Neunundfünfzigstes Kapitel.

Nur keine Lüge mehr!

[507] Es war ein glänzender Gesellschaftsabend im Palais der Fürstin. Aber der Abendstern, der heute glänzen sollte, erschien wie erlöschendes Licht, wie eine schöne Statue in Mondscheinbeleuchtung. Es war etwas vorangegangen. »Ein zu heißer Tag!« sagten die Herren. Die Fürstin lächelte sanft. Man wusste in den flüsternden Gruppen, weshalb die Fürstin die schöne Adelheid in ihrem Hause aufgenommen. Sie sollte es dekoriren, wie die schönen Bilder, Statuen und Raritäten an den Wänden es dekorirten. Gerade wie die Lupinus vorhin ein solches Möbel für ihr Haus gebraucht. Dies hatten die scharfen Zungen schon längst ausgesprochen. Auch mag ein Möbel, eine Ornamentur, die in einem Hause längst ein abgenutzter, alltäglicher Gegenstand geworden, in einem andern durch geschickte Verwendung wieder zu einem der Bewunderung werden.

Aber die Fürstin arrangirte nichts, sie ließ Alles gehen, wie es wollte. Das junge Mädchen war nicht wie eine Untergebene, nicht wie eine Tochter, man möchte sagen auch nicht wie eine Freundin, sondern wie eine Herrin aufgenommen, der ein Recht auf dies Haus und Alles darin zustand. Sie hatte ihre besonderen Zimmer, Diener, sie konnte Besuche empfangen, ausfahren, wie sie Lust hatte. Sie erschien, oder blieb aus, wenn Gesellschaft sich versammelte; die Fürstin betrachtete es als eine Freundlichkeit, wenn sie Theil nahm, und dankte ihr, jedoch mit der Bitte, es[507] nie als ein Opfer zu betrachten, vielmehr ganz ihrem Penchant zu leben.

Die Königin Louise hatte wieder gelegentlich den Wunsch geäußert, die schöne Adelheid zu sehen. Der Wunsch einer Königin ist sonst Befehl. Aber als Adelheid die Augen niedergeschlagen und geantwortet hatte: »Was soll ich vor der hohen Frau!« war die Fürstin ihr mit der liebenswürdigsten Art um den Hals gefallen: »Sie haben Recht, was sollen Sie da! Warum sich einen Zwang anthuen. Solche hohe Personen werfen in der einen Stunde einen Wunsch hin, um ihn in der nächsten zu vergessen.«

Es war etwas vorangegangen vor dem Abend, von dem wir sprechen wollten. Die Fürstin war von ihrem Prinzip gewichen, sie hatte Adelheid genöthigt, mit der Baronin Eitelbach eine Spazierfahrt zu machen. Sie wollte die schöne Seele los sein. Adelheid hatte sie als Blitzableiter gebraucht, ohne zu bedenken, ob die elektrischen Zuckungen des Entsagungsfiebers nicht in den Blitzableiter selbst übergehen und ihn verderben könnten. Die Welt wäre vollkommen, wenn es keinen Egoismus gäbe, sagen weise Leute. Andere meinen, es wäre darin nicht auszuhalten, wenn nicht bisweilen die Selbstsucht zerstörend durch die Linien und Netze führe, mit denen uns die berechnende Weisheit zu Zahlen in einem großen Exempel machen will.

Es war ein schwüler Sommertag, aber es ruhte sich so weich in den Polstern des offenen von englischen Federn geschaukelten Wagens, und der russische Kutscher lenkte seine Pferde pfeilschnell durch die schattenreichsten Gänge des Thiergartens. Eine Fahrt, recht geeignet, um seinen Träumen nachzuhängen; die Gedanken konnten spielen, wie die Schatten der Blätter auf den hellen Kleidern der schönen Damen, die, sie wussten selbst nicht recht warum, hier kopulirt waren.

Die Baronin war eine herzensgute Seele; dessen war sie sich jetzt selbst bewusst, seit die Liebe ihr ein Bewusstsein gegeben. Sie hatte nie hinter dem Berge gehalten, als sie noch nichts mitzutheilen hatte, nämlich aus ihrem innern Leben; seit hier ein Gedanke wogte, und andere erzeugte, die sie für ihr unbestreitbares Eigenthum hielt, erschien es ihr sogar als Pflicht, von diesen Gefühlen und Gedanken auszuschütten. Je schwerer uns eine Errungenschaft ward, um so mehr halten wir uns berechtigt, daß Andere Belehrung von uns empfangen müssen. Es ist nun einmal so aller Autodidakten Art.

Adelheid war eine Kranke. Das war eine angenommene Sache, nur war man darüber uneinig, ob ihre Krankheit eine physische oder psychische sei. Die Roheren oder die Gleichgültigen sagten: sie sei so schlecht von der Geheimräthin behandelt worden,[508] oder sie habe sich doch so wenig mit ihr vertragen können, daß sie fortlaufen musste, und man habe es dann nachher so abgekartet, als hätte die Fürstin sie nur wegen des Nervenanfalls ins Haus genommen. Von dieser erschrecklichen Behandlung oder dem inneren Zwiespalt sei das arme Mädchen krank, und schweige nur darüber aus Großmuth und Schonung gegen ihre frühere Wohlthäterin. Vermittelnde meinten, daß die Geheimräthin ihr Verhältniß zu Walter van Asten begünstigt, daß sie ungehalten geworden, weil Adelheid kalt gegen ihn geworden; das habe Beide auseinander gerissen. Aber krank konnte sie doch darum nicht sein; nicht aus Verdruß, daß sie die Liebe einer Frau eingebüßt, welche sie nie geliebt, noch Wohlthaten, welche ihr stets drückend gewesen. Genoß sie doch jetzt die volle Liebe und Wohlthaten der liebenswürdigen Fürstin in ganz anderm Maße.

Also musste eine andere Liebe ihrem kranken, unbeschreiblichen Wesen zu Grunde liegen. Und hier war das Feld der Vermuthungen für die Feineren. Sie hätte Dem ihre Neigung zugewandt, der sie als Lehrer rasch und glücklich in ein höheres geistiges Leben geführt. Es war eine reine uneingeschränkte Neigung geblieben, welche sie, von Bewunderung und Dankbarkeit erwärmt oder getäuscht, für Liebe gehalten, bis – ein Anderer erschien, für den ihr Herz anders schlug. Sie war krank geworden, wirklich körperlich leidend, unter Gefühlen, die sie vergebens zu unterdrücken versucht. Da war – es musste eine Krisis eingetreten sein, die mit einer äußeren Begebenheit in Verbindung stand. Sie war in Folge derselben in ein anderes gastliches Haus übergesiedelt. So weit war den Eingeweihten alles klar. Sie kannten auch den Namen des Zauberers, ihn selbst. Hier aber schoß ein neues Räthsel auf, eine neue Sphinx lagerte sich vor dem Portikus, der in die Salons der Fürstin führte.

Louis Bovillard hatte Zutritt. Die Fürstin, die um Alles wissen musste, nahm ihn, wenn nicht mit Auszeichnung, doch mit zuvorkommender Theilnahme und Güte auf. Er, bis da ein wüstes Genie, das man verloren gab, vermieden, wenn nicht gar ausgestoßen aus der Gesellschaft, ward von ihr nicht nur zu den kleinen Cirkeln und Partien gezogen, sie schien die Fahne über ihn schwenken zu wollen, wenn sie die höchsten und ehrenwerthesten Personen in ihr Haus geladen hatte. Und er ging aufrecht und stolz umher, unbekümmert um Die, welche ihn scheuten und hassten; Denen mit ironischem Mitleid sich nähernd, welche vor seiner Berührung erschraken. Bis auf eine feinere Toilette, eine gentilere Haltung schien er hier derselbe Louis Bovillard, auf den man einst auf der Straße mit Fingern zeigte; dieselche Nonchalance, derselbe kaustische Witz, mit bittern Sottisen, mit einem beißenden und vernichtenden[509] Urtheil, derselbe Uebermuth und dieselbe Rücksichtslosigkeit gegen Die, um welche die Gesellschaft sich ehrerbietig gruppirte.

Nur wenn Eine erschien, war er ein Anderer. Sein Uebermuth war gebrochen, sein Witz stockte, seine glühenden Augen hafteten auf ihr. Er konnte dem flüchtigen Beobachter, wenn er sie dann wieder zu Boden sinken ließ, wie ein verlegener, junger Mensch bedünken, der zum ersten Mal in eine Gesellschaft tritt. Und doch war Louis Bovillard kein Räthsel.

Aber sie, die Eine, welche diese Wirkung auf den tolldreisten Wüstling geübt! Liebte sie ihn, sie, die so ruhig und kalt ihm entgegentrat, wie jedem andern gleichgültigen Gast, seine Verbeugung mit leichter Grazie erwidernd, um nach einigen gewechselten Worten über Wärme und Kälte, Wetter und Wind, Anderen entgegen zu eilen? Wie war sie da erfreut, schüttelte die Hände, embrassirte die unbedeutendsten und unangenehmen Damen wie nur theure Jugendfreundinnen. Nur daß sie, plötzlich in Gedanken versunken, auf ihre Ansprache zerstreut antwortete. Sie musste nicht recht zugehört haben, sie verwechselte die Personen. »Eine verzogene kleine Glücksprinzessin,« hatte da wohl eine vornehme Dame geäußert, die auf specielle Aufmerksamkeit Anspruch machte. – »Sie ist wohl destinirt, immer die Interessante zu spielen,« entgegnete eine Andere. – »Sie ist krank, und kränker, als wir denken,« sagte ein Arzt, der berühmte Doktor Marcus Herz, welcher sie seit einiger Zeit aufmerksam zu beobachten schien. Auf die Frage, was ihr fehle? entgegnete er: »Was unserm Staate fehlt, eine heftige Krisis, damit die Krankheit herauskommt.« – »Welche Krankheit?« – »Die schwerste, die, welche man vor sich selbst verbirgt.«

Auch die Baronin Eitelbach betrachtete Adelheid als eine Kranke; Adelheid litt an der Krankheit, in deren Ueberwindungsstadium sie sich selbst befand.

»Liebe Seele,« hatte sie gesagt, »ich kenne ja das. Sie sind verliebt und wollen sich's nicht eingestehen.«

Adelheid war aufgefahren: Sei es denn Zeit, um zu lieben, wo man nur hassen müsse? Sie hatte von der Ehre und Noth des Vaterlandes gesprochen, warm, wie es aus dem Herzen kam, in solchen Augenblicken dürfe der Mensch nicht an sich denken. Aber sie erschrak über ihre eigenen Worte. Es war eine Rede, geborgt aus einer anderen Stimmung, denn sie hatte ja eben nicht an das Vaterland, sie hatte nur an sich gedacht: wie sie dort im kurzen Röckchen unter den Platanen gespielt, unter den Brombeersträuchern Hütten gebaut, der kleine grüne Fleck hinter den verkümmerten Tannen war eine Wüste gewesen, die für sie kein Ende hatte. Das Wort Waldeinsamkeit war noch nicht ein Gemeingut, aber sie hatte die Ahnung und den Begriff. Und dann – durch[510] dieselbe Allee war sie später gefahren, und wenn sie an die forschenden Blicke der Neugierigen dachte, die sie jetzt erst verstand, schoß das Blut ihr zu Kopf! Aber auch die Obristin Malchen und ihre Nichten verschwanden wieder wie neckende Spukgeister hinter den Gesträuchen, in denen die Sonne ihr funkelndes Gold aussprenkelte. Wie oft war sie an der Seite der Geheimräthin hier vorübergerollt! Warum war diese Erinnerung ihr jetzt weit schreckhafter? Warum rückte sie in die Ecke des Wagens, als scheue sie vor der Berührung eines Gespenstes? Verdankte sie ihr nicht viel, sehr viel, ihr ganzes geistiges Dasein dem Umgang der klugen Frau, ihren Belehrungen? Ja, vielleicht war es das, was wie ein Frostfieber ihre Adern durchrieselte. Sie war die chemische Säure gewesen, die aus der jungen Brust die Begeisterung, aus dem Blut die Elasticität gesogen, den Glauben, die Hoffnung und die Liebe. Sie wäre untergegangen, das fühlte sie, in dieser kalten, zersetzenden Nähe, und etwas davon war in ihr geblieben, es beschwerte ihr Blut, es trübte ihren Blick, der Egoismus des Verstandes!

Und als diese wechselnden Schicksale wie die Stäubchen im Sonnenstrahl vor ihrem inneren Auge wirbelten, hatte sie sich gefragt: warum das Schicksal so wunderbar mit ihr gespielt? sie schleudere aus einem Arm in den andern, Menschen und Gewohnheiten tauschend, wie die Bilder aus einer Laterna Magica? Ob sie eine besondere Bestimmung habe, indem sie die Menschen in ihrer Schlechtigkeit kennen lernen sollte? Eine entsetzliche Frage hatte in dem jungen Herzen angepocht: hat die Natur den Menschen auf die Welt gesetzt zur Lüge, oder um nach der Wahrheit zu ringen? Die der Lüge lebten, einen andern Schein um ihr Sein woben, – hatte sie nicht beobachtet, daß gerade diese vom Glück angestrahlt waren, gesucht, geschätzt, anerkannt, selbst von Denen, welche sie durch und durch erkannten! Die dagegen kein Aushängeschild über ihr Wesen trugen, ihre Gedanken rein aussprachen, gerade auf ihr Ziel losgingen, wo hatten sie es erreicht, wie wurden doch ihre Gedanken mißverstanden, anders ausgelegt, höchstens belohnt durch eine laue Anerkennung ihres redlichen Strebens. Aber hinzugesetzt ward: schade, damit wird er nie durchdringen. Es hilft der Welt nichts, was er thut. – Was hatte Walter errungen? – Der arme Walter! Und sie! – Sie hatte ihn getäuscht, sie täuschte ihn noch immer fort, sie täuschte sich – sie war in ein Labyrinth der Lüge gerathen. Und wo der Ausweg!

Als wolle sie ihn suchen, hatte sie in die Wipfel geblickt, deren Blätter im Abendwinde durcheinander wogten, ohne daß sie nur eins mit den Augen verfolgen können. Da hatte die Baronin jene[511] Worte an sie gerichtet. Und wieder betraf sie sich auf einer Lüge. Sie musste das Auge vor dem Blick der Eitelbach niederschlagen. So hell und klar sah diese sie aus ihren großen blauen Augen an. Das ausdruckslose Gesicht gewann durch das Gepräge der Wahrheit einen Ausdruck, der für sie in dem Moment überwältigend war.

»Liebe Alltag, warum zieren Sie sich denn vor mir,« sprach die Eitelbach mit dem gutmüthigsten Tone von der Welt. »Der Bonaparte mag ein noch so böser, und unser König ein noch so guter Mensch sein, jeder Mensch denkt doch an sich zuerst.«

»Jeder!« sagte Adelheid, um nur durch ein Wort ihrer gepressten Brust Luft zu machen.

»So ist es schon. Ich lass' mich auch gar nicht mehr irre machen. Krieg mag schon nöthig sein auf der Welt, meinethalben; ich kenne sie aber, die Herren Offiziere, alle, und da ist keiner, der nicht an sein Avancement denkt, wenn er sich in den Kragen wirft und grunzt, daß man glaubt, die Seele sollte ihm ausgehen, von des Königs Rock und Friedrichs Ehre, und wenn er dann auf den Hacken Kehrt macht und eine Miene sich geben will – Na, habe Dich nur nicht, denke ich. – Gerade wie mein Mann. Wenn der spuckt und über den Frieden lamentirt und sagt: Daran gehen wir zu Grunde! dann weiß ich auch, was die Glocke geschlagen hat. Wenn er die Mantellieferung gekriegt, dann wären wir nicht zu Grunde gegangen und es könnte Friede werden in alle Ewigkeit. So sind die Männer. Sie denken nur an sich.«

»Nicht alle.«

»Nein, Einer nicht. Aber sonst! Ja, wenn das Andre draußen mit ihren Wünschen zusammenpasst, dann sind sie lichterloh. Das weiß dann zu parliren und encouragirt sich, bis sie's am Ende selbst glauben, daß es darum ist. Es amüsirt mich, wenn ich sie so höre sich warm reden; aber mich täuschen sie nicht mehr, auch die Klügsten nicht. Ich denke: sprecht Ihr nur, ich weiß doch, was dahinter steckt.«

»Täuschen die Männer nur? Belügen wir uns niemals?«

Die Baronin schien nachzusinnen: »Nein, liebe Seele, Engel sind wir auch nicht immer. Wenn mein Mann Feuer schlägt, mancher Schwamm will gar nicht zünden, aber der andre fängt im Augenblick, der ist weicher, sagt er. So sind wir Frauen, habe ich da gedacht. Wenn ein Funken vom Himmel fiele, bei den Männern hat es gute Weile, aber wir –«

»Lodern rascher auf. Ist das aber gut?«

»Was vom Himmel kommt, ist doch gut. Die Leute sagen nun, Sie könnten den Louis Bovillard nicht ausstehen, weil er den Napoleon einen großen Mann nennt und Gott weiß was. Die[512] Leute sind nicht gescheit. Er thut es nur, um sie zu necken und Sie auch. Und wissen Sie, warum Sie ihm immer den Rücken kehren? Damit er sich nicht einbilden soll, daß Sie ihm gut wären. Und warum Sie immer so in Extase sprechen, wie Sie die Franzosen hassen? Nur damit die Andern nichts merken sollen, wie Sie verliebt sind.«

»Frau Baronin!«

»Mir machen Sie nichts weiß. Sie sind's bis über die Ohren, und wenn er selbst ein leibhaftiger Franzose wäre, schadet nichts. Und wenn er dem Bonaparte sein General, oder gar sein Spion wäre, da würde Ihr Franzosenhaß so klein, ach, mit dem Theelöffel könnten Sie ihn runterschlucken.«

Adelheids erstaunter Blick sagte: »Wie kamst Du dazu?«

Auch diese stumme Sprache verstand die Erleuchtete: »Und ich weiß auch wohl nicht, was Sie jetzt denken? Daß die blinde Henne auch mal ein Korn gefunden hat. – Denken Sie's immer zu, ich nehm's Ihnen gar nicht übel. Als ob ich nicht wüsste, daß die Andern auch so denken! Das genirt mich aber gar nicht. Haben Sie doch gedacht, Sie könnten mir Männchen vormachen und mit mir Blindekuh spielen in Ewigkeit. Eine Weile geht's, aber dann fällt die Binde doch runter. Jetzt sollen Sie's aber nicht mehr, da gebe ich Ihnen mein Wort. Allzuscharf macht schartig, und hinterm Berge wohnen auch Leute, sagte meine Mutter. Aber warum wickeln Sie sich so in Ihren Shawl? Zu schämen brauchen Sie sich doch nicht, und vor mir am wenigsten, denn ich sage es Jedem grad heraus: Ich liebe und bin glücklich.«

»Und Sie haben doch entsagt!« Das Verhältniß der Baronin war zum öffentlichen Geheimniß geworden.

»Und nun bin ich gerade erst glücklich. Ich weiß, er liebt mich, und er weiß, ich liebe ihn, und es geht nun einmal nicht.«

»Ist das ein Glück?«

»Muß man denn sich immer ins Auge sehen, die Lippen öffnen und die Hand drücken, um sich zu sagen, daß man sich liebt! Wenn wir noch so weit getrennt sind, sehen wir nicht Beide da den Abendstern aufgehen? Brauchen wir uns Briefe zu schreiben, um uns zu sagen, daß wir uns nie vergessen werden? Ja, ehedem dachte ich wohl, ohne Rosabillets auf duftendem Papiere, und schöne Präsente ginge es nicht. Ach, wie ist das Alles ganz anders! Diese Blicke aus seinen treuen, guten, schönen Augen werden immer vor mir stehen, wie die Sterne am Himmelsbogen. Und ist das kein Glück, daß ich überzeugt bin, auch er sieht mich, wie ich ihn sehe! Auch er wird von falschen Zungen umschwirrt, die mich wie ihn verreden. Aber auch er weist sie zurück! Nein, je weiter Zeit und Ort uns entfernen, um so inniger wird unser[513] Bund, denn er ist unauflöslich. – Und, Adelheidchen, so könnten Sie auch fortlieben und glücklich sein –«

»Und lügen – lügen in Ewigkeit!« brach es aus der gepressten Brust. Es war unwillkürlich; die Eitelbach wollte sie nicht zur Vertrauten ihrer Gefühle machen.

»Entsagen, Liebe, ist das lügen? Der Besitz tödtet die Freude des Verlangens, hat mir Jemand ins Stammbuch geschrieben. Würde ich ihn lieben, wie jetzt, wenn er vor acht Jahren – nun ja, wäre er mein Mann, dann würden wir uns vielleicht recht gut sein, aber hätten sich unsre Seelen kennen gelernt! Die gemeinschaftliche Menage, sagt der Legationsrath, das tägliche Beieinander stumpft die feineren, sinnigen Gefühlsfäden ab, nur Verlangen und Entbehrung weckt die edleren Seelenkräfte. Er will's mir auch ins Buch schreiben. Er braucht es nicht, ich fühle es, ich weiß es. Ich ward eine Andere, mein Mann sagt, er kennt mich nicht wieder. Nun bin ich erst froh, ich weiß, warum ich lebe. Wir nicken uns durch die Lüfte einen guten Morgen zu. Wenn ich ausfahre, freue ich mich der frischen Luft; auch ihn kühlt sie ja, wenn er über die Haide sprengt. Abends schüttelt er treuherzig den Kopf und ruft mir Gute Nacht! zu.«

Adelheid fasste krampfhaft den Arm ihrer Begleiterin: »Soll das Ihr Leben dauern?«

»Herr Gott, wie Sie zittern! – Warum denn nicht.«

»Weil – allmächtiger Gott, ich glaube, der Versucher rauscht in den alten Eichen! Nennen Sie das entsagen?«

»Wie denn sonst? Der Versucher, das weiß ich wohl, mit dem hat die Fürstin es zu thun, er vergiftet das Blut, sagt sie, und der sündhafte Gedanke zehrt an der Seele, ein kleiner Fehltritt sei nichts gegen eine große Gedankensünde. Ach, die gute Gargazin ist eine Russin, sie kennt die Liebe nicht, die sich Alles versagt, und nur für den Geliebten sorgt. So, liebe Seele, würden Sie lieben. Wenn Sie den Herrn van Asten heirathen müssen, weil er Ihr Wort hat, thun Sie's, und er wird gewiß ein guter Ehemann werden, besser als meiner. Aber dann, wenn Sie Ihre Pflicht gethan, wer darf Sie von Ihrem Bovillard trennen, o, dann werden Sie selig, unaussprechlich selig werden.«

Adelheid fühlte einen Schwindel, es schwankte und drehte sich und ihr war, als müsse sie aus dem Wagen springen. Es war aber mehr als eine Empfindung der aufgeregten Stimmung. Der Kutscher, wie sich nachher ergab, betrunken, hatte den Wagen aus der Seitenallee in die Chaussee umgelenkt, ohne den Charlottenburger Milchkarren, der leer aber langsam ihm entgegenfuhr, zu bemerken. Die Fuhrwerke waren aneinander gestoßen, freilich zum größern Schaden des Karrens, der zerbrochen am Boden lag, die[514] Blechgefäße polterten auf die Straße, aber auch die Equipage hatte sich übergelehnt, und Adelheid war jetzt zu dem gezwungen, wozu vorhin innere Angst sie drängte.

Als die Baronin noch um Hülfe schrie, hatte sie, rasch entschlossen, sich schon danach umgesehen, und sie war zur Hand. Zwei einsame Spaziergänger waren von den entgegengesetzten Seiten des Weges auf den Lärm herangeeilt. Adelheid riß ihren Shawl von den Schultern, und warf ihn dem ihr Nächststehenden zu. Als er aber die Arme ausbreitete, um ihr herabzuhelfen, fuhr auch ihr ein Schrei über die Lippen, kein lauter in dem allgemeinen Toben und Fluchen, aber laut genug, daß er Zweien durchs Herz fuhr, der, welche ihn ausgestoßen, und dem, welcher ihr die Arme entgegenstreckte. Walter van Asten sah, wie Adelheid sich von ihm abwandte und umschlungen vom Arm des Rittmeisters Stier von Dohleneck aus ihrer gefährlichen Lage gehoben ward. Er hatte genug gesehen. Auch die Baronin durchzuckte ein Ton, der nur halb über ihre Lippen kam. Sie nahm die Hülfe des jungen Mannes dankbar an: »Ich danke Ihnen,« sagte sie, ihr Haar in Ordnung bringend, »daß gerade Sie es sind.«

Wir lassen unsere Leser auf der dunkelnden Charlottenburger Chaussee nicht länger verweilen: was geht uns der Lärm, das wüste Gezänk an zwischen Kutscher, Milchmann, den umstehenden Schiedsrichtern und Helfern. Ein Rad war gebrochen, in der Equipage konnten die Damen nicht mehr nach Hause fahren. Ihre Retter führten die Erschreckten langsam, bis eine leere Kutsche ihnen begegnete.

Adelheid wusste nachher nicht, was der Rittmeister mit ihr gesprochen, sie wusste selbst nicht, ob es der ihr wohlbekannte Rittmeister gewesen, an dessen Arm sie ging. Sie wusste nichts von sich auf dem viertelstündigen Wege. Erst als man sie in den andern Wagen hob, fühlte sie einen Händedruck. Walters Stimme flüsterte fest, aber nicht rauh und kalt: »Zum Abschied, Adelheid! Nun bist Du frei.«

Die Damen hielten ein gegenseitiges Schweigen für die beste Unterhaltung auf dem Rückwege. Adelheid hatte sich fest in ihren Shawl geschlungen, obgleich es eine laue italienische Nacht war und die Baronin ihr Tuch abwarf, um sich nicht zu echauffiren. Das junge Mädchen musste frieren, ihre Zähne klapperten, und es waren wohl Phantasieen, wenn die Baronin oft die Worte hörte: »Nur keine Lüge mehr!«[515]

Quelle:
Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländische Romane, Berlin: Otto Janke, 4[1881], Band 7, S. 507-516.
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