Siebentes Kapitel.

Der Staatsmann.

[37] Wir führen unsere Leser in die Wohnung und die Geschäftszimmer des vornehmen Mannes, dessen flüchtige Bekanntschaft wir in der Gesellschaft gemacht. In seinem Hause, unter seinen Untergebenen, war der wirkliche Geheimrath ein anderer Mann. Man könnte sagen, er sei um einige Zoll gewachsen; der von den vielen huldreichen Verbeugungen gekrümmte Rücken war hier gerade geworden. Er war aber um deswillen kein großer und auch kein gerader Mann.

Im Vorzimmer warteten Expectanten. Die trüben Mienen verriethen, daß nicht Jeder Hoffnung hatte, vorgelassen zu werder. Sie wandten sich an die durchpassirenden Beamten. Wie viele große Männer hätte ein Neuling da zu entdecken geglaubt, wenn sie freundlich zuhörten, sich an der Binde zupften oder die Schultern zuckten. Und doch waren es nur Schreiber und Boten. Ob einer von ihnen sich in den Winkel ziehen und zu einer vertraulicheren Verständigung hinreißen ließ, will ich nicht verrathen haben.

Das Zimmer, wo der Geheimrath empfing, war geräumig, halb mit Aktentischen und Repositorien, halb mit den Bequemlichkeiten und dem Luxus eines reichen Lebens ausgestattet. Auf den Fauteuils und kleinen Tischen lagen zerstreut in elegantem Einband die neusten Werke der französischen Literatur. Am Ende des Aktentisches[37] saß ein jüngerer Rath, in den eingegangenen Schriftstücken blätternd und sie zum Vortrag ordnend. Im entfernteren Winkel stand der Geheimrath und hatte einer Dame Audienz ertheilt, die sich sehr bescheiden in der Ecke zwischen Fenster und Hinterthür hielt. Es war eine Tapetenthür, durch welche sie auch vermuthlich der Kammerdiener eingelassen, denn nach Beendigung der Audienz schlich sie durch diese Thür hinaus. Ihre vielen Ringe, eine Garderobe, aus den kostbarsten und auffällig modernen Stücken, und der prachtvolle Shawl darum schienen ihr eher ein Anrecht aus einen Platz auf dem Sopha zu geben, wenn nicht die Haltung der sehr wohlbeleibten Frau verrathen hätte, daß die Hülle nicht recht zum Körper, oder der Körper zur Hülle sich schickte. Einem Psychologen hätte vielleicht schon ein Blick auf ihre groben Füße angezeigt, daß die feine Kleidung ihr nicht angeboren war. Wer ihr aber ins Gesicht sah, wo trotz aller Sanftmuth und Glätte die ursprüngliche Gemeinheit sich nicht verbergen konnte, begriff, warum der Geheimrath in einer Art ihr Audienz gab, wie es in der Regel auch ein noch vornehmerer Mann keiner Dame gegenüber übers Herz bringen würde. Er stand, die Hände in den Seitentaschen, halb seitswärts, halb ihr den Rücken kehrend, wodurch sie freilich Gelegenheit gewann, ihr Anliegen auf dem nächsten Wege ihm ins Ohr zu flüstern. Sie sprach leise. Er hatte mehrmals den Kopf geschüttelt. Dann sprach er, gleichfalls mit gedämpfter Stimme: »Gedulden Sie sich also bis Lombard kommt; er kann die Sache allein arrangiren. Und bis dahin hüten Sie sich, daß keine Klage einläuft. Keinen Skandal! In dem Fall wollen wir die Sache schon hinhalten.«

Die Supplikantin verbeugte sich tief. Er klopfte ihr freundlich auf die Schultern. Sie wollte ihm die Hand küssen. Das litt er nicht.

Der junge Rath las von einem Zettel den Namen der nächst zur Audienz aufgeschriebenen Person. Der Geheimrath machte eine Bewegung mit der Hand und warf sich, die Beine übereinander, aufs Sopha, ein Zeichen, daß er sich erholen wolle; vielleicht glaubte der Vortragende darin eines für sich zu erkennen, daß Bovillard sich über die vorige Audienz auszulassen Lust hatte.

»Was wollte denn die Schubitz?« fragte er, zwischen den Papieren kramend. »Eine Eingabe von ihr ist nicht da.«

»Man will sie in der Behrenstraße nicht länger dulden. Sie soll ihr Haus verlegen – in eine minder anständige Straße,« setzte der Geheimrath mit sarkastischer Miene hinzu.

»Wer will denn das, wenn ich fragen darf?«

»Erinnern Sie sich, was le grand Frédéric dem alten Spalding antwortete? Der beklagte sich auch über eine Nachbarschaft, die ihn in seinen Meditationen störte, und Friedrich schrieb nur auf den[38] Rand des Memorials: Mon cher Spalding, ni vous ni moi .... pourquoi donc gêner d'autres .... Unter Friedrich hätte die Behrenstraße petitioniren können, bis sie aschgrau ward.«

»Auch unter –« der Rath verschluckte es, denn der Geheimrath unterbrach ihn.

»Das muß man Wöllnern lassen. Er wusste christlich ein Auge zuzudrücken, wenn – es die Schwäche seines Nächsten galt.« Er betonte die letzten Worte.

Der junge Rath hatte vorhin die Aufforderung zum Lächeln übersehen. Er lächelte jetzt. »Aber wer kann es sein?«

»Wer! Wer? Mon cher! Haugwitz vielleicht, oder Lucchesini, Schulenburg, oder Beyme, der Cato Censorinus. Vielleicht ist auch Prinz Louis Ferdinands sittliches Gefühl beleidigt.«

Der Geheimrath gefiel sich so, daß er aufstand und mehrmals durch die Stube schritt: »Ja, ja, es hat sich so manches in Preußen geändert.«

»Und wird noch manches anders werden,« setzte der Rath hinzu.

»Gewiß, wenn man uns in Ruhe lässt, wenn man verständig denkt und handelt; wenn man auf die Kläffer nicht hört, wenn, wenn – was liegt noch vor, lieber Rath?«

»Herr Geheimrath ließen gestern fallen, daß Ihnen eine Notiz im Hamburger Unpartheiischen, bezüglich auf Lombards Depesche, nicht unangenehm wäre. Wir wurden unterbrochen. Meine Feder und mein Wille stehen zu ihrer Disposition.«

Bovillard setzte sich halb auf den Tisch, indem er vertraulich den Arm auf die Schulter des Rathes legte; die Runzeln seines Gesichtes verzogen sich in ein wohlgefälliges Lächeln:

»Mich hat seit lange kein Brief so erquickt!«

»Lombard muß Wichtiges berichtet haben,« bemerkte der Beamte. »Nach den Aeußerungen des Herrn Geheimraths gestern zu mehreren Geschäftsmännern herrscht unter den Kaufleuten eine sehr frohe Stimmung.«

»Dürfte ich Ihnen den Brief zeigen! Bonaparte hat ihn empfangen nicht wie einen Abgesandten, sondern wie einen alten lieben Bekannten, den er endlich von Angesicht zu Angesicht sieht. Er saß auf dem Sopha und las. Was denken Sie? Den Ossian. Nachdem er Lombard die Hand gereicht, recitirte er ihm eine Stelle voll der tiefsten Empfindung für Menschenwohl. Er fragte ihn, ob er Ossians Gefühle theile? Lombard war nicht ganz vertraut, da las er ihm selbst die Scene vor, wo Malvine im Mondenschein über das Schlachtfeld eilt, und süße Betrachtungen ausgießt darüber, daß Mord und Schlachten die Geschicke der Menschheit reguliren. Bonaparte schlug das Buch zu und wandte sich schnell ab, um seine eigene Bewegung zu verbergen. Und diesen Mann gefallen sich unsere Fanatiker einen[39] Blutmenschen zu nennen! Wer gebietet der Parteienwuth! Das warf auch Bonaparte im Gespräch hin. Sire, erwiderte Lombard, Europa kennt den Sieger des 18ten Brumaire. Der Kaiser schüttelte mit gesenktem Blick den Kopf: Ach, das war für die Straßen von Paris, für Frankreich vielleicht, aber der Genius muß noch geboren werden, der Europa wieder in seine Fugen richtet. Lombard citirte eine Stelle aus einer Schrift des jungen Ancillon. Napoleon schien sie zu kennen, aber mit einem schlauen Augenaufschlag fiel er ein: Mich dünkt, der Sinn ist weit schlagender in den Worten ausgedrückt, – Und was citirte er? Eine Stelle aus einem von Lombards Traité'

»Sollte Bonaparte Lombards Schriften gelesen haben?« rief der junge Rath mit einem ungläubigen Lächeln.

»Dieselbe Frage stellte Lombard, natürlich nur mit andern Worten, und sein Gesicht mag auch dabei geglänzt haben, denn, wir wollen es nicht leugnen, er ist etwas eitel. Eitel sind wir Alle, lieber Fuchsius. Napoleon sah ihn mit seinen schönen klugen Augen vielsagend an, und griff dann nach einem Buche, das neben ihm auf dem Tische lag. Es war Pariser Druck und Band, Sie werden es sehen. Kaum, daß er darin geblättert, schlug er eine Seite auf und reichte sie dem Gesandten. Es war Lombards Dictum. Unverdiente Ehre, wenn mich ein französischer Schrifsteller citirt hat. – Sie sind es ja selbst, lächelte Napoleon und wies ihn auf den Titel. Kurzum, es waren Lombards Traité's, in einer Pariser Ausgabe, prachtvoll gedruckt. Und mit einem Wort, es kam heraus: Der Kaiser hat Lombards Abhandlungen, weil sie ihm so sehr zusagen, in einer Prachtausgabe für sich und seine vertrauten Freunde drucken lassen. Napoleon Bonaparte, sage ich Ihnen, der Genius des Jahrhunderts, kann sich von Lombards Schriften nicht trennen, er führt sie mit sich in seinem Feld-Necessaire, er blättert täglich, er findet Zerstreuung, Erholung, Erquickung darin, wenn die Sorgen ihn drücken. Mit französischer Artigkeit bat er ihn um Entschuldigung wegen des Nachdrucks, den er in seinem Reiche streng bestrafen würde, denn jeder Arbeiter müsse die Früchte seiner Arbeit genießen können. Aber die deutsche Typographie sei noch so weit zurück, es thue seinen Augen wehe, einen schönen Gedanken grob auf deutschem Papier zu sehen. Ach, fügte er hinzu, was könnte aus Deutschland, ich meine aus Ihrem Preußen werden, wenn ein Genius die Industrie belebte! Lombard erwiderte in galanter Weise die Artigkeit: er fühle sich in seinem Interesse durch den Nachdruck so lädirt, daß er auf eine große Entschädigung Anspruch mache. Er fordere nicht weniger als das Exemplar, welches durch des Kaisers Hand geweiht sei. Ich gebe es ungern, es ist mir lieb geworden, sagte der Kaiser, aber Sie sind im Recht, und nun ist es nicht mehr meines. Er[40] hatte rasch seinen Namen mit einer verbindlichen Zeile hinein geschrieben.«

Der Geheimrath war nach dem verschlossenen Schrank geeilt, von wo er einen in saubere Hüllen verschlossenen Band holte, und auf dem Tische enthüllte: »Lombard hat ihn voraus geschickt. Doch das ist nur für uns. Um Himmels Willen davon keine Mittheilungen. – Da ist sein Name. Schöne, feste Züge, der Charakter des Genius. Ex ungue leonem. – Hier ist auch mein Bericht, den Lombard die Güte hatte in seinem Traité aufzunehmen, mit abgedruckt.«

Der Geheimrath umhüllte das Buch wieder mit einer Geschickslichkeit, die einem Buchbinder Ehre gemacht, und stellte es auf einen Ort zurück: »Was sagen Sie nun. Ist der Mann, wie seine enragirten Feinde ihn uns darstellen wollen?«

»Das sind allerdings überraschende Kombinationen.«

»Sie haben an eine Atrappe gedacht. Sehen Sie, wie Sie sich durch Ihr Vorurtheil täuschen ließen. Ueberhaupt, da war nichts Affektirtes in Bonaparte's Benehmen, nichts von der Herablassung eines Emporkömmlings. Er verhandelte mit unserm Freunde wie der Gleiche mit dem Gleichen. Lombard wollte diplomatisch Schritt um Schritt mit seinen Missionen herausrücken. Napoleon unterbrach ihn rasch: Ich bin Frankreich, die Welt fängt an es zu erkennen, und Sie sind Preußen, die Welt erkennt es noch nicht, aber ich. Ueberlassen wir doch das Anderen, sich untereinander zu täuschen, setzte er mit dem durchdringend freundlichen Blicke hinzu. – Das bleibt natürlich unter uns, und Lombard that natürlich das Seinige, dagegen zu protestiren und auf seine untergeordnete Stellung zu weisen. – Wie Sie wollen, sagte Napoleon lächelnd, ich nehme die Menschen wie sie sind, respektire aber auch den Schein, den sie hervorzukehren für nöthig halten. – Und nun floß das Gespräch anmuthig hin, wie zwischen Zweien, die, wie Schiller sagt, auf der Menschheit Höhen stehen, und parteilos und affektlos das Getriebe tief unter sich betrachten.«

»Und bei dem Gespräche blieb es?«

»Lombard kann nicht genug sein Entzücken über den reichen Geist ausdrücken. Er schüttete seine Anschauungen über die Weltverhältnisse wie eine Fee aus ihrem Füllhorn. Unser Freund sagt, er hat in dieser einen Stunde viel gelernt.«

»Dazu ward er indeß nicht hingeschickt. – Und noch gar keine positiven Resultate?«

»Wir können ganz beruhigt sein. Bonaparte hegt eine Achtung vor Preußen, die mich wirklich überrascht hat. Wenn er von Friedrich spricht – nun das versteht sich von einem Genius, wie seiner von selbst. Er malte seine Schlachten; als er die von Hochkirch[41] schilderte, gerieth er in eine wahre Begeisterung: Die gewonnenen Schlachten wolle er dem großen Todten lassen, rief er aus, aber er gebe drei seiner eigenen Siege für den Rückzug von Hochkirch.«

»Lombards Mission war aber doch nicht eigentlich, sich Unterricht über den siebenjährigen Krieg geben zu lassen?«

»Spötter! wissen Sie, was Napoleon über den Baseler Frieden sagte?«

»Die erste Wunde unserer Ehre!« seufzte der Rath.

»Das gab er selbst zu. Erkennen Sie die Größe des Mannes. Aber nach diesem Frieden sei es Preußens Aufgabe gewesen, die demarkirten Theile von Deutschland, die unter seinem Schutz gegeben waren, sich zu unterwerfen. Ein kleines Unrecht, rief er, kann in der Politik nur gut gemacht werden durch ein großes Unrecht. Was wäre Preußen jetzt, es stände da, eine europäische Macht, die nicht nöthig hätte, Sie, mein lieber Lombard, zu mir zu schicken, um mich zu sondiren. Es wäre an mir gewesen, zu Ihnen zu schicken, ich hätte aber freilich schwer einen Lombard gefunden. Er that einige Schritte im Zimmer auf und ab. Aber es thut nichts, hub er wieder an. Preußen ist ohnedem was es ist. Der Genius Friedrichs schwebt über ihm, und die Fittiche seines Adlers rauschen stark genug, daß sich so leicht kein Feind heranwagt.«

»Und weiter berichtet Lombard nichts?«

»Sie bleiben ein ungläubiger Thomas. Der Kaiser ist nicht allein weit entfernt von einer feindlichen Absicht, sondern eine innige Verbindung mit uns wäre sein Wunsch. Wohl verstanden, eine Alliance, welche die Zügel der Welt in die Hand nimmt. Civilisation, Kultur, wahre Aufklärung, das Glück des Menschengeschlechts und ewiger Friede wären ihr Ziel. Wer zwingt ihn denn immerfort, das Schwert wieder zu ziehen, als die Manövres des Herrn Pitt, der jetzt Oesterreich, jetzt Neapel, nun Rußland, Schweden, und die Kleinen, warum nicht auch Spanien und die ganze Welt aufhetzt. Was sind diese Subsidien, die das monopolisirende England verschwenderisch auswirft, als das Blutgeld, womit es den Ruin der Länder erkauft, die sich verführen lassen? England wäre es recht, wenn der ganze Kontinent zur Wüste würde, wenn er nur damit der Markt wird, wo die Bettelvölker, um ihre Blöße zu kleiden, seine schlechtesten Waaren kaufen müssen. Das ist sein Ziel, und jedesmal, wenn Bonaparte seinen Degen gegen einen neuen Feind ziehen muß, thut er es mit Seufzen; er weiß, er kriegt nicht gegen die armen Neapolitaner, Hessen und Schwaben, die sind nur die Schlachtopfer; seine eigentlichen Gegner, die reichen Kaufleute an der Themse, sitzen ruhig hinter ihren Wollsäcken und trinken ihren Ostindischen Thee, derweil die mit ihren Taschengeldern zu ihrem Vergnügen, zu ihrer Spekulation erkauften Völker in die französischen[42] Kanonen getrieben werden. Darum ist sein Grimm gegen Pitt und die Andern unbeschreiblich. Wenn ihm die Landung gelänge, wenn er England seinen Degen ins Herz bohrte, so würde er vielleicht der Blutmensch, den man aus ihm macht. Aber seine Vernunft regelt seine Begierden. Seine Pläne sind andre. Könnte er den ganzen Kontinent mit einem Netz gegen die fremde Waare umspannen, daß kein Ballen ihrer Manufacte eindringt, könnte er den Gewerbfleiß unter den Kontinentalen anstacheln, daß wir gezwungen würden für uns selbst zu erfinden und zu schaffen, könnte er die Brtten aushungern, daß sie sich den Tod essen an ihren Schlauderwaaren, dann hätte er gesiegt, wie er wünscht, nicht für sich, für die ganze europäische Menschheit. Dann würde wir alle reiche, glückliche, selbstständige Völker. Aber er allein, ein wie großes Genie auch, kann das nicht. Er braucht einen Bundesgenossen. Rußland kann es nicht sein, Oesterreich ist des Gedankens nicht fähig, Preußen allein steht auf der Höhe der Civilisation und Intelligenz, mit Preußen Hand in Hand könnte er den Weltgedanken ausführen. Begreifen Sie nun, warum es in seinem Interesse ist mit uns Freund zu bleiben?«

»Lombard hat die Propositionen zur Alliance vermuthlich schon in der Tasche?«

»Bonaparte kennt uns, und darum giebt er fast die Hoffnung auf. Er kennt die Hindernisse. Ich versichere Sie, mit erschreckender Genauigkeit kennt er die Coterien an unserem Hofe, er weiß, was bei der Radziwill, in den Kreisen der Prinzeß Wilhelm über ihn gesprochen, wie er titulirt wird. Er weiß die Ausdrücke, das Treiben in den Umgebungen des Prinzen Louis Ferdinand auf ein Haar, ja er liest die Gedanken, die der Prinz unterdrücken muß. Die Discourse in unsern Wachtstuben, die freien Unterhaltungen unsrer Garde du Corps liegen aufgezeichnet in seinen Akten. Soll ihm das Vertrauen und Hoffnung auf uns einflößen?«

Der Rath war ernsthaft geworden. »Das ist schlimm. Man sagt, seine Spione kosten ihm viel. Preußen soll ihm überhaupt viel kosten, und das ist noch schlimmer.«

»Ich sage Ihnen, jene Phantasten und Gelehrten sind Bagatell; diese sogenannte Kriegspartei aber wird uns ruiniren. Die bohrt und drängt und stürmt, bis ein Mal der Widerstand der wahren Staatsmänner zu schwach wird, und das gute Herz des Königs nach giebt.«

»Und wir ständen allein,« fiel der Rath ein.

»Prenez garde, mon cher, das auszusprechen. Man muß diesen Fanatikern gegenüber vorsichtig sein. Es freut mich, daß Sie den Wahn nicht theilen, als wären wir allein stark genug, gegen den Strom zu schwimmen. Doch besser, daß man dies für sich behält. Um so mehr, als, denken Sie, auch Napoleon zweifelt. Wie[43] hübsch er das auffasst. Ich bin ja nicht so thöricht, sagte er zu Lombard, um nicht zu wissen, daß, wenn Preußen bei Valmy, Pirmasens, wenn es am Rhein ernstlich gewollt hätte, Frankreich nicht mein Frankreich, und ich nicht ich wäre. Das ist nun allerdings zu viel Artigkeit, indessen ersehen Sie daraus, wie hoch er auch unsre Armee schätzt. Ich weiß, sagte er, Ihres Königs Herz schlägt für Menschen- und Völkerglück, wie nur meines, aber ich würdige vollkommen seine Lage, er ist jung, befangen, zu gewissenhaft, er weiß sich nicht zu helfen zwischen den guten und bösen Rathgebern. Zu viel Blutsbande verknüpfen ihn mit den Ungestümen, Rasenden, und man kann sich keines Augenblicks versehen, daß nicht eine Mine auffliegt und die Feinde der Humanität siegen.«

»Und wird Mortier Hannover räumen?« fragte der Rath mit scharfer Betonung. »Wird die Sperrung der Weser- und Elbemündungen, worauf Preußen bestehen muß, aufgehoben werden? Unser Handel geht zu Grunde, wenn das nicht geschieht. Das ist schlimm, aber es giebt Schimmeres. Wir verfeinden uns England. Das ist aber noch nicht das Schlimmste. Ganz Deutschland blickt sehnsüchtig und erwartend auf Preußen, als die einzige Macht, die ungebrochen da steht, frei noch von Frankreichs Einfluß, als die einzige Macht, welche die Ehre des Vaterlandes retten, der übermüthigen Gewaltthat eine Schranke entgegensetzen kann. Wenn wir diese Aufgabe nicht erfüllen, nicht rettend einschreiten, attestiren wir unsere Ohnmacht, und wir laden die Schmach auf uns, daß eine Koalition fremder Mächte, die nicht ausbleiben kann, diese Aufgabe übernimmt. Ich wiederhole nur, was die Tausende täglich sagen, die man Biedermänner nennt, mich selbst, wie sich versteht, jedes Urtheils begebend.«

»So!« sagte der Geheimrath gedehnt. »Diese Biedermänner werden sich gedulden müssen, bis Lombard aus Brüssel zurück ist. Die Spezialitäten seines Auftrages wird er mündlich Sr. Majestät vortragen.«

Die Geschichte und auch die Memoiren der Zeit erzählen nichts von diesem Gespräch und dem, was es hervorrief; der Dichtung aber ist es erlaubt, auch aus der Tradition zu schöpfen, wo sie noch die Worte lebendiger Zeugen belauscht hat, die es glaubten. Was einmal geglaubt ward, ist ein Faktum, das auch der Geschichte angehört. Uebrigens mag der Geheimrath Bovillard Verhandlungen und Gespräche anders aufgefasst haben, als die, welche gesprochen und verhandelt hatten; er war ein Mann von lebhafter Imagination.

»Und der Artikel für den Hamburger Korrespondenten?« sagte nach einer Weile der Rath Fuchsius.

»Sie werden das selbst am besten kombiniren. Ihre feine Feder weiß die Fäden zu verschlingen, daß man nicht ahnt, woher es kommt. [44] De haut en bas etwas, mit einem gelinden Achselzucken die kriegerischen Herren behandelt. Es versteht sich, die hohen Personen, die ich nannte, bleiben unverwähnt, auch die Generale, namentlich Rüchel, Blücher. Nur mit der höchsten Distinttion von ihnen gesprochen! Zu ihrer Einsicht habe das Publikum die feste Zuversicht, daß sie die verderblichen Rathschläge von des Königs Ohr abhalten würden. Die Seitenhiebe werden Sie eben so geschickt appliciren. Es bleibt, wie gesagt, ganz Ihrem Ermessen überlassen. Es ist Ihr Dafürhalten.«

»Dann bleiben nur die Gensd'armerie-Offiziere übrig.«

»Mit diesen Herren komm' ich nicht gern in Konflikt. Man begegnet sich doch täglich in Gesellschaften.«

»So könnten nur die deutschen Gelehrten, die Romantiker, die Zielscheibe sein.«

»Ganz richtig.«

»Die Herr Geheimrath für unschädlich erklärt!«

»Sie verführen die Anderen mit ihren abstracten Ideen. Ja, setzen Sie es recht ins Licht, die Lächerlichkeit dieser Theoretiker, die sich einbilden, über Dinge mitsprechen zu können, von denen sie nichts verstehen. Geben Sie's ihnen recht stark, legen Sie auch Napoleon einige pikante Phrasen in den Mund über die deutsche Ideologen. Sie wären das einzige Hinderniß des Friedens, nach dem alle Welt sich sehnt. Ich weiß, sie sind es nicht. Darauf kommt es aber nicht an. Sie schlägt man, die Kriegspartei meint man. Die Herren vom Miliär erfreut es inniglich, wenn man gegen die Professoren- und Schreiberweisheit loszieht. Sie schlucken die Invectiven mit Heißhunger herunter und merken nicht, daß es Schläge für sie selbst waren. – A propos, wenn Sie auch einige scharfe Seitenhiebe gegen den Herrn von Stein geschickt anbringen könnten –«

»Rechnen Herr Geheimrath den Freiherrn zu den Ideologen, zu den Romantikern oder der Kriegspartei?«

»Qu'importe!«

»Viele richten ihre Blicke gerade jetzt auf ihn.«

»Um so schlimmer, der Mann wäre im Stande –«

Der Geheimrath hielt plötzlich, wie durch eine Erinnerung gestört, inne.

Ein Secretair unterbrach das Gespräch in einem Augenblick, wo der Geheimrath selbst im Begriff stand, es zu enden, vielleicht, weil ihm Gedanken aufstiegen, für die Fuchsius ihm nicht der geeignete Vertraute schien.

»Ich kann heut Niemand mehr empfangen,« rief er dem Sekeretair zu: »Mein Gott, wenn man doch wüsste, wie ich überlaufen bin. Ich kann mich doch nicht verdoppeln und verdreifachen.«[45]

Der Sekretär nannte einen Namen. Das Gesicht des Wirklichen verzog sich merklich in die Länge.

»Diesmal werden Herr Geheimrath ihn wohl nicht abweisen können,« sagte der Rath. »Sie ließen ihn durch mich auf diese Stunde bescheiden.«

Aufgähnend und mit einer französische Phrase fand sich der Geheimrath in sein Schicksal.

Der Rath beurlaubte sich, das nächste Gespräch wurde wohl – besser ohne Zeugen geführt.

Quelle:
Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländische Romane, Berlin: Otto Janke, 4[1881], Band 7, S. 37-46.
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