer soll helfen, wer die adstringirende Säure gießen in die in Auflösung befindliche Masse?«

»Frage lieber, wer ist der neue Prometheus? Denn die Nachkommen des alten verfolgten Revolutionärs sind im Laufe der Zeit legitime Philister geworden, gute Bürger, die des Nachtwächters Ruf gehorchen: Bewahrt das Feuer und das Licht. Schaff' Dir neue Menschen. Mit den alten ist nichts anzufangen.«

Bovillard war aufgestanden und blickte in die Ferne, wo die Sonne zwischen dem Walde versank.

»Thorheit,« wiederholte er, »zu rühmen, daß wir die Zeit verrücken, die, unser spottend, über uns hinrollt. Der Kriegswagen des Donnergottes, von Sturmrossen gezogen, Festungen zermalmt er und Heere, die für unüberwindlich galten, wie Kartenhäuser und bleierne Soldaten, und es ist nichts so fest auf Erden, was nicht schon knickt wo sein schnaubendes Gespann heranbraust.« – Er legte seinen Arm auf Walters Schultern. – »Ich war da, Lieber, ich sah es ja in der Nähe. Unsern Staatsmann sah ich, heiliger Gott! Friedrich und sein großer Ahn, der Kurfürst, müssten im Sarge roth werden, wenn sie das gesehen! Ein Verräther[497] – nein! Man kann nur verrathen, was man weiß. Wenn er sich in den Wagen setzte, zur Konferenz zu fahren, wusste er noch nicht, was er rathen, fordern, sprechen sollte. Napoleon fuhr ihn an. Er schwieg. Napoleon kajolirte ihm, ging ihm um den Bart. Er schwieg auch. Dies Schweigen soll wirklich den großen Mann anfänglich verwirrt haben, bis er merkte, daß man auch schweigen kann, nicht um zu verschweigen, sondern weil man nicht weiß, was man wollen soll. Solche Rathlosigkeit, solche Fassungskraft, solcher Mangel an Gedanken und Muth! Der Vertreter des Militärstaates wusste von den militärischen Operationen nicht, was ein Quartaner in Preußen wissen muß, ließ sich einschüchtern, Gott weiß womit, und was Napoleon in seiner Laune einfiel; er ließ sein Heer über Gebirge und Flüsse springen, Schlesien nehmen, Polen revoltiren, daß die Adjutanten hinter der Thür kaum das helle Auflachen zurückhielten. Das Heer, geschwächt, blutend, hätte damals nicht vier Meilen mehr gemacht. Dann zum Trost, überschüttete er ihn mit Lobsprüchen für seinen guten Willen, seine Einsicht, und unser Mann ward roth vor Freude. – Und in solche Hände legen unsere Fürsten unser Schicksal, und solchem Feinde gegenüber!«

»Und das deutsche Volk?«

»Soll es für die goldene Bulle schwärmen, für Regensburg oder Wetzlar? Schwärmer giebt es, wofür wären wir Deutsche!«

»Auch die Kreuzfahrer waren Schwärmer, und doch eroberten sie Jerusalem.«

»Warte nur, Lieber, wenn die gutgesinnten Bürger die Straßenjungen gegen sie animiren. Koth auf sie! Mit Recht, sie stören ja die Ruhe. Alle die Volkserhebungen, die man versucht hat da und dort, um den Erzherzog zu soulagiren, kläglich fielen sie aus, und wenn man Frieden schloß, wie ließ man sie im Stich, die armen Schelme! Was heute Tugend heißt und Patriotismus, die Diplomatie stempelt's morgen zum Verbrechen und Hochverrath, wenn's ihr so bequemer ist. Was willst Du da vom armen Volk erwarten? Sie äffen den Fürsten nach, und sie thun Recht. Wer etwas für sich schaffen kann, zugegriffen, so lange es Zeit ist! Die alten Bande sind gelöst. Es giebt kein Recht, kein Gesetz, kein Vaterland mehr. Hasche den Sonnenblick, genieße den Augenblick, Du weißt nicht, was morgen kommt. Schöne Mädchen und Cyperwein, Walter, so lange es schmeckt. Preußen hat Recht, wir waren im Unrecht; es hat den größten Bissen erschnappt. Presse Hannover aus, Du weißt nicht, ob es Dir nicht schon morgen wieder entrissen ist. Schöne Mädchen und Cyperwein! nur nichts von Vaterland, Menschenglück. Phantasmagorien, nichts als Mondscheinillusionen. Im Ernst, Walter! Sieh mich[498] nicht so an. Die alte Zeit ist abgelaufen, aller Widerstand ist Thorheit – der neue Titane zerschlägt dem alten Sonnengott den Karren, die Splitter und Funken fliegen durchs Weltall. Ducke Dich in eine Höhle, wenn Du eine findest, und wenn Du lebendig bleibst, gaffe ihm nach, wohin er seinen Feuerball peitscht. Ich weiß es nicht.«

»Und doch,« sprach Walter, ihm nachblickend, als er ohne Abschiedsgruß nach der Stadt gegangen, »doch würdest Du der Erste sein, wenn –« Er folgte ihm.

Seltsam, als Walter in das Haus des Geheimraths Lupinus trat, sollte er eine Unterhaltung überstehen, die denselben Gegenstand hatte. Er fand den gealterten Mann kränkelnd. Er hustete viel. Walter meinte, das Zimmer sei wohl lange nicht gelüftet, der Bücherstaub habe etwas Drückendes.

Der Geheimrath hörte ihn mit Freundlichkeit an.

»Gewöhnen wir uns doch daran, das Leben als eine Gewohnheit zu betrachten, dann fällt so vieles fort, was uns sonst quält und ängstet. Ist nicht Der am glücklichsten, der nichts in seiner Lebensweise ändert? Wer immer ändert, stellt damit nur ein Testimonium aus, daß er nie zufrieden war. Ich weiß es, ich werde sterben, vielleicht bald, aber Sie werden noch lange leben. Nun lassen Sie uns von Ihnen reden. Da ist Herr Niebuhr nun angekommen. Er wird bestimmt angestellt, und wahrscheinlich in einigen Wochen schon ist er Bankdirektor mit dem Titel Geheimer Seehandlungsrath. Er hat Ihre Abhandlung über Alba Longa mit Vergnügen gelesen. Er wird ein Mann von Einfluß werden. Jetzt kann ich Sie noch empfehlen, vielleicht bald nicht mehr. Sagen Sie mir Ihre Wünsche, lieber Walter.«

Auf Walters Gesicht stand die Antwort. Es war ein Thema, was sie oft besprochen. Mit einem vielsagenden Blick fasste der Kranke die Hand des Gesunden: »Unser Staat ist kränker, als ich bin. Die Republik liegt in den letzten Zügen, die Scipionen schlummern in ihrer Gruft, die Virtus neben ihnen, unser Aktium und Philippi steht vor den Thoren, die Catonen mögen den Giftbecher leeren, es bricht zusammen, Herr van Asten, ich weiß es auch, und der Cäsar scheint auch schon da, der uns nur nicht behagt. Was bleibt da dem Freien? – Das Exempel, das ihm ein alter Freigelassener ließ.«

Der Geheimrath hatte sich mit Mühe vom Stuhl erhoben, und war, auf einen Stock gestützt, an seine heiligste Bücherwand geschlichen. Einen Walter wohlbekannten dünnen Band, unscheinbar in altem Leder, nahm er heraus. Es war eine Ausgabe des Horaz, an die er keine fremde Hand ließ; er zeigte das Buch nur seinen Freunden.[499]

»Wenn's Ihnen schlimm ums Herz wird, hier ist der Trost. Zweifeln Sie, daß Horaz ein guter Patriot gewesen? Ging ihm das Schicksal des Römischen Staates nicht aus Herz? Ich sage Ihnen, es schnitt ihm hinein, tiefer, als die Herren Ausleger denken; der Schnitt steht nur zwischen den Versen, und da verstehen sie nicht zu lesen. Was hätte es nun geholfen, wenn er sich ins Schwert gestüzt? Was hatte Rom davon, daß Brutus es that? Horaz warf seinen Schild fort, machte sich auf die Behendigkeit seiner Hacken, und als er still stand, und sich den Staub abklopfte, sah er, daß der Himmel noch immer blau war und die Sonne so lau und golden auf das schöne Italien schien, als vorhin. Hätte er nun krächzen sollen wie die Eule Tacitus von ihrem alten Thurm, Zeter und Wehe über die Verderbniß der Zeit? Hat Tacitus die Zeit besser gemacht, oder die römischen Sitten, hat er Rom nur einen bessern Kaiser verschafft? Contrair, sie wurden immer schlimmer. Die Bußprediger thun's nicht, und in das Rad der Weltgeschicke greift Keiner ein; das geht über die Köpfe der Völker und Königreiche. Ein Narr, wer da glaubt, daß er in die Speiche fasst, ohne zermalmt zu werden und ausgelacht obenein. Horaz schloß Frieden. Hat er darum sein Vaterland verrathen? Sein Vaterland war größer. Ubi bene, ibi patria. Er sang: Beatus ille qui procul negotiis – und freute sich, von Rosen und Epheu umkränzt, am funkelnden Falerner. – Nicht wahr, das ist recht frivol und schlecht von ihm gehandelt? Und so was der Jugend zu predigen? Aber, aber – zweitausend Jahre beinah vergangen, und Horaz lebt! Die Brutus spuken freilich, in allen Revolutionen, gar tugendhafte Männer, aber was hinterlassen sie? Verfolgungen, Kriminalprocesse, Steckbriefe, Ausweisungen, Schaffotte, Bankerotte, ruinirte Familien, Elend – aber wen auch das Rad nach oben trägt, dem Horaz hört er immer gern zu, er hat in aller Welt das Bürgerrecht, der süße Prediger einer Lebensweisheit, die dauern wird, so lange die Welt steht.«

Walter schwieg. Sie hatten auch darüber sich schon oft verständigt, daß sie sich nicht verständigen könnten. Der alte Gelehrte klopfte ihm auf die Schulter: »Will ich Sie denn zwingen junger Eigensinn! Erinnern Sie sich, wie Morus seine herrliche Biographie des Philologen Reiske anfängt: Omnis vitae Reiskianae ratio fuit, non cedere malis sed audentiorem contra ire! Ist auch ein schöner Spruch und ein klassisches Latein. Meinethalben immer drauf los wie der große Reiske. Erinnern Sie sich aber gelegentlich, daß Horaz auch gesagt hat: Est modus in rebus, sunt certi denique fines. Er hat keine Maxime aufgestellt wie Cicero, daß der Mensch wedeln soll vor der Macht, weil sie Macht[500] ist. Und dann dachte auch wohl der heidnische Philosoph nicht an den Wurm, s' ist an einem anderen, der das Maaß finden, die Grenze stecken soll. Und: Integer vitae, scelerisque purus – das hatte dieser selbe Horaz auch gesagt. In meinem Testament hatte ich es Ihnen vermacht – diese – ja diese Leydener Silberschrift mit verschlungenen Händen. Warum so lange warten! Rasch in die Brusttasche, zur Erinnerung an einen alten Mann, der Ihnen wohl wollte.«

Das war etwas Ungeheures. Walter erschrack: »Dies Exemplar, Herr Geheimrath?«

Der Gelehrte drückte es ihm in die Hand: »Dieses, ich weiß keinen Bessern, der es nach mir aufhebt. – Es ist freilich nur vom zweiten Abdruck. Ja, wenn es mir gelungen wäre, eines mit dem Todtenkopf zu erhalten! Was habe ich nicht korrespondirt, nach England, Schweden, was habe ich geboten! Der Herr Legationsrath von Wandel, was hat der sich nicht für Mühe gegeben – er hofft noch immer, aber – es war vielleicht ein zu großer Wunsch, und kein Mensch scheidet von dieser Welt, der sagen kann, daß Alles in Erfüllung ging, was er wünschte.« Den Geheimrath befiel hier ein heftiges Hüsteln. Die Sprache versagte ihm und der kalte Schweiß stand auf seinem blassen Gesicht. Als Walter ihn nach seinem Stuhl führen wollte, stand die Geheimräthin plötzlich da – man konnte glauben, daß sie hinter einer Bücherwand Zeuge des Gesprächs gewesen. »Verzeihen Sie, Herr van Asten, man muß einen so langen Umgang mit einem theuren Kranken gehabt haben, um seine Wünsche zu verstehen.«

Ihr Blick hatte ihn fortgewiesen, und er gehorchte. Fast machte er sich einen Vorwurf. Hatte ihm der Geheimrath nicht noch etwas sagen wollen? Vielleicht war es das letzte Mal, daß er ihn sah. Aber er hatte schon die Weisung der Geheimräthin überschritten, die aus Vorsorge für den Kranken den Befehl gegeben, Niemand ohne ihr Vorwissen in das Zimmer zu lassen. Er zauderte im Vorzimmer. Der Kranke musste sich wieder erholt haben, er hörte ihn die vorhin angefangene Ode: Integer vitae, scelerisque purus recitiren.

War es sein Sterbesang? Die Geheimräthin schien betroffen, als sie zurückkehrend Walter noch fand. Der Blick, den sie ihm zuwarf, hatte etwas Befremdendes, es war ihm auffällig, daß sie ein Tuch vor dem Munde hielt, welches sie im Augenblick, wo sie ihn sah, fallen ließ. Er glaubte sich zu entsinnen, daß sie schon im Krankenzimmer es an die Lippen gehalten. Doch es war nur ein Moment gegenseitiger Befangenheit. Sie setzte sich auf ein Sopha, oder ließ sich fallen, und drückte das Tuch an das Gesicht. Ein Schluchzen hörte er nicht. Er sprach einige Worte der[501] Theilnahme, daß die Gefahr wohl nicht so groß sein werde, als man annehme, daß die Natur des Geheimraths auch schwerere Krankheiten zu überwinden im Stande sei, daß er unter einer solchen Pflege genesen müsse.

Den starren, höhnischen Blick, als sie das Tuch wieder sinken ließ, konnte er nie vergessen. »Meinen Sie, Herr Doktor? – Er wird sterben. – Wenn auch nur darum, damit die Leute sagen können, ich hätte ihn schlecht gepflegt.«

»Gnädige Frau, es ist nur eine Stimme, mit welcher Aufopferung Sie für das Schicksal Ihrer Angehörigen sorgen.«

»Sind Sie wirklich noch so jung und harmlos, Herr van Asten? – Sie haben doch auch schon Erfahrungen hinter sich,« setzte sie hinzu, »und sollten wissen, was auf diese Stimme zu bauen ist. Oder hörten Sie immer nur den lächelnden Anfang und und schlossen vergnügt Ihr Ohr, wenn die herzlich Theilnehmenden von ihrem Lobe sich erholten, zuerst in kühler Betrachtung, die sie unparteiische Wirkung nennen, dann in leisen Bemerkungen, daß bei dem vielen Guten doch auch Schattenseiten sind; endlich wenn die liebreichen Seelen erkannt, daß sie unter sich sind, öffnen sich die Schleußen und die ätzende Bitterkeit schießt heraus, bis von dem Lobe nichts bleibt, als einen tödtende Wunde.« – »Das Thier im Menschen zu bekämpfen, sind wir auf dieser Erde.« – »Meinen Sie, Herr Doktor! Ich meinte nur die Klauen und die Stachel unter einer glatten Haut zu verbergen. – Wer leben will, athmen, genießen,« rief sie mit einer heiseren Stimme, die nur aus einer zerrissenen Brust kommt, »dem rathe ich nicht, die Waffen fortzuwerfen, die ihm die Natur gab.« – »Sie gab uns auch andere – einen Schild, durch welchen die Stacheln nicht dringen.« – »Der Schild, den Sie meinen, heißt Resignation. Sind Sie in der That noch so unschuldig, Herr van Asten, oder, ich glaube doch nicht, daß Sie zu den koncilianten Gemüthern sich geschlagen haben, die jeden Riß mit einer weißen Salbe heilen möchten. Nein, ich weiß es, auch Sie stemmen den Kopf gegen eine Mauer. – Machen Sie sich doch nicht kleiner, als Sie sein wollen, vor – Denen, welche Sie von einer besseren Seite kennen gelernt!« sprach sie plötzlich aufstehend. Sie war in einer Aufregung, die Walter an ihr neu war. Sie wollte das Zimmer verlassen, aber es war ein Dämon in ihr, der sie sprechen ließ, was sie nicht sprechen wollte.

»Das Leben ist ein fortdauernder Krieg Aller gegen Alle. Einfaltspinsel oder Betrüger, die von der Humanität faseln. Die stillen, friedlichen Pflanzen haben kein ander Naturgesetz, als eine die andere niederzudrücken. Nur die entfernt stehen auf zwei Gipfeln, die den Saft der Erde, Thau und Licht des Himmels[502] nicht zu theilen haben, mögen mit Liebe koquettiren. Das kann der Mensch nicht. Zwei, die auf zwei Gipfelhöhen stehen, beneiden sich auch in der Entfernung; so fein hat die Natur es gefügt. – Unterbrechen Sie mich nicht, mein Herr, ich statuire gar keine Ausnahmen. Mann und Frau sind doch wenigstens eins, wollten Sie einwenden! Ja, bei den Ehen, die im Himmel geschlossen werden. Nur schade, daß bei denen, die wir kennen, der Notar und der Geistliche das Werkzeug waren. Wir leben auf dieser Erde, mein Herr. Ihre dämonischen Säfte, ihr Athem zuckt in unserm Blut, und ihr Prinzip ist: tödten, indem wir nach Luft und Leben ringen. Ihre Rechtsgelehrten sprechen ja wohl von dem Recht der Noth, wonach von zwei Schiffbrüchigen auf einem Brett der schlauere und stärkere den anderen hinabstoßen darf. Die Thoren nennen es einen Ausnahmefall. Es ist die Regel, das Naturgesetz, danach leben Könige und Völker, es gilt allüberall, wo die heiße Sonne auf das blasse Elend scheint, und der blasse Mond spöttisch über die Seufzer lächelt, die aus der heißen Brust zu ihm aufsteigen. Oder gehören Sie zu Denen, die das Brett loslassen, und sich von der Welle fortspülen lassen, damit die Kreatur am andern Ende, der edle Nebenmensch, gerettet wird?« – »Ich ward noch nicht in die Versuchung geführt.« – »Wenigstens ehrlich!« lachte die Geheimräthin. »Nein, nur halb ehrlich! Die kleinen Versuchungen, wo Sie unterlagen, haben Sie aus Schonung gegen sich selbst vergessen. Sie zittern nur vor den großen, die noch kommen.« – »Ich will sie abwarten,« – »Mit der Miene eines Stoikers. Aber ich sehe, wie der unterdrückte Ehrgeiz, das getäuschte Vertrauen unter den Fältchen Ihrer Stirn kocht. Sie thun recht daran, Herr van Asten, die Haut recht glatt zu spannen. Aber mich täuschen Sie nicht, so wenig als ich Sie täuschen will. Ja, ich bin im Kriege mit dieser Welt um mich her. Wenn ich nicht schon ganz gemieden, ausgestoßen bin, o glauben Sie nicht, daß es aus Menschenliebe, aus einem Rest von Achtung vor meinen Eigenschaften ist. Die gesellschaftlichen Rücksichten drücken ihren Stachel auf Den zurück, der sie zuerst bricht. Das ist es allein. Darum kommt man noch in mein Haus, darum öffnen sich die Flügelthüren, wo ich erscheine. Darum noch Händedrücke, plötzlich süße Mienen, wie ihnen auch wird, ein Embrassement! Ich gebe ja noch zu essen, ich habe einen Namen, mein Mann hat einen, meine Vätter hatten einen. Andere führen eine glänzendere Tafel, haben höhere Titel, versammeln anmuthigere Gesellschaft um sich, aber die Thüren könnten sich doch einmal schließen, man könnte hinausgestoßen werden, und dann bin ich gut genug als pis-aller. O die Menschen sind vorsichtige Rechenmeister. Auch sind einige so gütig, zu meinen, daß ich Verstand hätte, sogar einen scharfen. Ich sehe ihre[503] Schwächen. Das ist Vielen sehr unangenehm. Meine Zunge verwundet auch wohl; es ist meine Natur. Das ist vielen dieser zartgeschaffenen Seelen noch unangenehmer. Da sie mich nicht von der Welt schaffen können, was ihnen das Liebste wäre, versuchen sie, mit mir zu liebäugeln. Und das ist das Gescheiteste. Wen man fürchtet und nicht vernichten kann, muß man streicheln, bis die Gelegenheit kommt, eine Fallgrube, in die man ihn hinterrücks stößt. Das ist die Politik der Natur; Könige und Kammerdiener, Kluge und Dumme üben sie, und es giebt, die meinen, daß die Welt nur durch sie besteht.«

Wer hatte diese unglückliche Frau bis zu diesem Aeußersten gereizt? So hatte sie sich nie ihm gezeigt. Sie schien seine Gedanken zu lesen: »Hat meine Aufwallung Sie erschreckt? Beruhigen Sie sich, mein Herr, ich werde auch wieder ruhig werden. Es ist zuweilen Bedürfniß, sich gegen Menschen auszusprechen, von denen wir glauben, daß sie uns verstehen.«

Sie war ans Fenster getreten, aber mit einem Umweg und Seitenblick auf den Spiegel, wie Walter, jetzt aufmerksamer, bemerkte. Sie hatte das Fenster geöffnet, um Luft zu schöpfen, aber sie hatte mit dem Tuche rasch die Toilette ihrer Physiognomie gebessert. Als sie sich zu unserem Bekannten umwandte, war das Gesicht ein anderes, die fieberhafte Aufregung war verschwunden, die Augen stachen noch, aber glühten nicht mehr, es war der lauernde, ernste Ausdruck, der in ihren Zügen fesselte und abstieß.

»Ich gab mich Ihnen eben ganz wie ich bin. Sie konnten das geheimste Fältchen in meiner Seele lesen. Ich überlasse Ihnen, davon Gebrauch zu machen, wie Sie wollen, denn ich bin nicht so albern, zu glauben, daß ein Rest von Dankbarkeit und Pietät Sie bestimmen sollte, mich zu schonen. Nein, beurtheilen Sie mich, klagen Sie mich an vor der Welt, wie Sie mich kennen gelernt. Mein unglücklicher Mann wird sterben, – den täuschenden Trost der Aerzte weiß ich zu würdigen – er wird sterben und mich wird man anklagen. Man wird sagen, ja, als es zum Aergsten kam, da schlug ihr das Gewissen, da pflegte sie ihn, da verließ sie ihn nicht bei Tag und bei Nacht, da härmte sie sich ab. Warum nicht früher? Und die klugen Leute haben Recht, denn der Schein ist wider mich. Wer sieht denn hinein in das geheime, zwanzigjährige Wehe eines zerrissenen Herzens! Ich verbarg es der Welt; es hat Niemand ein Recht, meine zerrissenen Schuldbücher nachzuschlagen. Das Glück meines Lebens kostete mich der Schein, die Rolle einer Befriedigten zu spielen. Wenn ich nun aufschrie: er war nie mein Gatte! Nein, mein Herr, ich ward ruhig, ich ward sehr ruhig. Sie mögen mich eine Frau schelten, die um ihren Mann sich erst kümmerte, als der Anstand forderte, auf seinem Todtenbett das[504] Haar vor Schmerz zu raufen. Ich will ihnen auch den Gefallen nicht thun; ich will ihnen auch den Schein lassen, mich kalt, gefühl- und herzlos zu schelten. Meine Trauer will ich in mich verschließen und eine stumme Bildsäule an seinem Sarge stehen, damit sie ein Räthsel mehr zu lösen finden. Jeder mag es nach seiner Art. Sie, Herr van Asten, kennen mich nun, in einer unbewachten Stunde schloß ich mein ganzes zerrüttetes Sein vor Ihnen auf. – Nun suchen Sie sich Kompagnie, die Ihnen gefällt, unter Hohen und Niederen, über mich herzufallen, mich zu zergliedern, zu verurtheilen. Ich bin auf Alles gefasst.«

»Ich aber nicht darauf, daß Frau Geheimräthin Lupinus mich dazu fähig hält.«

»Fähig, das weiß ich nicht, ich kenne Sie nicht genug. Aber aus Klugheit dürfen Sie vielleicht nicht Kompagnieschaft halten. Die gemeinen Seelen müssen, es ist ihre Natur, Krieg führen gegen alles, was sich über ihr Niveau erhebt. Und Sie sind in diesem Kriege. Bleiben Sie in der Defensive, so sind Sie verloren. – Ich weiß es nicht,« setzte sie nach einer Weile hinzu, »ich kümmere mich nicht darum, ob Sie den Muth haben, Ihren Feinden ins Lager zu dringen.«

Unwillkürlich war Walters Blick auf seinen Arm in der Binde gefallen.

»Sie haben den Chevaleresken gespielt, Ihren Gegner am Leben gelassen. Verspielt, Herr van Asten! Wer seinen Gegner nicht vernichtet, hat ihn gestärkt. Hätten Sie Rache genommen, wie die Beleidigung es heischte, ja dann – aber glauben Sie nicht, daß man Sie darum für einen Kavalier hält, weil Sie nach der Mondschrift in dem schwarzen Buch der Kavalierehre gehandelt. Obsolete Dinge! Man zuckt die Achseln, ein Gelächter rieselt, wenn die Junkeroffiziere von der Affaire erzählen. Der Andere wird jetzt beklagt, Sie – Sie Walter, werden nicht gefürchtet. Und Sie könnten gefürchtet werden, es war in Ihre Hand gegeben. Es war die einzige Waffe für den Bürgerlichen, glauben Sie mir, ich kenne sie ja, sich Respekt zu verschaffen. Die warfen Sie aus der Hand. Was wollen Sie nun thun? Alles, was Ihre feine, scharfe Feder schreibt, kitzelt da Keinem die Haut. Sie antichambriren umsonst. Ihre Ideen bleiben Mondscheinsgedanken, denn die Welt bleibt dieselbe, Herr van Asten. Nach jedem Erdbeben, wo etwa die Lohe des Geistes, aus der verschlossenen Tiefe berstend, über die Thäler und Berge wirbelte und die Wolken erleuchtete, wo die Geknebelten Freiheit schrien und Recht, nach jedem solchen Rausch kommen sie wieder zur Besinnung, es zieht sich wieder die Rhinoceroshaut der Gewohnheit um das Pseudotitanengeschlecht, das den Himmel stürmen wollte,[505] und die Menschheitsbeglücker hat man noch immer nachher gekreuzigt und verbrannt, wenn man es nicht für bequemer hielt, sie nur einzusperren und auf dem Stroh verfaulen zu lassen. Die Welt wird nicht anders.«

»Noch würde ich sie geändert haben, wenn ich den Kornet in die jenseitige geschickt. Die Rache baut nicht Häuser, sie zerstört nur. Wehe, wo es gilt, unser zerrüttetes Gemeinwesen wieder heben, wenn die bisher Gedrückten nur daran denken, sich an ihren Unterdrückern zu rächen, wenn nicht alles Persönliche als wesenlos bei Seite bleibt, wenn die Retter nicht mit ernstem, heiligem Willen an die That gehen.«

Man hätte ein chamäleonisches Mienenspiel auf dem Gesicht der Geheimräthin bemerken können, das sich endlich in ein feines ironisches Lächeln um ihre Lippen auflöste: »Sie haben die Prüfung gut bestanden, Herr van Asten, ganz wie ich sie erwartete. Hoffen wir Alle auf dem Wege der Geduld und Entsagung zu unserm Recht zu kommen. Ich habe Geduld. Nicht wahr? Und ich habe entsagt – sogar dem Glück, verstanden zu werden. Kann man mehr? Leben Sie wohl –«

Sie war gegangen, um an der Thür wieder stehen zu bleiben: »Sahen Sie Adelheid seit Ihrem Ehrenhandel?« – »Sie hatte einen Rückfall, als ich nach meiner Genesung ansprach.« – »Sie werden auch in dieser Entsagung sich einen Lorbeer erringen können.« – »Wenn ich um den Sinn der Worte bitten darf?« – »Daß Adelheids Sinn, seit sie bei der Fürstin ist, sich geändert hat, brauche ich Ihnen doch nicht erst zu sagen.« – »Die Fürstin hat so wenig Macht, als irgend eine Frau auf Erden, Adelheids Sinn zu beugen.« – »Freilich, da ein Anderer ihn schon gebeugt hatte.« – »Ich werde mich selbst zu beugen wissen vor dem Unabänderlichen, wenn es entschieden ist.« – »Eine seltsame Bezeichnung für den jungen Bovillard.« – »Bovillard!« – »Liebt, das heißt, er rast für sie. Nun, das weiß jedes Kind. – Sie gewiß auch.« – »Bovillard!« – »Er ist ja auch wohl Ihr Freund? Was thut das! Daß die Fürstin Adelheid deshalb zu sich genommen, daß es eine große Komödie in der Komödie war, ist Stadtgespräch. Daß Adelheid seine Neigung erwidert, und nur krank ist, weil sie es zu gestehen sich scheut, sind öffentliche Geheimnisse.«

Walter hatte an seinen wunden Arm gefasst, nur um mit der Hand irgend etwas zu fassen. Der furchtbare Schmerz erpresste ihm einen unterdrückten Schrei, er lehnte sich erblassend an ein Möbel.

»Nun, Sie werden heroisch sein. Wer wird Rache nehmen, wenn er beleidigt ist! Und an einem Freunde! Uebrigens glaube ich wirklich nicht, daß die Fürstin Gargazin an Herrn von Bovillard[506] ernstlich denkt. Sie hat wohl andere Pläne. – Haben Sie nicht gehört, wann Kaiser Alexander Berlin wieder besucht?«

Walter hatte nur die Hälfte gehört. Er hatte, respektvoll vor ihr sich neigend, für die gütigen Mittheilungen gedankt; der Kaiser, wie er gehört, werde ein Bad in Asien besuchen. Es sei bei der geschwächten Gesundheit des erhabenen Monarchen wohl recht zu wünschen. Unten an der Treppe fasste er wieder seinen Arm: »Dies Weib! Dies Weib! Gießt sie Gift oder Feuer in meine Adern!«

Die Lupinus lachte, als sie allein war, hässlich auf: »Der Wurm sticht doch, wenn er getreten wird, und der verwundete Elephant und Löwe erhebt ein Gebrüll, wovon der Wald erzittert, nur der Mensch prätendirt edel zu sein, wenn er mit einem stummen Seufzer sich zertreten lässt.«

Quelle:
Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländische Romane, Berlin: Otto Janke, 4[1881], Band 7, S. 496-507.
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