Siebenzigstes Kapitel.

Theorie und Praxis des Egoismus.

[587] Als Walter aus dem Hause trat, war es nicht mehr so heiß, daß er darum die Weste sich aufreißen musste. Er wollte auch nicht Kühlung, der schwere Athemzug bedeutete etwas anderes.

Er eilte nach Louis Bovillards Wohnung. Noch eine schwere Last von der Brust und dann war er frei. Die Vorübergehenden dünkte der junge Mann mit der gerötheten Stirn, dem stieren Blick, der nicht um sich sah, nicht auswich, ein Trunkener; sie wichen ihm aus. Er hörte nicht das Rollen der heimkehrenden Wagen, nicht den Tambour, der den Zapfenstreich schlug, er hörte überall nur ein dumpfes Grabgeläut.

Auch den Wagen der Fürstin sah er nicht, die doch dicht an ihm vorüber fuhr. Er hörte nicht Adelheids Stimme mit einem so schelmischen Silberklang, wie auch wir seit den Tagen ihrer kindischen Lust sie nicht gehört. Es waren Nachtigallentöne mit Lerchengewirbel, in denen sie der Wonne, die die Brust sprengte, Luft machte, nur Accorde, aber wer, der ihr ins Auge sah, verstand sie nicht! So sahen wir es niemals glänzen, lachen; sie neckte den ernsten Geliebten, sie war Muthwillen und Ausgelassenheit. Louis' Auge glänzte auch, dunkel schön, nur auf sie den Blick gerichtet, aber den Zug des Muthwillens. des Übermuths, der seinen Ironie, die sonst um seine Lippen spielten, in seinen Augen blitzten, suchte man umsonst. Die Fürstin, in ihre Wagenecke gedrückt, sah mit stillem Lächeln zu. Walter sah und hörte nichts. Auch Die im Wagen bemerkten ihn nicht. Es war für Beide gut.

Je näher er dem Hause kam, so langsamer ging er. Nicht daß er unschlüssig geworden, er sann nur über die Weise, wie er dem Freunde sein Glück mittheilen wolle, ohne seinen Stolz zu verletzen, ohne ihn auf immer zum Sklaven der Dankbarkeit gegen sich zu machen. Wusste, ahnte Bovillard, daß er der Räuber grade an seinem Glück war? Er hatte Grund zu glauben, daß es Bovillard bis jetzt verborgen geblieben, und er scheute eine Scene, die das Verhältniß enthüllt. Er war in einer heroischen Stimmung, und wünschte sie durch einen Auftritt nicht gedämpft, der ohne sentimentale Regung nicht abgehen konnte.

Oben auf der Treppe hörte er eine zänkische Frauenstimme, er glaubte sie zu kennen; eine andere schüchterne, die er nicht[587] kannte. Eine Mädchengestalt kam ihm, die Treppe herab, entgegen: ihre bestaubte Kleidung, ihr schwankender Tritt schien von Ermüdung, vielleicht nach einer weiten Fußwanderung zu sprechen. Ihr Gesicht sah er nur halb, sie hielt das Taschentuch vor. Als sie ihm rasch vorüber war, brach das unterdrückte Weinen rasch heraus. Unten noch eine Weile zaudernd, stürzte sie nach einem noch heftigeren Aufschluchzen zur Hausthür hinaus.

Die Wirthin kannte Waltern. Der Herr von Bovillard war nicht zu Hause, aber er könne wohl jeden Augenblick kommen. Als Walter seinen Wunsch ausgesprochen, ihn zu erwarten, hatte sie kein Bedenken, ihm die Wohnung aufzuschließen und Licht anzuzünden. »Denn,« setzte sie schmunzelnd hinzu, »ich weiß wohl, wen ich einlassen darf, und wer mir nicht über die Schwelle darf. Nein, machte mir die Person nicht ein Lamento. Der Herr van Asten müssen's ja noch gehört haben. Aber, wenn sie noch mal kommt, laß ich die Polizei rufen.« – »Wer ist sie?« – Die Wirthin verzog noch spitziger den Mund: »Ja, wer wird sie sein! – Sie wird keine andere geworden sein, als sie damals war, wir aber sind andere geworden, und das müsste solche Person doch bedenken Und diese vor Allem. So nobel und honorig haben Herr von Bovillard sich gegen sie benommen, daß es ihre verfluchte Schuldigkeit wäre, nun uns nicht mehr zu belästigen. Aber nein« – Walter wollte nichts davon hören, aber die Frau wollte noch reden. Sie achtete sein abwehrendes Zeichen nicht. »Nein, Herr van Asten, von dieser grade ist's ausverschämt. Sie hat dazumal hinten im Stübchen auf dem Hofe gewohnt, das ihr der gnädige Herr chambregarnirt hatte. Gott weiß, was er für einen Narren an ihr gefressen. Sie ließen zwar mal fallen, das Mädchen hätte Ihnen das Leben gerettet. Na, was das sein wird, kennt man schon. Ein paar Ritze hat sie allerdings an der Schulter. I Gott, solche Mädchen lassen sich auch nicht gleich für Einen todtstechen, Ich kenne sie ja. Ist's nicht Der, so ist's ein Anderer.«

Waltern durchzuckte eine Erinnerung. Erst später hatte er den Zusammenhang der Geschichte gehört. Da war es, wo.Louis Adelheid zuerst gesehen! Mit einem Seufzer, den die Frau nicht hören sollte, warf er sich auf das Kanapé. Die gute Frau hatte ihn aber doch gehört. »Sie haben schon recht, über solche Undankbarkeit muß man seufzen. Er hatte sie von Kopf bis zu Fuß gekleidet. Sie hatte ja keinen ganzen Strumpf auf dem Leibe, als sie aus dem Prison kam. Und dann, wie's nun genug war. hat er ihr Geld auf den Weg mitgegeben, ich will gar nicht sagen, wie viel, denn ich weiß es nicht; aber wenig war's nicht, denn das Halsband von der seligen Frau Mutter und die emaillirte Uhr gingen drum zum Pfandjuden, dem alten Joel. Er hat's[588] mir selbst gezeigt, nämlich der alte Joel; er war kein übler Mann, und schund die jungen Leute nicht so, wie jetzt sein Sohn. Aber geben mussten wir's, da hätte auch gar keine Raison geholfen; denn er hat ein gar zu gutes Herz. Diese Ohrringe habe ich auch von ihm, aber Alles in Ehren. Als Sie von Ihrer großen Reise retournirten, und krank wurden, ich habe ihn gepflegt, rechtschaffen, das kann ich wohl sagen, und der alte Geheimrath haben's auch gesagt: wenn sein Sohn immer mit so rechtschaffenen Weibspersonen zu thun gehabt hätte! Jetzt sind wir nun, Gott sei Dank, besser situirt, und wenn uns mal was fehlt, brauchen wir nicht zu dem Judenschinder.«

»Das ist schon lange her, daß er das Mädchen fortschickte?« unterbrach Walter, eigentlich nur, um den Redefluß zu unterbrechen.

»I freilich, das war ja – warten Sie mal – nun, das thut nichts zur Sache – richtig, wie sie ihn todtschießen wollten, er ward aber nur eingesperrt. Das Mädchen machte da noch Spektakel, nämlich, das muß ich sagten, ganz in der Stille. Sie weinte auf ihrer Kammer, daß es zum Herzbrechen war. Manchmal glaubte ich doch, sie würde – wenn ich sie aufrichtete, sank sie zusammen. Mein Kind, das hilft doch nun mal nichts, sagte ich, raus musst Du, fort musst Du. – Und da packte sie ihre Sächelchen ins Bündelchen. Na, wenn ich denke, wie sie die Treppe runter ging, und unten blieb sie noch stehen und japzte nur so.«

»Und seitdem hat sie ihn nicht wieder gesehen?«

»Gott bewahre, was denken Sie? – Heute morgen zuerst, da war ich nicht zu Hause, er auch nicht. Und kommt wieder! Ich war wie aus den Wolken gefallen! Na, ich habe ihr denn aber auch das Kapitel gelesen. Jetzt, wo der Herr Vater sich wieder nobilitiren lassen, – wir haben noch nicht das neue Schild an der Klingel, aber ich hab's bestellt. – Jetzt untersteht sich das ausverschämte Mädchen, meinen Herrn in Disreputation zu bringen. Jetzt, mein Kind, wenn er so was will, wird er sich anderwärts suchen, sagte ich.« – »Und sie?« – »Na, Sie können wohl denken. Thränen haben die immer parat.« – »Nicht Alle. Was wollte sie?« – »Was wird sie wollen! – Lieber Gott, man hat doch auch ein Herz, wenn's auch solche Menschen nicht verdienen, und da ließ ich sie denn hier am Tische kritzeln. Da liegt ja das Schnitzel. Aber ich ließ sie nicht aus den Augen. Stibitzt hat sie nichts, obgleich ich ihr nachsagen muß, reine Finger hatte sie immer.«

»Sie sah wie eine Unglückliche aus.«

»Das mag schon sein, mein Herr van Asten, muß man aber Andere darum unglücklich machen wollen, wenn man's selbst ist! Jetzt kann man wohl davon sprechen, unser junger Herr ist ein Bräutigam; wenn's auch noch nicht deklarirt ist, das weiß jedes[589] Kind. Freilich, der alte Geheimrath wollen nicht recht dran, denn die Mamsell hat Nichts, das ist wahr, und sie sagen auch, er könnte sie nicht gut ansehen, weil sie bei der Lupinus Kind im Hause gewesen, und da überrieselt's ihn immer, weiter die nicht ausstehen kann.«

»Die Per – meine das unglückliche Mädchen macht doch nicht etwa selbst Ansprüche?« – Ein unbeschreibliches Erstaunen malte sich auf dem Gesichte der Frau Wirthin. Worte fand sie nicht sogleich, bis die ganze Wucht ihrer Gedanken in der Silbe Die! sich konzentrirte. Walter war beruhigt, wenn er überhaupt der Beruhigung bedurfte; aber er wollte Ruhe haben, nämlich von der Gegenwart des geschwätzigen Weibes befreit sein. Sie ging in einen weinerlichen Ton über, indem sie ihren Drahtleuchter ergriff.

»Viele haben schlecht von ihm gedacht, das weiß ich, denn die Welt ist auch schlecht, und Iugend muß austoben; und wer weiß, wer besser ist, ob der alte Herr, oder mein junger. Und wie's bei den vornehmsten Geheimräthen aussieht, Herr Jesus, lieber Herr van Asten, bei diesen vornehmen Herrschaften, da ist ja eine Zucht, daß mal der Gottseibei uns drein schlagen möchte. Er thut's auch noch, glauben Sie's mir, und die Julchen, die wir auf der Straße nicht ansehen mögen, ist nicht schlechter, als viele von den vornehmen Damen in Brüsseler Spitzen. Wenn die sich schämen wollten, man sieht's nur nicht, weil sie so dick geschminkt sind. Jugend muß austoben, sonst kommt's nachher, aber dann einen Strich gemacht. So hab' ich's auch meinem Seligen gesagt: nu sei zufrieden, was Du hast, und um was rückwärts ist, da hast Du Dich nicht zu kümmern. Mein guter Herr, nun ja, tolle Streiche genug. Nüchtern ist er nicht immer nach Haus gekommen, und ist allerdings auch sonst nicht immer nach Haus gekommen, und den Regenschirm hat er im Theater aufgespannt, dafür ward er arretirt und er ist oft arretirt worden, aber wenn sie Alle ins Prison bringen wollten, die's verdient haben, da ist der König nicht reich genug, um Gefängnisse zu bauen. Und wenn ein Armer kam, da blieb kein Groschen in der Tasche. – Und nun hat er sich gebessert, und ich wollte ja Jeden die Treppe runter schmeißen, der sich mausig machte und ihm vorhielte, was sonst geschehen ist. Das ist jetzt vorbei, mein Herr! würde ich sagen. Und alle seine Freunde müssten das sagen, denn ich bin nur eine arme Frau, und verstehe mich viel darauf, wie sie da parliren und mit den Augen zwinkern. Aber Freundschaft ist Freundschaft. Und wer ein rechter Freund ist, der muß seinem Freunde Alles hingeben, auch sein Liebstes. Das ist Freundschaft, und wenn Alle so thäten, dann wäre die Welt gut.«

Ob sie dann wirklich gut wäre! dachte Walter, als er allein war. Wenn wir den Egoismus ausgerottet, wie die Raubthiere, wie ein schädlich Unkraut, ob sie die vollkommene würde, von der wir[590] träumen! – Sprang der erste Schiffer in den schaukelnden Kahn, um den Vater zu retten, wie die Idylle erzählt, oder war's ein Kaufmann, ein Verfolgter, ein Räuber, der sein Leben retten, der Früchte, Gold, Mädchen, Sklaven von den reichen, im goldnen Meere dämmernden Inseln holen wollte? Und fing das Menschengeschlecht wirklich an mit einer Idylle, so war es eine kurze; ein sanfter Hauch der Engel, der am rauhen Hauch der Elementgeister erstarrte. Die kurze Idylle war aus, und die lange Gechichte fing an – mit Brudermord. Wir Alle aber sind nicht die Kinder der Idylle, sondern die Erzeugten der Geschichte. Der Egoismus führte uns über Meere, gründete Staaten, erhob Könige auf den schwindelnden Thron, schuf Republiken, er trieb uns in die Schachte der Erde, in die Lüfte auch, daß wir den Lauf der Gestirne berechneten. Alles, Alles, wir wollten Gold machen und fanden, nicht Regenwürmer, die Künste, die uns zu Gebietern der Natur erhoben. – Und dieses mächtige Movens unseres Daseins sollten wir ausrotten, ausbrennen, wie den Nerv in unsern Zähnen, damit wir nicht mehr Zahnschmerzen haben! Thorheit, die materia peccans bleibt, und wirst sich nur auf andre Theile, edlere vielleicht. Emancipiren sollten wir uns wollen, von unsrer Bildung, aus der Geschichte, die uns machte, heraus und zwängen in ein wesenloses Dasein, in das Traumleben einer schönen Phantasie, das nie existirt hat, nie existiren wird. Und doch fordern es Religion und Philosophie, beide, schroff und mild, je nachdem; aus dem Gewissen, weil es verderbt ist, sollen wir uns ins Vage setzen, den Reiz ertödten, der uns über das Thier erhob, zu den wunderbaren Erfindungen trieb, das Menschengeschlecht zu seinen großen Thaten inspirirt hat. Und grade, die sich am höchsten dünken über das Thier, die fühlen wieder den Drang, den Feuerathem in der Brust, mit Flügeln wollen sie in Äther schweben, göttergleich sein, sich vergessend, nur für das All, und – sind aus Koth!

Er ging mit sich unzufrieden auf und ab; er griff nach dem Zettel auf dem Tisch und warf ihn wieder hin. »Was wird sie ihm schreiben! – Er soll sie wieder lieb haben, ihr Geld geben!« Warum warf er das Papier so verächtlich fort? War das ein spezieller Egoismus, den er nach der Verteidigungsrede für den generellen verwerfen musste?

Er hatte sich mit untergeschlagenen Armen an die Fensterbrüstung gestellt. Er bereute nicht, daß er der Geliebten entsagt, nicht, daß er sie dem Freunde überließ, ohne Klage, nicht, daß er ihn noch außerdem in den Stand setzen wollte, sein Glück zu genießen; das lag hinter ihm als abgethane Notwendigkeit. Er war ein deutscher Denker, klar wollte er sich machen, warum er gegen ein Prinzip gehandelt, das er sich eben künstlich entwickelt. Weil sie[591] ihn nicht mehr liebte, weil sie ihn vielleicht nie geliebt? Diesen einfachen, natürlichen Grund schien er bei Seite zu schieben, und fand den wahren nur in dem Drange, sich dem Vaterlande ganz hinzugeben. Was ist die Wahrheit einer Überzeugung'? Der höchste Verstandesrausch, über den wir nicht hinaus können. Wo wir dies endliche Ziel im Irdischen fanden, sollen wir stehen bleiben, darauf alle unsere Gedanken, Kräfte werfen. Und es giebt keinen höheren Begriff, als das Vaterland. Wir haben humanistisch, philanthropisch auch dies zu ersetzen versucht, und wohin hat es uns geführt! In ein Meer von schwimmenden Inseln und Fata Morganen. Wenn wir unser Schiff herantrieben, landen wollten, verschwanden die Thürme und die Berge in die Wolken, die Gärten der Armida wurden schillernde Sumpfpflanzen, die der Sturm auseinander wehte. Keine dieser Ideen, wie auch vom Morgenroth gefärbt, gewann einen Leib, den wir umarmen, keine ward eine Säule, ein Fels, an den wir uns im Sturme klammern konnten. Nur das Vaterland ist die Eiche, an die wir uns klammern können, nur sie hat das Recht, Opfer von uns zu fordern, das höchste, letzte auch, uns selbst. Die tausend Götzen sonst haben keines. Ihnen gegenüber tritt das volle, heilige Recht des Ichs ein.

Louis kam noch nicht zurück. Das Talglicht auf dem Tische brannte immer düsterer. Sein halb verkohlter Docht beugte sich in einer Wölbung immer höher über die Flamme. Walter hatte aufmerksam dem Verbrennungsprozeß zugesehen, ohne sich gemuthet zu fühlen, nach der Putzscheere zu greifen. Er brauchte kein Licht. Das ewige Gleichniß der Kerze und des Lebens gaukelte vor ihm in den matten Schwingungen der Flamme. Da fiel das dicke schwarze Kopfende von der eigenen Schwere herab auf den Zettel; der noch glimmende Schweif fing an in das mürbe Papier ein Loch zu sengen. Walter löschte, ehe es ein Brand ward. Dabei musste er den Zettel wieder aufnehmen. Die Schriftzüge verriethen keine ganz ungebildete Hand, sie flogen über das Papier. Er fing an zu lesen, und hörte erst auf, als es zu Ende war.

Du mein Alles! Ja. die böse Frau hat Recht, Du darfst mich nicht wiedersehen. Die Frau ist nicht böse. Wer Dich lieb hat, ist gut. Wer Dir Schmerzen sparen will, ist ein Engel. Nein, Du sollst mich nie mehr sehen. – Vergieb mir, Du mein einzig Geliebter, daß ich darum kam. Nur darum – mein Kopf brennt mir, ich weiß nicht, was ich schreibe. Ich sah Dich nur unglücklich, nun wollte ich Dich glücklich sehen. Ist das auch eine Sünde? – Es sollte meine einzige letzte Freude sein. Mit einer einzigen Freude aus der Welt gehn, ist das zu viel gefordert! – Sie sagte – ach Gott, ich klage sie nicht an. Wahr und wahrhaftig, Louis, bei Allem, was Dir theuer ist, glaube mir, ich kam nicht,[592] um von Dir zu pressen, nicht, um Dein Glück zu stören – ich Dich stören! – Und Du sollst mich auch nicht für eine ausverschämte Person halten, die Dich aussog und es lüderlich verbracht hat, und wenn das Geld fortgerollt, kommt sie wieder. Glaube ihr nicht, Louis, und darum schon muß ich Dir schreiben. Ich vergebe ihr auch das, denn sie hat's nicht gesehen, wie ich damals aus dem Thore wankte. Ich glaubte, die Luft würde es gut thun, aber die Luft that's nicht gut. Irgendwo, ich habe den hässlichen Ort vergessen, blieb ich liegen – nein, ich wollte da nicht – draußen auf der Landstraße aber fiel ich um, da hoben sie mich auf einen Leiterwagen und fuhren mich rein, in ein großes Haus. Ach, die hässlichen Gesichter, wie sie sich stritten; Der Bürgermeister war sehr zornig, er wollte mich wieder aufladen lassen und zur Stadt hinaus, Gott weiß wohin. Sie fluchten. Ich habe Dich fluchen gehört, aber so nicht. Einer schrie, das gäbe eine Untersuchung und mache noch mehr Kosten. Aber wie kommen wir zu der Last! schrieen sechs Andere. Sie müssen's uns ja vergüten auf Heller und Pfennig! – Eigentlich müsste der Abdecker auch solche kriegen! lachte Einer. – Louis! Louis! ich lag da, sinnlos, starr, wie ein gefallen Thier, um das die Raubvögel sich streiten. Wer das erlebt – der hat kein Recht mehr auf dieser Welt. Und ich sollte noch Dein Glück stören wollen! Endlich hieß es, man muß doch was finden, wo sie hingehört, und dann hätten sie mich wieder auf den Karren geladen, und das hätte ich nicht ausgehalten; es wäre wohl so am besten gewesen. Aber als sie darauf suchten, fanden sie Dein Geld. Hätte ich schreien können: es gehört ja Dir, hätte ich es ihnen fortreißen können. Aber ich konnte keinen Finger rühren, keinen Laut rausbringen. Da ward es stille: sie schmunzelten und führten wieder hässliche, lustige Reden. Der Inspektor sagte, die wolle er schon gut und lange pflegen. Da ward mir das Haar geschoren, da stürzten sie kaltes Wasser über den Kopf mir, o, es war doch immer so heiß! Da sah ich immer Dich, wenn mir wohler ward. Du zucktest die Achseln und sagtest: Sie ist doch auch eine Kreatur Gottes. Ach, Du warst nur wie ein Nebel auf dem Berge. Wärst Du in Person dagewesen, Du hättest ihnen wohl gesagt, daß sie's sanfter machten, die rohen Männer, die mich bei den Armen und Beinen in den Badekübel warfen. Es that weh, aber ich fühlte es ja nur halb.

»Ich ward gesund. Gott weiß wozu. Sie gaben mir ein langes Papier, das war meine Rechnung, und den Geldbeutel, der war ganz klein geworden. Louis, ich hatte noch keinen Groschen davon ausgegeben. Ich wanderte nun nach meiner Vaterstadt. Unterwegs habe ich nicht an Dich gedacht, nur an meinen alten[593] Vater, und was ich ihm sagen wollte, wenn ich vor ihm auf die Knie stürzte. Ich wusste es Alles auswendig. Ich Habs ihm aber nicht gesagt. – Als ich durch's alte Thor kam, trugen sie ihn heraus. Ich stieß einen Schrei aus, sie stießen mich fort. Ich lief ihnen nach. Als sie die Bahre auf dem Kirchhof niedersetzten, drängte ich mich durch; da warf ich mich auf die Knie, wollte es dem Todten sagen, was ich dem Lebendigen nicht mehr sagen konnte. Da haben sie mich erkannt. Da wiesen sie mit den Fingern auf mich, und zischelten. Dann murrten sie laut. Endlich sah ich Gesichter, o Herr Gott, dem Bürgermeister und dem Inspektor seine, die waren freundlicher, hätten sie doch nur laut geflucht! Aber der Herr Prediger that es. Als mich der Büttel am Armgelenk gefasst und aufgerissen – an der eingefallenen Kirchhofsmauer ließ er mich wenigstens, da durfte ich knieen – da hörte ich des Herrn Predigers Rede. Mich ließen sie keine Erde ihm in die Gruft nachwerfen, aber auf mich warf der Herr Prediger – das kann ich nicht wieder schreiben. Und es war nicht wahr – ich habe meinen Vater nicht umgebracht! – Und die Blicke nachher, wie sie an mir vorübergingen! Gott sei Dank, dann ward es frei, der stille Abend, da lag ich über seinem Grabe, und der Lindenbaum fluchte nicht, in seinen Blättern säuselte es wie süße Lieder, und ich schlief ein, bis das Morgenroth mich aus dem Frieden weckte. Um die Mauer schlich ich von hinten nach dem Hause, wo er starb, wo ich geboren bin. War denn das ein Verbrechen, daß ich es zum letzten Mal sehen wollte! Bürgerfrauen hatten mich bemerkt. Der Rathsdiener, mit dem Schild auf der Brust, kam und sagte – ach, was er mir sagte, ich weiß es nicht: von lüderlichem Gesindel und auf die Finger sehen, und hinausbringen, und ich hätte kein Heimatsrecht mehr!«

»Nein, Louis, ich habe keine Heimat; wie ich da am rauschenden Wasser stand, da sahen keine rothen Gesichter heraus vom Bürgermeister, und nicht die hässlichen spitzen der Bürgerfrauen – und da – da hörte ich, daß Du glücklich wärst – ich wusste es schon, unter der Linde auf dem Kirchhofe hatte ich Dich gesehen, und die Herrschaften, die im Wagen vor der Schenke schwätzten, derweil ihre Pferde Muth tranken, und ich trank auch Muth, sie sagten mir nichts Neues – und da stach es mich, und trieb mich, Dich wollte ich noch einmal glücklich sehen. – Und das hab' ich nun auch aufgegeben, da ich weiß – – «

Hier waren einige Zeilen von Thränen verwischt.

»Das Geld brauchst Du nicht – das kümmert mich auch nicht mehr, – und mich wirst Du vergessen – aber wenn ich nur etwas wüsste, was Dir recht lieb wäre, ich wollte Alles thun, mir einen Finger abschneiden, mich wieder verkaufen, wenn ich nur[594] wüsste – Und nicht wahr, das war nicht unrecht von mir. Manche hat sich betrunken, ehe sie ins Wasser sprang. Ich wollte ja nur Dich noch einmal sehen, Dich sehen, wenn Dein schön Auge so recht aus voller Seele lacht. – Nein, ich werde es nicht mehr sehen – Lebe wohl, Du mein Alles –«

Die Unterschrift war wieder von den Thränen ausgelöscht. Aber dahinter noch einige kaum lesbare Zeilen: »Aber ich muß Dich sehen – hilf mir Gott, wenn ich mein Wort breche. Wenn Du in die Kirche gehst mit ihr. Ganz von ferne – sieh Dich nicht um, Du wirst mich nicht entdecken. Trinken muß ich den Strahl aus Deinem Auge, und dann –«

Die letzten Worte gingen in ein fieberhaftes Gekritzel über, Walter war von der Lektüre aufgeregt; aber sein Entschluß schnell gefasst. »Es giebt doch etwas auch neben dem Vaterlande, um was der Mensch sein Höchstes einsetzt, sich selbst. Und wo ist der Sittenrichter, der es kalt verdammt?« Er nahm das Papier, salzte es und that es in seine Brieftasche: »Ich will ihr Testamentsvollstrecker sein. Wenn sie nur etwas wüsste, was ihm recht lieb wäre, was sie zu seinem Heile thun könnte! Ich übernehme es für sie. Sein Liebesglück darf durch diese Erinnerung nicht vergiftet werden. Was könnte er ihr helfen, ohne ihre Liebe zu erwidern! Sie bleibe vor ihm verschwunden, spurlos. Die Wirthin werde ich instruiren. Was er – ohne Liebe, aus Erbarmen für sie thun könnte, kann ich ebenso gut.«

Seinen Vorsatz, auf Louis' Rückkehr zu warten, um mündlich der Überbringer der frohen Botschaft zu sein, gab er jetzt auf. Der Freund weilte zu lange bei seinem Glück. Er nahm Papier und Feder und theilte ihm kurz und klar, was seiner warte, was von ihm gefordert werde, mit. Er stellte sich in den Hintergrund und ließ den neuen Minister selbst den sein, der zuerst sein Auge auf Louis Bovillard geworfen, für sich die bescheidene Rolle eines um Rath Befragten vindicirend, welcher nur aus vollem Herzen die Eigenschaften bestätigen können, welche der Minister bereits in ihm entdeckt.[595]

Quelle:
Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländische Romane, Berlin: Otto Janke, 4[1881], Band 7, S. 587-596.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Der gute Mond / Er laßt die Hand küssen / Ihr Traum. Drei Erzählungen

Der gute Mond / Er laßt die Hand küssen / Ihr Traum. Drei Erzählungen

Drei Erzählungen aus den »Neuen Dorf- und Schloßgeschichten«, die 1886 erschienen.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon