Zweiundsiebenzigstes Kapitel.

Verfallene Wechsel.

[612] Wer nicht beobachtet sein will, verhängt seine Fenster. Wer Geheimes schafft, verstopft auch die Schlüssellöcher. Das weiß ein Dummkopf, aber den Klügsten, welche den Luftzug berechneten, der durch ein Mauseloch dringen mag, passirt wohl, daß sie vergaßen, den Schlüssel in der Thür umzudrehen. – Weise sagen, wenn den Klugen das nicht zuweilen passirte, wär's in der Welt nicht auszuhalten; die Affekte, die sie unbesonnen handeln lassen, seien das Salz, welches das Leben vor der Fäulniß schützt. Behaupten doch noch Weisere: wenn alle Menschen verständig wären und Charakter hätten, müsse die Welt vor lauter Reibung in Flammen aufgehen. Der Legationsrath von Wandel wollte heute gewiß nicht beobachtet sein. Er war in seinem Laboratorium, eine kleine alte Küche nach dem Hofe hinaus, die, unbenutzt zum gewöhnlichen Gebrauch, an seine Zimmer stieß. Es war kaum nöthig gewesen, die Fenster mit Matten zu behängen; durch ihre, alle Farben schillernden, mit Staub und Spinneweben umzogenen Scheiben wäre kein Blick gedrungen. Hier durfte kein Diener Ordnung schaffen, keine Aufwärterin den Staub wegkehren. Es ward Niemand eingelassen, außer bei besonderen Gelegenheiten der Assessor und Apotheker Flittner, der Geheimrath Hermbstädt und andere bekannte Chemiker. Aber dann hatte die Küche ein etwas verändertes Ansehen. Um irgend ein glänzendes Experiment zu zeigen, waren Töpfe, Tiegel fortgestellt, es war der übrige Apparat mehr theatralisch geordnet. Auch wurden ein Gerippe, und zwei Frauenbilder, die an der Wand hingen, beseitigt. Wahrscheinlich saß auch der Legationsrath nicht ganz in dem Kostüm wie heute vor der Retorte – in Hemdsärmeln, weiten Unterbeinkleidern, um den Kopf einen turbanartigen Bund gewickelt, auf der Nase eine große Brille mit Ohrenklappen, und mit einem seidenen Halstuch, das über die Lippen und halb über die Ohren ging.

In dem einen Tiegel kochte ein Stoff. Er schob das Tuch höher und drückte den Turban tiefer in die Stirn, wenn er mit einem Spahn darin rührte, und neue Ingredienzien hinzuthat. Alsdann schien er dem Kräuseln des Rauches, der sich in den Schlot verlor, mit Aufmerksamkeit zu folgen. Das erste Experiment musste geglückt sein, das Residuum des Tiegels ward in eine Retorte gethan, und der Legationsrath sah dem Entwicklungsprozeß des Gases mit einem stillen Vergnügen zu. Darauf deutete wenigstens der halb verzogene Mund und der schlaue Blick des[612] halb schielenden Auges, während er auf dem Schemel zurückgelehnt saß, ein Bein über dem andern wiegend.

Sein Blick siel aber auch auf die beiden Frauenbilder. Wie er mit den Augen zwinkerte, schien er mit ihnen ein eigenthümliches Gespräch zu führen. Seine Lippen bewegten sich, er gestikulirte mit den Händen. Ein Diagnostiker hätte vielleicht bemerkt, daß ihm die Unterhaltung einige Anstrengung kostete. Wenn er noch schärfer sah, würde er aber auch bemerkt haben, daß es Wandels Absicht war, sich zu etwas zu zwingen, was ihm Pein verursachte. Es giebt eine Wollust, die auch den Schmerz aufsucht. Die beiden Bilder waren in Wasserfarben, beide schöne Frauengesichter. Die Aeltere, blaß und kränklich, hatte einen schmachtenden Blick; die jüngere Nußbraune schaute mit ihren funkelnden Augen kecker in die Welt hinein. Wandel schien sich lieber mit der Aelteren zu unterhalten, als einer genaueren Vertrauten. Wohl nickte er der Jüngeren und warf ihr eine Kußhand zu, aber es war, als ob er das Funkeln ihrer Augen nicht lange ertrug. Er schlug zuweilen seine Augen nieder. Beide waren unzweifelhaft Schwestern, dem wohlhabenden Stande angehörig, wie ihre reichen Kleider, nach der Mode der vergangenen Jahrzehnte, andeuteten. Seine Lippen flüsterten, Laute, freilich nur für die Geister, welche im Sonnenstrahl als Ständchen sich schaukelten, aber auch der Dichter darf sie hören:

»Schöne Molly, warum ließest Du nicht den Vorwitz! Deine Kohlenaugen funkelten vielleicht noch, munterer als auf dem Bilde, und Dein Leib wäre so wonnig und voll, denn Du hattest Anlage zum Embonpoint, als Deine arme Schwester da täglich magerer und dürrer wird. Wenn ich nicht mit Draht hülfe, fiele sie auseinander. – Arme Angelika, Dir konnte ich nicht anders helfen. Hadre mit der Natur, daß sie Dir keinen besseren Brustkasten schuf. Du dankst mir auch, daß ich Deine Schmerzen schneller endete. Ja, ich weiß es, Angelika, wir sind Freunde geblieben – wenn die Wolke durch den Mond streift, und Du mir im Nebelgeriesel einen feuchten Kuß auf die Wange hauchst, es ist ein Kuß des Dankes und der Liebe. Ich versichere Dich auch, ich habe Dich geliebt. Du warst sanftmüthig, voller Ergebung, eine Schwärmerin freilich, aber klug genug, von einem Manne nicht mehr zu fordern, als er geben kann. Ein Mann hat viele Ausgaben, das sahest Du ein. Und darum Dein schönes Testament, das wahrhafte Zeichen einer schönen Seele, obgleich ich gestehen muß, daß ich es eigentlich diktirt. Um dieses Testamentes willen wirst Du mir ewig unvergesslich bleiben! Nein, ohne Spaß, das Andre seitdem ist alles Spaß, Du gabst Alles für mich auf, in Brüssel Deinen Mann, in Paris Dich selbst. Mit solcher Aufopferung, Entsagung,[613] solchem Fanatismus hat mich Keine geliebt. Um deswillen versprach ich Dir, was Du in der Fieberhitze des Todtenbettes fordertest – das letzte heilige Gelöbniß, Dich auch im Tode nicht von mir zu lassen. Vernünftige Menschen würden es eine unsinnige Plackerei nennen! Ich habe Dich verstanden – nicht Dein Geist, das ist eben Alfanzerei! aber Deine Materie, was sich von Dir erhalten ließ, soll mich umschweben. Ein bescheidener Platz am Nagel. Nein, mehr. So hast Du meinen Muth geliebt, der sich nicht scheute, Dich schneller ausleben zu lassen, Du wolltest, daß ich an diesem Anblick die Nerven immer stähle, wenn sie schwach würden, immer mehr Herr über jene Empfindungen würde, die der Mensch sein Erbtheil nennt. Wenn Du Deine Augen aufschlagen könntest! Wie hat das Recipe gewirkt. Ich schüttle Deine Hand, klapperndes Gebein. Ich fürchte mich nicht vor Dir, vor nichts!«

Und doch schienen seine Knie beim Niedersetzen nicht ganz so fest, als das Todtengerippe an der Wand noch hin und her rasselte, bis es die vorige Ruhe gewonnen. Er biß sich in die Lippen. Dann schlug er das Auge zum andern Bilde auf:

»Die Schelmin! – Noch sehe ich Dich, Du allerliebstes Geschöpf, wie ich Dich am Schlüsselloch ertappte. War es denn Lüge, als ich Dir die Kehle zuhielt und den Mund mit Küssen erstickte. Ich liebte Dich ja, das war Wahrheit. Nur Dir zu Liebe hätte ich's! Was ging's Dich an, ob das auch Wahrheit war? – Du wardst glücklich, selig in meinen Armen. Die todte Schwester hinderte es so wenig, als die kranke es gehindert hatte. Sie wusste es, sie hat sehr viel gewusst, ehe sie starb, und mich darum nicht minder geliebt. Eine Närrin, Molly eine abscheuliche Thörin warst Du, Du hättest noch lange glücklich sein können, wer weiß wie lange! Denn Du hattest die Kunst, Dich zu konserviren, Du wärst witzig geblieben und hättest meinen Geist aufgefrischt – ich hätte es Dir wirklich nachgesehen. Aber Du bekamst Gewissensbisse – Thorheit, es war zu spät, meine liebe Molly; es war auch nur die Angst, daß es Dir wie Angelika erginge. Das wollte ich Dir verzeihen, liebes Mädchen, aber so dumm zu sein, daß Du es nicht bei Dir behieltest, daß Du es mir in einer schwachen Stunde vertrautest! Das war die größte Sünde, die der Mensch begeht, die Sünde gegen sich selbst, und Du musst gestehen, das verdiente schon die Strafe. Nachher ward der kleine Schelm pfiffig. Allen meinen Küssen, Seufzern widerstandest Du, Du wolltest kein Testament machen. Ich verdenke es Dir nicht. Es verlängerte Dein Leben, und mich zwang es zur Verschwendung. Musste ich nicht meine ganze Liebenswürdigkeit auf Dich ausschütten, musste ich nicht allen zarten Saiten meines Daseins süße Töne entlocken, um Dich nur zum Schweigen zu bewegen? Mein[614] Kind, das hat mich viel Anstrengung gekostet, denn Du warst mir sehr gleichgültig geworden, und mir entging darum eine schöne Irländerin, auf die ich mein Aug' geworfen. Nachher schwiegst Du nicht – Du schriebst einen Brief – Du schriebst Dir selbst Dein Urtheil – darüber kannst Du nicht klagen. Aber ich –«

Er verzog das Gesicht und ballte die Faust gegen das Bild: »Der Brief – den ich fand, ist zu Aschenstäubchen aufgelodert, aber es stand darin von einem andern Briefe, der meiner Wachsamkeit entschlüpft war – Molly! Molly! –« Sein Gesicht bekam einen furchtbar hässlichen Ausdruck; die Zähne fletschten zwischen den zurückgekniffenen Lippen wie die Hauer eines Ebers, die Augen sprühten das grünliche Feuer einer wilden Katze. Aber der Parorysmus der Wuth und Angst war schnell vorüber, die aschgraue Urnenruhe lagerte sich wieder auf dem gelben Gesichte, die Finger entklammerten sich. – »Possen! In einem Dutzend Jahren und nicht zum Vorschein gekommen! Feuer – Regengüsse – Feuchtigkeit – Staub und dünnes Briefpapier! – Lacht Ihr, daß ich mich zuweilen ängstigen kann! – Mes dames! was wollen Sie? Ich beweise Ihnen ja das vollste Vertrauen – Ja, Sie sehen Alles. Sie brauchen jetzt durch kein Schlüsselloch zu observiren, ich verhänge nicht einmal Ihr Gesicht. Was verlangen Sie mehr? Einige Galanterie? – Mes dames de Bruckerode, je vous assure, que tout ce que vous voyez n'est que moutarde après dîner, rien qu'un dessert maigre après un repas délicieux. – Wirklich, Angelika – das waren andere Zeiten, andere Genüsse, voller Empfindung, Sympathieen, Leidenschaften. Was ist es jetzt? Asche! Damals glühende Kohlen! Calculatorische Geschäfte! Wo sind Deine süß schmollenden Lippen, meine Molly? So etwas giebt es nicht mehr. Deine ängstlichen Blicke, als Du die Chocolade trankst, ich musste vorher nippen, und dann, o das war Wonne! O Du meine Angelika, Du hattest nicht genippt. Fest mich anblickend, ohne Angst, Vorwurf, nur das tiefe Seelenverständniß im Auge, leertest Du die Schaale, und drücktest mit der feuchten kalten Hand meine. Du hattest mich verstanden, ich Dich. Ils sont passés, ces jours de fête!«

»Schönen guten Morgen, mein lieber Herr Geheimer Legationsrath!« unterbrach eine heisere Baßstimme diese Schwärmereien des Einsamen, und vor ihm stand der Kaufmann van Asten. Es war so, – keine Erscheinung der Traumwelt. Der alte van Asten war der letzte Mann, der in ein Traumgewebe gepasst hätte. Trotz seiner schweren rindsledernen Schnallenschuhe war er unbemerkt durch die beiden Zimmer gekommen, und drückte jetzt die Thür hinter sich zu, während dem Legationsrath die Binde vom Kinn rutschte, und er, aufspringend, an der Lehne des Stuhles sich hielt.[615] »Na, wie gehts Ihnen denn, mein lieber Herr von Wandel. Haben sich ja so lange nicht sehen lassen. Ist das Freundschaft?«

Der Turban und die Brille waren vom Kopf des Legationsrathes verschwunden, eine Operation, die ihm Zeit ließ, seine Fassung wieder zu gewinnen. So war es; man merkte nichts von Bestürzung, kein Zittern mehr, es war das feste eiskalte Gesicht, mit den durchforschenden Augen, als der Legationsrath den Kaufmann anredete. »Wie kommen Sie hierher?«

»Durch die Thüre. Herr Legationsrath hatte vergessen, den Schlüssel umzudrehen. Sehen Sie mal, liebster Herr von Wandel, in unsern unsichern Zeiten! Wie viel Gesindel schleicht um. Hätten ja Ihren Sopha forttragen können. Sie hätten's in Ihren Meditationen nicht gemerkt. Aber ich habe hinter mir zugeschlossen; wir können jetzt ganz sicher sein.«

»Tausendmal Vergebung, mein theuerster Freund, daß Sie mich in diesem Kostüm und hier – Kommen Sie in meine Wohnstube. Diese unerwartete Freude –« Er wollte ihn unter den Arm fassen; eben so schnell aber hatte der Kaufmann einen Schemel vor die Thür gestellt und darauf Platz genommen. Wo van Asten einmal Platz genommen, hätte es anderer Kräfte bedurft, ihn wieder fortzubringen. Breitbeinig saß er, die Füße fest auf den Boden, die Arme auf den Stock gestützt. Der Stock schon hatte etwas Respekt gebietendes, er schien mit Blei ausgegossen, als er auf die gebrannten Fliesen sank. »Werde mich ja nicht unterstehen, Sie zu derangiren. Wo ich Sie finde, sind mir Herr Legationsrath lieb.«

»Wie Sie wollen!« sagte Wandel und nahm auf dem Stuhle Platz, so nachlässig, wie seine innere Aufregung erlaubte, den Rücken dem Herde zugekehrt, ein Bein über das andere streckend. Wie der Kaufmann in seiner Positur dem Rath den Weg durch die Thür versperrte, schien dieser den zum Herde zu verbarrikadiren. Der Kaufmann ließ seine Augen im Laboratorium wandern. »Was sind denn das für Frauenbilder?« – »Wären Ihnen die Züge vielleicht bekannt?« fragte Wandel, ihn scharf fixirend. – »Kam nie aus Berlin heraus. Aber das sind keine deutschen Frauenzimmer.« – »Welcher Kennerblick! Die Aeltere eine Schwedin, die Jüngere eine Italienerin.« – »So! so! Ich hätte sie für Schwestern gehalten, und sie kommen mir so niederländisch vor. Sie müssen nämlich wissen, ich bin auch aus flämischem Blute.«

Der Legationsrath verzog faunisch das Gesicht: »Ich strenge mich vergebens an, eine Aehnlichkeit zwischen Ihnen und den Damen zu entdecken.« – »So wenig, als zwischen mir und dem Skelett da. – War auch wohl eine Dame?« – »Ich führe es mit mir zu anatomischen Studien. Schon seit länger. Ich kaufte[616] es einmal von einem Todtengräber, ich erinnere mich wirklich nicht, wo.« – »Gleichviel! Der Tod ist jetzt umsonst, und Leichen wohlfeil. Aber die italienische und die schwedische Schwester, das müssen ein paar hübsche Mädchen gewesen sein. Gönne es Ihnen, Recreations der Jugend, geht mich nichts an.«

Die umschweifenden Blicke schienen je mehr und mehr den Legationsrath in eine unbehagliche Spannung zu versetzen. Er kämpfte sichtbar mit einem Entschluß, der ihm ebenfalls schwer ward, aber es brach heraus: »Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs?« – »Eine kleine Geschäftssache.« – »Welche, theuerster Freund? Doch nicht –« »Ein kleiner Wechsel –« »Richtig!« Der Legationsrath schlug sich an die Stirn. »Der ist aber erst in acht Tagen fällig!« »Freut mich, daß Sie sich so genau erinnern. Ich habe immer gesagt, Sie sind ein prompter Mann. Ja, in acht Tagen fünftausend Thaler.« – »Die Sache ist mir sehr erinnerlich – zu Ende der Hundstage, aber ich glaubte, Sie hätten die Bagatelle längst abgegeben.« – »Auch geschehen, mir aber wieder zurückcedirt. Hat viele Herren gehabt; das macht sich wohl so im Geschäft.«

Als der Kaufmann sein Taschenbuch aus der Brust zog, wobei er aber etwas sorgsamer zu Werke ging, als an jenem Abend, wo er die Wechsel vor dem Rittmeister auf den Tisch ausstreute, fiel Wandel ihm ins Wort: »Aber lassen wir das bis nachher. Die Sache ist ja kaum der Rede werth. Wie geht es jedoch Ihnen? Sie sehen nicht ganz wohl aus. Daß die Partie Ihres Herrn Sohnes rückgängig ward, konnte Sie doch nicht touchiren. Er ist im Gegentheil in sich gegangen und hat beim neuen Minister eine kleine Stellung angenommen. Ich parire, er wird ein vernünftiger Mensch werden.«

»Kann sein. Söhne kosten immer Geld, so oder so; ob sie vernünftig sind oder toll.« – »In jenem Zustande wird er auch die vernünftige Partie, welche ein geliebter Vater für ihn ausgesucht, nicht länger von der Hand weisen.« – »Kann sein, kann auch nicht sein. So oder so. Hilft auch nichts, wenn Krieg wird. Es weiß Niemand, wo den Andern der Schuh drückt, mein Herr Geheimer Legationsrath.« – »Ich bin simpel Legationsrath,« lächelte Wandel. – »Sie sind ein geborner Geheimer. Ja, wenn Sie das wüssten, Sie müssten aber noch mehr wissen.«

Wandel hatte unverwandt das etwas schwer zu studirende Gesicht des Kaufmanns beobachtet, und glaubte darauf gelesen zu haben, was ihm Ruhe gab. Der Mann war innerlich bewegt. Plötzlich griff er nach seiner Hand, oder vielmehr nach dem untern Arm, es ist aber möglich, daß der treuherzige Freundesdruck auch der Wucht des Stockes galt, den er mit dem Arme schüttelte und[617] sehr schwer fand. Mit einer Stimme, dem Widerhall eines vollen Herzens, sprach er: »Herr van Asten, Sie drückt etwas. Ich bedaure, daß es mir nicht gelungen, Ihr volles Vertrauen zu erwerben. Könnten Sie an der Brust eines Freundes Ihren Kummer ausschütten, schon das würde Sie erleichtern. Ein unbefangener Freund sieht aber oft klarer, und Auswege und Mittel, die dem selbst Bedrängten entgehen. Mein Gott, sollte der drohende Krieg – aber ich schweige –«

Mit voller Ruhe erwiderte der Kaufmann: »Geheimes will ich Ihnen gar nichts sagen, aber was die ganze Börse erfahren hat, das können Sie auch wissen. Wir hatten für 10,000 Thaler Weine aus Bordeaux bestellt –« »Wir? – Ah, das ist das kleine Kompagnongeschäft mit Seiner Excellenz. Sie exportirten dafür Holz und Bretter von Seiner Excellenz Gütern.« – »Wissen Sie das auch? – Schadet nichts.« – »Das Schiff muß jetzt in Stettin angekommen sein.« – »Ist! – Mit Weinen, delikaten Weinen – volle Ladung zum Werth von 100,000 Thalern unter Brüdern.« – »Hundertausend! Eine volle Null zu viel.« – »Da liegt es, das Geheime, mein Herr Legationsrath. Nur eine einzige Null zu viel bei der Bestellung. Der Casus ist klar – ein Schreibfehler. Wer ihn beging ist gleichgültig. Der Zufall kann einen Artillerielteutenant auf den Kaiserthron bringen, und der Zufall ein großes Reich stürzen, warum nicht auch ein großes Handlungshaus.« – »Es beweist nur, welchen Kredit Ihre Firma in Bordeaux haben muß.« – »Es beweist, daß Einem auch der Kredit den Hals zuschnüren kann.« – »Ich begreife Ihre Lage, die Waare ist für den Augenblick nicht abzusetzen, sie übersteigt weit den momentanen Bedarf. Alles schränkt sich ein. Indeß wird jetzt Ihr Kredit sich beweisen. Ihre Freunde werden sich zeigen.« – »Haben sich schon gezeigt.« – »Sie werden Ihnen beispringen.« – »Sind schon gesprungen. Kommen lauter kleine Wechselchen zurück: Werden noch mehr kommen.« – »Excellenz der Minister –« »Pst! Excellenz sind ja kein Kaufmann, lassen mich nicht vor. Verdenk's ihnen auch nicht, sind ja nicht in die Gilde eingeschrieben. Wollten nur gelegentlich eine kleine Chance mitmachen. Alles kordial, mündlich. Setzten ein großes Vertrauen in mich, was ich sehr ästimire. Wenn wir den Profit gemacht, war's ja beim alten van Asten, ob er die Hälfte auszahlen wollte. Verklagt hätte er mich nimmer.« – »Aber er setzte den Werth seiner Hölzer auf's Spiel.« – »Wird kein Narr gewesen sein! Auf Höhe dessen hatte er sich vorher auf mein Haus in der Spandauerstraße intabuliren lassen. Jedes Kind sieht nun ein, daß ich mit Excellenz nicht die Schuld eines Schreibfehlers halbiren kann, und Excellenz[618] haben zwar einen vortrefflichen Magen, aber die Hälfte von meinem Wein trinkt auch er nicht aus.«

Eine Pause trat ein. Der Legationsrath blickte mit verschränkten Armen vor sich nieder: »Ihre Lage ist traurig, aber nur wer sich selbst aufgiebt, ist verloren. Die Weine unter dem Steuerverschluß, gleichviel ob hier oder in Stettin, sind ein todtes Kapital, welches das größte Haus ruiniren könnte. Wäre Ihr Medoc nicht ein Kapital, das zwei-, dreihundert Prozent eintrüge, wenn Sie es an einer Nordküste lagern hätten, wo Napoleons Kontinentalsperre schon Kraft hat? Wird die Schifffahrt geschlossen, sind Sie wieder ein Krösus.«

»Alle Zeichen deuten, daß wir Krieg anfangen.«

»Alle Zeichen sind trügerisch, wo kein Wille ist. Noch schwankt die Wage. Die Kabinetsräthe sehen es ein, der König möchte den Frieden erhalten, und wenn sie doch das Wort Krieg aussprechen, ist's weil sie gezwungen werden, weil sie keine Unterstützung gegen die jungen Schreier und Fanatiker finden. Mein Herr van Asten, warum treten denn nicht die Patrioten zusammen, ich meine die, welche Mittel haben, warum unterstützen sie nicht des Kabinet? Das ist noch möglich. Fragen Sie sich doch, was es gilt? Bleibt Friede, bleibt er nur durch eine Allianz mit Napoleon, es giebt nichts Drittes. Krieg mit ihm oder Anschluß. Im letzten Falle Beitritt zu seinem Kontinentalsystem, die Häfen sind gesperrt, und Ihr Bordeauxwein, ohne Konkurrenz, ist wenigstens dreihunderttausend Thaler werth. Nun rechnen Sie, wenn Krieg wird, wenn es nur bleibt, wie es ist! Ihr Wein ein todtes Kapital, Ihre Gläubiger lebendige Quälgeister, Ihr Haus erschüttert, vielleicht – Man schätzt Sie auf über zweihunderttausend, wenn indeß Ihre Aktiva nichts werden, Ihre Passiva – ich schweige davon. Aber in solchem äußersten Fall muß der Mann das Aeußerste wagen. Und sind Sie allein in dem Falle? Verabreden Sie sich, schießen Sie zusammen. Lucchesini, Haugwitz, Lombard, sie Alle sind ja zugänglich, die freundlichsten Männer. Sie erwarten ja nur, daß man sie unterstützt, gewichtige Stimmen aus dem Publikum. Schaffen Sie, womit man Ihnen hilft, um den Schreiern den Mund zu stopfen. – Mit hunderttausend Thalern übernehme ich's.«

Der Kaufmann verstand jetzt, aber er war sichtlich von einer Vorstellung betroffen, die ihn schwindlig machte. Das Argument des Legationsraths hatte etwas Verführerisches, die Verhältnisse waren, wie er sie schilderte, aber er erschrak zuerst vor dem Gedanken, daß ein einfacher Bürger sich unterfangen dürfe, in das Schicksal eines Staates einzugreifen, dann, daß er dies sein könne; zuletzt, wenn er die angenehme Maske von der Sache fortzog,[619] erschrak er, denn was war die patriotische Operation –? Van Asten war ein rechtlicher Mann.

»Mein theuerster Herr!« sprach der Legationsrath wieder mit der gewohnten Ueberlegenheit des vornehmen Mannes, und auch sein Kostüm hinderte ihn nicht, die Situation, die er liebte, einzunehmen, ein Bein über das andere, den Hinterkopf mit der Lehne, die Finger der rechten Hand mit sich selbst spielend. »Mein theurer Herr, wenn wir uns doch gewöhnten, die Verhältnisse zu betrachten, wie sie sind. Was sind die Menschen in ihrer Massenhaftigkeit anders, als Heerden zweibeiniger Geschöpfe, bestimmt, von Anderen, die klüger sind, geleitet zu werden. Fragen wir uns: Wer denn überhaupt die Welt beherrscht? Einige wenige Könige, die Genies waren oder Feldherrn aus Passion; das waren seltene Ausnahmen. In der Regel waren es kluge Minister, schlaue Favoriten, noch schlauere Maitressen. Sie herrschten um so sicherer, je feiner sie es zu verstecken wussten. Oder wollen Sie nach Klassen gehen? Die Hohenpriester fingen an, dann kamen die Könige, dann militärischer Adel, dann Priester, Könige und Feudalritter im bunten Gemisch, bis die Könige wieder glaubten, das Oberwasser zu haben; da nahmen es ihnen die Philosophen. Das Schiboleth, früher Glauben geheißen, hieß nun Aufklärung. Bei allem diesem Wechsel, mein theuerster Freund, ist nur das beständig, daß die Pfiffigsten das Heft in der Hand behalten. Nun sehe ich aber nicht ab, warum die reichen Leute nicht einmal den Priestern, Rittern und Philosophen das Geschäft abnehmen, warum sie nicht auch einmal pfiffig sein und regieren wollen? Sie ahnen nicht, mein werther Herr, welche Macht in Ihren Komptoirstuben, Ihren Wechseln, in Ihren Federstrichen ruht, durch welche Sie Welttheile verbinden. Im vollen Ernst, Ihnen, den großen Kaufleuten, Fabrikanten, blüht die künftige Weltherrschaft entgegen. Wenn Sie nur sich etwas verständigen wollten, etwas mit den Ackerbau treibenden Herrschaften, etwas mit den Herren von der Feder, es braucht da nur kleine Aufmerksamkeiten und Gefälligkeiten, ein klein wenig auch mit den Ideen, welche, was man nennt, beim Volke im Schwunge sind, so prophezeie ich Ihnen, Sie, die Herren von der Industrie, werden bald die wahre, reelle, effektive Universalmonarchie in Händen haben, wie die großen Handelsherren in dem kleinen Venedig ehedem, wie im großen England und im noch größeren Amerika jetzt schon und in Zukunft noch mehr. Sie, Sie, Theuerster, fingen ja schon an. Bravo! Ihre Associèschast en commandite mit der Excellenz war eine großartige Idee, nur muß man sich von den vornehmen Herren nicht übers Ohr hauen lassen. Wenn Sie geschickt agiren, haben Sie den Herrn ja noch jetzt in Händen, er muß jeden Eklat vermeiden, während Sie vis-à-vis de rien Alles[620] einsetzen müssen. Also, Courage, für Frieden und Ruhe Alles dran gesetzt, Frieden und Ruhe, welche die Nation und Ihr König wünschen. Also warum nicht frisch und kühn, ein Auge zugedrückt und in die Tasche gegriffen!«

Herr van Asten griff auch in die Tasche, aber nur, um seine Brieftasche vorzuholen. Er war während der langen Rede wieder seiner Herr geworden: »Weil mir ein Sperling auf der Hand lieber ist als eine Taube auf dem Dache. Weil mein Fuß zu dick ist, um ihn in Diplomaten schuhe zu stecken. Weil ich auf glattem Boden nicht gehen kann, und weil ich in der Schule gelernt habe, daß, wer besticht, eben so ein Schurke ist, als wer Bestechung nimmt. – Hier ist Ihr erster Wechsel.« Das Bleistift, welches die Brieftasche verschlossen, zwischen den Zähnen haltend, zog der Kaufmann den Papierstreifen heraus.

»In acht Tagen stehe ich zu Dienst,« entgegnete Wandel mit einem Versuch zu lächeln. »Pressirt es so, Herr van Asten?« – »Mich nicht. Glaubte vielleicht, daß es Sie pressiren würde, den Wechsel einzulösen.« – »Zeigen Sie. Sollt' ich mich im Datum geirrt haben!«

Der Kaufmann hielt den Wechsel seitwärts in die Höhe. Sein Bein und Stock blieben die Barriere. »Sie haben ja wohl gute Augen. – Sehen Sie? – Sie sehen vielleicht nicht Alles. Ich auch nicht. – Die Schrift ist blaß. Herr Legationsrath, seit acht Tagen wird sie jeden Tag blässer, und in acht Tagen hätte ich einen weißen Papierstreifen in der Tasche. Ist das nicht kurios?«

Wandel hielt die Hand vors Gesicht, um besser zu sehen. Plötzlich drehte er sich auf dem Hacken um, und sank auf den Stuhl zurück mit einem lauten Auflachen. Van Asten verlor keine seiner Bewegungen aus dem Auge. – »Das ist kurios.« – »Nur kurios, Herr Legationsrath?« – »Waren Sie besorgt, daß ich den Wechsel um deswillen nicht honoriren würde?« – »Besorgt eigentlich nicht, Herr Legationsrath, ich ließ nur, als ich's merkte, vom Notar eine vidimirte Abschrift nehmen, und den kuriosen Fall ad protocollum vermerken.« – »Die Geschichte wird immer hübscher. Ich hatte damals eine sympathetische Dinte präparirt, und tauchte wahrscheinlich aus Versehen die Feder beim Ausfüllen des Wechsels hinein. Wollen Sie gefälligst hergeben, der Schade ist im Moment reparirt.« Er stellte eines der Kohlenbecken vom Herde auf den Fenstersims. »Wie Sie wollen,« lächelte der vornehme Mann, als van Asten das Papier hinter seinen Rücken hielt. »Probiren Sie selbst, eine Sekunde leise über den Kohlendampf und die natürliche Schwärze ist wieder hergestellt.« Der Kaufmann besann sich einen Moment. Er schien seine Position nicht verändern zu wollen, bei der Operation am Fenster hätte er dem Rath den Rücken wenden[621] müssen. Er überreichte ihm den Wechsel, von dem er ja eine vidimirte Kopie besaß, strengte aber jetzt seine Augen noch mehr an, jede Bewegung des Andern zu verfolgen. Wandel fuhr nur leicht ein paar Mal über das Kohlenbecken und reichte den Wechsel, ohne ihn selbst anzusehen, zurück: »Prüfen Sie jetzt selbst.«

Die Schrift stand wieder schwarz da, aber das Papier schien sehr mürbe geworden. »Soll ich Ihnen vielleicht einen neuen Wechsel schreiben? – Sie scheinen etwas ängstlich. – Ich vergebe Ihnen, ein Kaufmann soll vorsichtig sein. Mit dem größten Vergnügen.« Er schob aus dem Winkel einen kleinen Tisch mit Schreibzeug hervor, bestimmt, um seine Notate bei den chemischen Experimenten zu machen, und – schrieb.

Van Asten hatte zu dem Anerbieten weder ja gesagt, noch nein. Er benutzte den freien Moment, sich umzuschauen. Es war ein stiller Sonntag Nachmittag, das ganze Haus schien ins Freie ausgeflogen, er war auf der Treppe Niemand begegnet. Im Hofe knarrte nicht der Brunnen, keine Stimme; man hörte nur das Zwitschern der Sperlinge, in der Küche das Picken des Holzwurms in dem alten Gebälk. Van Asten war auch ein muthiger Mann, aber ihm war eigen zu Muthe, wenn sein Blick auf das Gerippe fiel, auf die eisernen Geräthschaften, die eben so viel Waffen werden konnten. Waren nicht auch vielleicht auf dem Herde, in den Tiegeln und Destillirkolben geheime Waffen! Wenn der Koch mit dem Löffel daraus auf ihn spritzte, mochte nicht eine Essenz darin enthalten sein, die ihn betäubte, ihn selbst im Augenblick blaß machte wie die Schrift auf dem Wechsel?

Waren nicht die Blicke, die der Schreibende seitwärts dann und wann auf ihn gleiten ließ, auch Waffen! Der Kaufmann stand hinter seinem Schemel, den darauf gestemmten Stock noch fester in die Hände pressend.

An einer schwarzen Tafel standen mit Kreide arithmetische Figuren, darunter Berechnungen, die des Kaufmanns Aufmerksamkeit anzogen, große Zahlen addirt. An der einen Ecke:


80,000 + 15,000 – 40 Jahr p.p. + + + zu viel.

Summa: 95,000 – 40 Jahr p.p. + + + zu viel.


an der andern:


90,000 + 28 Jahr – Verstand.

p.p. 90,000

180,000 + 28 Jahr – Verstand.???


Der Legationsrath war fertig und hielt ihm die Schrift hin: »Wollen Sie probiren – englische Immortell-Dinte, neueste Erfindung von Parry – es ließe sich darin ein Geschäft machen. Um alle Simulation zu vermeiden, habe ich unter heutigem Datum[622] acceptirt.« – »Wollen Herr Legationsrath noch gefälligst darunter notiren: Duplikat des an dem und dem acceptirten Solawechsels.« – »Wozu, theuerster Mann, wir tauschen die Papiere aus und damit ist die Sache abgemacht.« – »Möchte gern den ersten Wechsel auch behalten, nur aus Kuriosität, von wegen der sympathetischen Tinte. Geschieht Ihnen ja kein Schade dadurch, lieber Herr Legationsrath. Können noch, der Sicherheit wegen, hinzubemerken: Duplikat u.s.w. wodurch der Primawechsel außer Kraft gesetzt ist Weiter nichts. Bin ein Raritätensammler, und trenne mich nicht gern von Seltenheiten.«

Wandel war in die Höhe gesprungen, wie der Tiger beim Geräusch des herangeschlichenen Jägers. So funkelte auch sein Auge, als er krampfhaft die Stuhllehne presste. Der Stuhl in seiner Hand hätte zur Waffe werden können, aber nicht gegen Den, der ihm gegenüber stand. Die markigen Hände des Kaufmanns umklammerten den Stock, sein Kinn lehnte sich darauf und seine hellblauen Augen fielen ohne Blinkern auf die gelbglühenden des Andern. »Was wollen Sie noch?« fragte Wandel. – »Sie haben noch einen Wechsel, von mir acceptirt, auf Höhe von zehn Tausend Thalern.« – »Der am vierzehnten Oktober fällig ist, mein Herr.« – »Weiß es, wir könnten aber doch vielleicht noch ein Geschäftchen machen. Schreiben Sie mir noch ein solches Duplikat – der Wechsel wird auch blaß.« – Wandel verkniff die Lippen. Nach einer Pause sagte er: »Wie Sie wünschen.« – »Ist mir lieb, daß Sie so gefällig sind; den Verfalltag wünsch' ich nur etwas anders. Schreiben Sie gütigst: acceptirt zum ersten September.« – »Herr! Das sind nicht vierzehn Tage.« – »Weiß es.« – »Das könnte mich derangiren.« – »Würde mir sehr leid thun.« – »Das ist unverschämt.« – »Kann sein. Ein Kaufmann muß die Konjunkturen benutzen. Ist sich Jeder selbst der Nächste, darin werden Sie mir Recht geben« – »Ihre Gründe, Herr von Asten! Durch das Duplikat verschwindet jede Besorgniß wegen der Dinte.« – »Gründe wollen Sie! So viel Sie wollen: bis zum vierzehnten Oktober kann Krieg ausgebrochen, Sie können todt, bankerott, Sie können nach Asien und Sibirien gereist sein. Ich könnte Ihnen noch viel mehr Gründe sagen, der Hauptgrund aber ist, ich will mein Geld haben.« – »Das ist ein sehr verständlicher, mein Herr van Asten. Wenn ich mich recht besinne, könnte ich mich dazu bestimmen lassen. Ich erwarte Rimessen aus Thüringen, die jeden Augenblick eintreffen müssen. Indessen, Kaufmann gegen Kaufmann – dies unbeschadet unserer Freundschaft – was geben Sie für die Gefälligkeit?« – »Die Wechsel fürs Geld.« – »Und die Prima für die Anticipation?«

Beide sahen sich durchdringend an. Beide waren Kaufleute[623] durch und durch in dem Augenblick, die durchbohrenden Blicke wurden milder, die Drohung schmolz in ein Lächeln. Wandel schrieb auch den zweiten Wechsel um, und nachdem van Asten ihn sorgsam geprüft, tauschte er beide neue Wechsel gegen die Primawechsel aus. Von dem geschraubten Ton vorhin merkte man nichts mehr. Die Unterhaltung floß noch einige Augenblicke über gleichgültige Dinge, wie zwischen Geschäftsmännern, die eine unangenehme Disharmonie durch freundliches Entgegenkommen verlöschen wollen. Van Asten versicherte, daß er die Differenz schon so gut wie vergessen habe, Wandel lobte es, wer erfolgreich leben wolle, müsse an die Zukunft und so wenig als möglich an die Vergangenheit denken. Auch vor Raritäten müsse man sich hüten, sie würden am Ende todtes Kapital, in welchem unser Lebensstock immer sparsamer, dünner wird. »Da! –« er riß aus einer Lade unter der schwarzen Tafel eine Partie Papiere hervor – »was habe ich davon, daß ich diese Assignate zwölf Jahre aufhob, eine halbe Million und darüber!«

»Freilich jetzt nur Raritäten,« sagte nachdenklich der Kaufmann. »Kein Gläubiger ist mehr so dumm, sie für Activa anzusehen. Vor fünf bis sechs Jahren konnte man wohl noch etwas darauf erschwindeln.« – »Fidibus, Theuerster! Zum Feueranmachen brauche ich sie.« – »Ueber eine halbe Million! Na – sie werden Ihnen auch nicht so viel gekostet haben.« – »Es kommt darauf an,« entgegnete der Legationsrath mit einem eigenen Zucken um die Lippen. »Was haben Herr Legationsrath denn da an der Tafel ausgerechnet? Thaler und Verstand ist ein kurioses Additionsexempel.« – »Phantasiebelustigungen! Vielleicht Geschäfte, die ich vor habe.« – »Das sind hohe Summen.« – »Ich habe größere Geschäfte gemacht.« – »Das Facit des einen ist fünf und neunzig Tausend, das des andern hundert und achtzig Tausend ohne den Krimskrams dran von unbekannten und irrationalen Größen.« – »Sie sind ein unbefangener Mann, aber von glücklichem Takt. Beide Geschäfte kann ich nicht zusammen machen. Es gilt die Wahl. Zu welchem rathen Sie?« – »Wenn ich hundert und achtzig Tausend machen kann, ziehe ich sie fünf und neunzig Tausend vor.« – »Ich auch,« lachte der Legationsrath. »Nur habe ich die achtzig Tausend so gut wie in der Hand; beim andern Geschäft aber sind Schwierigkeiten zu überwinden; es ist, würde der Engländer sagen, ein steeple chase mit Hindernissen.« – »Sie winden sich durch, Herr Legationsrath.« – »Ich nehme es als ein gutes Omen an,« lächelte Wandel. »Wir scheiden doch als Freunde.« – »Wie vorher.«

Der Legationsrath hatte den Kaufmann bis zur Thür begleitet.

»Nun sehen Sie, da wir als Freunde scheiden, und Sie sich[624] so honett gezeigt, ist ein Dienst des andern werth. Sie haben mich gerettet, ich gesteh's Ihnen, für den Moment. Und aus purer Gefälligkeit! Der alte Asten ist aber kein Bettler. Er nimmt nichts umsonst. Also erstens dafür: tiefste Verschwiegenheit; von mir hört Keiner eine Sylbe. Zweitens eine Maxime: ein Kaufmann darf nicht zu viel Speculationen vor sich haben. Wenn er zu lange wählt, entschließt er sich zu spät. Sieht er zu eifrig nach der Taube auf dem Dache, so fliegt ihm auch der Sperling aus der Hand. Merken Sie sich das; rasch zugegriffen. Und drittens ist mir lange schon für sie was eingefallen. Machen Sie sich doch an Madame Braunbiegler. Das wäre eine Partie für Sie, so reich wie dick. Hundertzwanzig Tausend unter Brüdern. Der alte Braunbiegler verstand's. Lauter solide Hypotheken und Pfandbriefe. Und die halbe Fabrik! Unter uns hundertfunfzig Tausend wenigstens. Und Sie mit Ihrer Chemie, können das Tuch noch dünner strecken! Zugegriffen; ein Bischen Schwierigkeiten, aber Sie kriegen sie.«

Die Treppen dröhnten unter den schweren Tritten des Kaufmanns, er sah nicht mehr die Blässe auf dem Gesicht des Legationsraths; nicht, wie er in die Küche zurück wankte, nicht, wie er an der Thürpfoste stehen bleibend, das kalte Gesicht mit beiden Händen bedeckte. Da verließ ihn seine Kraft. Ihn schwindelte, es drehte sich um ihn wie im Kreise, die Bilder, das Gerippe, die Retorten. Er fletschte die Zähne, die Augen traten aus den Höhlen, er ballte die Faust gegen die Bilder: »Lachen Sie nur, ›Mes dames de Bruckerode!‹ Dann wankten die Knie. Der starke Mann sank auf den Schemel, es war auch ihm zu viel gewesen. Die Retorte fiel von der Erschütterung vom Gestell und verschüttete ihren Inhalt in die Kohlen, der Staub wühlte auf, die Bilder bewegten sich, das Gerippe rasselte an der Wand.«

Quelle:
Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländische Romane, Berlin: Otto Janke, 4[1881], Band 7, S. 612-625.
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